Heute passiert nichts, und für morgen gibt es keine Hoffnung

Heute passiert nichts, und für morgen gibt es keine Hoffnung

Heute Nacht sind Präsidentschaftswahlen in den USA. Diverse Medien bieten “Wahlnächte” mit Umfragen und Livetickern und -schalten und atemlosen Whatnot. Kann man sich alles sparen, denn: Heute passiert nichts. Das Wahlergebnis wird nicht heute Nacht feststehen und auch nicht morgen früh. Vielleicht dauert es bis Januar, bis eine Entscheidung gefällt ist.

Was heute passieren wird: Gegen Mitternacht US-Zeit (also ca. 8:00 Uhr morgen früh bei uns) wird Trump nach Hochrechnungen und ersten Auszählungen in einigen der wahlentscheidenden Bundesstaaten vorne liegen. Daraufhin wird er seinen Wahlsieg verkünden und ins Bett gehen.

Doof: Zu diesem Zeitpunkt sind noch lange nicht alle Stimmen ausgezählt. Vor allen Dingen nicht alle Stimmen für Harris. Wähler:innen der Demokraten nutzen nämlich gerne die Briefwahl, und in etlichen der Staaten wurde das Wahlrecht durch die Republikanische Partei so geändert, dass Briefwahlstimmen erst nach den Stimmen aus den Wahllokalen gezählt werden.

Was dann am nächsten Morgen passiert: Entweder Trumps Sieg wurden in den Einzelstaaten bestätigt ODER durch die Auszählung der Briefwahlstimmen liegt nun Harris vorne. In letzterem Fall werden die Republikaner “Wahlbetrug” schreien und es wird erneute Auszählungen geben. In einigen Staaten wurden die Prozeduren für Neuauszählungen von den Republikanern dermaßen kompliziert gestaltet, dass sie sich über Wochen hinziehen können. Allein die lange Nachzählzeit eröffnet dann die Möglichkeit, “Irregularities” zu vermuten, Klagen zu starten und letztlich die Entscheidung über die Wahl den Gerichten zu überlassen. In letzter Instanz dem Supreme Court, in dem mehrheitlich Trump-Gefolgsleute sitzen.

Ebenso kann der republikanische Senat die Anerkennung des Wahlergebnisses verweigern und die Entscheidung dem Kongress überlassen. Bei dem dann folgenden Wahlprozedere würden die Republikaner aktuell gewinnen, weil sie die Mehrheit der Einzelstaaten haben. Es wird übrigens vermutet, dass Trump die Vorbereitungen auf dieses Szenario meinte, als er von “Unserem kleinen Geheimnis” zwischen ihm und dem Führer des Kongresses sprach.

Mit anderen Worten: Die Republikaner erringen schon lange (schon seit dem Jahr 2000) nicht mehr die Mehrheit der Wahlstimmen in den USA, aber bislang hat ihnen das Wahlsystem in die Hände gespielt. In den letzten Jahren haben sie daran gearbeitet, dass es nun fast völlig egal ist wie die Bevölkerung abstimmt, sie gewinnen trotzdem.

Die Folgen mag man sich nicht ausmalen. Gewinnt Trump, beginnt der Austausch des Beamtenapparats gegen Trump-Getreue und der Staat wird mit Hilfe von Milizen wir den “Proud Boys” ethnische Säuberungen durchführen. Die USA werden ein faschistischer Staat, der auch seine Funktion als Schutzmacht gegenüber Europa oder Taiwan nicht mehr ausüben wird.

Verliert Trump trotz aller Manipulationen und Klagen, werden seine Anhänger mit Waffengewalt “ihr Land zurückholen”.

So oder so, ich sehe keinen Grund zur Hoffnung. Die Zukunft ist düster, aber heute Nacht wird sie nicht entschieden.
Falls ich mich irre, würde ich mich sehr freuen.

[Nachtrag: Ging doch sehr schnell mit der Entscheidung. Trump ist Präsident. Fast mit einem Erdrutschsieg. Dann haben es die Amerikaner nicht anders gewollt und verdient – Vollgas zurück in die 1950er und in den Faschismus.]

Momentaufnahme: Oktober 2024

Momentaufnahme: Oktober 2024

Herr Silencer im Oktober 2024

“Summimasen, watashi wa doitsunindesu. Watashi wa nihongo o hanasemasen.”

Wetter: Anfang des Monats in Tokyo mit tags wie nachts 25 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit sehr schweißtreibend. Ende des Monats Regen und mit 12 bis 15 Grad deutlich kühler.


Lesen:

Jason Schreier: Play Nice. The Rise, Fall, and Future of Blizzard Entertainment
Der Titel sagt es schon: Die Geschichte des Gamestudios Blizzard, das weltweit erfolgreiche Spiele wie Warcraft, World of Warcraft, Starcraft, Diablo oder Overwatch macht. Nachgezeichnet wird die Unternehmensgeschichte von den Anfängen als Anhängsel eines Verlags für Lernmedien, über die Zeit unter Activison und die Knechtschaft unter Bobby Kotick bis hin zur Übernahme durch Microsoft im vergangenen Jahr und der enttäuschten Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Jason Schreier ist der Starjournalist der Gamingszene, und ich liebe seine Berichte bei Kotaku bzw. Bloomberg und sein erstes Buch, das grandiose “Blood, Sweat and Pixels”. Aus dem stammt das Zitat:

“Hier ist eine andere Theorie: JEDES Videspiel wird unter Ausnahmebedingungen produziert. Wie auch sonst? In Videospielen kommt Kunst und Technik zusammen, und beides ändert sich zu schnell um planbar zu sein. Es ist, als ob man jedes Mal, bevor man einen Film dreht, eine neue Kamera erfinden muss. Und während man filmt, wird jeden Tag das Drehbuch umgeschrieben.”

Der Nachfolger, “Press Reset”, war dann schon nicht mehr ganz so dolle. Trotzdem: Schreier wirft Detail- und Kenntnisreiche Blicke hinter die Kulissen. Die Bücher sind dabei in Kapitel gegliedert, jedes widmete sich einem Game bzw. einem Studio. Das war mir oft ein wenig zu kurz, bei manchen der Insiderstories hätte ich mir einen längeren Text gewünscht.

Den gibt es hier, das gesamte, 400 Seiten starke Buch widmet sich ausschließlich Blizzard, einem der wichtigsten und vielleicht das erfolgreichste Gamestudio der Welt – und ausgerechnet der Firma, von der ich noch nie ein Spiel gespielt habe. Macht aber nichts, ich kann auch so Spaß daran haben, hinter Kulissen zu blicken und zu erfahren, wie Firmen ticken und wie ihre Produkte entstehen. Dachte ich.

Leider ist dem nur zum Teil so. Der Spaß geht mir ab, wenn Schreier Blizzard kontinuierlich als einen Laden beschreibt, der als Bro-Bude anfängt und dessen Gründer beim ersten Winken mit Geld in Sportwagen rumfahren, während sie ihrer Belegschaft erzählen, dass man leider, leider keine Löhne zahlen kann, von dem die Angestellten leben könnten. Aber man arbeite ja für Rum, Ehre und SPASS bei Blizzard. Das ist ab Anfang unerträglich, wird aber bis kurz vor Ende des Buches von Schreier als etwas einzigartiges und Tolles gezeichnet – erst in der späten Activision-Phase und im Zusammenhang mit den Gerichtsverfahren wegen Sexorgien in der Führungsriege des Unternehmens wird der Ton skeptischer.

Man merkt dem Buch an, wieviel Arbeit darin steckt und wie viele Interviews Schreier geführt hat. Aber auch das ist irgendwann ein Problem, wenn der Autor sich in der Masse an Quellmaterial verheddert. Wenn auf jeder zweiten Seite fünf neue Personen eingeführt werden, deren Leben und Karriere irgendwann später oder nie wieder aufgegriffen wird, geht irgendwann Übersicht und roter Faden flöten. Vermutlich hätte es dem Ganzen gut getan, wenn man sich entweder stärker auf die Firmengschichte oder die Entstehung der Games oder auf die Stories der Personen konzentriert hätte und die anderen Bereiche jeweils kürzer gefasst hätte. So wandert der Fokus hin und her und macht es manchmal nicht einfach den, häufig nicht chronologisch erzählten, Stories zu folgen.

In Summe ein interessantes Buch, das aber seltsam ambivalent rüberkommt: Begeisterung bzw. deplatzierte Neutralität gegenüber einem ausbeuterischen Scheißladen, der nie so benannt wird und die Geschichten von Personen und Spielen, die leider in zu vielen persönlichen Details absaufen. Oder anders: Über Blizzard hätte ich gerne weniger gewusst. Als nächstes bitte Ubisoft oder Ryu Ga Gotoku, Herr Schreier.

Saskia Fröhlich: Introvertiert – Na und?
Was bedeutet es, introvertiert zu sein? Was unterscheidet introvertierte und extrovertierte Persönlichkeiten, wie sind die Bedürfnisse? Was für Mythen gibt es? Wie wirkt sich Introvertiertheit in Partnerschaften aus? Wie kann man mit Introvertiertheit in bestimmten Situationen umgehen?

Saskia Fröhlich ist selbst heftig introvertiert, gleichzeitig eine wirklich gute Comedienne und bekannt auf TikTok und Youtube. Tatsächlich hatte ich beim Lesen die ganze Zeit ihre Stimme im Kopf (“Willkommen in meiner kleinen Scheiß-Drecksküche!”), was absolut passend ist – denn das Buch ist so geschrieben, wie Saskia sich in ihren Videos gibt.

Die Erklärungen zu Introvertiertheit (Sie verwendet den Begriff “Introversion”, der macht mir Brrr) sind gut und amüsant zu lesen, zumal auch viele persönliche Situationen geschildert werden. Das persönliche ist eine Stärke und gleichzeitig eine Schwäche des Buchs.

Mir hat ein Blick über den Tellerrand des persönlichen Erlebens gefehlt, oder zumindest ein etwas deutlicherer Hinweis darauf, dass Introvertiertheit ein Spektrum darstellt: Sie kann sich so krass wie bei Saskia äußern, muss es aber nicht. Eine grobe Skala wird lediglich im Kapitel über Partnersuche erwähnt. Da die unterschiedlichen Ausprägungen von Introvertiertheit aber echt wichtig sind, werden jetzt viele Introvertierte da draußen ins Grübeln kommen – ich mag Partyspielchen, bin ich jetzt doch nicht introvertiert?

Flockig zu lesen und die Zielgruppe, jüngere Introvertierte, finden hier Erklärungen zu ihren Bedürfnissen und beruhigende antworten auf die Frage “Stimmt mit mir etwas nicht, wenn ich Zeit für mich brauche und mich soziale Situationen erschöpfen?” . Als gefestigterer Mensch erfährt man (vermutlich) wenig Neues über sich selbst.


Hören:


Sehen:

Die junge Frau und das Meer [JAL, auch Disney+]
New York, 1926: Gertrude Ederle ist die Tochter eines deutschen Einwanderers. Deshalb kann sie etwas, was amerikanische Mädchen nicht können: Schwimmen. Und das sogar so gut, dass sie trotz widrigster Umstände Goldmedaillen erschwimmt. Dann setzt sie sich in den Kopf den Ärmelkanal zu durchqueren. Dass sie das Potential dazu hat, macht ihren Trainer, dessen großer Traum auch die Kanalquerung ist, neidisch – keine guten Voraussetzungen.

Faszinierender Film, der die Diskriminierungen zeigt, denen Frauen vor 100 Jahren ausgesetzt waren. Um das zu tun und damit Trudes Leistungen gebührend zu würdigen flunkert er hier und da bei der Story – auch dort, wo es eigentlich nicht nötig wäre. Schade, sowas verdirbt mit ein Biopic immer ein wenig. Spielt aber keine große Rolle, am Ende habe ich trotzdem geheult. Hervorragende Ausstattung, wundervoll gefilmt, Daisy Ridley in sehr guter Form.


Spielen:


Machen:
Den Monat in Japan verbringen.


Neues Spielzeug:


Ding des Monats:


Archiv Momentaufnahmen ab 2008

Digitale Bettelei

Digitale Bettelei

Bevor es auf einen eigenen Server umgezogen ist, lag dieses Blog 16 Jahre lang bei WordPress.com, der gehosteten Version der Firma Automattic. Nach dem Umzug auf einen eigenen Server ließ ich die Automattic Version noch am Leben, kündigte aber den Premium-Tarif und alle Speichererweiterungen. Und was macht Automattic nun? Das hier!

Ja echt! Die betteln ALLEN ERNSTES zufällige Besucher an, ob die nicht die Tarifverlängerung an meiner Stelle bezahlen wollen! WAS ERLAUBE WORDPRESS.COM?!

So nicht. Silencer137.wordpress.com sieht ab jetzt so aus:

Man. Wo kommen wir denn da hin.

Nachtrag:
Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Anscheinend sind in vielen alten Artikeln noch absolute Pfade auf das Bilderverzeichnis im alten Blog gesetzt. Die wären alle kaputt, stünde das alte Blog jetzt weiterhin auf privat. Seufz. Da brauche ich wohl mal professionelle Hilfe.

Momentaufnahme: September 2024

Momentaufnahme: September 2024

Herr Silencer im September 2024

“Mache ich, wenn die Zeit dafür gekommen ist!”

Wetter: Anfang des Monats sommerlich heiß mit 25 bis 30 Grad, dann stürzen die Temperaturen auf tagsüber 15 und nachts einstellig. Gebietsweise viel Regen – in Osteuropa so viel und so schlimme Überschwemmungen wie noch nie. Monatsende winterlich kühl bei 6 Grad.


Lesen:

Petra Reski: All´Italiana: Wie ich versuchte, Italienerin zu werden
Italienische Staatsbürgerin werden oder nicht? Diese persönliche Frage der venezianischen Journalistin Petra Reski bildet die Rahmung für einen Streifzug durch die Zeit. Der ist manchmal persönlich und erzählt von ihrer Ankunft, Sozialisierung und Arbeit in Italien, begleitet aber auch die die politischen Geschehnisse des Landes von den 1990ern bis heute: Die Mafiamorde an Borsellino und Falcone, erinnerungswürdige Interviews und immer wieder der Würgegriff von Berlusconi sind chronologisch aufbereitet und erlauben tiefe (und zum Glück wertende!) Einblicke in ein Italien, das so in der deutschen Wahrnehmung selten stattfindet.

Hier wird kein “Bella Italia” verklärt oder “Azurro”-vernebelten Wohlfühlanekdoten nachgehangen. Reski findet im Schlimmen immer noch das Schlimmere, resigniert erstaunlicherweise aber nie. Auch dann nicht, als deutsche Gerichte die Zensur ihres Buchs über Mafia in Deutschland anordnen.

Faszinierend, toll geschrieben, kurzweilig und: Zu kurz.


Hören:


Sehen:

Wolfs [2024, Apple TV+]
George Clooney beseitigt Probleme und Hinterlassenschaften anderer Leute. Schnell, diskret, keine Fragen. Niemand tut und kann, was er tut – denkt er. Bis eines Nachts Brad Pitt im Türrahmen steht und den gleichen Auftrag hat wie Clooney: Eine Leiche verschwinden lassen.

Überraschender wie stylisher Thriller, der sich und seine Protagonisten nicht ganz ernst nimmt. Regisseur und Drehbuchautor John Watts weiß ganz genau, was seine Stars können und was er von ihnen will, und Clooney und Pitt liefern. Immer wieder findet hier Kommunikation nur über Blicke oder bedeutungsschwangeres Schweigen statt. Die Verdichtung der Handlung auf eine Nacht in einem winterlichen, Max-Payne-artigen New York ist ein hervorragender Kniff. Spannender und ungemein cooler Film, und der erste, der mich allein durch eine Kameraeinstellung zum Lachen brachte.

John Sugar [2024, Apple TV+]
Colin Farrell ist ein knallharter Privatdetektiv in Los Angeles. Sein Auftrag: Eine entführte Millionenerbin finden.

Neo-Film Noir in modernem Setting, mit einem Colin Farrell, der mal wieder cool sein darf und nicht die ganze Zeit guckt, als hätte er Verstopfung? Count me in, ich LIEBE Film Noir. Von “John Sugar” allerdings fühle ich mich betrogen. Unique Selling Point beim Pitch war wohl ein Genremix, und dass….

SPOILER!
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…die Geschichte kurz vor Schluss darin abgleitet, dass John Sugar und seine Partner allesamt Außerirdische vom Planeten Pups sind und nur nach Hause wollen Das ist eine lustlose wie merkwürdige Auflösung.
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Spoilerende!

In der Summe: Bis Folge sechs verworren erzählte Geschichte, die kurz vor knapp mit einem Deus Ex Machina-Moment aufgelöst wird, der so herbeihalluziniert wirkt als hätte eine KI nicht nur der Vorspann gemacht, sondern auch das Drehbuch geschrieben. Bäh.

Stranger than Fiction [2006, BluRay]
Will Ferell ist kleiner Beamter beim Finanzamt. Er lebt allein, in einem geordneten, sich stets wiederholenden Leben. Das wird durcheinandergebracht, als er eines Tages eine Stimme hört, die jede seiner Handlungen beschreibt und sogar seine Gedanken ausspricht. In seiner Not wendet er sich an Literaturprofesssor Dustin Hoffmann, der zu dem Schluss kommt: Ferrell ist eine literarische Figur. Jetzt muss er nur noch den Autor finden, der seine Geschichte schreibt.

Netter kleiner Film, der nicht überraschend ist, aber zum Ende hin mit einem tollen Dilemma aufwartet. Ich mag Will Ferrell eigentlich nicht, aber hier spielt er ernst und überzeugend. Der Rest des Casts ist großartig: Magie Gyllenhaal ist fantastisch und Dustin Hoffman liebt seinen knarzigen Professor. Nur Emma Thompson overacted ins schwer erträgliche, aber nun.


Spielen:


Thank Goodness you´re here![2024, Switch]
Ein viel zu kleiner Handlungsreisender kommt in eine kleine Stadt und muss für die Bewohner zahlreiche Aufgaben erledigen.

Trailer:

Skurriles, kleines Game mit abwechslungsreichen Minispielchen. Teils sehr lustig, manchmal ärgerlich, weil man stundenlang die Wimmelbilder auf der Suche nach der nächsten Aufgabe absuchen muss.

Star Wars Outlaws [2024, PS5]
Vor “A New Hope”: Kay Vess ist eine junge Hackerin und Diebin. Sie träumt vom Coup und einem eigenen Schiff, um endlich ihren Heimatplaneten verlassen zu können. Tatsächlich bekommt sie die Gelegenheit zu einem großen Bruch, aber der geht schief und sie flüchtet in einem Privatraumschiff des Verbrecherkönigs, den sie ausrauben sollte. Jetzt hat sie zwar ein Schiff, aber dafür Kopfgeldjäger am Hacken und jede Menge anderer Probleme. Bleibt nur: Eine kriminelle Karriere als Outlaw einschlagen und Jobs in den heruntergekommensten Kaschemmen des Outer Rim annehmen.

Auf dem Papier ein interessantes Ding: Ein Star Wars Game mit einer Open World, aber ohne Jedi. Spieltechnisch hat UbiSoft hier ein Assassins Creed im Weltraum gebaut, mit starkem Stealth-Anteil.

Zum Release erschien das Game leider sehr buggy. Figuren glitschen durch Wände, Speicherpunkte sind absurd weit auseinander, Kletterpassagen manchmal Glücksspiel. Ein halbes Jahr Polish hätte dem Spiel gut getan, um zumindest diese Unschönheiten zu beseitigen.

Das hätte freilich nichts an den Gameplay- und Storyschwächen geändert. Der Start ist erzählerisch äußerst schwach und zieht sich ewig hin. Ich kann jeden verstehen, der nicht über den Prolog hinauskommt – das Spiel präsentiert sich zum Einstieg als so langweilig, dass man sich fragt, warum man seine Zeit damit verbringen soll. Zumal es oft nicht hübsch ist: Unbewegliche Holzgesichter und teils steife Animationen lassen einen unweigerlich fragen, warum Ubisoft selbst mit der neuen SnowDrop-Engine überhaupt keinen Wert auf sowas legt.

Wenn die Story losgeht wird es zwar besser, aber dann schlägt auch die Open World mit all ihren Schattenseite zu: Kay wird mit Aufträgen derart vollgeschissen, das es nicht mehr lustig ist. Es gibt drei Verbrechersyndikate, und wenn man für ein Syndikat arbeitet, werden die anderen Fraktionen sauer. Um alle bei Laune zu halten, muss man sich in Such- und Fetch-Quests den Arsch abzuarbeiten.

Dabei ist keine der Aufgaben in “Outlaws” einfach. Selbst für eine simple Aufrüstung des Blasters muss man halb Tatooine absuchen, bis man endlich einen (ständig den Standort wechselnden) Java findet, für den man dann wieder eine halbe Stunde irgendwelchen Blödsinn machen muss, bis man endlich das das benötigte Teil aus ihm rausschütteln kann.

Was das Gefühl des “Ich spiele hier nicht, das ist ARBEIT” angeht, sind die Hauptmissionen allein schon schlimm genug: Die Questketten sind zwar meist nett gemacht und gut geschrieben, aber VIEL zu lang.

Beispiel: Kay braucht einen Mechaniker. Um den zu bekommen, müssen wir:
– auf einen Planeten fliegen,
– eine Stadt erkunden,
– 10 Minuten im Dschungel nach dem richtigen Weg suchen,
– in eine imperiale Basis einbrechen,
– ein Rätsel lösen,
– den Mechaniker brefreien,
– wieder 10 Minuten durch den Wald fahren,
– eine Info suchen und finden,
– 10 Minuten durch den Wald fahren,
– einen Schrotthändler suchen und befreien,
– 10 Minuten über einen See fahren,
– des Schrotthändlers Schrott finden,
– 5 Minuten den Schrott des Schrotthändlers verfolgen, der von fliegenden Schrotthändlerschrottdieben geklaut wurde,
– in ein Syndikatscamp einbrechen,
– 10 Minuten über einen See fahren,
– in eine imperiale Basis einbrechen,
– ein Rätsel lösen,
– ein Feuergefecht überstehen
…und SCHON ist der Mechaniker bei uns. Easy, oder?

Das ist leider ein Muster. Nichts in “Outlaws” ist einfach, immer kommt noch mehr um die Ecke geschissen. Dadurch stellt sich auch kein “Ach, nur noch eine Mission”-Gefühl ein, weil an jedem vermeintlich kleinen Ding ein stundenlanger Rattenschwanz hängt. Keine Quest ist kurz und auf den Punkt, alles ist endlos kompliziert und dauert viel zu lange.

Ja, das fühlt sich so nach Arbeit an, wie es klingt. Oder man ignoriert den ganzen Bumms und die Fertigkeitenbäume und die Schiffs- und Speeder- und Ausrüstungsbäume und konzentriert sich nur auf die Hauptgeschichte. Das geht nämlich. Der Preis dafür: In der Endmission hat man es deutlich schwerer, und ohne eine Syndikatsbindung rutscht man in ein recht generisches oder sogar schlechtes Ende. Das sagt einem das Spiel aber nicht! Wüsste man, WARUM man endlos Zeit in die Aufrüstung von Schiff, Blaster und Syndikatquerelen stecken sollte, wäre das ja OK. So aber begreift man nicht, warum man abseits der Hauptstory überhaupt irgend etwas machen sollte.

Wenn wenigstens das Gameplay knackig wäre und Spaß machen würde! Das tut es aber nicht: Die Fahrzeuge, allen voran der Speeder, steuern sich schrecklich. Kletterpassagen sind unpräzise. Shooterpassagen funktionieren nur mäßig, weil das Deckungssystem schlecht ist und die Medipacks ewig brauchen um auszulösen (was man aufleveln kann, wenn man genug Javas schüttelt, aber auch das muss man sich erarbeiten). Der Controller ist so schlimm belegt, dass die Spielfigur statt zu laufen häufig mitten im Feuergefecht anfängt zu schleichen. Die Levelarchitektur ist so verwirrend, das ich des Öfteren auf Youtube gucken musste, wo der Ausgang aus einem Raum ist. Und die Schleichpassagen sind repetitiv, zu häufig und bei etlichen Missionen muss man ganz von vorn anfangen, wenn kurz vor Levelende ein Alarm ausgelöst wurde. Im Gamedesign aus der Hölle stecken sogar noch Eskortmissionen, was mich laut “Wollt ihr mich hier eigentlich verarschen??” rufen ließ.

Also alles schlimm? Erstaunlicherweise hatte ich doch ein wenig Spaß mit “Outlaws”. Die Umgebungen, Planeten, Städte und Raumschiffe sind toll designed und vermitteln echtes Star Wars-Flair. Endlich mal kein Jedi zu sein ist cool, Kay und die anderen Figuren (übrigens fast allesamt weiblich, egal welcher Spezies) sind interessant gestaltet, auch wenn sie wenig Charakter haben und keine Entwicklung durchmachen.

Nix, das fluffige Haustier, das aussieht wie eine Miniausgabe von Toothless aus “How to tame a Dragon”, ist nicht nur niedlich, das kleine Viech kann Wachen ablenken, Dinge stehlen und Kabel durchbeißen und so Explosionen auslösen. Das ist nett und macht Spaß. Und gegen Ende, auf die letzten zwei von 27 Stunden, wird sogar die Geschichte ganz gut.

In der Summe ist “Outlaws” ein extremer mixed Bag. Manche Systeme sind völlig overengineered, wie die Abendessen mit Haustier Nix, andere liegen in Trümmern, wie das Speederbike-Fahren. Überall blitzen feine Ideen durch, wie die, dass man Dinge von Personen lernt, die man trifft – eine nette, wenn auch mühselige Variante der Skilltrees. Wenn nur die Arbeit in der Open World nicht wäre! Ich behaupte mal: Ohne dieses ganze offene Gedöns und als lineares Spiel a la “Uncharted” hätte “Outlaws” besser funktioniert. So schimmert an vielen Stellen das Potential durch, was dieses Game hätte sein können und sollen – aber alles ist erstickt in Open-World-Beliebigkeit und roh wegen des fehlenden Polishings.

Alles kein gutes Zeichen für “Assassins Creed Shadows”. Aber das wurde auch gerade um vier Monate verschoben, lt. Ubisoft wegen der “Learnings aus dem Start von Outlaws”. Der hatte tatsächlich die Ubisoft-Aktie abstürzen lassen.


Machen:
Arbeiten, lang und schmutzig
ein letztes Mal DAS HAUS betreten


Neues Spielzeug:


Ding des Monats:


Archiv Momentaufnahmen ab 2008

Herbst! Saisonende 2024

Herbst! Saisonende 2024

Also höret und lobet das Herbstwiesel,
das Euch wissen lässt,
dass nun die Zeit für lange Abende bei Filmen, Serien, guten Büchern und Heißgetränken der eigenen Wahl angebrochen ist!

Auf das alles kuschelig sein möge und gemütliches Einmuckeln zelebriert werde!
Auf der Couch rumliegen und Videospiele spielen ist nun keine Sünde mehr,
denn die Zeit des Motorrads ist für dieses Jahr vorbei!
Preiset das Herbstwiesel, das die Blätter bunt anmalt und alles gemütlich werden lässt!

Die Motorradsaison 2024 ist mit dieser Proklamation offiziell beendet.
Wer jetzt nicht mehr fährt, muss kein schlechtes Gewissen haben. Der Segen des Herbstwiesels entbindet Euch vom Drang, nochmal auf´s Mopped zu müssen.

Die Ode an das Herbstwiesel beendet eine Saison, die wirklich wechselhaft war.
Die Renaissance und die Morrigan schlafen nun dem Frühling entgegen und träumen vom März, wenn es wieder losgeht.

Bei mir geht ein sehr interessantes Motorradjahr zu Ende. Im Februar bekam ich die Gelegenheit, eine neue V-Strom 800 zu kaufen – was ich spontan tat und damit gegen meine eigenen Regel (“Ich kaufe keine Neufahrzeuge”) verstieß.

Die Barocca, die treue 2011er V-Strom 650, wurde vom Händler im Kundenauftrag nach Polen verkauft. 1.600 Euro hat die 12 Jahre alte noch gebracht. Ausschlaggebend für den geringen Preis: Mit 108.000 Kilometer wollte kein Privatkäufer die mehr haben. Schade, die Barocca lief ja quasi nur Langstrecke und war perfekt gepflegt, in dem Zustand hätte sie auch die 200.000 erreicht.

Die neue V-Strom wurde erstmal auf- und ausgerüstet. Das kostete viel Geld, aber da ich genau dafür schon seit Jahren spare, war das kein Problem.

Ein erste Testfahrr von 4.500 Kilometern führte in den Tosco-Emilianischen Apennin und die Abruzzen. Unterwegs hatten wir alles: Kälte, Hitze, Starkregen. Machte sie alles klaglos mit. Bislang präsentiert sich die V-Strom 800 als feines Motorrad.

Viel Spaß hatte ich auch wieder mit der Renaissance, der ZZR 600. Der Sommer ließ lange auf sich warten, bis Mai war es kalt und bäh. Als er dann zaghaft hervorlugte, nutzte ich die Renaissance für Kurzstrecken. Ein Stadtflitzer mit 100 PS, das macht schon Spaß.

Die Kurzstrecken erklären aber nicht dem exorbitanten Spritverbrauch: Die Dame schluckt gerade 0,8 bis 1,3 Liter auf Hundert Kilometern mehr als vor der Inspektion, bei der das Ventilspiel eingestellt wurde. Da stimmt was nicht.

Leider hatte ich keine Zeit danach schauen zu lassen, denn als im Juli ein Truck den Aygo von der Straße rammte, war ich ohne Auto und die ZZR plötzlich das Brot- & Butterfahrzeug. Egal ob zur Arbeit bei jedem Wetter oder zum Einkaufen – jeder Weg wurde mit dem Motorrad gemacht, das fühlte sich wieder an wie in Studentenzeiten.

Anfang September gingen die Temperaturen schlagartig von Hochsommerlich auf kühler Herbst runter, und am 14.09. wurde die ZZR schlafen gelegt. Dann folgte noch einmal eine Woche Spätsommer, mit feinen 20-24 Grad und Sonnenschein, aber da ich in Kürze verreise, musste nun auch die V-Strom 800 in den Winterschlaf.

Diese Saison ist ohne Unfall oder Verletzungen ausgegangen. Die ZZR ist im Stand sanft abgelegt worden, weil sich der Seitenständer beim Absteigen eingeklappt hat, aber da haben weder Sie noch ich drunter gelitten. Von daher zählt das nicht. Kein Unfall, keine Schäden, keine Blessuren – ein Grund dankbar zu sein. Denn dazu gehört neben dem Glück, das man selbst macht (auch bekannt als Übung, Können und vorausschauender und vorsichtiger Fahrweise) eben immer auch eine gute Portion Zufall.

Nun ist es wieder Zeit für Statistik, einfach mal die Daten der Motorräder angucken und wirken lassen.

Die Detailaufstellungen folgen nach dem Klick. Wer sich Einzelheiten angucken möchte, findet die Daten beider Maschinen online:

Suzuki V-Strom 800 Morrigan bei Spritmonitor.de
Kawasaki ZZR 600 Renaissance bei Spritmonitor.de
Suzuki DL650 Barocca bei Spritmonitor.de

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Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

Kein Reisetagebuch (8): Nicht Vergnügungssteuerpflichtig

Kein Reisetagebuch. Heute mit saudummen Strecken und einem Wurstopus. Außerdem: Kurz vor dem Ziel ist immer der Punkt, an dem man den Boden unter den Füßen verliert – und das Motorrad bekommt einen Namen.

Samstag, 20. Juli 2024, Villa Maria Luigia, Veneto
Sara hatte recht. So sonnig und heiß das Wetter gestern war, in der Nacht hat es heftig gewittert und geregnet. Jetzt ist die Luft erträglicher. Die V-Strom steht trocken und behütet unter ihrem Pavillon auf der Terrasse.

Nach einem kurzen Frühstück verabschiede ich mich von der Familie und mache ich mich auf die Socken. Heute ist Samstag, es ist Hauptferienzeit und ich will möglichst tief in den Alpen sein, bevor die Urlauber aus ihren Betten gekrochen kommen und die Straßen verstopfen.

Durch den Vorgarten der Villa geht es hinaus auf die Strada Statale, die noch feucht ist vom Regen.

Der Plan geht leider nicht auf. Schon bei Belluno, das am Eingang zu den Alpen liegt, ist die Straße gesperrt und auf der Umleitung schon gefühlt JEDER Urlauber unterwegs. Ich mogele mich so gut es geht am Stau vorbei.


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My Dirty Hobby (4): Es wird Herbst

My Dirty Hobby (4): Es wird Herbst

Kurzer Zwischenstand vom Balkon:

Die Prunkwinde ist verblüht und präsentiert sich nun als langsam in sich zusammensinkender Haufen Biomasse. Interssant: Sie bildet kleine, trockene Lampions in denen Samen sind.

Prunkwinde für kommendes Jahr ist also gesichert!

Kiwi Jenny II hat es nicht überlebt. Die hat mittendrin einen Rappel bekommen und ist braun geworden. Weniger gießen, mehr gießen – hat alles nichts gebracht. Offensichtlich war diese Jenny nicht hart genug für den Balkon.

Die Feigen kommen überhaupt nicht mehr von der Stelle. Mauro schätzte, dass die noch zehn Tage brauchten bis sie reif wären – das war vor einer Woche. Die werden nicht mehr größer oder weicher, die hängen nur so rum. Enttäuschend.

Die Erdbeeren wuchern immer noch und produzieren vereinzelt eine wohlschmeckende Frucht.

Seltsam: Die Blumenwiese blüht noch wie verrückt…

…und der Jasmin blüht und wuchert, wie er es im Juli hätte tun sollen. Vielleicht merkt man daran, dass es bis Mai richtig kalt war – den Pflanzen fehlt ein Monat Sommer. Aber Pflanzen sind halt kleine Trottel.

Jetzt noch mit blühen loszulegen ist irgendwie dumm, es stehen die ersten Nachtfröste vor der Tür. Hält aber den Oleander auch von nichts ab.

Der japanische Maulbeerenbaum dämmert vor sich hin, genau wie Agathe, die sich mit ihm ja (noch) den Topf teilt. Aber nicht mehr lange, der Baum braucht viel Wasser, Agathe nicht, eine denkbar schlechte WG.

Der Supermarkt-Basilikum ist im Hochbeet zu einem veritablen Busch geworden, der nun gerodet und in die Küche verpflanzt wurde.

Comeback des Jahres nach wie vor: Die Rainbow-Chili. Die war fast völlig tot, jetzt ist sie wieder ein kleiner, farbenfroher Busch voller bunter Früchte.

Ältere Folgen

Kein Reisetagebuch (7): Serienduscher

Kein Reisetagebuch (7): Serienduscher

Keine Reisetagebuch. Heute mit unseligen Tunnels, unsichtbaren Gefahrenlagen und unerklärlichen Fehlfunktionen meines Körpers. Es wird schmutzig.

Freitag, 19. Juli 2024, La Vecchia Fontana, Abruzzen.
Der Ablauf ist immer der gleiche. Die Schwingtür zur Küche fliegt auf, Mauro kommt herein, stellt etwas zu Essen auf den Tisch, sagt oder fragt etwas und verschwindet dann wieder. Eine halbe Minute später fliegt wieder die Schwingtür auf und es geht weiter.

So füllt sich das Tischchen vor mir rasant mit leckersten Dingen: Selbstgebackene Cialde (Waffeln), Torta (Kuchen), Biscotti (Kekse), ein Teller mit frisch geschnittenen Aprikosen, Feigen und Äpfeln aus dem eigenen Anbau, ein undefinierbarer Krapfen mit einem Schlag Sahne drauf, Toast, handgemachte Konfitüre und und und, bis ich fast verzweifelt rufe “Stop! Ich kann nicht den ganzen Tag essen, ich muss los!”

“Was soll das heißen, Du musst los?”, ruft Anna und steckt den Kopf aus der Küche.
“Mamma, er bleibt dieses Mal nur eine Nacht”, erklärt Mauro.
“Genau, heute muss ich in die Nähe von Venedig”, sage ich.
Mauro überlegt. “Das sind wie viele Kilometer? 600?”
Ich nicke. “Ungefähr, ja.”
“Na, dann los. Vai! Vai!”

Ein letztes Abschiedsfoto mit dem Team “La Vecchia Fontana“, eine feste Umarmung, dann schwinge ich mich auf die V-Strom, heize den Bröckelweg hinauf und schwenke auf die schmalen Bergstraßen. War nur ein ultrakurzer Besuch, aber auch kurze Besuche erhalten die Freundschaft – und es ist schön zu wissen, dass das hier ein Ort ist, an dem ich willkommen bin und an den ich mich jederzeit zurückziehen kann, wenn mir danach ist.

Dadurch, dass die Vorgebirgslandschaft hier von tiefen Furchen durchzogen ist, ist die Straßenführung abenteuerlich kurvig. Aber nicht im guten Sinne von “Geile Kurven und Mopped, großer Spaß”. Eher “Mist, eine Minikurve an der nächsten, superschmale Straße”. Man muss echt aufpassen und langsam fahren. Dreißig Stundenkilometer sind schon schnell, zwanzig und weniger die Regel. Man kommt quasi nicht vom Fleck.

Immerhin ist die Landschaft schön:


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Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch (6): In der Heißluftfriteuse

Kein Reisetagebuch. Heute erfahre ich, dass ich berühmt bin. Es wird viel geflucht. Mein Orientierungssinn begibt sich auf Abwege. Ich sitze unvermittelt in einer Heißluftfriteuse. Habe eine Erkenntnis. Ein faschistischer Berg geht den Bach runter. Ach ja, und Annas Hund fährt Auto. ES WIRD EIN LANGER TAG.

18. Juli 2024
Kurz nach Sieben stehe ich bei Rosanna in der Tür des Frühstücksraums. Bin noch ein wenig verpennt. Die Nacht nicht gut geschlafen. Wie auch? Heute ist Tag des Abschieds. Giorno della partenza, wie Giulietta sagt. Vor der Tür meines Zimmers steht schon die V-Strom und wartet nur darauf, wieder auf die Straße zu kommen.

Ich höre nur mit halbem Ohr zu was Rosanna heute Morgen erzählt, während sie mir ein großes Stück Torta Albicocca (Gesprochen: Albikokka) schneidet, Aprikosenkuchen. Bis ich merke, dass es in ihrer Erzählung um mich geht.

“Ich war gestern in der Osteria im Dorf. Die Wirtin hatte Geburtstag, und weißt Du was? Die haben mich da direkt über Dich ausgefragt, die Belegschaft und die Stammgäste! Du warst eh Gespräch des Abends. Ein Deutscher, hier! Und der will auch noch unbedingt italienisch sprechen! Was ja verrückt ist, weil Elena so gut Englisch spricht. Sie ist Rumänin, weißt Du?”

Ich bin völlig fasziniert. Wie kann man so viel reden ohne Luft zu holen?

“Und dann hast Du neulich Abend auf Insta ein Bild aus dem Ristorante gepostet und jetzt folgen die dir alle!” Ach. Daher die ganzen neuen Follower. In Italien ist jeder auf Insta. Zumindest jede Frau. Und deren Mudder.

“Da haben sie dann in der Story gesehen, dass Du mit dem Motorrad reist und das Du da oben am Berg warst und den Passo delle Radici gefahren bist und…”
-“Bin ich?”
“Jaja, und…”
“Wo ist der Passo delle Radici?”, will ich wissen. Kann mich nicht an den erinnern.
“Na HINTER oben am Berg!”, sagt Rosanna und macht ein „Ts“-Geräusch als ob jedes Kind wissen müsste, dass der Radieschenpass hinter den sieben Bergen ist.

“Und Du warst auf der Big Bench und am Lago Calamone. Das Du bei uns wohnst haben sie auch gesehen und mich dann über Dich ausgefragt. Ich habe erzählt das Du schon ein paar mal hier warst und ein Freund von Giulietta bist und auch die Sara von oben am Berg kennst und…”

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und stöhne. Offensichtlich bin ich das Dorfgespräch. Muss man auch erstmal hinkriegen.
“Sono famoso?”, frage ich mit geschlossenen Augen, bin ich jetzt berühmt?
“Si!”, sagt Rosanna und nickt.

Der letzte Koffer hängt am Motorrad, nichts ist im Zimmer vergessen. Ich trete den schweren Gang den Berg hinauf zur Bar an.

Als sie mich sieht, kommt Giulie hinter dem Tresen der Bar hervor. “Partenza?”, ruft sie.

Ich nicke und sie streckt die Arme aus und zieht mich an sich.
Fünf Tage bin ich hier gewesen, aber es fühlt sich gerade so an, als sei ich erst vor fünf Minuten angekommen.
Ich fühle mich elend. Es ist, als würde mein Körper dagegen rebellieren, diesen Ort zu verlassen.

Sie bemerkt meinen Blick. “Tutto a posto?”, Alles in Ordnung?
“Giulie, ich…”
“Ehi”, unterbricht Sie mich. Das ist italienisch und bedeutet “hey”. Klingt auch fast genauso, nur ohne das “h”.

Sie sieht mich direkt an, mit diesen strahlenden, grauen Augen und sagt dann mit einem Lächeln und so langsam, dass ich es auf Anhieb verstehe “Non dire addio, ma a presto!”. Sag nicht auf Wiedersehen, sondern bis bald.
Ich nicke, und für einen Moment stehen wir uns schweigend gegenüber.

“Un’ultima foto?”, frage ich.
“Certo!! Cinzia! Scatti una foto di noi!” ruft Giulie und winkt eine Freundin heran, die in der Nähe bei einem Caffé sitzt.

Ich bin so überrascht, dass ich die heraneilende Frau mit “Buona Sera” begrüße, guten Abend.
Giulie stöhnt laut auf, als sie das hört und macht “NOOOOOOOOOOO”, und ich klatsche mir ob meiner eigenen Doofheit mit der Hand an die Stirn.
Oh man, ich stelle mich ja bei der Abfahrt genauso bescheuert an wie bei der Ankunft. Irgendwie setzt manchmal mein Sprachzentrum in der Nähe von gewissen Personen aus. Aber Giulietta hat es halt drauf mich aus dem Konzept zu bringen. Die Frau ist in jeder Minute überraschend.

Cinzia macht mit meinem Handy einen Schnappschuss, auf dem wir beide in die Morgensonne blinzeln.

Giulie haucht mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und sagt “A presto”. Dann eilt sie wieder in die Bar, an deren Tresen schon ein paar Straßenarbeiter lautstark auf ihren Caffé warten.

“A Presto”, wiederhole ich, drehe mich um und gehe zum Motorrad.

Die Suzuki rollt aus dem Tor der Farm, als mir ein Auto entgegenkommt. Der Fahrer hebt die Hand und nickt mir zu. Wer ist denn das? …das ist ja der Hausmeister! Der Grummel! DER GRÜSST! Das ist ja wie ein Ritterschlag!

Ich hupe ein letztes Mal und grüße zur Bar hinüber, dann gebe ich Gas und bin verschwunden.

Und DANN fällt mir ein, dass ich ob dieses verwirrenden Abschieds ganz vergessen habe, mich auch von Annamaria, Giulies Mamma, zu verabschieden. Das ist mal mindestes grob unhöflich und wird beim nächsten Besuch bestimmt noch Ärger geben.
Beim nächsten Besuch.

Oh man.
Ich bin kaum aus der Tür, denke ich schon daran, wann ich wohl wieder hier sein kann.

“Porto un pezzo del tuo cuore nel mio. Così sei sempre con me.”

Den Satz habe ich gestern Abend gelernt.

Ich trage ein Stück von Deinem Herzen in meinem. Damit bist Du immer bei mir.

Ist der Gedanke nicht wunderschön?

Oder anders: Ich trage ein Stück von hier in meinem Herzen. Damit reisen wir jetzt gemeinsam.
Ich schüttele den Kopf um ihn frei zu bekommen, und versuche mich auf die Straße zu konzentrieren.

Der Weg führt wieder über den Pass in der Bergkette, die die Emilia Romagna und die Toskana trennt, dann durch die Täler Richtung Küste.


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Kein Reisetagebuch (5): Tra Terra e Cielo

Kein Reisetagebuch (5): Tra Terra e Cielo

Kein Reisetagebuch. Heute mit Albrecht´schen Schlängelwegen zwischen Himmel und Erde, Tankstellen ohne Netz und meine mangelnden Sprachkenntnisse führen zu einem Duell.

Mittwoch, 17. Juli 2024
“Die Seen hier sind auch voll schön”, sagt Rosanna beim Frühstück und beginnt, jedes Gewässer im Umkreis von 50 Kilometern aufzuzählen. Ich höre mit halbem Ohr zu und spiele gedankenverloren mit einem Päckchen Zucker herum. Als ich mit dem Caffé fertig bin, will ich es wegpacken und lese dann erst, was darauf steht:

“Tra terra e cielo, nel cuore…”, steht darauf, “Zwischen Erde und Himmel, im Herzen des Nationalparks toskanischer-emilianischer Apennin”. Etwas sperrig als Slogan, aber ich finde den schön.

“Sag mal”, frage ich, “An der Straße hinter dem Ort habe ich ein Schild gesehen, auf dem die Telefonnummer von hier steht, in der gleichen Handschrift wie die Schilder auf der Farm. “B&B alte Flussmühle” – habt ihr da noch einen Gästebetrieb?

Rosanna schüttelt den Kopf. “Früher mal, bevor wir die Blockhütte hier gebaut haben. Jetzt nicht mehr. Die alte Mühle ist immer noch ein Gästehaus, aber aktuell wohnt da der Hausmeister”. Ah, das muss der grummelige Farmarbeiter sein.

Besagter Grummel steht gerade auf einer Leiter und streicht die Holzbalken der Blockhütte. Ich grüße freundlich. Ein patziges “´Giorno” kommt durch zusammengebissene Zähne zurück.
Immerhin eine Antwort. Hey, wir machen Fortschritte.

Heute will ich nur ein wenig Mopped fahren. Also, ich meine natürlich “Die V-Strom 800 weiteren Tests unterziehen”.
Einen See zu besuchen steht eh´ auf dem Programm, dazu eine verlassene Nato-Basis und eine alte Burg.

So leer die Gegend hier auf den ersten Blick scheint, bei genauerem Hinsehen ist sie voller Kleinode und angefüllt mit Sehenswürdigkeiten. Vermutlich könnte man in diesem abgelegenen, kleinen Teil der Welt Wochen zubringen und würde immer noch verwunschene oder interessante oder historisch bedeutsame oder ansonsten berühmte Orte entdecken. Gut, das trifft auf nahezu jeden Teil Italiens zu, aber hier ist es dazu noch wunderbar menschenleer.

Kurze Zeit später schrubbt die V-Strom die Berge hinauf. Die Straßen sind auch hier schmal und manchmal etwas brökelig, aber völlig ok. Es macht Spaß, die wendige Suzuki durch verdrehte Kurven zu steuern und durch die letzten kleinen Dörfer vor dem Nichts zu fahren.

Die Federung der 800er kam mir im Stand viel zu weich vor. Ich kann die V-Strom hinten mit einer Hand runterdrücken, das kam mir nicht koscher vor. Aber hier, unter realen Bedingungen, ist das Fahrwerk ziemlich gut. Es federt leichte Unebenheiten komplett weg, fühlt sich aber in Kurven straff und überhaupt nicht schwammig an, sowohl mit als auch ohne Gepäck. Für den Betrieb zu zweit, mit einer Sozia und dann ggf. noch Gepäck ist es aber definitiv zu weich.

Andere Fahrzeuge sehe ich so gut wie keine, sieht man von der gelegentlichen Ape eines Bauern ab oder von ihm hier, der seinen Hütehund Gassi führt, in dem er mit dem Auto nebenher fährt:

Das Nichts, das hinter den letzten Dörfern beginnt, ist einfach die leere Bergwelt. Die V-Strom summt über Berggrate und an an den Flanken der Hügel entlang und immer, immer wieder gibt es einfach richtig schöne Ausblicke.

Ein tiefer Seufzer. Was bin ich dankbar hier sein zu können. Anfang des Jahre ist mit klar geworden, dass ich die Menschen hier erst in eineinhalb oder zwei Jahren wiedersehen würde, mangels Zeit und eines Reisemotorrads. Ich könnte dem Suzuki-Händler immer noch auf Knien danken, der die V-Strom 800 so früh besorgen und ausrüsten konnte – ohne ihn wäre ich nicht hier, und hätte Giulie und die anderen erst im Herbst 2025 wiedergesehen. Aber nun fahre ich hier rum, auf einem neuen Moped! Manchmal kann ich das immer noch nicht ganz fassen.

An einer Weggabelung halte ich an und mache ein paar Bilder von der V-Strom 800. Wie sie da so steht, hinter sich nur eine Bergkette und darüber sofort der offene Himmel, ist sie tatsächlich “Tra terra e cielo”, zwischen Erde und Himmel.

Doch, ich bin wahnsinnig zufrieden mit der Kiste. Sie ist alles, was ich mir von einer Nachfolgerin der Barocca gewünscht habe, und mehr.


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