Verblassende Gedächtnisengramme

Verblassende Gedächtnisengramme

Man wird älter, und das merkt man auch an der nachlassenden Gedächtnisleistung.

Sagt man.

Ich kann das schlecht beurteilen, denn entweder hat das bei mir noch nicht eingesetzt, oder ich habe vergessen wie das früher war.

Seine Defizite zu kennen ist ja gar nicht verkehrt. Nichts ist schlimmer, als Folgendes von jemandem zu hören, der von sich selbst behauptet, ein perfektes Gedächtnis zu haben:

“Na, in diesem Film, Titel habichgradnichparat, den hamwer damals in München gesehen, mit der Uta. Oder war´s in Berlin, mit der Birgit? Da spielte die Dings mit, die mit den kurzen Haaren, die hat auch in dem Film mitgespielt wo der dabei war der fast wie Hugh Grant aussieht.”

Jaha, perfekte Mnemonik sieht anders aus.

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass auch mein Hirn gewisse Informationen schneller ins Schattenland des Vergessens befördert als andere. Dazu gehören Daten, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund mit “Nicht verknüpft” gelabelt sind. Dazu zählt die die graue Substanz zwischen meinen Ohren komischerweise Namen. Nicht Gesichter. Oder ganze Biografien.
Nein, das WICHTIGSTE geht zuerst verschütt.

Wenn ich einem bestimmten Gesicht auf der Strasse begegne fällt mir der Name nicht ein, wohl kann ich mich aber auch nach Jahrzehnten noch dran erinnern, dass der Bruder des Gesichts damals, 1993, eine Dönerbude in Lüneburg aufmachen wollte, und seine Oma Diabetes hatte und von der Schwester mit dem blaugeblümten Kleid gepflegt wurde.

Im Ernst: mein Hirn speichert alle möglichen unwichtigen Informationen ab und hält sie zum sofortigen Abruf bereit. Und wird sogar ungeduldig, wenn jemand wiederholt Geschichten erzählt, in dem immer von “dem Kumpel” die Rede ist. Dann schreit es: Nenn endlich den Namen! Um sich selbigen für ein paar Monate zu merken, die Geschichte mit allen Details aber für immer zu speichern.

Für die Fähigkeit, mir mit solch unwichtigen Detailschrott wichtigen Speicherplatz vollzumüllen und in Sekundenbruchteilen abrufen zu könne, ernte ich gelegentlich erstaunte Blicke. Ist in meinem jetzigen Job, wo es viel um netzwerken geht, ja auch ganz nützlich.

Doof nur: in meinem vorherigen Job habe ich im Laufe der Zeit mit rund 500 Leuten zusammengearbeitet. Denen ich nun permanent über den Weg laufe, z.B. in der Fußgängerzone von Kapstadt. Und ich erkenne noch jede/n Einzelne/n wieder.
“Ja, hey! Du hier? Die Welt ist klein! Wie geht´s der Oma? Ach, schon vor Jahren kaputtgegangen? Tut mir leid man, und dem Dönerladen? Auch. Ach.”

So unterhält man sich gepflegt fünf Minuten und hastet dann wieder auseinander. Ich habe das Hirn voll mit neuen Detailinformationen zu Immobilien, Anzahl von Ehen und Scheidungen, den Namen der ehelichen und unehelichen Kinder, undsoweiterundsofort – aber immer noch keinen blassen Schimmer wie die Nase eigentlich hieß.

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