Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch. Heute erfahre ich, dass ich berühmt bin. Es wird viel geflucht. Mein Orientierungssinn begibt sich auf Abwege. Ich sitze unvermittelt in einer Heißluftfriteuse. Habe eine Erkenntnis. Ein faschistischer Berg geht den Bach runter. Ach ja, und Annas Hund fährt Auto. Es wird ein langer Tag.

18. Juli 2024
Kurz nach Sieben stehe ich bei Rosanna in der Tür des Frühstücksraums. Bin noch ein wenig verpennt. Die Nacht nicht gut geschlafen. Wie auch? Heute ist Tag des Abschieds. Giorno della partenza, wie Giulietta sagt. Vor der Tür meines Zimmers steht schon die V-Strom und wartet nur darauf, wieder auf die Straße zu kommen.

Ich höre nur mit halbem Ohr zu was Rosanna heute Morgen erzählt, während sie mir ein großes Stück Torta Albicocca (Gesprochen: Albikokka) schneidet, Pfirsichkuchen. Bis ich merke, dass es in ihrer Erzählung um mich geht.

“Ich war gestern in der Osteria im Dorf. Die Wirtin hatte Geburtstag, und weißt Du was? Die haben mich da direkt über Dich ausgefragt, die Belegschaft und die Stammgäste! Du warst eh Gespräch des Abends. Ein Deutscher, hier! Und der will auch noch unbedingt italienisch sprechen! Was ja verrückt ist, weil Elena so gut Englisch spricht. Sie ist Rumänin, weißt Du?”

Ich bin völlig fasziniert. Wie kann man so viel reden ohne Luft zu holen?

“Und dann hast Du neulich Abend auf Insta ein Bild aus dem Ristorante gepostet und jetzt folgen die dir alle!” Ach. Daher die ganzen neuen Follower. In Italien ist jeder auf Insta. Zumindest jede Frau. Und deren Mudder.

“Da haben sie dann in der Story gesehen, dass Du mit dem Motorrad reist und das Du da oben am Berg warst und den Passo delle Radici gefahren bist und…”
-“Bin ich?”
“Jaja, und…”
“Wo ist der Passo delle Radici?”, will ich wissen. Kann mich nicht an den erinnern.
“Na HINTER oben am Berg!”, sagt Rosanna und macht ein „Ts“-Geräusch als ob jedes Kind wissen müsste, dass der Radieschenpass hinter den sieben Bergen ist.

“Und Du warst auf der Big Bench und am Lago Calamone. Das Du bei uns wohnst haben sie auch gesehen und mich dann über Dich ausgefragt. Ich habe erzählt das Du schon ein paar mal hier warst und ein Freund von Giulietta bist und auch die Sara von oben am Berg kennst und…”

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und stöhne. Offensichtlich bin ich das Dorfgespräch. Muss man auch erstmal hinkriegen.
“Sono famoso?”, frage ich mit geschlossenen Augen, bin ich jetzt berühmt?
“Si!”, sagt Rosanna und nickt.

Der letzte Koffer hängt am Motorrad, nichts ist im Zimmer vergessen. Ich trete den schweren Gang den Berg hinauf zur Bar an.

Als sie mich sieht, kommt Giulie hinter dem Tresen der Bar hervor. “Partenza?”, ruft sie.

Ich nicke und sie streckt die Arme aus und zieht mich an sich.
Fünf Tage bin ich hier gewesen, aber es fühlt sich gerade so an, als sei ich erst vor fünf Minuten angekommen.
Ich fühle mich elend. Es ist, als würde mein Körper dagegen rebellieren, diesen Ort zu verlassen.

Sie bemerkt meinen Blick. “Tutto a posto?”, Alles in Ordnung?
“Giulie, ich…”
“Ehi”, unterbricht Sie mich. Das ist italienisch und bedeutet “hey”. Klingt auch fast genauso, nur ohne das “h”.

Sie sieht mich direkt an, mit diesen strahlenden, grauen Augen und sagt dann mit einem Lächeln und so langsam, dass ich es auf Anhieb verstehe “Non dire addio, ma a presto!”. Sag nicht auf Wiedersehen, sondern bis bald.
Ich nicke, und für einen Moment stehen wir uns schweigend gegenüber.

“Un’ultima foto?”, frage ich.
“Certo!! Cinzia! Scatti una foto di noi!” ruft Giulie und winkt eine Freundin heran, die in der Nähe bei einem Caffé sitzt.

Ich bin so überrascht, dass ich die heraneilende Frau mit “Buona Sera” begrüße, guten Abend.
Giulie stöhnt laut auf, als sie das hört und macht “NOOOOOOOOOOO”, und ich klatsche mir ob meiner eigenen Doofheit mit der Hand an die Stirn.
Oh man, ich stelle mich ja bei der Abfahrt genauso bescheuert an wie bei der Ankunft. Irgendwie setzt manchmal mein Sprachzentrum in der Nähe von gewissen Personen aus. Aber Giulietta hat es halt drauf mich aus dem Konzept zu bringen. Die Frau ist in jeder Minute überraschend.

Cinzia macht mit meinem Handy einen Schnappschuss, auf dem wir beide in die Morgensonne blinzeln.

Giulie haucht mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und sagt “A presto”. Dann eilt sie wieder in die Bar, an deren Tresen schon ein paar Straßenarbeiter lautstark auf ihren Caffé warten.

“A Presto”, wiederhole ich, drehe mich um und gehe zum Motorrad.

Die Suzuki rollt aus dem Tor der Farm, als mir ein Auto entgegenkommt. Der Fahrer hebt die Hand und nickt mir zu. Wer ist denn das? …das ist ja der Hausmeister! Der Grummel! DER GRÜSST! Das ist ja wie ein Ritterschlag!

Ich hupe ein letztes Mal und grüße zur Bar hinüber, dann gebe ich Gas und bin verschwunden.

Und DANN fällt mir ein, dass ich ob dieses verwirrenden Abschieds ganz vergessen habe, mich auch von Annamaria, Giulies Mamma, zu verabschieden. Das ist mal mindestes grob unhöflich und wird beim nächsten Besuch bestimmt noch Ärger geben.
Beim nächsten Besuch.

Oh man.
Ich bin kaum aus der Tür, denke ich schon daran, wann ich wohl wieder hier sein kann.

“Porto un pezzo del tuo cuore nel mio. Così sei sempre con me.”

Den Satz habe ich gestern Abend gelernt.

Ich trage ein Stück von Deinem Herzen in meinem. Damit bist Du immer bei mir.

Ist der Gedanke nicht wunderschön?

Oder anders: Ich trage ein Stück von hier in meinem Herzen. Damit reisen wir jetzt gemeinsam.
Ich schüttele den Kopf um ihn frei zu bekommen, und versuche mich auf die Straße zu konzentrieren.

Der Weg führt wieder über den Pass in der Bergkette, die die Emilia Romagna und die Toskana trennt, dann durch die Täler Richtung Küste.


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Kein Reisetagebuch (5): Tra Terra e Cielo

Kein Reisetagebuch (5): Tra Terra e Cielo

Kein Reisetagebuch. Heute mit Albrecht´schen Schlängelwegen zwischen Himmel und Erde, Tankstellen ohne Netz und meine mangelnden Sprachkenntnisse führen zu einem Duell.

Mittwoch, 17. Juli 2024
“Die Seen hier sind auch voll schön”, sagt Rosanna beim Frühstück und beginnt, jedes Gewässer im Umkreis von 50 Kilometern aufzuzählen. Ich höre mit halbem Ohr zu und spiele gedankenverloren mit einem Päckchen Zucker herum. Als ich mit dem Caffé fertig bin, will ich es wegpacken und lese dann erst, was darauf steht:

“Tra terra e cielo, nel cuore…”, steht darauf, “Zwischen Erde und Himmel, im Herzen des Nationalparks toskanischer-emilianischer Apennin”. Etwas sperrig als Slogan, aber ich finde den schön.

“Sag mal”, frage ich, “An der Straße hinter dem Ort habe ich ein Schild gesehen, auf dem die Telefonnummer von hier steht, in der gleichen Handschrift wie die Schilder auf der Farm. “B&B alte Flussmühle” – habt ihr da noch einen Gästebetrieb?

Rosanna schüttelt den Kopf. “Früher mal, bevor wir die Blockhütte hier gebaut haben. Jetzt nicht mehr. Die alte Mühle ist immer noch ein Gästehaus, aber aktuell wohnt da der Hausmeister”. Ah, das muss der grummelige Farmarbeiter sein.

Besagter Grummel steht gerade auf einer Leiter und streicht die Holzbalken der Blockhütte. Ich grüße freundlich. Ein patziges “´Giorno” kommt durch zusammengebissene Zähne zurück.
Immerhin eine Antwort. Hey, wir machen Fortschritte.

Heute will ich nur ein wenig Mopped fahren. Also, ich meine natürlich “Die V-Strom 800 weiteren Tests unterziehen”.
Einen See zu besuchen steht eh´ auf dem Programm, dazu eine verlassene Nato-Basis und eine alte Burg.

So leer die Gegend hier auf den ersten Blick scheint, bei genauerem Hinsehen ist sie voller Kleinode und angefüllt mit Sehenswürdigkeiten. Vermutlich könnte man in diesem abgelegenen, kleinen Teil der Welt Wochen zubringen und würde immer noch verwunschene oder interessante oder historisch bedeutsame oder ansonsten berühmte Orte entdecken. Gut, das trifft auf nahezu jeden Teil Italiens zu, aber hier ist es dazu noch wunderbar menschenleer.

Kurze Zeit später schrubbt die V-Strom die Berge hinauf. Die Straßen sind auch hier schmal und manchmal etwas brökelig, aber völlig ok. Es macht Spaß, die wendige Suzuki durch verdrehte Kurven zu steuern und durch die letzten kleinen Dörfer vor dem Nichts zu fahren.

Die Federung der 800er kam mir im Stand viel zu weich vor. Ich kann die V-Strom hinten mit einer Hand runterdrücken, das kam mir nicht koscher vor. Aber hier, unter realen Bedingungen, ist das Fahrwerk ziemlich gut. Es federt leichte Unebenheiten komplett weg, fühlt sich aber in Kurven straff und überhaupt nicht schwammig an, sowohl mit als auch ohne Gepäck. Für den Betrieb zu zweit, mit einer Sozia und dann ggf. noch Gepäck ist es aber definitiv zu weich.

Andere Fahrzeuge sehe ich so gut wie keine, sieht man von der gelegentlichen Ape eines Bauern ab oder von ihm hier, der seinen Hütehund Gassi führt, in dem er mit dem Auto nebenher fährt:

Das Nichts, das hinter den letzten Dörfern beginnt, ist einfach die leere Bergwelt. Die V-Strom summt über Berggrate und an an den Flanken der Hügel entlang und immer, immer wieder gibt es einfach richtig schöne Ausblicke.

Ein tiefer Seufzer. Was bin ich dankbar hier sein zu können. Anfang des Jahre ist mit klar geworden, dass ich die Menschen hier erst in eineinhalb oder zwei Jahren wiedersehen würde, mangels Zeit und eines Reisemotorrads. Ich könnte dem Suzuki-Händler immer noch auf Knien danken, der die V-Strom 800 so früh besorgen und ausrüsten konnte – ohne ihn wäre ich nicht hier, und hätte Giulie und die anderen erst im Herbst 2025 wiedergesehen. Aber nun fahre ich hier rum, auf einem neuen Moped! Manchmal kann ich das immer noch nicht ganz fassen.

An einer Weggabelung halte ich an und mache ein paar Bilder von der V-Strom 800. Wie sie da so steht, hinter sich nur eine Bergkette und darüber sofort der offene Himmel, ist sie tatsächlich “Tra terra e cielo”, zwischen Erde und Himmel.

Doch, ich bin wahnsinnig zufrieden mit der Kiste. Sie ist alles, was ich mir von einer Nachfolgerin der Barocca gewünscht habe, und mehr.


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Momentaufnahme: August 2024

Momentaufnahme: August 2024

Herr Silencer im August 2024

“A me basta di sapere che mi pensi anche un minuto.”

Wetter: Sonnig und warm, Mitte des Monats dann heiß mit über dreißig Grad. In der zweiten Monatshälfte fallen die Temperaturen um. Es wird mit 14 Grad kühl und fühlt sich nach Herbst an, dann reißt es noch einmal auf 30 Grad hoch, und unmittelbar danach stürzen die Temperaturen nachts ins einstellige. Sie letzte Woche ist dann ein Auf und Ab: Tags bis zu 28, nachts mal 16, mal 9 Grad. Den ganzen Monat über kein Regen.


Lesen:

Wolf Schneider: Deutsch für junge Profis – Wie man gut und lebendig schreibt
Gelungene Einstiege, für Leser:innen spannenden Schreibweise, unnütze Worte die weggelassen werden sollten, vermeintliche und echte Sprachtabus – Journalisten-Urgestein und Sprachprofi Wolf Schneider gibt Tipps für die Praxis, hier mit dem Fokus auf Online-Medien. Wie schreibe ich für Twitter (das Buch ist schon älter), für Blogs, für Webseiten?

Locke & Key: The Keyhouse Compendium
Rendell Locke wird bei einem Überfall getötet. Seine Witwe zieht mit den drei Kindern in ein altes Haus, das seit 300 Jahren im Besitz von Rendells Familie ist und den Namen “Keyhouse” trägt.

Der Name ist Programm, die Locke-Kinder entdecken seltsame Schlüssel im Haus. Die sind magisch, öffnen Türen zu weit entfernten Orten, den eigenen Kopf oder ermöglichen Gestalt- und Geschlechtwandelei.
Dummerweise ist noch jemand anderes hinter den Schlüsseln her. Letztlich müsse die Locke-Kinder die Jugendfehler ihres Vaters ausbaden.

Ich hatte auf Netflix einen Trailer zur Verfilmung gesehen und “Locke & Key” als Geschichte für Kinder abgetan. Wie falsch ich damit lag! Ja, Kinder bzw. Teens sind die Protagonisten der Story, aber der Plot gleitet spätestens ab dem zweiten Akt ins richtig Düstere ab, bedient sich Horrorelementen und kommt nicht unbedingt zu einem Happy End.

“Das Keyhouse Compendium” enthält auf fast 1.000 dünnen, aber hochfesten und exzellent gedruckten Seiten die gesamte Reihe, die von 2008 bis 2013 veröffentlicht wurde. Hat Längen, aber nicht viele. Erreicht nicht die Qualität des “Golden Age”-Bands, bringt aber genug Ideen mit um immer wieder zu überraschen und die Spannung zu halten. Schön gezeichnet, durchgesuchtet.

Marc-Uwe Kling: Views
Im Harz wird ein junges Mädchen von drei Afrikanern überfallen, vergewaltigt und ist dann verschwunden. Von der Tat kursiert ein Video in den sozialen Medien. Mit den erwartbaren Folgen: Die BILD fährt eine Kampagne gegen Ausländer, die üblichen Politiker fordern Abschiebungen, die AFD hetzt und rechte Influencer gründen “AH” – den “Aktiven Heimatschutz”. Die Polizei reagiert schnell und sucht überall nach Spuren, findet aber überhaupt nichts. Stattdessen kommt es im Land zur Selbstjustiz.

Was mir gefällt: Ein hochgefährliches Szenario, gnadenlos durchgespielt und beschrieben von jemandem, der sich mit Social Media und aktueller Technik auskennt – selbst ChatGPT hat einen Auftritt.

Was mir nicht gefällt: Kling hat anscheinend Tech- und Plotpoints an ein Bord gepinnt, mit einem sehr groben, roten Wollfaden verbunden und das ganze Ding in drei Wochen runtergeschrieben. Wie er in der Geschichte von A nach B kommt ist meist zweitrangig und holprig erzählt. Im Zweifel hat die Protagonistin halt eine Intuition und steht dann am nächsten Plotpoint. Um die gröbsten Unebenheiten zu glätten, wurde ein wenig sozialer Kitt aus dem Leben der Hauptfigur drübergeschmiert, was den Flow nicht verbessert.

Dazu kommt der leicht unfokussierte Schreibstil, den ich schon in “Qualityland” nicht mochte und der mit popkulturellen Anspielungen und ungeschickt eingeflochtenem Wissen überladen ist. Das Tatopfer heißt Lara Palmer – hier, fast wie die in Twin Peaks, kennste, kennste? – Das ist so platt, das selbst die Charaktere sich darüber mokieren, aber der Autor kann anscheinend nicht davon lassen. Auch grob hingezimmerte Erkenntnisse, wie dass es GPS-Tracker bei Amazon gibt und was LLMs aktuell können und was nicht, lässt Feuilletonisten staunen (“Ich habe sooo viel gelernt aus diesem Buch!”, Deutschland Funk), echte Menschen eher nicht.

Da spielt es dann fast keine Rolle mehr, dass das Ende wirkt, als hätte der Autor selbst keine Lust mehr darauf gehabt und es schnell hingeschrieben, während er eigentlich schon zum Abendessen gerufen worden war.

In der Summe: Wichtiges Thema, leider schlecht erzählt.


Hören:

En Vogue – Greatest Hits
Aaaaah, die 90er.


Sehen:

Kevin can f** himself [2021, Amazon Prime]
Allison ist mit Kevin verheiratet. In ihrem heruntergekommenen Wohnzimmer hängen ständig Kevins Vater sowie sein bester Freund und dessen Schwester ab und schmieden absurde Pläne. Die gehen immer schief, und Kevin muss sich irgendwie herauslavieren.

Klingt nach einer typischen Sitcom? Ist es auch. Aber nur zur Hälfte. Immer wenn Kevin auftaucht, ist die Serie wie eine Sitcom gefilmt: Statische Kulisse, grell ausgeleuchtet, knallige Farben, Lacher vom Band.

Die Kamera begleitet aber Allison und deren Geschichte, und wenn Allison alleine ist, wechselt die Perspektive und der Look der Serie: Die Kamera wird mobil, die Farben sind entsättigt, das Licht realistisch. Hier wird der echte Struggle einer Sitcom-Wife gezeigt, die Probleme, Träume und Ambitionen hat. Denen steht im Weg: Kevin.

Superinteressantes Konzept, das bei mir sofort verfangen hat. Dazu trägt auch die tolle Performance der Hauptdarstellerin bei. Interessant auch, was der Perspektivwechsel anrichtet: Schon nach zwanzig Minuten wird Kevin im Auge des Betrachters von einer liebenswert-witzigen zu einer ekligen Figur. Die Serie ist auch ein harscher Kommentar zu patriarchial geprägten Lebenssituationen, bei denen der Machtausübende egoistisch und infantil ist und die Verletzungen, die er zufügt, nicht mal registriert.

Man fragt sich unweigerlich, wie es Peggy Bundy oder der Frau von dem Typen aus King of Queens eigentlich hinter den Kulissen ging.

Furiosa [2024, BluRay]
Als Kind wird Furiosa von einer Gang entführt. Sie wächst unter Feinden auf und wird zum Road Warrior ausgebildet. Jahre später fährt sie Zeugs auf der Fury Road hin und her, vergisst aber nie, dass sie sich an dem Mann mit der Nase rächen will.

Nahtloses Prequel zu “Fury Road”. Das hier ist der interessantere Film, weil hier mehr dran ist: Mehr Geschichte, mehr Charakterzeichnung, mehr Worldbuilding und mehr Nase. Im Ernst: WARUM trägt Chris Hemsworth den ganzen Film über eine alberne Gumminase? Durch die scheint sogar in manchen Szenen das Licht! Hat für mich immer wieder die Immersion gebrochen.

Abseits davon: Sehr gut gemachter Actionfilm, spannend, tolle Einfälle, super Darsteller. Zu Unrecht an den Kinokassen untergegangen. Vermutlich hat die Nase den Film versenkt.

The Newsroom [2012-14, Staffel 1, BluRay]
Alternder republikanischer Newsanchor wird hart getriggert, als plötzlich seine Ex-Flamme seine neue Producerin werden soll. Die Folge: Er und seine Redaktion arbeiten aus Trotz wieder richtig journalistisch – und legen sich mit allen an.

Was für ein Juwel diese Serie ist! Die Themen sind die des echten Lebens der 2010er Jahre: Der Aufstieg der Far Right. Fukushima. Klimawandel. Hier werden krasse Themen verhandelt, und das auf eine Art und Weise, dass man fast Tränchen in den Augen hat, weil man sich Journalismus GENAU. SO. WÜNSCHT.

Das geht auch durchaus schonmal an die Schmerzgrenze, wie diese Sequenz zeigt:

Gleichzeitig führt die Serie vor Augen, wie Trump passieren konnte. Vor 15 Jahren, als die Handlung spielt, war die Tea Party-Bewegung die Anti-Establishment-Bewegung. Die wurde aufgesogen von den evangelikalen Rechten, die sich zunehmend radikalisierten und am Ende die Republikaner übernahmen. Slogans von “gestohlenen Wahlen” gingen damals schon rum, wenn die Republikaner verloren. Gleichzeitig änderte sie die Wahlgesetze so, dass sie bestimmte Bevölkerungsgruppen von der Wahl ausschlossen oder selbst dann gewannen, wenn sie weniger Stimmern bekamen.

Diese Mechanismen führten letztlich zu Trump, und die Serie zeigt das aus Sicht – eines Republikaners!

Weder in der Serie noch im echten Leben kam das gut an, diese erstklassige HBO-Serie nach drei Staffeln beerdigt und läuft bis heute nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf Sky oder Wow oder Go oder wie der Kram diese Woche gerade heißt. Ordentliche deutsche BluRay-Veröffentlichungen gibt es auch nicht. Schade, denn die Serie ist wichtig – in ausnahmslos JEDER Folge gibt es Momente, die sich ins Gedächtnis einbrennen.

Der Plan [2011, BluRay]
Matt Damon ist ein aufsteigender Nachwuchspolitiker. Immer wieder begegnet er einer Frau, die für ihn bestimmt zu sein scheint – und immer wieder trennen verrückte Zufälle die beiden. Dann kommt raus: Schuld daran sind die grauen Herren vom “Bureau of Adjustment” (so auch der Originaltitel des Films), die kleine Änderungen vornehmen um DEM PLAN gerecht zu werden, und DER PLAN sieht nicht vor, dass Matt Damon mit Emily Blunt zusammenkommt.

Kleiner, feiner High Concept Film. Ist das romantisches SciFi? Oder eine Romanze mit übernatürlichen Elementen? Keine Ahnung, auf jeden Fall gefällt mir diese Mischung, die zum Ende hin ein wenig in “Dark City” plus “Dogma” (den Film von Kevin Smith, nicht das Lars-von-Trier Ding) kippt. Dazu kommt: Matt Damon, Emily Blunt, “Captain America” Anthony Mackie und “Mad Men”-Gesicht John Slattery spielen hier wirklich fantastisch.


Spielen:

Gears of War 3 [2009, XBOX 360 auf XBOX Series X]
Planet Dingens, Space Marines gegen Krabbelviecher.

Sehr cooler Deckungsshooter mit riesigen Actionpieces. Kurzweilig, knallt, Gameplay ist perfekt und sieht auch heute, 13 Jahre nach Release, noch gut aus. Erstaunlich vielfältig und die Kampagne ist überraschend lang.

Gears 5 [2019, XBONE auf XBOX Series X]
Planet Dingens, Space Marines gegen Krabbelviecher.

Fortsetzung der Geschichte aus Teil 4, dieses Mal mit Open-World-Hubs und einer besser geschriebenen Hauptfigur, die sogar eine Motivation mitbringt. Die ist weiblich (die Hauptfigur, nicht die Motivation), weshalb Fanboys einen Pflaumensturz bekamen. Ich habe Kat Diaz aber sehr gerne gespielt. Kurzweilig, Gameplay und Balance wieder perfekt, riesige Setpieces. Sechzehn Stunden Blockbusterunterhaltung auf hohem Niveau.


Machen:

  • Neues Auto suchen, kaufen und den Kram drum rum organisieren
  • Aygo verkaufen
  • Die nagelneuen Aygo-Winterreifen loswerden und Yaris-Winterräder organisieren
  • Arbeit Arbeit Arbeit
  • Letzter Feinschliff Ausstattung und 10.000er Durchsicht V-Strom

Neues Spielzeug:
SW Motech EVO LED Nebelscheinwerfer. Nach den ernüchternden Eindrücken zur Beleuchtung der V-Strom hat sie etwas bekommen, über das ich bislang gespottet habe: Zusatzscheinwerfer.

Es ist deutlich zu merken, dass aus dem Vorderteil des Motorrads jetzt drei Mal mehr Licht kommt als vorher. Erhöht die Sicht und die Sichtbarkeit. Sind natürlich Scheinwerfer die, hrmpf, nur bei Nebel eingeschaltet werden. Alles andere ist ja, hrmpf, in Deutschland nicht erlaubt.

Außerdem: Eine Baby Special 276 von Feuerhand. Der Klassiker, aber mit LEDs und zwei 18650er Akkus. Damit leuchtet das Ding, sagt der Hersteller, 14 Tage am Stück. Aber der behauptet auch, das Licht sei exakt wie das einer Öllaterne. Ist es nicht, es ist weniger warm. Nicht so schlimm kalt wie bei den chinesischen Fabrikaten, aber schon anders als eine echte Flamme.
Egal.

Was halt nett ist: Das Ding riecht nicht und überlagert damit nicht den Sommernachtsduft des Jasmin. Und es läuft nicht aus – anders als die letzte Öllampe, die ich vor zwei Jahren von Feuerhand gekauft habe. Das 2022er Modell des “Traditionsherstellers” ist so billig zusammengepfriemelt, dass es inkontinent ist, anders als seine 60 Jahre alten Geschwister. Rumpladderei passiert bei der LED-Version bestimmt nicht.


Ding des Monats

Ein 2021er Toyota Yaris in Mangan-Bronze.


Archiv Momentaufnahmen ab 2008

My Dirty Hobby (3): Feindliche Übernahme

My Dirty Hobby (3): Feindliche Übernahme

[Anm: Das, was ich hier gleich dauernd als Clematis bezeichne, ist keine. Das ist eine Prunkwinde. Danke, Frau Eckert, für den Hinweis!]

Kurzer Zwischenstand vom Balkon.

Vergangenes Jahr darbte Jasmin 1.0 vor sich hin. Ich vermutete damals, dass ich ihn zu viel goss – dabei war das Gegenteil der Fall. Seitdem ich weiß, wieviel Wasser die Pflanze eigentlich braucht, blüht er in einer Tour vor sich hin.

Und er bekommt überall Triebe und expandiert, für seine Verhältnisse in Rekordtempo. Jasmin ist nämlich eigentlich ziemlich faul und wächst sehr langsam, aber anscheinend denkt er gerade, jetzt sei Zeit zum loslegen. Tja, leider weiß er nicht, dass der Sommer quasi vorbei ist. Gut, kann man ihm nicht verdenken, gefühlt war ja bis Juni Winter. Was auch immer der Jasmin vor hat, bald ist es vorbei.

Seitdem der Oleander regelmäßig gegen die berüchtigten, gelben Oleanderblattläuse geimpft wird, legt auch er los mit Blüherei. Kumpel, auch Du musst dich jetzt echt mal beeilen, in vier Wochen wirds kalt!

Die desinteressiert hingeworfenen Clematis-Samen sind zu einem riesigen Homunkulus herangewachsen. Die Stützkonstruktionen aus zusammengetapten Bambusstäben hat sie quasi verdaut, in ihrem inneren zerbrochen und nutzt nun andere Wege, um sich zu halten.

Dabei expandiert sie wirklich in ALLE Richtungen, streckt sich zur Decke und versucht gleichzeitig aus ihrem Kasten zu krabbeln. Ich bin sicher: Wenn ich sie lassen würde, die würde den ganzen Balkon übernehmen!

Und das ist nur das, was man sieht! Kiwi Jenny II ist ganz braun und lässt die Fittiche hängen, wer weiß, was die Clematis unter der Erde mit der anstellt!
Im Ernst, ich sehe diesen Berg Biomasse und denke nur: Wo kommt dieser ganze Kram her??

Außerdem enttäuschend: Die Clematis soll eigentlich blühen. Diese spezielle mit dem Namen “Carnivale Veneziana” sogar in drei Farben. Tut sie aber nicht. Jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, steht da einfach diese grüne Berg rum und hat zwar Blüten, aber die sind alle geschlossen.

Stellt sich raus: Das hinterhältige Gebüsch geht seinen clandestinen Welteroberungesplänen wohl bevorzugt nachts und frühmorgens nach. Heute morgen bin ich zufälllig früh auf den Balkon gestolpert und habe sie erwischt:

Ha!

Auch nett: Der im vergangenen Jahr durch Blattläuse und das Mittel-gegen-Blattläuse fast gestorbene Rainbow-Chili lebt wieder. Der hat sich echt von der Schwelle des Todes zurückgekämpft.

Zuverlässig enttäuschend ist Salatgurke Tanya. In diesem Jahr trägt sie keine Tomaten, dafür aber viel Mehltau und eine einzige Frucht, die mit ihren Dornen aber auch eher aussieht wie ein Alien-Ei aus dem Weltraum und nicht wie eine Gurke.

Spannend sind nach wie vor die Feigenbäume. Sind ja zwei, ein heller und ein dunkler, deren Stämme wie Liebende verschlungen sind. Beide produzieren gerade Früchte wie verrückt. Ich zweifele aber dran, ob die auch wirklich noch zur Reife kommen – entweder, ich schaffe es noch, auf den letzten Metern zu viel/zu wenig/anders verkehrt zu gießen oder, siehe oben, der Sommer ist nicht lang genug für das mediterrane Grünzeug. Wir werden sehen.

Kein Reisetagebuch (4): Platte mit Aussicht

Kein Reisetagebuch (4): Platte mit Aussicht

Kein Reisetagebuch. Heute passiert wieder nichts, aber das auf hohem Plateau. Es wird ein wenig geklettert und spaziert, und am Ende gibt es einen Notfall.

Dienstag, 16. Juli 2024
Es ist halb Acht, Terrasse vor der Blockhütte. Es ist bereits warm, die Sonne scheint, und heute verderben keine schlechtgelaunten Raucher die Stimmung. Rosanna und ich sind alleine.

“Haben Deinen Großeltern die Biscotti geschmeckt?”, fragt sie und stellt einen Caffé Doppio auf den Tisch den Frühstückstisch.

“Oh ja, sehr sogar”, lüge ich ohne rot zu werden. Tatsächlich haben meine “toskanischen Großeltern” die Kekse von Giuliettas Mamma gestern gar nicht aufgemacht. Aber dass die großartig sind, und Francesca und Lucio schmecken werden, daran besteht kein Zweifel.

Eigentlich flunkere ich also gar nicht. Ich greife der Wahrheit nur vor und zerre sie aus der Zukunft in die Gegenwart.

Heute morgen bin ich durch die Reihen der vielen, vielen Fischbecken und über die Ländereien der Farm gestrolcht und habe dabei noch zwei neue Seen entdeckt, die ich vorher noch nie gesehen habe.

“Die Anlage hier ist ECHT groß”, sage ich.

Rosanna lacht. “Das hier? Das ist GAR NICHTS. Das hier ist WINZIG.”
Ich mache dicke Backen.

“Das hier ist nur das Labor und die Versuchsanlage. Hier erprobt der Professore, Giuliettas Mann, neue Methoden und forscht. Die richtigen Zuchtanlagen sind viel, VIEL größer. Darin werden Fische in einer Anzahl gezüchtet, dass man damit Gewässer und Flüsse repopularisieren kann.”

“Äh”, gehe ich dazwischen, “Es gibt also Gewässer, wo Fische ausgestorben sind, und dann rückt der Professore an und besiedelt den ganzen Fluss oder See neu?”

“Ganz genau”, sagt Rosanna, “Bis vor zehn, zwanzig Jahren waren die italienischen Flüsse dreckig und tot. Jetzt sind sie sauberer, und nun müssen Fische neu angesiedelt werden. Auftraggeber sind die Regionen Italiens. Fische und Gewässer retten, das ist die persönliche Mission des Professore.” Sie putzt unsichtbaren Staub von einem der anderen Außentische.

“Er ist besessen von der Mission, schon von klein auf. Er hat überall Zuchtanlagen. Hier in der Gegend gibt es zwei, dann welche in den Abruzzen, eine weitere im Molise, eine bei Neapel, eine auf Korsika, eine in Kanada. Er reist ständig herum und kontrolliert die. Dazu die Forschung und die Kongresse und Vorträge und Initiativen und ein Podcast und was nicht noch alles. Wusstest Du, das er eine eigene Sendung auf RAI hat? “Fragen Sie Prof. Fisch”.

Sie lacht, dann stockt sie kurz. “Er ist ständig unterwegs. Manchmal nicht einfach für die Familie. Hier oben kann es ganz schön einsam werden. Giulietta hat die beiden Kinder häufig allein aufgezogen. Aber nun. Die sind jetzt fast erwachsen, und Giulie hat ihre Arbeit und ihre Freundinnen. Also alles gut. Alles bestens.”

Die V-Strom 800 prescht über die Bergstraße.
Mittlerweile kenne ich den Verlauf und weiß auch, was hier morgens los ist (nicht viel). Deshalb nehme ich die Kurven mit höherer Geschwindigkeit und probiere aus, wie fix die Maschine wirklich auf schnelle Lastwechsel reagiert, wo sie genau hingeht, wieviel Kraft und Balance ich einbringen muss.

Langsam taste ich mich an immer extremere Schräglagen heran und achte genau darauf, wie sich das für mich anfühlt und was das Motorrad macht. Um wirklich RICHTIG gut mit der neuen Suzuki zu werden, so wie ich es nach Jahren auf der Barocca war, muss ich die Kiste und wie sie auf was reagiert bis ins Detail kennen. Eine bessere Umgebung als hier kann man sich für solche Erfahrungen kaum wünschen. Der Asphalt ist perfekt und die Witterung wie für Testfahrten gemacht.

Stellt sich raus: Die Suzuki fällt fast von selbst in die Kurven. Das war auf den nicht-soooo-schlechten OEM-Reifen schon so, aber mit den Tourance Next II ist es nochmal besser.

Für ein Motorrad dieser Größe und mit diesem Gewicht ist das keine Selbstverständlichkeit, aber die 800er steht der Handlichkeit der 650er in nichts nach. Besser noch: Bremsmanöver gelingen schneller und präziser, dank der echt guten Bremsen, und das  Herausbeschleunigen ist mit dem kraftvollen Motor ein Vergnügen. Echt, ich habe bei noch keiner Suzuki so gute Bremsen und einen solchen Druck von unten heraus erlebt, auch nicht bei der 1000er oder der 1050er V-Strom.

Als ich gerade durch eine Kurve fetze, die in sich noch eine leichte Steigung hat und die ich mit einer Schräglage leicht außerhalb meiner Komfortzone nehme, kracht es plötzlich und tut einen ordentlichen Schlag. Irgendwas hat aufgesetzt, und die Fußraste schien es nicht zu sein. Interessant. Kriege ich das nochmal hin?

Rechts nicht, aber links, stellt sich raus, kann ich die 800er sehr schnell zum Aufsetzen bringen. Das liegt erstaunlicherweise aber nicht unbedingt an der Maschine. Wie ich später feststelle, setzt sie mit dem Seitenständer auf, genauer gesagt: Mit der Seitenständerverbreiterung, die ich da drangepfriemelt habe. Noch bevor ich mit der Fußraste auf den Boden komme, schrappt dessen Aluplatte über den Asphalt:


Das ist Käse, aber nicht dramatisch. Ich hatte eh erwartet, dass die Maschine aufsetzt. Die V-Strom 800 hat immerhin nur 15,5 cm Bodenfreiheit und zusätzlich noch einem Hauptständer. Die Geländeversion der V-Strom, die 800DE, hat 22cm, was mir aber zu hoch ist. Die alte 650er hatte 16,5 cm, was sehr gut passte.  Wurscht.

Ich fahre nach Castelnovo ne´Monti (wörtlich: Die neue Burg in den Bergen), was der einzige größere Ort der ganzen Region hier ist – bei 10.000 Einwohnern, wenn man die umliegenden Ortsteile und Weiler, die Frazioni, hinzuzählt.

Hinter dem Ort ragt  eine auffällige Felsformation in den Himmel, die ich nie wahrgenommen habe, als ich früher hier war. Kein Wunder, hat ja meistens geregnet.

Erst auf Insta bin ich darüber gestolpert.
Gefühlt sind in Italien alle auf Instagram aktiv.

Den Fels hier habe ich im Account von Antonetta entdeckt. Sie ist Fotografin, lebt in Castelnovo ne´Monti und knipst bevorzugt diesen Berg, besonders gerne bei Nacht, und unterlegt die Bilder und Videos immer mit dem absolut perfekt passenden Song. Echt, ihre Aufnahmen sind der Hammer. Antonetta gibt sogar Fotokurse.

Wenn ich das richtig verstanden habe, war sie früher Model – und das sieht man. Sie ist ein Jahr älter als ich, sieht aber zehn Jahre jünger aus, ist gertenschlank und sehr sportlich – kein Wunder, wenn sie dauernd die Berge hoch und runter flitzt. Keine Ahnung, was in dieser Gegend im Wasser oder in der Luft ist, das hier die schönsten Frauen Italiens herkommen. Aber nun, ich bin wegen des seltsamen Berges hier.

Seltsam ist er, weil der “Pietra di Bismantova” wie ein Fremdkörper aus dem Boden ragt und keine Spitze hat, sondern eine platte Ebene auf seinem 1.047 Meter hohem Haupt trägt.

Mein Ziel ist ein Parkplatz am Fuß des Bergs. Der müsste hier eigentlich schon bald in Sicht kommen.

“Jetzt links abbiegen”, sagt Anna und ich sehe eine Art besseren Feldweg, der an einem Hügel vor dem Felsen hochführt. “Nee”, denke ich. Der Parkplatz ist gut frequentiert, da MUSS eine ordentliche Straße hinführen. So eine wie die, auf der ich gerade fahre: Einspurig aber breit, mit nagelneuem Asphalt und sogar mit einer Radspur.

DAS muss die Straße zum Parkplatz sein, nicht dieser Feldweg da. Das ist bestimmt wieder eine von Annas skurrilen Abkürzungen, bei der man eine halbe Minute spart aber dafür durch einen Fluss fahren muss oder sowas.

Ich gebe Gas und überhole einen alten Fiat Cinquecento. Witzig, im Bild der Bordkamera sieht es so aus, als hätte die V-Strom einen Schnabel und würde den Kleinstwagen auffressen.


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Corona-Tagebuch (43): Leergefegt

Corona-Tagebuch (43): Leergefegt

Weltweit: 676.609.955 Infektionen, 6.881.995 Todesfälle, 13.338.833.198 verabreichte Impfdosen
Deutschland: 38.249.060 Infektionen, 168.935 Todesfälle
1.627 Days Gone

Schon zwei Jahre her, dass dieses Tagebuch der Covid-Pandemie den letzten Eintrag erfahren hat. Im Juli 2022 wurde die Pandemie für beendet erklärt. Seitdem mäandert sie aber noch durch die Welt, erfährt aber wenig Beachtung. Auch die obigen Zahlen bedeuten nichts mehr, denn mit einer Infektion muss man nicht zum Arzt, und wenn man doch hingeht, wird man einfach krank geschrieben und gut ist. Aufgrund der Impfungen gibt es weit weniger Todesfälle.

Im Winter war ich noch vorsichtig: Im ÖPNV oder im stickigen Klassenzimmer der Volkshochschule saß ich stets mit Maske. Jetzt, im Sommer, ist mir die aber genauso egal wie allen anderen auch.

Weg ist COVID aber nicht. Das musste ich vergangene Woche erfahren, als ich praktisch allein in der Firma war. Eine ganze Etage war leergefegt. Die Mitarbeiter:innen dort hatten sich allesamt infiziert und sind alle zeitgleich krank geworden. Bei einigen war es nur ein kurzes Fieber und danach Ermattung, einige hatten über Tage 39 Fieber und starke Schmerzen. Kein Spaß.

Aber COVID war noch nie Spaß, und am Besten ist es, das gar nicht erst zu bekommen. Ich wundere mich immer über Leute, die sagen “Ach, neulich wieder Corona gehabt, war das vierte Mal, gewöhnt man sich dran”. Ich für meinen Teil hatte bislang Glück und noch keine Infektion.

Seit vergangener Woche impft die Superapotheke hier um die Ecke wieder, mit dem neuen Wirkstoff gegen die aktuellen Subtypen wie Flirt. Gefunden habe ich die über https://www.apoguide.de/. Als Leistung “COVID” ausgewählt, Ort eingegeben und eine passende Apotheke gefunden. Nicht alle Daten in Apoguide sind aktuell, aber ein Anruf oder ein Blick auf die Apothekenwebsite verrät meist, ob hier noch geimpft wird. Viel einfacher als mit meiner Hausärztin zu verhandeln, die auf Impfungen keinen Bock hat.

Alle Einträge des Corona-Tagebuch

Nach dem Aygo-Crash

Nach dem Aygo-Crash

Der Aygo wurde Ende Juli von einem Ford Ranger von der Straße gerammt. Sah erstmal so schlimm nicht aus, der Schaden, und das kleine Autochen fuhr noch tapfer bis zur nächsten Werkstatt. Dort aber stellte ein Sachverständiger fest: Er ist tot, Jim.

Die Achse hat einen mitgekriegt, das linke Rad stand schief, Aufhängungen und Innenraum deformiert. Reparaturkosten hätten sich auf 7.200 Euro belaufen und damit auf 172% des Fahrzeugwerts, also Totalschaden.

Schon beim Gutachten ging das Wrack in eine Restebörse, wo es noch rekordverdächtige 1.500 Euro erzielte. Über die Aufkaufplattform werden jetzt, drei Wochen nach dem Unfall und zwei Wochen nach dem Gutachten, der Verkauf und die Abholung abgewickelt. Wenn alles klappt, wird das Wrack am Donnerstag abgeholt und nach Wroclaw verbracht.

Zeitgleich krallte sich meine Rechtsanwältin den Fall, weil Spaß mit der gegnerischen Versicherung zu erwarten ist. Der steht noch aus, ist aber wahrscheinlich. Die Einfahrt, an der das passiert ist, hat vor 5 Jahren EXAKT den gleichen Unfall gesehen, und damals ging es durch die Instanzen – weil die gegnerische Versicherung der Meinung war, dass blinken und dann abbiegen einen Fahrfehler darstellt, und wenn man dann von hinten gerammt wird, trüge man eine Mitschuld. Nunja.

Nachdem die Diagnose Totalschaden feststand, habe ich mich nach anderen Autos umgesehen. Hatte ich Lust drauf wie Kuh auf´s melken, gerade jetzt, wo ich eh andere Sachen um die Ohren habe. Aber hilft ja nichts. Ewig alle Wege mit der ZZR machen ist spätestens dann nicht mehr spaßig, wenn der Sommer endet.

Ich stehe zum Downsizing, es sollte also wieder ein Kleinstwagen werden. Zuverlässig sollte er auch sein, also schieden Fiat 500 und Twingo leider wieder aus.

E-Auto schied auch aus. Ich bin kein Fan von Leasing oder Finanzierung, und für das vorhandene Budget gab es als gebrauchte Stromer in der Umgebung nur den Renault Twizzy (Zweisitzer ohne Fensterscheiben) oder alte und leistungsschwache ZOEs mit einer monatlichen Batteriemiete von 70 bis 100 Euro. Also leider, leider ein Verbrenner – aber nun, ich habe ohnehin keine Möglichkeit privat zu laden und keine Lust, den Vermieter zum Jagen zu tragen.

Aygos gab es gerade nur einen in Götham, und der hat mir gefallen: Innen gut gedämmt, Ausstattung Ok – im Gegensatz zu meinem alten, der extrem puristisch und auf das Wesentliche reduziert war, ein vollwertiges Auto und dazu eines mit einem ruhigeren Lauf. Leider mit 9.500 Euro recht teuer, bei gelaufenen 63.000 km.

Blogleser Jay brachte mich dann auf den Toyota Yaris. Auch klein, aber eine Nummer größer als der Aygo. Polo-Klasse, sozusagen, als der Polo noch nicht der Golf und der Golf noch nicht der Passat war.

Gebrauchte Yarisse gab es mehrere, für wenig mehr Geld als den Aygo. Einer stach aus der Liste der Suchtreffer heraus, den wollte ich unbedingt so bald wir möglich sehen. Also fuhr ich Samstag vor zwei Wochen früh morgens mit der V-Strom in den Harz und klapperte Händler ab. Was schon deshalb interessant war, weil man da noch echte Verkäufer-Schlachtrösser findet. Highlight war ein grantiger Mittsechziger mit absurd schlechtem Toupet. Ein Mensch der wirkte, als sei der durch ein Zeitloch aus den Achtzigern gefallen. “Gucknse sich den Wagen erstmal an. Watt? Probefahren? Ja jetzt sofort oder was? Da muss ich aber Kennzeichen holen.” Was mir aber fast noch lieber als die jungen dauerplappernden Jungverkäufer, die kein Stück zuhören aber von ihrem letzten Urlaub erzählen. Die Erkenntnis: Bei Gebrauchtwagenhändlern arbeiten allen Ernstes Menschen, denen ich keinen Gebrauchtwagen abkaufen würde!

Zunächst guckte ich mir einen Yaris an, der gerade frisch reingekommen war. 40.000 runter, 101 PS, fünf Jahre alt, in der Zeit aber drei Besitzer gehabt. Noch nicht aufbereitet, aus dem Innenraum hätte man sich problemlos einen neuen Hund zusammenbürsten können. Da passt es, da im Handschuhfach der Arbeitsvertrag des jungen Manns lag, der den Wagen nach einer Waltraud gefahren hatte. Beide hatten Eindruck hinterlassen: Rundum waren alle Felgen und die Spiegel kaputt. Aber: Fuhr geil. Hing am Gas, zog ordentlich.

Als nächstes, bei einem anderen Händler, wurde ein 5 Jahre alter Hybrid Probe gefahren. 116 PS-Systemleistung, von der aber nichts zu merken war. Rein elektrisch fährt der nur ein bis zwei Kilometer, Aufladen tut die Batterie ausschließlich über den Verbrenner.

Schönes Fahrzeug, hat mir aber nicht gefallen. Die stufenlose Automatik ließ dauernd den Motor aufheulen, so will ich nicht fahren. Bei meinem Fahrprofil verbraucht der Hybrid eh kaum weniger als ein reiner Verbrenner, weil der geringere Verbrauch des Verbrennungsmotors durch das Gewicht der Elektrokomponenten kompensiert wird.

Kandidat drei war einer, der mir sofort ins Auge gestochen war. Ein 2021er Modell in “Mangan-Bronze” (Ich Banause würde ja sagen: Das ist goldfarben), mit Sonderausstattung und 80.000 Kilometern auf der Uhr.

Auf dem Hof entdecke ich zuerst einen, von dem ich hoffe, dass es NICHT der war: Bronzefarbe, aber von oben bis unten beklebt mir “Simons Cat”-Stickern. Zum Glück war er das nicht.

Der, für den ich mich interessierte, stand ein Stück weiter. Und schon beim ersten Anschauen fand ich das Design toll. Ein Kleinwagen, der sich aber traute eine markante Front und eine wunderbar kurvige Seitenlinie mit ausgestellten Radhäusern zu tragen. Nach Jahrzehnten biederer Mainstream-Langeweile bei Toyota sah der hier echt fesch aus!

Angeblich von einer Frau, die einen sehr langen Arbeitsweg hatte, was die hohe Kilometeranzahl in drei Jahren erklärte. Die Dame soll dem Wagen hinterhergetrauert haben. Sie mochte den wohl und hat ihn angeblich sehr gepflegt, wegen Familienzuwachs brauchte sie aber was größeres. Gepflegt war der Yaris auf jeden Fall. Ich fand keinen Kratzer, das DEKRA-Gutachten zur Optik fand einen am Frontspoiler und einen Nadelkopfgroßen Steinschlag in der Frontscheibe.

Ein reiner Verbrenner mit 125 PS, Verbrauch geringer als der ältere Hybrid, bei einem Gewicht von gerade mal 1.100 kg. Also wieder ein Hot Hatch, wie das Legendäre Gelbe AutoTM?
Leider nein. Von der Leistung war nichts zu merken, und die Bremsen schleiften.
Er fuhr sich beschissen.
Dazu kam: Aus der Lüftung roch es, als ob da eine Stracke drin lag.

Trotzdem mochte ich den Wagen. Wollte aber in der kommenden Woche erst noch einen anderen Yaris Probe fahren, fünf Jahre alt und mit nur 20.000 km runter.

“Reservierung machen wir nicht”, sagte der Verkäufer, “Und auf den Wagen haben wir schon weitere Anfragen.”

Ich lehnte mich entspannt zurück. “Wissen Sie, gegen “Fear of Missing Out”, bin ich völlig immun. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Wenn Sie den nicht reservieren wollen…” Ich drehte den Kopf zur Seite und machte ein “Pöh” Geräusch.

Was der Verkäufer nicht ahnen konnte: Ich bin FÜRCHTERLICH anfällig gegen FOM, habe eine mangelnde Impulskontrolle und war verknallt in den Wagen. Ich musste in diesem Moment wirklich jeden Fitzel Selbstbeherrschung zusammenkratzen, um cool zu tun.

Der Verkäufer sah mich einen Augenblick an. “Wussten, Sie, dass wir auch über die Website verkaufen?”
Dann schwieg er.

Ich überlegte einen Moment, verstand, nickte, zog das Handy raus, griff mir eine seiner Visitenkarten vom Schreibtisch und wählte die Nummer darauf. Das Telefon auf dem Schreibtisch begann zu klingeln. Der Verkäufer ging ran.

“Tach Herr Dingens, dieser Manganfarbene Yaris, den ich vorhin Probe gefahren habe – den hätte ich gerne. Machen sie bitte die Unterlagen fertig und schicken Sie sie an meine Mailadresse”, sagte ich und legte auf.

Noch am gleichen Tag, zu Hause, unterzeichnete ich den Kaufvertrag. Da das Ganze nun übers Internet lief, war es ein Fernabsatzgeschäft und ich hatte zwei Wochen Widerrufsrecht, sollte der andere mir doch besser gefallen.

Aber zu der Probefahrt kam es gar nicht mehr. Ich hatte mich in den Goldfarbenen wirklich verliebt, der sollte es sein. Einen Tag nach Vertragsunterzeichnung überwies ich den Kaufpreis. Abzüglich dem, was ich für das Aygo-Wrack und den Unfall noch bekomme, zahle ich für den nun rund 7.000 Euro.

Der Händler brachte den Wagen durch die Hauptuntersuchung, erneuerte Bremsscheiben und Beläge, machte eine Klimaanlagenwartung und eine Inspektion. Ein Zulassungservice meldete die Kiste dann an und den alten Aygo ab. Das kostete jetzt teuer Geld, ging aber schneller als ich einen Termin bei der Zulassungstelle hätte bekommen können. Nun, dreieinhalb Wochen nach dem Aygo-Crash, ist der goldene Yaris seit Freitag meiner. Ersteindruck, nach rund 250 Kilometern: Doch, der macht Spaß.

Gucken wir mal, wie er sich so macht.

Kein Reisetagebuch (3): Meine toskanischen Großeltern, das Kaninchen und ich*

Kein Reisetagebuch (3): Meine toskanischen Großeltern, das Kaninchen und ich*

Kein Reisetagebuch. Es passiert nichts weltbewegendes. Es werden keine interessanten Orte besucht. Das hier ist nur ein Tagebuch. Heute mit schlechtgelaunten Rauchern, gutgelaunten Rentnern, einem Kreuzverhör und einem Karnickel.
(* Ich hasse diese Sorte von 2004er-Titeln. Dem Blog fehlte zur Vollständigkeit aber noch einer. Demnächst: “Der 49jährige, der aus einem Fenster stieg und…” )

Montag, 15. Juli 2024
“Das müssen´se sich mal vorstellen, das geht doch nicht! Im-Po-ssi-bi-le!”, verstehe ich noch, der Rest der Tirade geht in einem Hustenanfall unter. Ich widme mich weiter meiner Torta di Caffé und einem Cornetto, während sich das Paar am Nebentisch ordentlich die Lunge abhustet.

Die beiden kommen aus Mailand und müssen Mitte 60 sein, sehen aber viel älter aus. Rauchen macht sowas mit der Haut, und beide rauchen Kette und haben permanent schlechte Laune, das lässt einen altern. Gestern Abend schon saßen sie neben der Hütte, rauchten eine nach der anderen und schimpften über Gott und die Welt vor sich hin. Menschen ohne einen Funken Lebensfreude. In Deutschland wäre die Diagnose: AFD-Wähler.

“Also ICH habe ja aufgehört zu rauchen”, sagt Rosanna angesichts des Hustenanfalls und guckt fröhlich in die Runde. Das ist natürlich genau das, was schlechtgelaunte Raucher unter keinen Umständen hören wollen.

“Guck mich nicht an”, sage ich zu Rosanna, “Ho smesso di fumare dopo 13 anni” Ich habe auch nach 13 Jahren aufgehört.
“Ist aber schon ein Bißchen her, oder? Du hast noch nie geraucht, wenn Du hier warst”, sagt Rosanna.

Aus Rücksicht auf die Raucher sage ich nichts weiter. Die verziehen trotzdem die Gesichter und bölstern nochmal los.

Rosanna eilt in die Küche der Blockhütte und kommt mit einem Päckchen wieder, das sie mir überreicht. Ich halte ein Tellerchen mit schön verpackten Keksen in der Hand.

“Mit besten Empfehlungen von Annamaria”, sagt Rosana. Annamaria ist Giuliettas Mamma.
“Wow, danke!!”, sage ich begeistert. “Was bin ich Euch schuldig?”

“Nichts. Von Dir nehmen wir doch kein Geld, und mal ehrlich… Sie backt die Kekse doch sowieso, egal ob sie jemand isst oder nicht. Und jetzt freut sie sich, dass sie deinen Großeltern eine Freude machen kann”.

Ich muss lachen. “Das sind aber nicht wirklich meine Großeltern, das wisst ihr, oder?”, sage ich.
“Ich habe keine italienischen Wurzeln. Das sind einfach supernette alte Leute, die sich irgendwann selbst zu meinen Großeltern erklärt haben. Die haben mich adoptiert, sozusagen.”

Rosanna schürzt die Lippen und wackelt mit dem Kopf. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie das Konzept “Familie, mit der man nicht blutsverwandt ist” ablehnt. Immerhin ist sie glühende Verehrerin von Matteo Salvini, dem faschistoiden Rechtsausleger. Der hat unter anderem deutsche Seenotretter einbuchten lassen, alle Migranten zu Verbrechern erklärt und finanziert wird seine Partei von den Russen. Das persönliche Wirken von Salvini habe ich schon selbst gesehen, in dem entvölkerten Dorf Riace. Auf ihrer Facebook-Seite hast Rosanna stolz etliche Fotos gepostet, die sie zusammen mit Salvini bei seinen Wahlkampauftritten zeigen. Wie überall, so tun auch in Italien die Rechtspopulisten so, als ob blutsverwandte, heterosexuelle und mit Kindern versehene Familie heilig sei.

Wenn man Rosanna so erlebt, ist sie eine bodenständige, manchmal etwas bratzige, aber die meiste Zeit über eine sehr freundliche und gut gelaunte Frau. Leider kann man über die sozialen Medien in ihren Kopf gucken, und in dem verehrt sie den Abschaum der Menschheit.

Ich habe eh Probleme mit den tiefen und unangenehmen Einblicken, die Social Media häufig erlaubt. Mir fällt es schwer damit umzugehen, wenn ich Menschen im echten Leben EIGENTLICH mag, aber die ganz schlimme Dinge denken oder Einstellungen haben. Und ich rede hier nicht von “Butter unter die/das Nutella oder nicht”, das ist mir völlig egal. Soll jede:r machen wie er will. Der Spaß hört aber auf, wenn es menschenverachtend und gegen Minderheiten geht oder jemand generell völlig abdriftet.

Andrea aus Livorno ist so ein Fall. Mechaniker. Wahnsinnig netter und interessanter Mensch, hat 2016 die ZZR mit einer Lichtmaschine aus SEINER ZZR gerettet, danach hatten wir noch ein paar Mal freundschaftlichen Kontakt. Aber leider, leider: Seine Facebook-Seite ist seit der Pandemie voll mit dem kompletten Programm an Verschwörungstheorien: Impfstoffe sind Gift, die 5G-Masten um Livorno seien von Bill Gates finanziert um Menschen fernzusteuern, die Regierung tauscht die italienische gegen afrikanische Bevölkerung, Chemtrails verursachen den Klimawandel, den es nicht gibt aus und Elektrofahrzeuge sind eine Verschwörung der Grünen.

Natürlich hat er erst stolz die 5-Sterne-Bewegung gewählt, dann Salvini. Wie soll ich jemandem gegenübertreten und freundschaftlich plaudern, wenn ich weiß, das hinter seiner Stirn so etwas passiert? Das geht für kurze Zeit und wenn es rein geschäftlich bleibt, da bin ich Profi. Aber befreundet sein oder Kontakt halten möchte ich mit so jemandem nicht.

Das ist schade, denn hätte ich Andrea und Rosanna nur im echten Leben kennengelernt, ich hätte sie als wertvolle Menschen in meines gelassen. Wären sie mir zuerst online begegnet, wir würden nie etwas miteinander zu tun gehabt haben. So ist es ein Mischdings, was sich oft komisch anfühlt.

“Dann mache ich mich mal auf den Weg”, sage ich, bedanke mich noch einmal und lasse Rosanna mit den hustenden Rauchern allein.

Vor der Blockhütte belädt ein hagerer, sonnenverbrannter Mann mit dichtem Vollbart den Dodge Ram. Fäden hängen aus seinem Cap, Flecken zieren Jeans und T-Shirt. Offensichtlich ein Helfer auf der Farm, vielleicht der Vorarbeiter. Ich grüße freundlich. Er hört das, reagiert aber nicht und würdigt mich keines Blickes.

Wenig später sitze ich im Sattel der V-Strom, die durch den kleinen Ort in der Nähe rollt. Für heute habe ich mir einen besonders schönen Weg ausgesucht, der… “Für Motorräder gesperrt” ist??
Sollen ditte??


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Kein Reisetagebuch (2): Die Wuschelköpfige

Kein Reisetagebuch (2): Die Wuschelköpfige

Kein Reisetagbuch. Heute mit Kunst und Kultur, Windows Exceptions im echten Leben, noch mehr sprachlichen Missverständnissen und einer Nacht, die nie vergessen werden wird.

14. Juli 2024
Rosanna hilft auf der Fischfarm bei der Betreuung der Gästehütte. Anders geht es auch nicht mehr, neben der Fischzucht florieren das Gastgewerbe, die Bar und das Restaurant auf der Farm, da braucht es helfende Hände – und dennoch hat Giulietta in den Sommermonaten 16 Stunden-Tage, mit Arbeitszeiten von 7:00 Uhr morgens bis 23:00 Uhr am Abend. Was für eine Frau.

Während Giulie heute morgen schon wieder hinter dem Tresen der kleinen Bar steht, kümmert Rosanna sich um die Zimmer und das Frühstück für die Gäste. Die Gästehütte beinhaltet die vier Zimmer für Übernachtungsgäste, einen zentralen Raum mit Tischen und einer Küche, und einer großen Glasfront, die zu einer Terrasse hinausführt, die ein grünes Dach aus Blauregen hat.

Darunter sitze ich heute morgen und mümmele an einem italienischen Frühstück – einem “Bombolone” (mit Vanillecreme gefülltes Bällchen) und eine Torta Caffé (Kuchen mit schwarzer Schokolade und Kaffeegeschmack). Nur ein kleiner Ausschnitt aus der schier endlosen Vielfalt an Leckereien, die Giuliettas Mamma jeden Tag backt. Der Frühstückstresen reichte gar nicht aus, jede Ablage biegt sich unter süßen Kuchen, herzhaften Pizzateilchen, Keksen und so weiter und so fort.

Da fällt mir etwas ein. “Rosanna, ich bin morgen eingeladen und habe kein Gastgeschenk. Wäre es möglich, dass ihr mir ein kleines Päckchen Kekse einpackt?” Rosanna sieht sich amüsiert im Gästeraum um und schmunzelt. “Ich bin sicher, wir können ein paar entbehren”.

Kurze Zeit später braust die V-Strom 800 über die Bergstraßen. Die Region hier ist wirklich ideal, um das neue Motorrad auszuprobieren. Kurvenreiche Straßen, eng, aber meist mit sehr gutem Asphalt – die Gegend ist am Wochenende ein Magnet für Motorradfahrer. Heute ist Sonntag, aber gerade ist es noch zu früh, erst kurz nach Acht, da sind außer mir nur die unvermeidlichen Fiat Pandas mit Hütchentragenden Oppas unterwegs. In der Ferne grüßt der Pietra di Bismantova.

Die Fiat Pandas zu überholen ist ein Kinderspiel, selbst auf den engen Bergstraßen. Es ist wirklich beeindruckend, wie kraftvoll die neue Suzuki beschleunigt und wie elegant und leicht sie durch die Kurven flitzt. Der Motor ist wirklich gelungen, quirlig und mit ordentlich Druck von unten. Dass das kein V-Motor mehr ist sondern ein Parallel-Twin, merkt man nicht. Sound und Vibrationen fühlen sich genau an wie ein V-Motor.

Dabei hilft auch das gelungene Motormapping. Es gibt drei Modi für den Motor: “C” ist offensichtlich für Fahranfänger, damit fühlt sich die Suzuki an, als hätte sie nur 27 PS. Sie nimmt das Gas gutmütig an, verzeiht jeden Fehler und ordnet sich allem unter, was der Fahrer tut.

Modus “B” ist der Normalzustand und gut für alles, von der Stadt über Landstraße bis hin zu Reisen. Die Maschine verhält sich damit ausgeglichen, am Gasgriff liegt ordentlich Druck an, den man zum Überholen jederzeit abrufen kann.

Modus “A” verwandelt die Suzuki in ein ganz anderes Motorrad. Sie scheint in diesem Modus die Muskeln anzuspannen. Die Federspannung ändert sich dabei natürlich nicht, in dieser Preisklasse gibt es kein adaptives Fahrwerk. Allein durch die Motorabstimmung wird die V-Strom in Modus “A” vor lauter Energie spürbar unruhig. Sie reagiert auf kleinste Bewegungen am Gas, beschleunigt sofort und brachial. Dafür zuckelt sie bei zu niedriger Drehzahl von selbst nervös am Gasgriff. Es fühlt sich an, als ob sich die sportliche Tourerin in ein Sportmotorrad verwandelt und plötzlich mehr Leistung hat als die 84PS, die sie tatsächlich mitbringt.

Den Quickshifter, der Schalten ohne zu kuppeln ermöglicht, habe ich ebenfalls schätzen gelernt und nutze ihn auch. Ist schon nett, blitzschnell hoch und runter schalten zu können, ohne dabei den festen Griff der linken Hand lösen zu müssen.

Im Sportmodus und mit viel Quickshifterei fetzt die V-Strom 800 über die Bergstraßen, bis sie nach einer Stunde aus den Bergen herauskommt.

Wie auf einer Perlenkette aufgefädelt liegen die Städte Piacenza, Parma (das mit dem Schinken), Reggio Emilia und Modena (das mit dem Aceto Balsamico) vor den Bergen des Appenin, etwas weiter südöstlich liegt Bologna.

Heute ist Parma mein Ziel, und eine weitere halbe Stunde später rollt die Suzuki durch die Straßen der Stadt.

Klassizistische Stadthäuser und minderschöne Neubauten prägen das Bild der Neustadt. Mein Ziel ist der Rand der Altstadt, wo ich im Vorfeld einen perfekten Parkplatz für Motorräder gefunden habe. Aber als  Anna uns dorthin geführt hat, falle ich fast vom Glauben ab. JUST AB HEUTE ist hier absolutes Halteverbot, auch und extra für Motorräder! Wieviel Glück kann man haben?

Leicht angepisst sehe ich mich um und parke dann die V-Strom hinter einem Werbeplakat auf dem Bürgersteig. Fällt doch gar nicht auf!


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Reisetagebuch: Kein Reisetagebuch

Reisetagebuch: Kein Reisetagebuch

Freitag, 12. Juli 2024
“Stoooooooop! Frana!”, Erdrutsch, ruft der Polizist und winkt mich von der Ausfahrt des Kreisels weg. Ich kann´s echt nicht glauben, dass ich jetzt wirklich abdrehen soll. Über 700 Kilometern bin ich jetzt schon gefahren, und jetzt, hier, zweieinhalb Kilometer vom Ziel entfernt, geht es nicht weiter. “Einen Schritt vor dem Ziel ist genau der Moment, in dem man den Boden unter den Füßen verliert”, zitiert der Popkulturzausel, der mietfrei in meinem Hinterkopf wohnt, den bekannten Archäologen Henry Jones, Jr.

Ich ziehe die V-Strom wieder in den Kreisverkehr und fahre in eine andere Richtung aus, dann lenke ich das Motorrad an die Straßenseite und tippe auf Annas Bildschirm herum. Es steht noch ein wenig Wasser auf dem Display, der letzte Regenschauer ist nicht lange her. “Route ändern. Umleitung. Nächste zwei Kilometern vermeiden”, gebe ich ein und zu meiner Erleichterung findet das Garmin Zumo einen anderen Weg.  Ich starte den Motor und folge den Anweisungen, die es mir ins Ohr quatscht.

Es geht einen Berg hinauf. Die Straße führt im Verlauf wohl zu einem Pass und ich hoffe, dass die Umleitungsstrecke nicht plötzlich über einen Rückeweg führt oder einen unbefestigten Abhang hinunter oder sowas. Das Garmin routet gerne mal exotisch. Aber es hat einen Grund, dass das 11 Jahre alte Navigationsgerät trotz seiner gelegentlichen Seltsamkeiten jetzt in der neuen V-Strom 800 steckt. Anna hat ein paar Tricks im Ärmel, die aktuelle Navis nicht mehr beherrschen. Reifendrucküberwachung, zum Beispiel. Oder die Anzeige von Wetter entlang einer Route, oder ein animiertes Regenradar.

Anna kann das, und auf ihrem Display konnte ich genau verfolgen, dass der starke Regen, in dem wir ab Fulda für eine Stunde gefahren sind, zwar extrem unangenehm war, aber nichts gegen die beiden Unwettergebiete mit Hagel, zwischen denen wir in Bayern und Baden-Württemberg elegant durchgewitscht sind. Bis zu den Alpen war das Wetter  OK,  aber dann setzte wieder Regen ein. Aber halt nur normaler Regen, nichts gegen den Starkregen, der in Österreich heute schon gefallen ist.

“Bundestraße zum Reschenpass gesperrt, Erdrutsch”, verkündeten Displays an den Tunneln bei Innsbruck. Gut, da wollte ich auch gar nicht hin. Ich bin die alte Brennerstraße bis Sterzing gefahren, und jetzt, kurz hinter dem Ort, geht es nicht weiter. Dabei ist mein Hotel quasi in Sichtweite. Nunja.

“Lernst Du halt wie das ist, mit mir unterwegs zu sein”, sage ich zur V-Strom, während die Maschine über eine schmale Straße in einen Nadelwald hineindonnert. “Unwetter, Umleitungen, …schon auf der ersten Fahrt bekommst Du das volle Programm mit”.

Der extreme Mix passt gut, denn das hier ist immerhin die Testfahrt für das neue Motorrad. Ich bin nur unterwegs, um die neue Suzuki auszutesten. Rede ich mir zumindest ein.

Tatsächlich habe ich auch eine Pause gebraucht. Ja, das hier ist eine kurze Pause vom Alltag. Aber kein richtiger Urlaub. Das hier ist keine Reise. Deshalb gibt es auch kein Reisetagebuch. Ich komme ja nicht an neue und interessante Orte. Aber “Pausentagebuch” klingt doof, deshalb wird es einfach gar keinen Blogeintrag dazu geben. So.

Warum auch. Immerhin bin ich mehr oder weniger heute morgen einfach auf die V-Strom gestiegen und losgefahren. Gut, nicht ganz so spontan, aber fast.

“Jetzt links abbiegen“, sagt Anna, und zu meiner Freude geht es hier nicht eine Schlammpiste den Berg hinab. Es handelt sich um eine schmale Straße, die in mehren Kurven zu einigen Wohnhäusern hinab und zwischen ihnen hindurch führt.

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