Sternenkinder
Bei einer Meldung wie dieser, mit der Überschrift “25 Baby tot – Klinik macht Kreißsaal dicht” denkt man automatisch “sowas passiert doch nur in Afrika, in Deutschland kommt das doch nicht vor. Und vergisst es schnell wieder. Tatsächlich sind es oft nur solche Schlagzeilen, die das Thema Kindstod kurz ins öffentliche Bewusstsein rücken. Es ist ein Tabuthema, über das kollektiv geschwiegen wird.
Ja, der Tod eines Kindes ist furchtbar. Besonders für die Eltern.
Aber es passiert, auch in Deutschland, und es ist wichtig darüber zu sprechen. Der Anteil der totgeborenen Kinder beträgt zwar weniger als 1% (2420 von 672 000 im Jahr 2006), nicht in der Statistik erfasst werden aber die sog. Fehlgeburten (Kind wog weniger als 500 Gramm), deren Zahl weitaus höher liegt und die für de Eltern genauso schlimm sind.
“Sternenkinder” oder auch “Schmetterlingskinder” sind Umschreibungen für Kinder, die noch im Mutterleib oder kurz nach der Geburt sterben.
Es passiert so oft…
Wie oft es vorkommt, dass Kinder früh versterben, merkt man erst, wenn es einen selbst trifft. Dann erzählen viele Menschen aus der eigenen Umgebung plötzlich, das auch sie mit der Bürde leben, ein Kind während oder kurz nach der Schwangerschaft verloren zu haben. Oder wie sie die Entscheidung treffen mussten, ob sie ein nicht lebensfähiges Kind bis zum Ende austragen wollten.
Wenn man sein Kind verliert – sei es durch den plötzlichen Kindstod (der auch im Mutterleib eintreten kann), eine schwere Krankheit oder sonstige Komplikationen – bricht eine Welt zusammen. Die neue Zukunft, die durch die Einrichtung eines Kinderzimmers o.ä. vielleicht schon zum Teil Realität geworden ist, zerbricht wie ein Spiegel, in den ein böses Schicksal einen Ziegelstein wirft. Das eigene Leben liegt in Scherben, man steht ganz allein davor und weiß nicht weiter. Verzweifelung und Leere sind nie so greifbar wie in einem solchen Moment. Das betrifft Frauen genauso wie Männer. Männer trauern anders, fühlen die Schmerzen aber genauso. Immerhin hatten sie sich darauf eingestellt, dass sich ihr Leben komplett ändert und sich auf das Vatersein gefreut. Und nun ist davon nichts mehr übrig.
Erste Hilfe
Hilfe finden Eltern in solchen Situationen u.a. in den Gesprächskreisen der Initiative Regenbogen, in der sich regelmäßige verwaiste Eltern austauschen. Die Ansprechpartnerinnen bei Regenbogen helfen, geben einem das Gefühl NICHT allein zu sein, und vermitteln Informationen zu Bestattungsmöglichkeiten und weiteren Hilfsangeboten. Das hilft schon ganz viel, ist aber (insbesondere in den ersten Wochen nach dem Tod des Babys) noch zu wenig. Hier sollte man sich ggf. professionelle Begleitung suchen – und zwar möglichst schnell, denn nach dem Tod des Kindes herrscht Leere und Schweigen. Bei beiden Partnern. Was geschehen ist, ist im wahrsten Sinn unfassbar – man kann es nicht in Worte fassen. Schweigen schafft Gräben, über die man sich nicht mehr erreicht. Was extrem schlimm in einer Situation ist, in der beide Partner sich brauchen. Achtzig Prozent aller Partnerschaften, die eine Totgeburt erlebt haben, zerbrechen. Das Risiko sollte man besser nicht in Kauf nehmen. Über das Thema lesen und sprechen hilft.
Was kann man als Aussenstehender tun?
Hat man einen Fall von Tot- oder Fehlgeburt in seinem Bekanntenkreis, weiß man nicht wie man damit umgehen soll. Das ist normal und menschlich. Richtig schlimm ist es nur, dass Thema zu meiden und das Ereignis zu ignorieren.
Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit einer solchen Situation, daher hier nur ein paar Tips:
1. Absolutes No-Go sind folgende Sätze: “Ihr habt ja noch das andere Kind”, “Vielleicht war es besser so, wer weiß, was das Kind hatte” und auch “Das Leben geht weiter, ihr könnt es ja noch mal probieren”. Das sind Sätze wie Dolche und tuen genauso weh wenn man sie abbekommt.
2. Ebenfalls ganz schlimm: wenn nach einer Totgeburt ein weiteres Kind auf die Welt kommt Dinge sagen wie “Jetzt musst Du ja nicht mehr traurig sein”. Denn um das verlorene Kind wird IMMER getrauert, mal weniger, mal heftiger.
3. Schweigen vermeiden. Betroffene Eltern müssen darüber reden und WOLLEN das meistens auch. Aber dadurch, dass es halt ein Tabuthema ist und man seine Freunde nicht damit belasten möchte, schweigen sie meistens. Natürlich ist auch den Bekannten und Freunden das Thema unheimlich und oft fürchten sie, die Eltern noch mehr zu verletzten, wenn es angesprochen wird.
Das stimmt aber nicht. Das Beste, was man als Außenstehender tun kann, ist darüber zu sprechen. Fragen zu stellen. Nachzubohren. Bis Antworten kommen.
Wenn man nicht weiß wie man anfangen soll, dann kann nach der Betreuung im Krankenhaus gefragt werden. Wie war das genau? Haben sich Ärzte und Pfleger gekümmert? Was war gut, was schlecht, wie sieht es mit einer Beerdigung aus?
Das hilft den verwaisten Eltern so sehr, dass man es nicht beschreiben kann. So verhalten sich gute Freunde.
Gründe für Fehl- und Totgeburten
…sind vielfältig. Es müssen keine genetischen Krankheiten, Mangelernährung oder gesundheitsschädigende Substanzen wie Alkohol, Nikotin oder Medikamente im Spiel sein. In vielen Fällen passiert es einfach so, ohne eine Erklärung. Als hätte das Kind plötzlich doch keine Lust mehr geboren zu werden
Noch ein paar Gedanken
Abgesehen davon, dass über das Thema nicht gesprochen wird, ist es schon ein gesellschaftliches Phänomen wie mit Tot- und Fehlgeburten umgegangen wird.
Die häufigsten Gründe dafür sind ja oben schon genannt worden. Mangelernährung u.ä. kommt heute in unseren Breiten ja eher selten vor, früher jedoch häufig. Vor hundert Jahren bekamen Paare 5-6 Kinder und waren schon froh, wenn zwei davon überlebten. Das ist heute anders, Paare gehen erst spät in ihrem Leben dem Kinderwunsch nach. Häufig ist nur ein Kind geplant – umso schlimmer, wenn der Start in die gewünschte Familie dann mit einer Totgeburt beginnt. Dieses Ereignis gehörte früher zum Leben dazu, heute zerbrechen die Menschen daran.
Auch eine Folge des Schweigens.
3 Gedanken zu „Sternenkinder“
Ich bin so froh, daß mir das mit beiden meiner Kinder erspart geblieben ist. Haben zwar ne Meise, wie der Papa, sind aber kerngesund. 🙂
Also mich beunruhigen hier zwei Fragen:
1) als notorisch von Selbstzweifeln geplagter Mensch (was meine Umwelt geflissentlich irgnoriert) würde ich mich wohl fragen: habe ICH etwas falsch gemacht? Hätte man etwas ändern können? Wora kann es gelege haben? Aus diesem Zirkel herauszukommen und es einer zweifelhaften Macht des Schicksals zuzuschreiben erschient mir schwierig…
2) was, wenn die beiden betroffenen Eltern unterschiedliche Strategien und/oder Geschwindigkeiten bei der Bewältigung haben? Dann landet man aus der Hölle der Trauer direkt in der Vorhölle der manifesten Beziehungskriese.
Ja, ganz genau so ist es. Das sind die Punkte die ich vergessen oder verdrängt habe zu beschreiben.
Danke, dass was sehr emphatisch.