Momentaufnahme: Mai 2023

Herr Silencer im Mai 2023

„Das kam jetzt nicht unerwartet, aber überraschend.“

Wetter: Anfang des Monats nachts noch bis 1 Grad kalt, tagsüber 10 bis 14 Grad. In der zweiten Woche kurz Sonnenschein und zwanzig Grad, dann aber wieder einstellig und Regen. Ende des Monats dann Sommer mit über 20 Grad.


Lesen:

Stephen King: Fairytale [Kindle]
Charlie ist 17 und lebt in einer kleinen Stadt in den USA. Eines Tages findet einen älteren Herren, der gestürzt ist und nun hilflos vor seinem Haus liegt. Charly hilft dem Mann, der sich als griesgrämiger Einzelgänger entpuppt. Die beiden freunden sich langsam an, und nach einiger Zeit rückt der Alte mit einem Geheimnis raus: Er hat Zugang zu einer anderen Welt. Einer Welt, in der es keine Elektrizität gibt und technische Geräte nicht funktionieren, in der Prinzessinnen und Dämonen normal sind. Charly betritt diese Welt und muss sich bald die Frage stellen: Ist er aus Prinzenmaterial gemacht?

Drei Monate habe ich an dem 900-Seiten-Buch rumgelesen, und das hat einen Grund: Es ist im Kern langweilig. King ergeht sich in Beschreibungen und Wiederholungen von Beschreibungen und scheint nie so richtig zu wissen, wo er eigentlich hin will.

Der Eindruck wird noch verstärkt, weil das Buch in zwei Teile zerfällt: Charlys Vorgeschichte und die Pflege für den alten Nachbarn und dessen Hund nehmen fast die Hälfte des Buches ein, sind viel detaillierter als sie sein müssten, lesen sich dabei aber noch ganz gut. Aber ab dem Moment, in dem Charly ins Märchenland wechselt, wird es endlos zäh, die Geschichte kommt nicht mehr von der Stelle, während gleichzeitig wichtige Dinge gar nicht erklärt werden und am Schluss ein Deus-Ex-Machina-Ende aus der Kiste hüpft. Trotz einiger schöner Einfälle und mild gruseliger Szenen: Keine tolle Geschichte.


Hören:

Portishead: Portishead und Portishead: Third [1997, 2008 CD]
Das 1994er Debutalbum „Dummy“ von Portishead liebe ich seit erscheinen heiß und innig, vor allem wegen der Kombination von Trip-Hop mit düsteren Melodien und schwermütigem Jazzgesang – warum kannte ich dann die beiden anderen Alben von denen nicht? Also flugs mal die CDs für ein paar Cent gebraucht gekauft und festgestellt: Keines von den Stücken auf dem 1997er Album „Portishead“ oder dem 2008er „Third“ gefällt mir. Ist alles unharmonisches Geschrammel und elektrisches Gequietsche. Bäh-bäh-bäh.


Sehen:

The Father [2021, Prime Video]
Anthony Hopkins hat mehr als ein Problem: Seine Tochter ist scharf auf die Altbauwohnung, in der er seit 30 Jahren lebt. Seine Haushaltshilfe klaut ihm ständig seine Armbanduhr. Und dann sind da immer wieder fremde Männer, die behaupten, seit Jahren in seiner Wohnung leben.

Sehr gelungener und zweifach Oscar-prämierter Film. Die Handlung wird aus der Sicht von Anthony Hopkins Charakter erzählt, und es braucht nicht lange, bis man als Zuschauer begreift: Dieser Erzähler ist unzuverlässig. Orte ändern sich von Szene zu Szene um Nuancen, manchmal werden die gleichen Charaktere von verschiedenen Schauspielern verkörpert.

Das ergibt auf berührende wie verstörende Weise einen Eindruck davon, wie ein Demenzkranker seine Umwelt wahrnimmt. Die darstellerischen Leistungen von Hopkins und Olivia Colman als seine Tochter sind großartig – ihre Verzweiflung, als er sie phasenweise nicht mehr erkennt, ist nahezu körperlich fühlbar. Zudem sind die Situationen wirklich aus dem Leben gegriffen – ich kann das ja leider beurteilen. Szenen, wie die, in denen Hopkins unterstellt, das „DIE“ ihm Dinge klauen oder Situationen, in denen er Fremden gegenüber so charmant und geistig klar ist, dass man eine Demenz nicht mal im Ansatz vermuten würde, das habe ich alles mit meinem Vater erlebt.

Trotz der schwere des Stoffes gleitet der Film nie ins Pathetische oder Dramatische ab, und das ist bewundernswert konsequent im Blickwinkel des Protagonisten begründet.

Ant-Man and the Wasp: Quantummania [2022, Disney+]
Paul Rudd, Evangeline Lilly, Michael Douglas und Michelle Pfeiffer stolpern vor Greenscreens herum.

Ach man, ich kann diese Filme nicht mehr ertragen, die zu 95 Prozent aus dem Rechner fallen. Alles, alles ist hier Computergrafik, nichts ist echt. Sicher, die Kreaturen sind fantasievoll gestaltet und das Produktionsdesign ist toll, aber aus dem Rechner ist halt alles möglich – da gucke ich kaum noch vom Second Screen auf, und schon gar nicht, wenn viele der Effekte so erkennbar schlecht sind wie in „Quantummania“.

Die ersten beiden Ant-Man-Filme hatten, trotz der dummen Hauptfigur, noch einen wunderbaren Charme: Sie sind locker inszeniert, humorvoll, oft erstaunlich warmherzig und verblüffen mit Perspektivwechseln, etwa, wenn Michael Douglas ein komplettes Bürogebäude wie einen Rollkoffer hinter sich herzieht. Davon ist in „Quantummania“ nichts übrig, außer seelenlosem CGI-Blitzlichtgewitter gibt es hier gar nichts mehr.

Da die Story belanglos und die Figuren doof sind, kann man den Film getrost links liegen lassen. Einziger Lichtblick ist Michelle Pfeiffer, die hat erkennbar Spaß an ihrer Rolle, aber sie kann diesen Murks halt nicht allein tragen.


Spielen:

Jedi Survivor [2023, PS5]
Jahre vor „Eine neue Hoffnung“ und fünf Jahre nach den Ereignissen von „Jedi: Fallen Order“ operiert der junge Jedi-Ritter Cal Kestis aus dem Untergrund und organisiert Sabotage-Anschläge gegen den Aufstieg des Imperiums. Zu seiner Frustration bringt das genau gar nichts, immer mehr Welten gelangen in den eisernen Griff des Imperators, immer mehr Verstecke werden ausgehoben.

„Jedi Survivor“ hat den festen Vorsatz, episch groß sein zu wollen. Die Welten sind riesig, die Aufgaben vielfältig und die Actionsequenzen wuchtig.

Damit teilt „Jedi Survivor“ aber das Schicksal von „Assassins Creed“, „Horizon“ und anderen Triple-A-Produktionen: Es ist ZU groß, teilweise sogar absurd groß. Vieles in diesem Spiel ist völlig over-engineered und aufgeblasen. Eine eigentlich banale Aktion („gehe zu einem Tempel und warne den Mönch“) wird hier zu einem achtstündigen Jump-An-Run-Level mit Rätseleinlagen ausgebaut, in dem man nach dem 87. absurden Klettereinsatz und dem 128. Steinrätsel nur noch rufen möchte „Es reicht jetzt! Rückt endlich den Mönch raus!!“.

Dazu kommt die Spielmechanik, die an Dark-Souls angelehnt ist, was ich nicht leiden kann und was m.E. auch nicht zu Star Wars passt: Gespeichert werden darf nur an gewissen Punkten im Spiel. Füllt man dort seine Lebensenergie wieder auf, tauchen ALLE zuvor besiegten Gegner wieder auf.

Das ist extrem nervig, zumal auch der Schwierigkeitsgrad auf Souls-Niveau ist, und selbst banale Wegelagerer dem Jedi-Helden bis zum Ende mit wenigen Schlägen die Fresse polieren, wenn man nicht genauestens ihre Angriffsmuster studiert und gelernt hat, die auf die Hunderstelsekunde genau zu parieren. Ich mag das nicht, ich habe weder zeit noch Lust 100 Mal zu sterben, bis ich endlich den Gegner auswendig kenn und den in Minutenlangen Kämpfen besiegen kann. Zum anderen passt das auch überhaupt nicht zu der Power-Fantasie, ein Jedi mit Lichtschwert zu sein. In der Folge habe ich den Schwierigkeitsgrad von „Normal“ auf „Einfach“ und dann auf „Story“ gestellt, was dann allerdings gleich wieder ZU einfach war – aber immerhin hat das Lichtschwert dann mal Schaden gemacht, und ich musste mich nicht von jedem hergelaufenen Ewok verhauen lassen.

Abseits der Kämpfe gibt es teils sehr knifflige Sprung- und Kletterpassagen und teils gigantische Welten, in denen es viel zu erkunden gibt, die aber allesamt langweilig aussehen. Es scheint nur noch Fels- und Sandplaneten zu geben, schön ist hier fast nichts. Die Belohnungen für die Erkunderei sind meist banale, kosmetische Items.

Die Story hat ein echtes Pacingproblem. Viel zu lang schlägt sie sich mit Mönchswarnerei rum und kommt nicht aus der Hüfte, aber wenn es dann los geht, gibt es wirklich überraschende Wendungen. Die hätten allerdings mehr Gravitas, wenn die Figuren und die Geschichten um sie herum, besonders in den Nebenmissionen, nur einen Hauch interessant oder emotional wären. Mit Ausnahme der Dathomir-Hexe Merrin und dem grummeligen Piloten Greez erhält hier aber keine der vielen Personen, die man trifft oder rettet, eine bedeutungsvolle Hintergrundgeschichte. Das schwächt die Plot-Twists und das Spiel insgesamt.

Immerhin: Über die gesamte Laufzeit glänzt Jedi Survivor immer wieder mit schönen Einfällen, wie einen der ungewöhnlichsten Bossfights, die ich je gesehen habe: Man fliegt in einem Affenzahn um den riesigen Gegner herum und muss sich nur darum kümmern, sich nicht zu verfliegen.

Technisch ist das Spiel zum Release in keinem guten Zustand erschienen. Auf der PS5 in FullHD hatte ich im letzten Spieldrittel Probleme mit Rucklern, und generell kann man jede Textur beim Laden per Handschlag begrüßen, so verzögert und nacheinander kommen die an. Schlimmer noch: Recht häufig reagierten Plot-relevante Objekte und Charaktere nicht, Umgebungsrätsel ließen sich nicht lösen und Dialoge blendeten sich nicht wieder aus. Neustarts haben hier stets geholfen und Patches sind unterwegs, aber schön ist anders.

Hört sich jetzt alles nicht so gut an, Tatsache ist aber: Ich habe mit „Jedi Survivor“ in der Kampagne auf leichtem Schwierigkeitsgrad durchaus Spaß gehabt. Zwar habe ich damit das Souls-Like-Spielprinzip ausgehebelt und von den optionalen Aufgaben nur die Hälfte erledigt, aber Jedi mit einem wuchtigen Lichtschwert sein und es den imperialen Schergen so richtig zeigen, das ist wirklich gut umgesetzt.


Machen:
– Abschiednahme vorbereiten


Neues Spielzeug:


Ding des Monats:

Compression Cubes! Das sind Packing cubes mit einem zusätzlichen, umlaufenden Reissverschluss. Kleidung reinwerfen, Komressions-Zip zuziehen und zack, sind selbst ausufernde Fleecejacken ein flaches, hartes Päckchen, das fast wie vakuumiert wirkt.

Ich habe bislang keine Packing Cubes in den Motorradkoffern genutzt, sondern stattdessen dünne Müllbeutel für Kleidung benutzt. Aber die Compression Cubes bieten eine dermaßene Platzreduktion, das ich fast versucht bin die kleinen Koffer für die nächste Tour zu verwenden.


Archiv Momentaufnahmen ab 2008

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Nicht unerwartet, aber plötzlich

Freitag, später Nachmittag. Ich bin gerade von der Arbeit gekommen und will gleich noch ins Theater, dazwischen brauche ich aber mal eine kurze Pause.

Ich liege gerade auf der Couch und mache die Augen zu, als es an der Tür klingelt. Bestimmt DHL mit einem Päckchen für die Nachbarin. Fluchend stemme ich mich wieder hoch, tappe barfuß und in Jogginhose und T-Shirt an die Tür und betätige den Öffner.

Unten klappt die Haustür, und eine junge Frau mit erstaunlich großen, braunen Augen blickt die Treppe hinauf. Sie trägt eine dunkle Uniform. Also nicht DHL, sondern GLS. „Stellen Sie es gerne einfach auf die Treppe“, nuschele ich und will mich schon wieder umdrehen.

„Darf ich kurz reinkommen?“, fragt die junge Frau und guckt ernst. „Ich bin von der Polizei“. Hä? Hinter ihr kommt noch ein junger Mann in Zivil durch die Tür. Der sieht aus, als wäre er nicht mal 18. Ein Praktikant?

„Dürfen wir reinkommen?“, wiederholt die Polizistin. „Äh, nein?“, sage ich. Mein Hirn rast. Habe ich irgendwas angestellt? Mit dem Auto irgendwo etwas dummes gemacht? Oder im Internet falsch abgebogen? Oder mir bei der Arbeit was zu schulden kommen lassen? Mir fällt nichts ein. Ich mache nichts Illegales, schon allein aus dem Grund, weil ich sofort erwischt würde.

„Wir haben eine sehr persönliche Sache zu besprechen und würden WIRKLICH gerne in ihre Wohnung“, sagt die Polizistin. Also, wenn ich aus den Känguru-Geschichten eines gelernt habe, dann, dass man auf die Frage der Polizei „Dürfen mer reinkomme?“ IMMER mit „Nein“ antwortet. Die sind wie Vampire, wenn man sie nicht reinbittet, können sie einem nichts, so lange sie keinen Durchsuchungsbeschluss haben.

„Wir können hier im Flur sprechen“, sage ich trotzig.
„Okay“, sagt die Beamtin, dem Stern auf ihrem Hemd nach eine Kommissarin, und zückt einen Block und einen Stift. „Wir gehören zur Tatortgruppe und leisten Amtshilfe für die Tatortgruppe in Einbeck. Zu einer Tatortgruppe gehören Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Die Tatortgruppe Einbeck hat einen Mann tot aufgefunden, von dem wir ausgehen, das es ihr Vater ist“.

Das ist jetzt die Stelle, an der ich irgendeine Reaktion schildern müsste. Bestürzung. Schwindelgefühl. Eine Welle von Traurigkeit. Das ich mich am Geländer des Treppenhauses festhalte vielleicht. Aber Tatsache ist: Außer, das ich vielleicht die Augenbrauen hochziehe, bleibe ich ganz ruhig. Ich bin nicht geschockt. Ich habe mich immer gefragt, wie ich von seinem Tod erfahren würde und hatte befürchtet, ihn irgendwann selbst in seinem Haus zu finden. Dagegen ist die Benachrichtigung durch die Beamtin fast schon angenehm. Ich bin fast erleichtert darüber, das ich es auf diesem Weg erfahre. In die Erleichterung mischt sich eine Spur Besorgnis, immerhin kenne ich seine Fahrkünste -ist er bei einem Unfall umgekommen?

„Wie ist es passiert?“, frage ich. Die Beamtin scheint für einen Augenblick mein Gesicht zu studieren, dann sagt sie „Ein Nachbar hat die Polizei informiert, weil ihr Vater seit Tagen nicht gesehen wurde. Man hat sich Zugang zum Haus verschafft und ihn tot aufgefunden.“ Oh Gott sie Dank, immerhin hat er keinen Autounfall verursacht und dabei andere verletzt. Interessant aber, das ihn jemand vermisst hat. Eigentlich hat er sich mit allen Nachbarn zerstritten und zu niemandem mehr Kontakt.

Die Polizistin fährt fort „Die Todesursache ist unklar, weshalb die Staatsanwaltschaft den Leichnam beschlagnahmt hat. Können Sie mir sagen, ob ihr Vater Vorerkrankungen hatte?“

So gebe ich ihr Auskunft, der freundlichen Beamtin mit den warmen, braunen Augen. Ich erzähle ihr, das mein Vater und ich, auf seinen Wunsch hin, lange Jahre keinen wirklichen Kontakt hatten. Nur ungefähr ein Mal alle halbe Jahr haben wir telefoniert, und die Dialoge kippten stets recht schnell ins absurde.

Ich erzähle ihr, wie sich das vor etwas über einem Jahr änderte, als mein Vater einen Autounfall mit Personenschaden gebaut hatte und explizit um meine Hilfe bat. Durch diesen Anlass bekam ich mit, das er mittlerweile Anzeichen von Verwahrlosung zeigte, und auch das Haus schmutzig und vermüllt war. Ab diesem Moment hatten wir wieder öfter Kontakt, und ich versuchte die Rolle einzunehmen, die in einer Betreuungsverfügung fünf Jahre zuvor festgelegt worden war: Beistand in finanziellen und häuslichen Dingen.

Ich versuchte ihm dabei zu helfen, die größeren Hürden des Alltags zu bewältigen – im Frühjahr 2022 war das dann zuerst das Kümmern um die Nachwehen des Unfalls, dann, mit Hilfe meiner weit entfernt lebenden Schwester, einen Überblick über seine Finanzen zu bekommen und seine unkontrollierten Ausgaben einzudämmen. Mein Vater, so stellte sich nämlich heraus, fuhr jeden Tag los um „Besorgungen“ zu machen. Katzenfutter. Croissants. Instant-Nudeln. Jeden Tag der gleiche Einkauf, ohne das er wirklich was verbrauchte. Im Haus stapelten sich Nudelbecher und Katzenfutterdosen meterhoch, und dazu all die anderen Dinge, die er jeden Tag kaufte: Terrakotta-Frösche. LED-Solarlampen. Superkleber im Hunderterpack. Holzfeuchtemessgeräte. Halloweenmasken. Akkuschrauber. Kinderschlitten. Lichterketten. Neonfarbene Flokatis. Laser-Wasserwagen. Entaster.

Alle diese Dinge kaufte mein Vater, Tag für Tag. Das war nicht neu – die Affinität zu Killefit hatte er, so lange ich ihn kenne. Immer hat er Dinge gekauft oder gesammelt, denn „daraus kann man später noch was bauen“ und „wer weiß, wozu es gut ist“ – typisch Nachkriegsgeneration eben.

Neu war aber, dass es ihm genug war, den Kram zu kaufen – weder brauchte er die Dinge, noch tat er etwas damit. Er packte sie nicht mal aus, sie stapelten sich meterhoch in seinem Haus, und oft ließ er diese Einkäufe einfach in seinem Auto liegen, bis sie sich auch darin bis unter das Dach stapelten. Er kaufte und kaufte und kaufte, was ihm gefiel. Jeder dieser Artikel kostete nur wenige Euro, war runtergesetzt oder ein Sonderangebot, aber die schiere Menge des Firlefanzes machte das Problem aus: Für diese „Besorgungen“ ging jeden Monat mehr Geld drauf, als die Rente einbrachte, und das schon seit Jahren.

Der Rest war nicht viel besser. Ich sprach mit seiner Diabetesärztin und bekam zu hören, das er sich entweder zu seinen Kontrollterminen nicht blicken ließ oder, wenn er mal vorbeikam, sie lautstark über den korrekten Einsatz von Insulin belehrte, bis sie ihn fast aus der Praxis warf. Einen Haus- oder Zahnarzt gab es nicht, obwohl er über Herzbeschwerden, starke Schmerzen in einem Knie und Reizhusten klagte. Das Bild vom Leben meines Vaters wurde immer immer verstörender – und ich merkte, dass ich das nicht allein in den Griff bekam.

Das lag nicht an mir – ich wäre Willens und fähig gewesen, ihm zu helfen. Nur: Er nahm meine Hilfe nur an, wenn es ihm gerade unmittelbar nützte und bequem war, meist empfand er aber meine Versuche, etwas zu organisieren und die damit verbundenen Anrufe und Besuche als störend. Dann blockte er ab oder ignorierte alles oder er wurde wütend. Besonders wenn es um Geld bzw. dessen Umwandlung in Terrakottafrösche und Heckenscheren ging, wurde fühlte sich schnell bevormundet und wurde dann laut. In diesen wütenden Momenten war er auch geistig voll da, während ich ansonsten den Eindruck hatte, dass er Dinge schnell vergaß und mehr und mehr in der Vergangenheit lebte als in der Gegenwart. Ereignisse und Personen aus seiner Jugend in den 1950ern schienen ihm präsent zu sein, aber in der Gegenwart vergaß er ein Gespräch von jetzt auf gleich oder nannte meine Schwester beim Namen seiner Schwester.

Ich machte mir die Entscheidung nicht leicht, fällte sie aber trotzdem sehr schnell. Binnen weniger Monate war mir klar geworden, das ich die Rolle eines Betreuers nicht ausfüllen konnte. Deshalb stellte ich im Spätherbst einen Antrag beim Amtsgericht auf Bestellung einer gesetzlichen Betreuung. Früher nannte man sowas „Vormundschaft“, aber das trifft es heute nicht mehr. Dennoch darf eine Betreuung, ein Mal eingerichtet, sehr weitreichende Entscheidungen treffen, und deshalb sind die Hürden für eine Bestellung sehr hoch.

Im Januar kam ein Gutachter in das Haus voller Katzenfutter und Flokatis, und mein Vater gab sich agil, aufgeweckt und charmant, war geistig voll da, scherzte ein wenig und beteuerte, vielleicht ein Bißchen Hilfe im Haushalt zu brauchen und „so einen Knopf zum Drücken, wenn ich mal stürze“. Er machte den Eindruck eines schlitzohrigen, älteren Herrn, der gut beieinander ist und lediglich die Ordnung im Haushalt ein wenig vernachlässigt hatte, aber meine Güte, mit 81, da muss man Verständnis für haben. Keine Spur von dem grantigen, ganz in seiner Welt lebenden Mann, mit dem ich es sonst immer zu tun hatte.

Ich kam mir vor wie ein Verräter, als ich den Gutachter nach dem Termin zu einem Wort unter vier Augen bat und ihm vom hohen Schmerzmittelkonsum und der falschen Insulinverwendung erzählte, und über die Autounfälle und Anzeigen berichtete, die mein Vater in den letzten Jahren gesammelt hatte. Vor allem machte ich deutlich, dass er in Kürze im Kalten sitzen würde, denn Geld für Heizöl, das war für blinkende LED-Häschen und Messersets aus dem Sonderangebot draufgegangen. Öl zu sparen sah mein Vater aber auch nicht ein, er heizte das gesamte Haus die ganze Zeit auf 25 Grad, lief in kurzen Hosen durch die Gegend und schaltete Ventilatoren ein, wenn ihm dennoch zu warm war. Den ganzen Winter durch. Der Gutachter nickte und machte sich eine kurze Notiz und dann verschwand er. Ich befürchte Schlimmes und schrieb gedanklich die Betreuung schon fast ab.

Erst zwei Monate später bekam ich mit, dass der Gutachter auch wirklich ein Gutachten verfasst hatte. In dem hatte er exakt aufgeschrieben hatte, was ich ihm erzählt hatte, jeweils mit der Zuschreibung „Der Sohn berichtete“ und „Der Sohn sagte“. Also „Der Sohn berichtete vom Schmerzmittelmißbrauch“, usw. Dieses Gutachten war an meinen Vater geschickt worden. Der griff natürlich sofort nach Erhalt zum Telefon und machte mich durch den Hörer zur Schnecke, in einer geistigen Klarheit und einer durch Wut fokussierten rhetorischen Schärfe, dass ich wirklich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht.

Ich war jetzt wirklich der Verräter, der ihm in den Dolch in den Rücken gestoßen hatte. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, verlangte mein Vater, dass ich bei der gerichtlichen Anhörung des Gutachtens dabei sein sollte. Weil im Gutachten stand, dass er nicht mehr Autofahren sollte, kam die Richterin zu ihm, in das Haus des Katzenfutters und der Flokatis.

Sie sah nicht aus wie eine Richterin, diese Frau Mitte fünfzig in rosa Leggings und weißen Sneakern und der Daunenjacke, wie sie da so saß, zwischen den Bergen von Dingen im Wohnzimmer meines Vaters. Der erklärte gleich lautstark, dass in dem Gutachten ja nur Lügen stünden, sein Sohn ein Verräter sei und der Gutachter ein Knallkopp. Die Richterin öffnete eine Schreibmappe und notierte das.

Dann sagte sie: „Dafür bin ich ja hier, damit sie das klarstellen können. Was ist denn gelogen?“. Mein Vater schäumte vor Wut und stieß hervor „Na, dass ich Schmerzmittel nehme! Alles erfunden!!“

„Hm-Hm“, machte die Richterin und sah sich in dem Wohnzimmer um. „Schöne Papageienkäfige“, sagte sie dann und deutete auf leere Käfige, in denen halbvollen Näpfe mit Vogelfutter standen. „Wo sind die Papageien?“.

Mein Vater senkte den Blick. „Lorchen ist vor fünf Jahren gestorben“, sagte er. Dieser Papagei war das Lebewesen, das er wirklich geliebt hatte, und die Erinnerung daran ließ seine Gesichtszüge weich werden.

„Und wofür brauchen sie so viele Stifte?“, fragte die Richterin und deutete auf den Hunderterpack Kugelschreiber, die aus der Mitte eines Berges an Dingen auf dem Wohnzimmertisch herausragten. „Um Sachen aufzuschreiben? Wofür nutzen sie denn Stifte!“, sagte mein Vater und kicherte. „Und die Ibus nehmen sie also nicht?“, sagte die Richterin. „Doch natürlich nehme ich Ibuprofen! Sonst halte ich die Schmerzen im Knie ja gar nicht aus, ohne Ibuprofen könnte ich nicht mal schlafen, und schlafen muss man doch!“ Die Richterin nickte und notierte sich etwas, dann hielt sie kurz Zwiesprache mit dem Mann, der sie ins Haus begleitet hatte.

Mein Vater versuchte die Gesprächslücke durch das Erzählen eines schmutzigen Witzes und ein Referat interessanter Fakten über Bahnhöfe im Leinetal während des zweiten Weltkriegs zu überbrücken, aber die Richterin wies scharf darauf hin, dass hier eine Verhandlung im Gange sei und auch, wenn er sich in seinem Wohnzimmer wähnte, er in diesem Moment vor Gericht stand, und er in ihrem Gerichtssaal für den Moment zu schweigen habe.

Der Moment dauerte nicht lange, und dann stellte die Richterin den Mann vor: Ein Berufsbetreuer, den sie Kraft ihres Amtes für nahezu alle Lebensbereiche meines Vaters einsetzte. Lediglich über seinen Aufenthaltsort, darüber sollte mein Vater noch selbst bestimmen dürfen. Aber Gesundheitsfürsorge, Rechtsangelegenheiten, Post, Finanzen und Haushaltsfhilfe – das sollte der Betreuer übernehmen. Mir fiel ein Stein vom Herzen! Mein Vater freute sich auch, auch wenn ihm vermutlich nicht wirklich bewusst war, welche einschneidende Entscheidung die Frau in der bunten Hose da gerade getroffen hatte.

In den folgenden Wochen änderte sich für ihn erst einmal nichts, weshalb mein Vater die Betreuung als sehr angenehm empfand. Während der Betreuer auf die Ernennungsurkunde warten musste, lebte mein Vater weiterhin sein Leben zwischen Besorgungen und Schlagerhitparade. Aber dann, Mitte April, legte der Betreuer los und verschaffte sich mit meiner Hilfe einen Überblick über die Situation. Ende April war es soweit, dass er sich mit einem Pflegedienst sich die häusliche Situation besah und konkrete Maßnahmen traf, um meinem Vater ein etwas geordneteres Leben zu ermöglichen. Dazu kam es dann nicht mehr. Ein Infarkt, so vermutet man später, hat ihn erwischt, als er nachts vom Klo kam.

Aber das weiß ich in diesem Moment nicht, als ich im Hausflur stehend der Polizistin die Kurzfassung erzähle, und dabei langsam kalte Füße bekomme. Im wörtlichen Sinne, weil ich halt barfuß auf dem kalten Estrich stehe.

Die Kommissarin macht sich Notizen und lässt sich die Nummer des Betreuers geben, der meine Angaben bestätigt. Mein Vater war über 80, hatte Diabetes, war adipös und hatte es an Herz und Lunge. „Von daher war das nicht unerwartet, aber es kam jetzt plötzlich“, sage ich, und die Polizistin nickt und steckt ihren Notizblock weg, dann gibt sie mir einen Flyer. „Leitfaden für Angehörige“ steht darauf. Dann verabschieden sie und der Praktikant sich, und ich kann mir endlich Socken anziehen.

An diesem Abend gehe ich nicht ins Theater. Ich verspüre auch keine Traurigkeit. Wie gesagt, das kam nicht unerwartet, nur jetzt, wo wir auf einem guten Weg waren und seine angehäuften Probleme von seinem Betreuer hätten gelöst werden können, kam das doch plötzlich. Ist aber letztlich konsequent: Er hat immer gelebt, ohne sich um Morgen zu scheren. Hat immer so gelebt wie er es wollte, und am Ende, kurz bevor er Gefahr lief, seine Selbstbestimmung zu verlieren, ist er einfach umgefallen. Kurz und schmerzlos.

Das Haus voller Katzenfutter* und Croissants und Flokatis und originalverpackten Fliesenschneidemaschinen und leerer Papageienkäfige und kaputter Glasscheiben und leerer Meisenknödeleimer, das ist nun nicht mehr sein Problem.

Er war ein sehr eigener Mensch, dieser Vater.


*) Mein Vater besaß keine Katzen**.
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**) Er stellte das Futter für eine Wildkatze, die im Wald vor dem Haus lebt, vor die Tür. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie so fett, dass sie kaum laufen konnte.

Kategorien: Familienbande | 18 Kommentare

Momentaufnahme: April 2023

Herr Silencer im April 2023

Heute ist der 173. November 2022

Wetter: Anfang des Monats -3 bis +5 Grad und ein Mix aus Regen und Sonne, monatsmitte bedeckt und einstellig bis in den Minusbereich, in der vorletzten Monatswoche ein wenig Sonne und ein, zwei warme Tage, dann wieder Kälteeinbruch auf Abends 1 Grad.


Lesen:


Hören:


Sehen:

Kate [2022, Netflix]
Auftragsmörderin mit Arbeitsschwerpunkt Japan wird mit Polonium vergiftet. 24 Stunden bleiben ihr bestenfalls, und die will sie nutzen um ihre Mörder zu finden. Dafür metzelt sie sich durch die Unterwelt von Tokio, und schnell wird klar, dass sie es mit einer Yakuza-Fehde und einer Familiengeschichte zu tun hat.

Ich hatte nach dem Thema (AuftragskillerIN) und dem kurzen, nur aus einem Frauennamen bestehenden Titel schon fast befürchtet, hier nach „Nikita“, „Anna“ und „Lucy“ hier die nächste, in fünfjährlichem Abstand erscheinende Auflage von Luc Bessons Lieblingsquark zu sehen. Aber nein, weiter könnte man von den peinlichen Euro-Trash-Geschichten nicht entfernt sein: „Kate“ ist eine Mischung aus 20 Prozent „Bullett Train“, 20 Prozent „Crank“ und 40 Prozent „John Wick“, der Rest ist eigenständig.

An „Bullet Train“ erinnert Japan als exotische Kulisse sowie die gut ausgearbeiteten Charaktere, „Crank“ steuert die Situation des Hauptcharakters bei, die sich ständig mit Drogen aufputschen muss, um nicht ins Koma abzugleiten, und aus „John Wick“ stamm die DNA der Assassinen-Gilde und die handfeste Action.

Was Mary Elizabeth Winstead (John McClanes Tochter aus „Die Hard 4“) als todgeweihte Killerin hier abliefert, ist mehr als erstaunlich – schauspielerisch, aber auch was die Action angeht. Die Frau teilt so brutal aus und steckt noch brutaler ein, dass man teils nicht hingucken mag. Zwischen den wirklich sehr guten Actionpieces gibt es dazu eine überraschende Geschichte und Figuren, die meist nicht so schwarz-weiß sind, wie es zuerst scheint.

Sehr gelungener Actionstreifen – wer die Referenzen mag, wird hier exzellent unterhalten.

Titanic [1997, BluRay]
Leo und Kate und am Ende geht das Schiff unter.

Habe ich schon 25 Jahre nicht mehr gesehen, den Streifen. Und ich muss sagen: Er beeindruckt noch heute, obwohl er erkennbar ein Produkt der 90er ist. Das Storytelling und die Figuren sind meisterhaft ausgearbeitet, das ist wirklich großes Schreibhandwerk.

Was mit die ganze Zeit durch den Kopf ging: Der Film konnte so wirklich nur Ende der 90er entstehen, als die Tricktechnisch reif genug war, aber noch nicht so weit, dass alles hätte aus dem Rechner kommen können. Würde „Titanic“ heute verfilmt, dann würden die Innenszenen in Stagecraft gedreht und die Außenaufnahmen wären reines CGI.

„Titanic“ ist aber einer der letzten Hollywood-Blockbuster, der mit einem un-fucking-fassbar gigantischem Aufwand in echten Stages und mit hunderten von Statisten gedreht wurde, und das sieht man. Das heißt nicht, dass der Film arm an Effektshots ist, im Gegenteil. Aber hier werden alle Trickregister gezogen, von Modell- und Greenscreenaufnahmen zu Matte-Bauten zu echten Stages zu Perspektivtricks wechselt sich hier alles schnell ab, dass man selten auf Anhieb weiß, wie James Cameron das jetzt gerade wieder gemacht hat. Ausgerechnet einige der CGI-Shots sind es, die den Test der Zeit nicht mehr bestehen – wenn die Kamera über die (real nachgebaute) Titanic fliegt und währenddessen auf ihr CGI-Menschen rumtapsen, sehen die nicht gut aus, und auch digitales Wasser ist in den letzten 25 Jahren wesentlich besser geworden.

Tut der Sache aber keinen Abbruch, wenn die Titanic im eisigen Wasser versinkt, dann hat man eine dreistündige Reise hinter sich, die heute auch ein Stück Filmgeschichte ist.

Mare of Easttown [2021, DVD]
Kate Winslet ist Mare, eine schlechtgelaunte Polizistin in einer Kleinstadt. Für den Frust hat sie 989 Gründe, und dann wird auch noch eine Teenager-Mutter tot aufgefunden.

Besticht durch fast fühlbare Dramatik, die aus zwischenmenschlicher Interaktion entspringt, toll ausgearbeitete Charaktere und eine fantastische Besetzung. Insbesondere Kate Winslet spielt hier auf Oscarniveau, aber auch die sonstigen und recht unbekannten Schauspieler sind klasse.

Die Geschichte ist wendungsreich, versumpft aber ab und an zwischendurch – dann wird das Pacing so erratisch, dass ich mich mehr als ein Mal gefragt habe, was das hier eigentlich wird. Familiendrama? Beziehungstragödie? Oder doch Krimi? War das gerade Twin-Peakesk, ein Schuß „Schweigen der Lämmer“ oder meinen die das anders? Am Ende wird die Mischung aber so abgebunden, dass sie sehenswert ist.

Ärgerlich: Offensichtlich möchte HBO/Sky Digitalabos verkaufen, die physischen Datenträger enthalten entweder keine deutsche Tonspur (BluRay) oder bieten ein völlig unscharfes und verwaschenes Bild (DVD) – Hände weg von diesen Versionen! Im Ernst, ich habe tatsächlich am Fokus meines Beamers gedreht, weil das Bild so unscharf ist – ist aber nicht besser geworden, liegt wirklich an der DVD. Man soll halt HBO abonnieren und nicht Serien als Disc kaufen, so die eindeutige Botschaft.


Banshees of Inishnerin [2022, Disney+]
Irland, 1923: Der Bürgerkrieg ist weit weg, auf dem irischen Festland. Auf der kleinen Insel Inisherin geht man seinem bescheidenen Leben nach, verdingt sich in der Landwirtschaft und fiedelt sich abends einen im Pub. Colin Ferrell und Brendan Gleeson (die beiden aus „Brügge sehen …und sterben?“) leben hier schon ihr ganzes Leben und sind dick befreundet. Bis zu dem Moment, in dem Brendan dem Colin sagt, das er das nicht mehr möchte und fortan jeder Kontakt eingestellt werden soll. Colin ist vor den Kopf gestoßen, aber Brendan meint es ernst, und er ist bereit einen hohen Preis dafür zu zahlen.

Freundschaften zerbrechen oder versanden, dass sie einseitig und eindeutig beendet werden, passiert eher selten. Die Geschichte der beiden Männer schlägt leider nach der interessanten Ausgangssituation – eine Seite entschlossen, die andere verletzt und verzweifelt – den dümmstmöglichen Weg ein. Es wird sehr schnell unnötig eklig, alle Figuren bleiben fremd und handeln völlig erratisch. Dementsprechend haben auch die Schauspieler wenig zu tun, Gleeson guckt die ganze Zeit muffig und Ferrell trägt seinen „ich bin dumm“-Gesichtsausdruck, der immer irgendwie aussieht als hätte er Verstopfung, und den man ihm halt auch nicht abnimmt.

Der Verleih vermarktet den Film als Komödie, aber lustig, das sei deutlich gesagt, ist hier nichts. Lustig will der Film nicht im Ansatz sein, was er stattdessen will, bleibt aber – genau wie die früheren Werke des Regisseurs, „Brügge sehen“ und „Three Billboards…“ nicht klar. Irgendwie fühlen sich alle Filme von Martin McDonagh so an, als würde irgend etwas fehlen – bei „Banshees“ ist es der Wille zu einer Aussage.

Was bleibt sind schöne Bilder von Irland, weil die Figuren fast während der ganzen Handlung durchs Grüne laufen. Immerhin.

Beef [2023 Netflix]
Handwerker will ausparken, wird dabei aber von einem SUV blockiert und dessen Fahrerin angehupt. Es brennen Sicherungen durch, es kommt zu Beschimpfungen. Aus dem Road Rage entwickelt sich eine handfeste Fehde, denn die beiden stellen sich nach, finden raus wo sie jeweils wohnen und lauern sich auf.

Klingt nach Geheimtipp, und die erste Folge fühlt sich auch so an – koreanische Darsteller:innen in den USA, Hass im Alltag – da hätte einiges draus werden können. Leider versandet das hier aber alles in ziellosen Familiendramen und bescheuerten Nebenhandlungen. Ist halt der Netflix-übliche Quark: Als Film wäre das toll gewesen, als Serie gibt es einen starken Anfang und dann Versumpft alles in Beliebigkeit, weil irgendwie noch sechs Folgen zu füllen sind. Das Ende ist immerhin memorabel, aber so abrupt und out-of-character, das es beliebig wirkt.


Spielen:

Resident Evil 4 Remake [2005, 2023, PS5]
Die Tochter des US-Präsidenten wurde entführt, in ein kleines Bergdorf in Spanien. Statt der Armee schickt der POTUS nur einen Mann los, der lediglich mit einer Pistole, einem Messer und einem Aktenkoffer bewaffnet ist. Damit muss er gegen Zombis, Werwölfe und Monster antreten.

Die Story von Resident Evil 4 ist anerkannt eine der dümmsten der Videospielgeschichte, das Game selbst aber ein wirklich gutes. In der Third-Person-Perspektive schleicht, kämpft und rätselt man sich hier durch spanisches Bergland. Das ist erstaunlich abwechselungsreich, neben Shooter- und Survivalpassagen gibt es im 2023er Remake sogar einen kleinen Open-World-Hub wie in den neueren „Uncharteds“, einen Hold-the-Ground-Standoff und, bäh, Bosskämpfe.

Alle Spielelemente werden aber nicht übertrieben häufig verwendet, hier nervt nichts durch überlange Wiederholungen. Auch schön: Für viele Bosse gibt es eine Abkürzung. Ich hatte arge Problem mit dem Bullet-Sponge von Endboss und hatte nach X Wiederholungen die Faxen richtig dicke. Zum Glück kann man beim Händler vor Beginn des Endkampfes sein Erspartes gegen einen Raketenwerfer eintauschen. Damit ein Schuß in die hässliche Fresse und zack, war die Qual vorbei.

Das Game ist kein Horror, nur manchmal ein wenig gruselig, meist aber vor allem: Spannend. Die Grafik ist sehr gut, die Engine ist die gleiche, die schon bei den neuen Teilen und Remakes der letzten Jahre verwendet wurde.
Sehr gutes Single-Player-Abenteuer, das für Liebhaber von Action-Adventures empfehlenswert ist.

Horizon: The Burning Shores [2023, PS5]
Maschinenjägerin Aloy erlangt Kenntnis davon, dass ein weiteres Far Zentih-Mitglied auf der Erde herumstrolcht. Der Mann war Billionär und hatte zu Zeiten der Zivilisation ein Raumfahrtunternehmen. Um die postapokalyptische Erde zu verlassen, reaktiviert er alte Maschinen und droht damit, die Westküste zu verseuchen. Aloy bricht auf, um den skrupellosen Mann in einem Inselarchipel zu stellen, das früher mal Los Angeles war.

Schöne Erweiterung des Hauptspiels, die direkt an das Ende der Handlung von „Forbidden West“ anschließt. Die Geschichte ist simpel, aber sorgfältig geschrieben und sehr gut inszeniert und bringt etwas, das „Horizon“-Spieler seit Teil eins fürchten: Das Wiedererwachen eines Horus, eine jener Maschinen, die einst die Welt verzehrten. Der Kampf gegen dieses Vieh ist wuchtig inszeniert und echt schwer, und auch ansonsten sind die brennenden Strände kein leichtes Gebiet.

Problematisch dabei: Der DLC kommt zu spät. Es werden nämlich sofort alle Skills verlangt, die man sich im Hauptspiel über rund 80 Stunden angeeignet hat – aber das ist ein Jahr her! Wer erinnert sich da noch daran, wie die ganzen Spezialsuperdupermoves gingen? Allein der Blicks ins Waffeninventar, in dem bei mir rund 40 Bögen, Speere, Handschuhe, Fallen usw. in bis zu fünf Ausbaustufen herumliegen, brachte mich fast zur Verzweiflung: Was war nochmal wofür gut?! Wie bedient man das? Waffenauswahl und Skilltree fand ich schon im Hauptspiel völlig überladen, und hier wird es nur noch schlimmer.

Storytechnisch wird deutlich, wie Protagonistin Aloy durch die Erlebnisse in „Forbidden West“charakterlich gewachsen ist. Sie lässt sich auf andere ein, und sogar eine schüchterne Romanze ist möglich. Wenn man das möchte, führt die sogar zu einem verschämten, gleichgeschlechtlichen Kuss.

Das Aloy auf Frauen steht, hätte man sich nach schon nach „Forbidden West“ denken können, führt aktuell aber bei kleinen, rechten INCELS zum Pflaumensturz. Die dummen Wichser unterstellen Sony „politische Indoktrination“ und „Aloy ruiniert zu haben“ um krampfhaft eine LGBT+-Agenda in jedem Spiel unterzubringen, mutmaßlich um das Volk schwul zu machen oder sowas. Die rechten Kulturspalter reviewbomben „Burning Shores“ gerade auf Metacritic ins Nirvana, und das hat der DLC nicht verdient.

Abseits dieses Unfugs sind die inhaltlichen Hürden zum Starten des DLC nicht ganz ohne. Man muss die Hauptstory von „Forbidden West“ komplett durchgespielt und den Speicherstand noch auf der Platte oder in der Cloud haben, und es braucht jetzt zwingend eine PS5. Es wird auch sehr schnell klar warum: Die „Burning Shores“ erreicht man nur fliegend, und die hyperdetailreiche Welt von Horizon ist eigentlich für begrenzte Sichtweiten und die langsame Bewegung zu Fuß gemacht. Aus der Luft ist das ganze so rechenintensiv, das selbst auf der Next-Gen-Konsole alle möglichen Objekte zu spät aufpoppen, XB1 oder PS4 hätten die Rechenlast nicht bewältigen können.

Spielt aber keine Rolle, die „Burning Shores“ sind eine gelungene Erweiterung von „Forbidden West“. Es macht Spaß, das versunkene LA zu erkunden, die Inszenierung ist toll, und auch wenn die Geschichte ohne bleibende Auswirkungen bleiben wird, ist sie unterhaltsam und lässt sich angenehm kurz (rund 16 Stunden) wegspielen.


Machen:


Neues Spielzeug:


Ding des Monats:


Archiv Momentaufnahmen ab 2008

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Peinlich

Befreundete Firma, versammelte Belegschaft. Altgedienter Mitarbeiter, den ich sehr schätze und mit dem ich viel und gut zusammengearbeitet habe, geht in den Ruhestand. Große Abschiedszeremonie, unmittelbar danach wird er Deutschland verlassen und sich der Renovierung eines Landhauses auf einer kleinen Insel widmen.

Ich halte eine Laudatio und witzele am Ende:

„Tja, lieber Walter. Wir haben lange überlegt, was wir Dir zu dieser Gelegenheit überreichen können. Zuerst haben wir daran gedacht, Dir einen Gutschein für den Baumarkt zu besorgen. Aber zum einen gibt es auf Deiner Insel keinen Baumarkt und zum anderen, seien wir ganz ehrlich, wäre ein Gutschein, für den Du Spaxschrauben kaufst, keine angemessene Würdigung Deiner Lebensleistung. Darum darf ich Dir dir als kleines Andenken diese hölzerne Statue überreichen, in der eine Glasscheibe eingelassen ist, in die Deine Leistungen und unser Dank eingraviert sind.“

Ich gehe ab, als nächstes ist der Chef von Walter dran. Ich wundere mich schon, warum der missmutig guckt. Er hält eine kurze Rede und überreicht dann einen Umschlag mit den Worten „Hier. Ein Baumarktgutschein. Von uns allen.“

AAAARGH.

Ich schaffe es echt immer wieder. Ich bin ein natürlicher Fettnäpfchenfinder.
(Gehe jetzt ein Loch graben, in dem ich versinke)

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Hört nicht auf

Neulich erst war das Kleine Gelbe AutoTM in der Werkstatt, weil der Anlasser nicht mehr wollte und keinen Ton mehr von sich gab. Dann bekam es ratzfatz einen neuen, der drehte freudig, und die Kiste sprang an wie eine junge Göttin.

Für meinen Geschmack drehte der Anlasser sogar zu schnell, auf jeden Fall schneller als der alte zu seinen besten Zeiten, aber egal – alles war gut.

Bis ich dann gestern zur Arbeit fuhr und unterwegs schon dachte: Seltsam, die Lüftung ist aber laut. Vor lauter Konzentration auf den Stadtverkehr hatte ich keine Zeit den Gedanken zu vertiefen. An der Firma angekommen parkte ich und stellte die Zündung aus – und hörte sofort, das unter der Haube etwas weiterlief. Aber nicht die Lüftung. Erster Gedanke: „Shit, das ist der Kühlerlüfter. Warum läuft der? Thermostat kaputt oder Kühler selbst defekt?“

Ausgestiegen, Haube auf. Beißender Rauch von verbrannten Kunststoff schlug mir entgegen. Verdammt, wo kam der denn her? Kühler? Nein, da war alles OK, und es war auch nicht der Kühlerlüfter, der da noch lief. Was da vor sich hinrödelte, tief im Inneren des Motors, das war der Anlasser! Der orgelte verbissen und war dadurch schon heiß gelaufen und hatte begonnen zu qualmen.

Meine Gedanken rasten… „Zündung ist aus, das Ding läuft weiter… Was machen?“ Natürlich: Batterie ab. Aber dafür braucht man einen kleinen Maulschlüssel, und ich habe keinen Werkzeugkasten mehr im Auto. Aber vielleicht kann man die Kabel auch so abziehen? Mit behandschuhten Fingern versuchte ich die Kabel von den Polen der Battrie nach oben abzuziehen. Ging natürlich nicht. Hatte die Werkstatt bei Batterietausch im vergangenen Herbst richtig fest angezogen. Nochmal ohne Handschuhe. Auch kein Effekt, außer zerkratzten Fingern.

Mittlerweile qualmte der Anlasser richtig heftig und auch das Zuleitungskabel schmorte, alles stank nach verbranntem Kunststoff. Ich setzte mich wieder in den Wagen und drehte den Zündschlüssel kurz auf Start und wieder zurück, in der Hoffnung, dass ein eventuell hängengebliebener Magnetschalter dadurch vielleicht doch noch schaltete, aber da passierte nichts.

In der Firma haben wir auch keine Maulschlüssel, wozu auch, aber irgendwo liegt ein Multitool mit einer Zange herum. Ich rannte hinüber zum Firmengebäude, flitzte die Treppe hoch, riss den Ausrüstungsschrank auf, klaubte das Werkzeug auf und rannte zurück. Im Laufen griff ich mir noch einen Feuerlöscher, dann im Schweinsgalopp zurück zum Auto, das rödelnd und qualmend auf dem Parkplatz stand.

So, Zange ausgeklappt, aha, hier ist die Mutter vom Batteriepol, und… SCHEISSE! Die kleine Zange rutschte an der rundgelutschten Mutter ab. Keine Chance, die damit abzubekommen. Ich versuchte das Ding als Hebel anzusetzen und eines der Batteriekabel abzuhebeln. Keine Chance, die bewegten sich keinen Milimeter. KACKE!

Was für eine Situation! Da läuft eine Maschine und läuft und läuft und zerlegt sich selbst und man kann NICHTS dagegen tun. Albtraumhaft, und wenn mir nicht bald etwas einfiele, dann könnte ich nur noch daneben stehen und traurig dabei zugucken, wie der Wagen abfackelt.

Auf der Batterie saßen drei dicke Sicherungen, die zog ich nun raus. Kein Effekt, der Anlasser lief einfach weiter. Es hörte einfach nicht auf. WIESO WAR DIESES VERDAMMTE SCHEISSDING NICHT TOT ZU KRIEGEN???

Was nun? Die Batteriekabel durchsägen? Aber mit was? Hat das Multitool eine Säge?

Ich riss den Kofferraum auf. Vielleicht lag hier durch Zufall noch was brauchbares rum?

Ich wusste natürlich, dass das nicht der Fall war. Der Kofferraum ist leer und ordentlich, außer Verbandszeug und Warndreieck und einem Feuerlöscher ist da nichts drin. Na gut, unter der Bodenmatte liegen noch ein Bolzenschneider und ein Brecheisen, aus Gründen. Vielleicht ließe sich ja der Bolzenschneider nutzen, um ein Batteriekabel durchzuschneiden? Ha, ich hatte einen Plan Z!

Aber erstmal riss ich die Bodenverkleidung hoch. Darunter: Das Reserverad, der Wagenheber, aber kein Werkzeug. Ich wühlte das Abschleppseil und einen Lappen beiseite und dann sah ich es: In der Styroleinlage des Wagenhebers steckten zwei einsame Werkzeuge – ein Schraubendreher und… EIN ZEHNER MAULSCHLÜSSEL!!!

EXAKT das Werkzeug in der exakt der Größe, die ich gerade brauchte! In dem Moment kam es mir vor, als sei dieser Maulschlüssel von einer Halo umstrahlt, wie der heilige Gral.

Wie einst König Artus sein Excalibur aus dem Stein zog ich den Maulschlüssel aus dem Schaumstoff, sprang zur Motorhaube und schraubte den Minuspol der Batterie ab. Der Anlasser aus der Hölle erstarb mit einer letzten Drehung, dann war Ruhe. Endlich. Die Teufelsmaschine war tot.

Am Nachmittag kam der ADAC und stellte fest, das nicht Zündschloss oder Zuleitung defekt waren, sondern wirklich der neue AnlasseR. Den klemmte ADAC-Man ab, dann schoben Arbeitskollegen die gelbe Kiste kurz an und es ging es aus eigener Kraft und mit dem ständigen Gedanken „Jetzt die Kiste bloß nicht abwürgen!“ in die Werkstatt. Dort entschuldigte man sich wortreich, wobei die Werkstatt halt nichts für ein defektes Original-Neuteil kann.

Zwei Stunden später war der neue Anlasser drin, das Kleine Gelbe AutoTM läuft wieder. Jetzt lausche ich allerdings immer mißtrauisch, ob der Starter auch wieder ausgeht, wenn ich den Wagen anlasse. Und den heiligen zehner Schlüssel, den habe ich jetzt immer in der Mittelablage liegen.

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Immer noch November

„Heute ist der 168. November 2022“ sage ich im Scherz, aber Tatsache ist: Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so lange auf den Frühling gewartet zu haben.

Der Winter war nicht hart, aber er ist lang und dauert gefühlt immer noch an. Das liegt auch an regionalen Besonderheiten: Während andernorts schon die Natur grünt und blüht, ist hier alles kahl und tot. Allenfalls vereinzelt gibt es kleine Tupfer vorwitziger Blüten und zart keimender Blättchen, aber wenn ich aus dem Fenster sehe, dann stehen dort immer noch kahle Baumgerippe. Als wäre immer noch November.

Das Wetter trägt sein übriges dazu bei. Temperaturen zwischen 1 und 6 Grad, dauerbedeckter Himmel und dazu stippeliger Nieselregen, der dem Boden wenig bringt, aber die Laune dämpft. In meiner Wohnung sind es jetzt seit einem halben Jahr um die 16 Grad, im Schlafzimmer sogar nur 13 Grad, und ich würde gerne mal wieder ohne Biberbettfäsche, Schlafmütze und Wärmflasche nächtigen und ohne Fleeceklamotten und doppelt Socken am Schreibtisch sitzen.

Auf dem Balkon gucken die neu angeschafften, mediterranen Pflanzen ganz traurig. Ich kann es ihnen nachfühlen.

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Reisetagebuch Motorradherbst 2022 in 4:34 Minuten

Die gesamte Tour im Herbst 2022: Mit der Barocca binnen zwei Tagen quer durch Deutschland, Österreich und Italien, dann mit dem Schiff nach Sardinien, zurück über die Carmargue, das Jura und die Vogesen. Insgesamt 5.679 Kilometer.

Achso, ja, und auf Sardinien selbst bin ich auch noch ein wenig herumgefahren:

Aus „Ich schreibe kein Reisetagbuch, was soll da auch drinstehen außer geschlafen-gegessen-rumgelungert?“ sind dann doch 13 Episoden geworden:

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Reisetagebuch (13): Ein Land ohne Benzin

Herbsttour mit der V-Strom. Heute geht es nach Hause, aber zuvor gerate ich in einen Mad-Max-artigen Albtraum.

Freitag, 07. Oktober 2022
Um 07:30 Uhr stehe ich schon in der Tür des „La Trinité“. Heute muss ich Kilometer machen, dafür quäle ich mich auch früh aus dem Bett.

Das Frühstück im „La Trinité“ ist leider echt nicht mehr der Rede wert, zu einem Fertigcroissant aus dem Supermarktregal steht nur ein Joghurt auf dem Tisch, der seltsam aufgebläht aussieht.

Egal, umso schneller komme ich in den Sattel.

Draußen ist es kalt. St. Firmin liegt auf 900 Metern Höhe und ist umgeben von Bergen, und das merkt man. Das Thermometer an der Barocca zeigt 5 Grad, aber der Temperaturmesser geht bis zu vier Grad falsch, und durch die Nässe der Nacht fühlt sich das noch kälter an. Einigen wir uns aus 1 Grad, das passt.

Die ganze Maschine ist klitschnass, und mit einem Mirkofaserhandtuch aus dem Topcase reibe ich erst die Instrumente, dann die Spiegel und schließlich den Sattel trocken.

Danach geht es hinaus auf die Bergstraße. Hier oben scheint die Sonne und taucht die Berge in warmes Herbstlicht.


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Reisetagebuch (12): La Trinité


Herbsttour mit der V-Strom. Heute finde ich mich unvermittelt in der Carmargue wieder.

06. Oktober 2022, Fähre Mega Andrea, zwischen Sardinien und Frankreich
Obwohl ich totmüde war, habe ich schlecht einschlafen können. Als ich dann gefühlt gerade erst weggedöst bin, ertönt schon wieder der Weckruf über die Bordlautsprecher. Es ist 05:30 Uhr.

Ich packe meine Sachen und schleppe mich an Deck. Es ist noch dunkel, und es ist diesig. Im Nebel sind die Lichter einer Stadt zu sehen. Das muss schon Toulon sein!

Ein kleines Patrouillenboot summt um die Mega Andrea herum.

Die Barocca wartet, gut gesichert, beim grünen Oktopus.


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Scheintot

Ich kriege das ja sofort mit, wenn mit dem Kleinen Gelben AutoTM was nicht stimmt. Ich konnte den Haarriss in einem Luftschlauch am Motor hören, ich habe die verkehrten Fahrwerkfedern gespürt und genauso auch den abweichenden Achswinkel. Ist halt eine alte, aber auch sehr wertige und präzise Maschine, das Ding.

So habe ich vergangenen Donnerstag auch gemerkt, dass irgendwas beim Starten nicht stimmt. Der Wagen sprang ganz normal an, aber irgendwie klang es nicht richtig. Am Abend, nach der Arbeit, bemerkte ich das wieder, und dieses Mal konnte ich festmachen, was nicht stimmte: Der Anlasser drehte ein klein wenig langsamer, als man das bei einer vollen Batterie erwarten könnte. Aber immerhin, der Wagen sprang an. Einkaufen in Supermarkt eins, einkaufen in Supermarkt zwei… jetzt drehte der Starter nur noch ganz langsam, als sei die Batterie am Ende. Aber die ist praktisch neu – war die kaputt?

Zu Hause den Leon geparkt, ausgestellt, versucht wieder zu starten – nichts. Absolut tot, der Vogel. Elektrik funktionierte aber – Scheinwerfer warfen Scheine, Mäusekino leuchtete – nur beim Starten macht der Gelbe nicht mal ein Geräusch. WTF?

ADAC gerufen. Der auch so: Batterie gut. Was kann es dann sein? „Vermutlich der Anlasser“, sagte der mitt-sechzigjährige ADAC-Man und grinste „Hat Dir das Autochen jetzt den Abend versaut, Schätzelein?“.

Immerhin hatte der Boomer außer doofen Sprüchen noch einen praktischen Tip parat: Ich könnte den Wagen auf der leicht abschüssigen Straße anlaufen lassen. Wenn er dann anspränge, so ADAC-Man, dann sei ganz sicher der Anlasser defekt.

Am nächsten Morgen also den Wagen aus der Einfahrt vorsichtig (weil schlecht einsehbar) ohne Servolenkung und Bremskraftverstärker auf die Dorfstraße gesteuert, rollen lassen bis kurz vor Ende der Straße, wo er genug Geschwindigkeit hat, dann im zweiten Gang einkuppeln, gleichzeitig den Zündschlüssel drehen, wenn er dann anspringt sofort auskuppeln und gleichzeig Gas geben und aufpassen, dass ich nicht die Mauer am Ende der Straße mitnehme. Easy, so viele ungeübte Handgriffe gleichzeitig zu machen!

Hat aber tatsächlich geklappt. Der Wagen lief, also ab damit zur Werkstatt. War tatsächlich der Anlasser. Ein Anlasser kostet recht wenig, so um die 80 Euro, aber der Einbau ist aufwendig, und er muss von der Größe her passen.

Weil das KGA so speziell ist (wir erinnern uns: Der 20VT ist ein Hybrid aus Golf IV, Audi TT, Audi A3 und Seat Leon) wusste nicht mal das Ersatzteilprogramm von VW ganz sicher, welcher Anlasser da passt. Nun ist die freie Werkstatt aber gut und sehr findig, und nach vier Tagen war es letztlich das dritte gelieferte Ersatzteil, was passte.

Nun startet das gelbe Auto wieder wie eine junge Göttin, aber diese Investition hätte ich gerne vermieden – 8 Monate läuft der TÜV noch, und insgeheim habe ich mich schon nach einem anderen, fahrbaren Untersatz mit vier Rädern umgesehen. Was zwei mögliche Schlüsse zulässt: Entweder, das Kleine Gelbe AutoTM hat das mitbekommen und will mich nun ärgern – ODER es wollte mir den Abschied erleichtern, indem es rituellen Selbstmord beging.

Was auch immer es war: Es ist von den Scheintoten wieder einmal zurück, und mindestens sechs Monate muss es noch durchhalten.

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Reisetagebuch (11): Mega Andrea

Verlängerter Sommer auf Sardinien. Heute werde ich von GS-Fahrern gedemütigt.

Freitag, 05. Oktober 2023
Uaaaargh habe ich schlecht geschlafen. Ständig habe ich mich hin- und hergeworfen, und ab 4:00 Uhr war an Schlaf gar nicht mehr zu denken. Das lag wohl daran, dass ich mich gestern Abend an dem leckeren Essen heillos überfressen habe, ein überfüllter Magen schläft schwer.

Zudem ist es auch viel zu warm in der Nurgahe, und mit der Luft stimmt was nicht, mein Hals kratzt und mir läuft die Nase wie verrückt.

Läuft hier die Heizung? Nein, anscheinend haben wirklich die riesigen Steine, aus denen diese Unterkunft besteht, viel Sommerwärme gespeichert. die sie nun abgeben.

Außerhalb des Steinhäuschens ist es jedenfalls frisch, einstellige Temperaturen zaubern Kondenswasserperlen auf die Barocca, die in der Morgensonne wartet.

Um 8:30 Uhr gibt es Frühstück, was natürlich wieder viel zu viel und viel zu groß ist. Neben Obst, Käse, Schinken und Süßkram gibt es auch noch Spiegelei und Antipasti undundund…

Nett ist der Joghurt, der hier um die Ecke von einer kleinen Käserei hergestellt wird. Über die Kuh im Logo könnte ich mich beömmeln!

Margherite winkt und hält den Hund fest, als ich die V-Strom durch die Auffahrt steuere, dieses Mal ohne aufzusetzen.

Als das Motorrad auf der Straße ist, frage ich mich: Was mache ich heute eigentlich den ganzen Tag? Die Fähre fährt erst in 11 Stunden. Die Abfahrtszeit wurde leider kurzfristig von 16:00 auf 21:00 Uhr gelegt, und ich habe gar keinen Plan für den Tag.

Erstmal dödele ich jetzt in gemütlichem Tempo die Kurvenstrecke wieder zurück, auf der ich mir gestern dieses unerquickliche Rennen gegen die Zeit geliefert habe.

An deren Ende liegt die Zufahrt zum Monte Limbara, und aus purer Langeweile fahre ich noch einmal das Kurvenmassaker dort hinauf und bis zur ehemaligen Nato-Basis.

Vor deren Tor stehen aber schon zwei Autos, die Basis hat also schon Besuch. Nee, dann drehe ich lieber wieder um – ist eh´zu kalt hier oben, gerade mal vier Grad sind es heute morgen.

In Tempio Pausana finde ich einen LÜDL. Scheint mein verborgenes Talent zu sein: Egal wo ich unterwegs bin, stets finde ich einen der blau-gelben Discounter. Dort kaufe ich Wasser und Verpflegung für die nächsten zwei Tage, dann weiß ich wieder nicht, was ich machen soll. Irgendwo hinsetzen und lesen? Aber wo?

Wo habe ich einen ruhigen, schönen Ort, wo ich den Tag verbringen kann? Da fällt mir doch glatt der Strand bei Gli Ulivi ein, und so bin ich kurze Zeit später noch einmal in La Ciaccia.

Zwei Querstraßen von Gli Ulivi entfernt gibt es eine Zufahrt zum Strand. Dort steht ein Restaurant und eine Fischerhütte und ein Bootshaus, außerdem gibt es eine Reihe von Motorradparkplätzen, die der letzten Woche noch nie belegt waren, und direkt daneben eine schattige Sitzgelegenheit.


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Momentaufnahme: März 2023

Herr Silencer im März 2023

Wann ist dieser Winter ENDLICH vorbei?!

Wetter: Bis Mitte des Monats durchwachsen kalt und bedeckt, dann noch einmal Wintereinbruch: Schnee und Eis kehren für Tage zurück. Ein paar Mal scheint die Sonne, und dann hüpfen die Temperaturen auch in den zweistelligen Bereich, aber meist bleibt es grau und irgendwo zwischen Gefrierpunkt und 8 Grad. Auch die Natur bleibt im Tiefschlaf, der Frühling kommt lange nicht voran. Zwischendurch hüpfen die Temperaturen kurz hoch, am Monatsende gibt es aber wieder Schneeregen und Null Grad und alles alles ist bäh.


Lesen:


Hören:


Sehen:

Twin Peaks, Season 3 [2017, DVD]
„In 25 Jahren können sie mich wieder sprechen“, sagte Laura Palmer 1992 zu Agent Dale Cooper. Der kam nie mehr aus dem Roten Raum heraus. Wer stattdessen nach Twin Peaks zurückkehrte war Bob, der Killergeist, der in Coopers Körper steckte.

25 Jahre später geschehen in den ganzen USA grauenvolle Morde. FBI-Direktor David Lynch stochert in den Fällen herum und stellt fest: Die Spur führt zurück nach Twin Peaks.

Cooler Move, wirklich 25 Echtzeit-Jahre später eine DER Serien der 90er fortzusetzen. Twin Peaks war damals ein Fernsehereignis, das man so noch nicht gesehen hatte. Die Frage, wer Laura Palmer tötete, spielte am Ende fast keine Rolle mehr. Die Serie lebte von bizarren Charakteren, fantastischen Bildern, surrealen Szenen und der hypnotischen Musik. „Twin Peaks“ brach 1990 und 1992 alle Sehgewohnheiten und gilt als eine der einflussreichsten Serien aller Zeiten. Sowas lässt sich nicht wiederholen, deshalb bietet Twin Peaks in der 2017er Fassung nicht „more of the same“, sondern viel, viel Neues mit den bekannten Darstellern.

Dazu gehören grausame Verstümmelungen und blutige Morde genauso wie geradezu psychedelische Folgen, die quasi ab Minuten eins Kunst aus allen Poren strömen, aber sich konventionellen Sehgewohnheiten verschließen.

Ich habe mit solchem Artsy-Fartsy-Kram normalerweise nicht mehr viel Geduld und mache das aus, weil ich es nicht ertrage. Aber hier ist das Surreale so irre inszeniert und ergibt im Rahmen der Handlung so unbedingt Sinn, dass ich richtig viel Freude daran hatte und alle Folgen am Stück weggebinged habe (während ich nebenbei Persona spielte, dazu unten mehr). Selbst Folge 8, die ein für sich stehender Fiebertraum ist, hat mich in ihren Sog gezogen.

Lediglich das Ende der Serie ist beim ersten Schauen enttäuschend und vermittelt etwas wirr die Botschaft „Das Böse gewinnt immer, aber das Gute gibt niemals auf“. Das steht aber wiederum im Einklang mit dem Mantra „Das Gute stirbt oder wird getötet“ aus Staffel 1 und der Sekundärliteratur („Das geheime Tagebuch der Laura Palmer“).

Aber bis zu diesem seltsamen Ende kann man 17 1/2 Episoden Twin Peaks genießen, mit fast allen (gut gealterten!) Darstellern von damals, einem interessanten Plot und einer Fortsetzung, die sich einer eindeutigen Auslegung entzieht.

Triangle of Sadness [2022, Bluray]
Eine Hyper-Luxus-Yachtreise für Superreiche und Influencer: Man schwelgt in Dekadenz und Instagram-Kulissen, lässt sich die Wünsche von den Augen ablesen und lebt seine Kinks aus. Dann kommt es zu einem Unfall, die Yacht sinkt und die wenigen Überlebenden retten sich auf eine einsame Insel. Dort stellen sie fest, das Influencer-Skills nicht zum Überleben taugen, und die einzig fähige Person – eine Putzfrau – zettelt ein Herr der Fliegen-Szenario an.

Wenn man die Beschreibung so liest, kann das eigentlich nur ein geiler Film sein, oder? Gesellschaftskritik! Verlogene Influencerbande wird vorgeführt! Superreiche finden sich plötzlich ganz unten wieder! Eat the Rich!!

Tja, dachte ich auch, und habe die BluRay blind gekauft – und mich selten so darüber geärgert, dass ich Geld zum Fenster rausgeworfen habe! Seine tollen Ideen verkackt Regisseur Ruben Östland hier auf jedem Meter. Der Film ist mit seiner Laufzeit von 150 Minuten mindestens eine Stunde zu lang und von vorne bis hinten angefüllt mit langweiligem Quark.

Eeeeeeewig lang darf man sich erst unzusammenhängende Szenen aus dem Alltag von Models angucken, die eine schlechte Zoolander-Parodie sein könnten. Dann guckt man stundenlang einem völlig belanglosen Influencer-Pärchen dabei zu, wie es sich gegenseitig anödet, bevor es endlich auf die Yacht geht.

Auf der springen erstaunlicherweise Iris Berben und Sunnyi Melles herum, haben da aber auch nicht wirklich was zu tun. Und wenn das Boot der Reichen endlich, nach drei Vierteln der Laufzeit, untergeht, beginnt mitnichten ein „Eat the Rich“-Szenario, sondern nun dümpelt der Film halt an einem Strand statt auf einer Yacht herum. Statt bitterböse und pointiert geht es hier belanglos und verschwurbelt zu, nichts ist relevant, keine Figur hat einen Charakter.

Das tut beim Ansehen umso mehr weh, weil das Ding wirklich Potential gehabt hätte. Aber das wird links und rechts eimerweise liegengelassen, und das angeklebte, offene Ende ist erkennbar nur drangestückelt worden, damit der Streifen sich als „Kunst“ rausreden und um eine Aussage drücken kann.

Das muss der Regisseur vielleicht noch lernen: Gute Kunst hat eine Aussage und eine Haltung und ergeht sich nicht in Beliebigkeit. „Triangle“ ist weder lustig noch bissig oder kritisch oder gar dramatisch – er ist belanglose Zeitverschwendung.


The Woman King [2022, Amazon Video]
Westafrika, 1823: Die Elitegruppe der Agojie verteidigt das Königreich Dahome. Das Besondere: Alle Mitglieder sind weiblich. Ihre Anführerin will den Sklavenhändlern Einhalt gebieten, die ganze Dörfer überfallen und die Einwohner verschleppen. Sie träumt davon, dass es eines Tages eine weibliche Königin in Dahome geben wird – eine Woman King.

Vergesst „Black Panther“! „The Woman King“ frisst den Marvel-Flick zum Frühstück. Die „Dora Milaje“-Kriegerinnen aus dem fiktiven Wakanda? Deren Vorlage waren die Agojie, die es wirklich gab.

„Woman King“ haut in der Tat richtig rein, sowohl emotional als auch was die Action angeht.

Das liegt vor allem an dem unglaublichen Cast: Viola Davis (Amanda Waller aus „Suicide Squad“) als Generalin beherrscht jede Szene, in der sie auftritt, und strahlt gleichzeitig Kraft wie Einsamkeit aus. Ihr zur Seite stehen starke Frauen wie Lashana Lynch (007 aus „No time to Die“), Adrienne Warren („Tina Turner“) oder Sheila Atim, die beeindruckend spielt. Das liegt aber auch daran, wie die Szenen gefilmt sind, insbesondere während der Kämpfe. Hier gibt es kein CGI-verseuchtes Kameragewackel mit 12 Schnitten in drei Sekunden, hier hält die Kamera drauf und zeigt beeindruckende Kampfchoreografien, in denen erkennbar viel Arbeit steckt und die häufig erstaunlich blutig und grausam sind.

Die Geschichte selbst hat leider einige Stellen, an der sie sehr rührselig wird – wenn die toughe Generalin etwa davon träumt, das ihr Volk zukünftig ausschließlich von der Herstellung von Palmöl lebt und von der Idee binnen zwei Sekunden den amtierenden König überzeugt, oder wenn sie in einer Auszubildenden ihre Tochter zu erkennen glaubt. So einen Rosamunde-Pilcher-Quark hat der Film eigentlich nicht nötig, und Szenen wie diese brechen die Suspension of Disbelief.

Das ist besonders schade, weil es die dringend braucht, denn so romantisch die Story um die schwarzen Kriegerinnen auch sein mag: Sie ist nicht vollständig wahr. Zwar gab es wirklich ein Frauenregiment in Dahome, dem heutigen Benin, aber die Geschichte des Films ist frei erfunden. Das spielt aber keine Rolle, denn „Woman King“ funktioniert als Action-Film und Historien-Drama, fesselt in nahezu jeder Szene und ist ein wirklich beeindruckender Film.


Spielen:

Ori and the Blind Forest [2015, Switch]
Ori ist ein kleiner Baumgeist, der kurz nach seiner Geburt in einem Sturm verschütt geht. Ohne ihn stirbt der Wald, und er muss irgendwie wieder nach Hause zu seinem Mutterbaum.

Hüpfspiel. Wunderschöne Grafik, knuffig inszeniert, tolle Musik. Leider ist es aber SO SCHEISSEND SCHWER, dass ich nicht über die zweite Map hinausgekommen bin.

Der kleine Waldgeist hält nämlich zu Beginn nichts aus und stirbt sogar nach der Berührung einer Heckenrose. Dazu kommt: Ori steuert wie ein besoffener Seemann. Dank Sprungkurven und Beschleunigungsverhalten waren die superkniffligen Sprungpassagen, mit denen das Spiel ab Minute eins aufwartet, so frustrierend, dass ich es nach dem 124. Versuch eine bestimmte Stelle zu überwinden wutentbrannt gelöscht habe. Ein superputziges Spiel, was mich zu Wutausbrüchen gebracht hat.

Persona 3 Portable [2006, 2023, Switch]
Jede Nacht, Punkt Mitternacht, beginnt die dunkle Stunde. Die verbirgt sich in der Lücke zwischen zwei Sekunden, zwischen 00:00:00 und 00:00:01. Die wenigsten Menschen nehmen sie wahr, aber einige Auserwählte erleben die dunkle Stunde bei vollem Bewusstsein. Was sie dort sehen, ist ein Albtraum: Schattenwesen wandeln auf der Erde und rauben Menschen die Seele. Zentrum dieses Schattenreichs ist ein bizarrer Turm, der hunderte Stockwerke in den Nachthimmel wächst. Eine Gruppe Schüler:innen macht sich auf, den Turm zu erklimmen und vielleicht die Schatten zu besiegen. Sie finden: Den Tod.

Alter Schwede, das ist ja FINSTER. Ich bin über „Persona 5“ von 2016 zu der Reihe gekommen, das war stylisch und deep. Dann habe ich „Persona 4“ auf der PS Vita nachgeholt, das wirkte fröhlich und poppig, hatte aber als Kern eine Gruselgeschichte mit Serienmörder-Setting. Das ist aber alles nichts gegen den finsteren Shit von Persona 3!

Das beginnt damit, das die Jugendlichen, um ihre „Persona“ genannten Kampfkräfte zu aktivieren, symbolisch Suizid begehen müssen, indem sie sich eine Pistole an den Kopf halten und abdrücken.

Das geht weiter über die Darstellung der „dunklen Stunde“, während der alle normalen Menschen zu Särgen werden und endet mit der Feststellung, dass uns allen der Tod innewohnt, und der unausweichlich ist.

Der Tod selbst tritt sogar auf und stellt uns vor eine Wahl: Nach zwei Dritteln der Spielzeit bietet er an, sich zu ergeben. Das Spiel meint es damit sogar ernst, wer die Option wählt, springt sofort und kampflos zum Abspann – erlebt aber so natürlich nicht das „wahre“ Ende. Das eröffnet sich erst nach zähen 80 bis 90 Stunden, und das New game Plus-Intro ist gleich nochmal finsterer. Jede düstere Teenagerfantasie wird hier bildhaft umgesetzt. „Memento Mori“, sei Dir deiner Sterblichkeit bewusst.

Sich um die komplette Spielzeit zu bringen wäre schade, denn der serientypische Mix aus Schulalltag, Freizeitaktivitäten und rundenbasierten Kämpfen funktioniert hier schon fast genauso gut wie in den späteren Spielen. Die Betonung liegt aber auf fast, denn in P3 sind die Charaktere noch schlecht ausgearbeitet, die Social Links öde, und das Pacing und Balancing hat man in späteren Serienteilen viel besser hinbekommen.

So habe ich nervig viel Zeit damit verbracht, im dunklen Turm Erfahrungspunkte zu grinden und immer den gleichen Monstern auf´s Dach zu hauen. Viel Abwechselung gibt es da nach hinten raus nicht, die 264(!) Stockwerke des Turms sind zufallsgeneriert und die Monster in jedem Abschnitt immer die gleichen.

Der Grind ist aber nötig, weil man sonst gegen die alle zehn Stockwerke auftauchenden Zwischenbosse oder die alle 30 Tage auftauchenden Storybosse keine Chance hat. Unschön und kompliziert auch das Verschmelzungssystem, bei dem man aus gefangenen Monstern neue erschafft, die dann für einen kämpfen. Das ist in P3P überkomplex und funktioniert schlecht, weil eigentlich optional scheinende Quests nötig sind, um die stärksten Viecher zu bauen – so habe ich Stunden damit verbracht einen starken Charakter zu schmieden, nur um kurz vor Ende zu merken, dass ich am Anfang des Spiels einen Besen oder so hätte finden müssen. Das ist Quatsch und frustrierend.

Nicht berauschend ist auch die Präsentation. Auf der Switch gibt es lediglich Persona 3 Portable, das seine Herkunft vom Nintendo DS nicht verhehlen kann. Diese Version des Spiels ist zwar balancierter und fairer als die UR-Version auf der PS2 und bietet zwei wählbare Protagonisten, es gibt weder 3D-Oberwelten noch Zwischensequenzen, und die Geschichte und Dialoge werdem nur über immer gleiche Standbilder erzählt. Ist aber Wurst, wer Bewegtbild möchte, guckt sich einfach „Persona 3 – The Anime“ auf Netflix an, da gibt es die ganze Story in drei 90-Minuten-Filmen. Die sind übrigens auch düsterer Shit, mehr Emo und Goth geht kaum.

Ich hatte in den vergangenen Monaten auf jeden Fall viel und seeeeehr lange Spaß (93 Stunden) an Persona 3, das sich auf der Switch auch schön zwischendurch spielen lässt. Notiz an mich selbst: Das optimale Team sind MC als Damagedealer, Akihiko und Aigis als Support für Buffs/Debuffs und Yukari als Heilerin. Für Endgegner sollte man ein Level um die 82 haben.


Machen:
– TÜV für die Moppeds.
– Sache mit Vaddern regeln
– Probefahrt mit einem anderen Auto. Resultat: Das kleine Gelbe quittiert spontan den Dienst.


Neues Spielzeug:
– Pflanzen! Echter Jasmin, ein Erdbeerbaum, Honigbeeren, Feigen, Kiwi, japanische Maulbeere und eine Passionsblume.


Ding des Monats:


Archiv Momentaufnahmen ab 2008

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Reisetagebuch (10): Il Nuraghe del Lago Coghinas

Verlängerter Sommer auf Sardinien. Heute: Noch mehr Rumlungerei, ein Canyon und eine Übernachtung in einer Steinzeitbehausung.

Samstag, 01. Oktober 2022
Heute heißt es Abschied nehmen vom Bungalow und La Pineta. Es ist noch kaum richtig hell – so gegen halb acht – als ich die Koffer packe, mich dann nochmal sorgfältig umsehe, ob ich auch ja nichts vergessen habe, und dann den kleinen Bungalow auf dem Campingplatz verlasse. Die Barocca steht in der Morgensonne, als ich in den Sattel klettere. Das war es dann mit dieser deutschen Exklave, ab jetzt sind wir wieder in Italien.

Die V-Strom brummelt erwartunsgvoll vor sich hin, fast als würde sie sich freuen, nach den fünf Tagen, die ich mehr oder weniger schlafend oder lesend am Strand verbracht habe, endlich wieder Asphalt unter die Räder zu bekommen.

Es geht wieder die SS125 hoch, die hier in die Berge führt, genau den gleichen Weg, den ich schon vor einer Woche zum Jannas gefahren bin. Außer mir sind schon mehrere Rotten deutscher Motorradfahrer unterwegs, und das mit meist Höchstgeschwindigkeit. Ich fahre zügig, werde aber zwei Mal davon überrascht, das der Rückspiegel eben noch leer war, aber plötzlich etwas hinter oder neben mir knattert.

Ich lasse die älteren Herrschaften auf ihren großhubigen GSen und KTMs gerne vorbei, denn so wie die hier um die Kurven fetzen, wäre mir das viel zu risikoreich. Hinter jeder Kurve können Steine auf der Straße liegen, oder eine Ziege, oder – wie Suse erzählte – ein deutsches Wohnmobil querstehen, weil der Fahrer es plötzlich für eine gute Idee hielt, auf der nicht einsehbaren Bergstraße zu wenden.

Ich KÖNNTE auch gar nicht die ganze Zeit so schnell fahren. So viel Konzentration hat niemand, lange Strecken mit so halsbrecherischer Geschwindigkeit zu fahren.

Aber gut, die knatternden Piloten sind halt auch nicht den ganzen Tag unterwegs. Ich habe es ja auf dem Campingplatz mitbekommen: Die schwingen sich unmittelbar nach der senilen Bettflucht auf ihre Kisten, heizen wie die Geisteskranken einmal die Bergstraße hoch, trinken oben einen Caffé, knattern mit allem was sie haben wieder zurück und sind nach zwei Stunden wieder zu Hause, um sich den Rest des Tages darüber zu unterhalten wie doll sie geknattert sind.

Heute Morgen sind alte Männer auf Moppeds oder Steine und Ziegen auf der Fahrbahn noch mein kleinstes Problem. In den Bergen stürmt es so, dass es mir wirklich zwei mal das Motorrad weghaut. Beim ersten Mal erfasst eine Windböe so plötzlich und mit solcher Kraft die Maschine, das mir der Lenker um ein Haar aus den Händen rutscht. Ich packe fester zu, und trotzdem legt es die Suzuki fast auf die Seite, als es zum zweiten Mal passiert. Dabei wird die Maschine auf die andere Straßenseite gedrückt – gut, dass hier gerade niemand ist.


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Frühling! Saisonstart 2023

Höret und preiset das Frühlingswiesel! Das Frühlingswiesel sorgt dafür, dass auch in diesem Jahr wieder Frühling ist! Hiermit verkündet es den Beginn der Motorradsaison! Der Winter war lang und kalt und dunkel, aber nun macht das Wiesel Frühling und gutes Wetter, dass es nur so kracht! Passt auf Eure morschen Knochen auf, fahrt vorsichtig und huldigt dem Frühlingswiesel!

Allerdings könnte sich das faule Wieseltier gerne ein wenig mehr anstrengen. Es ist immer noch kalt, die Natur im Tiefschlaf und Schneefall scheint stets näher als Sonnenschein.

Trotzdem habe ich gestern die beiden Damen aus ihrem Winterschlaf geweckt. Der Grund: Beide brauchen eine Hauptuntersuchung, gerade sind die Temperaturen knapp zweistellig und in etwas mehr als 10 Tagen fluten wieder die Saisonkennzeichenfahrer die Prüfstationen hier vor Ort. Also Batterien eingebaut und… nix ging.

Echt, ich HASSE es die Motorräder auszuwintern und das erste mal zu starten. Die ZZR, deren Vergaser leer sind, orgelt immer so lange rum, bis ihre Batterie wieder nahezu leer ist, erst dann lässt sich sich dazu herab, hustend und spotzend anzuspringen. Deshalb klemme ich immer gleich noch eine zweite dran. (Notiz an mich selbst für´s nächste Jahr: Auch den Choke wirklich komplett aufziehen.)

Irgendwann lief sie dann, und wird sich hoffentlich ab jetzt nicht mehr so Divenmäßig zickig geben.

Die V-Strom hat eine Einspritzanlage und ist daher pflegeleichter. Einfach auf den Starter drücken, läuft. Normalerweise. Dieses Mal sprang sie an, lief 30 Sekunden und ging dann einfach aus – und wollte nicht wieder anspringen.

Ich konnte die Benzinpumpe hören, die ordentlich nachlieferte, aber die Kiste wollte zunächst nicht wieder anspringen und öttelte und orgelte rum, als hätte sie sich das von der ZZR abgeguckt. Erst nach einer endlosen Minuten kam sie wieder, schüttelte sich und rappelte, lief dann aber.

Damit sind die Renaissance und die Barocca wieder am start, und ab morgen gibt´s dann neue Plaketten.

Saisonstart heißt auch: Nach einem halben Jahr Pause muss man sich als Fahrer erst wieder an die Physik eines Moppeds gewöhnen. Langsam rantasten, nicht gleich auf der letzten Rille heizen.

Für Autofahrer bedeutet das: Augen doppelt offen halten. Zweiräder sind wieder unterwegs, und mit ihrem Fehlverhalten ist zu rechnen – die Schergen sind zum Teil noch so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass man doppelt aufpassen muss. Achja, und blinken, blinken ist auch gut. Das gilt für alle.

Ich wünsche allen eine unfallfreie Saison!

Ich starte mit folgenden Kilometerständen in ein Jahr, das hoffentlich nicht so seltsam weitergeht, wie es begonnen hat.

Kawasaki ZZR600 Renaissance: 95.067
Suzuki DL650 V-Strom Barocca: 95.007

Kategorien: Ganz Kurz, Motorrad | 14 Kommentare

Reisetagebuch (9): La Pineta

Verlängerter Sommer auf Sardinien. Heute treffe ich eine bekannte Riderin, schlage Purzelbäume, verliere meine Brille und es gibt – Esel!

Montag, 26. September 2022, Il Canneto, Arborea, Sardinien

Als ich aufwache, ist es ganz still.
Still ist gut- dann regnet es wenigstens nicht, denke ich und lächele im Halbschlaf. Wenige Minuten später rauscht es auf dem Dach meines Hotelzimmers.

Regen.
Viel. Regen.

Ich seufze und stehe langsam auf. Im Gastsaal des Il Canneto ist die Bedienung von gestern Abend schon unterwegs. Gerade schaut sie mißmutig aus einem der großen Fenster. „Wetter ist ein bisschen schlecht, was?“, sage ich.

„Ein Bisschen? Bisschen viel, würde ich sagen“, grollt sie und stellt mir dann ein Cornetto und einen Doppio hin.

Ich lasse mir Zeit beim Packen, dann winde ich mich in die Regenklamotten. Als ich das Motorrad abreisebereit mache, regnet es gerade nicht. Man freut sich ja auch über Kleinigkeiten.

Ich versuche mich in die wasserdichten Handschuhe zu pfriemeln, aber die sind von der gestrigen Regenetappe noch so mit Wasser vollgesogen, das ich sie nicht über die Finger bekomme. Okay, dann ziehe ich eben die leichten Sommerhandschuhe an und schlüpfe mit denen in die „Schweinepfoten“, die dreifingerigen Regenüberhandschuhe. Tatsächlich setzt schon wieder der Regen ein, als ich losfahre.

Anna rechnet einen Kurs, der sehr ähnlich zu dem gestern ist – Nach Nordosten, in die Berge und bis Nuoro, was nördlich von Orgosolo liegt, dann wieder etwas nach Südosten bis nach Bari Sardo.

Ach man. Das heißt: Ich fahre zum guten Teil die selbe Quälstrecke wie gestern, nur mit ein paar langweiligen Abschnitten mehr dazwischen. „Zeig mir mal das Wetterradar“, sage ich mehr zu mir selbst als zu Anna und tippe auf dem Bildschirm des Zumos herum.

Anna kann sich Wetterdaten aus dem Netz holen und die auf die Strecke umrechnen (nach dem Motto: Da, wo Du um 14:00 Uhr sein wirst, wird folgendes Wetter sein) oder eine Projektion der aktuellen Wetterlage auf eine Karte legen.

Wunder der Technik, und zudem noch zuverlässig. Und ach, es gibt zwei Regengebiete. Eines von meinem jetzigen Standpunkt nach Nordwesten bis zum meinem heutigen Ziel, ein zweites von dort bis in den Südosten. Sprich: Genau auf meiner Route. Das macht doch so keinen Spaß!

Die nächste Tankstelle ist südlich vom Il Canneto, und als ich die Straße durch die Felder nach Arborea fahre und in den Rückspiegeln das Regengebiet im Norden sehe, durch das ich später durch muss, denke ich plötzlich: Warum eigentlich?

Warum soll ich mir diesen Mist noch einmal antun? Das macht doch keinen Spaß zu Fahren, und laut Anzeige ist der Regen in den Bergen fast so stark wie gestern.


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Kategorien: Motorrad, Reisen | 8 Kommentare

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