Die Haider-Squad im Internet
Jörg Haider, österreichischer Politiker mit rechtspopulistischem Einschlag, ist bei einem Autounfall am 11.10. gestorben. Darüber soll hier aber gar nicht weiter geschrieben werden, das machen gerade die Journalisten.
Wie insbesondere die Printmedien nicht müde werden zu betonen: “Blogger sind keine Journalisten”. Das stimmt meistens, umgekehrt oft ebenso. Das ist auch der Grund, weshalb klassischen Journalisten oft interessante Aspekte einer Story entgehen.
Völlig unbeachtet ist bspw. ein gerade zu beobachtendes Internet-Phänomen, das mehrere Facetten besitzt: Die massive und aktive posthume Unterstützung für Haider und seine politischen Ansichten.
Diese reicht von Nachrufen, Beileidsbekundungen und dem Ausdruck ehrlicher Trauer im Internet bis hin zur Ausschlachtung des Ereignisses zum Zwecke der Meinungsmache, was, so die Hypothese, eine neue Form der politischen Propaganda hervorgebracht hat.
Trauerbekundungen
Stellvertretend für viele ähnliche Trauerbekundungen hier ein Zitat, dass sehr gut die Grundstimmung vieler BloggerInnen widerspiegelt:
“In memoriam Jörg Haider… Danke für die Farbe im politischen Einheitsgrau! Ich habe viel gelernt…”
Diese Grundhaltung findet sich in vielen Nachrufen in Blogs wieder. Offenbar wurde Haider von vielen gemocht, weil er Unterhaltungswert besass.
Dies ist eine Aktionsebene der Haider-Anhänger bzw. Sympathisanten.
Massiveres Auftreten
Eine andere Facette des Internetphänomens sind die massiven und zeitnahen Reaktionen von Haider-Anhängern auf Artikel im Internet, die sich der Trauer und den posthumen Lobhudeleien nicht anschließen wollen.
Das Vorgehen ist dabei stets gleich: Es wird gezielt nach Blogeinträgen mit kritischen Untertönen gesucht und darauf in Kommentaren und “Gegenblogeinträgen” Haiders Gedankengut und seine angeblichen Leistungen gelobt.
Stellvertretend für viele ähnliche Fälle hier ein Auszug aus einem solchen Kommentar:
“Ich glaube nicht das Ihr Kommentar sehr angebracht ist. Sicherlich ist es Ihre Meinnung, aber man sollte trotzdem vor den Toten respekt haben!!! (…) Ausserdem hat Haider durch sein ganzes Handel ja schließlich auch was für Kärnten getan, oder!? Wenn Sie jetzt aus Kärnten komen, dann haben auch Sie was davon gehabt!!! (…)
Er war immer ein guter Politiker, der viel für sein Land Kärnten getan hat. Ich hoffe nur das die BZÖ es schafft sein Erbe und seine Visionen fortzuführen.In gedenken an Jörg Haider (* 26. Jänner 1950 in Bad Goisern, Oberösterreich; † 11. Oktober 2008 in Lambichl). Mein aufrichtiges Beileid spende ich an seine Familie, seine Parteigenossen und an die Bevölkerung von Kärnten.”
Bei diesen Einträgen gibt es ein erkennbares Muster. Den Verfassern kritischer Blogeinträge wird zunächst stets vorgeworfen, Schadenfreude zu empfinden – auch, wenn sich hierfür keinerlei Belege im ursprünglichen Blogeintrag finden lassen. Im Gegenteil: Viele Blogger betonen, dass der Tod eines Menschen insb. für dessen Angehörige eine schlimme Erfahrung sei, und Schadenfreude selbstverständlich unangebracht ist – man aber weder posthume Glorifizierung betreiben, noch im nachhinein bestimmte Einstellungen und Ansichten plötzlich gut finden müsse.
Diese Statements werden von den Kommentierenden konsequent ignoriert.
Im Gegenteil: Aus der Empörung über die angebliche Schadenfreude folgt der Vorwurf der “Pietätlosigkeit”, dann drehen die Texte stets in Richtung Glorifizierung von Haider und seinen angeblichen Leistungen ab.
In der Regel geschieht dieses “Abarbeiten” an kritischen Blogeinträgen anonym. Dabei wird auch vor Drohungen nicht zurückgeschreckt:
Passen Sie nur auf, dass Sie sich nicht daran (der Schadenfreude, Anm. S.) ersticken! Sonst haben wir bald noch einen “Trauferfall”. Und das will ja schlielich niemand 😉
Das Emoticon am Ende dieses Eintrags schafft es nicht, die unverhohlene Drohung zu relativieren.
Da sich sowohl Vorgehen als auch Machart und, in vielen Fällen, Orthografie und Wortwahl ähneln, kann man vermuten, dass sich hinter diesen, meist anonymen, Kommentaren zumindest teilweise die gleichen Personen verbergen. Über ihre Anzahl kann keine Aussage getroffen werden, gleichwohl lassen sich aber Vermutungen über die Motivation dieser “Haider Cybersquad” anstellen.
Virale Propaganda?
Neben ehrlicher Trauer, die ihren Ausdruck über das Internet findet, haben wir es hier, so die Hypothese, mit einer neuen Art der politischen Propaganda zu tun. In Anlehnung an den Begriff des “viralen Marketings”, dass das Internet und handelnde Personen zum Zwecke der Werbung instrumentalisiert, kann man hier von “viraler Propaganda” sprechen.
Wenn diese Vermutungen zutreffen, und hierfür gibt es genügend Indizien, wird hier also der Tod eines Menschen für Meinungsmache in einer neuen Form instrumentalisiert.
Wohlgemerkt: Hierbei handelt es sich um eine Hypothese, die die bisherigen Beobachtungen erklärt.
11 Gedanken zu „Die Haider-Squad im Internet“
Aha, da schreibt ein Medienwissenschaftler!
Interessante Theorie, die Sie da vertreten, Herr Silencer.
Aber… wo bleibt denn die HCS, die sie an den Pranger stellen?
Hier sind permanent einige Leute unterwegs, keiner kommentiert. Haben die nun Angst bekommen?
Dabei scheint das Haider-Posting bashing doch gerade so en vogue zu sein.
Schauen wir mal.
4stats, die Auswertungsseite dieses Blogs, behauptet, dass jede Menge Leute aus Österreich auf diesen Artikel zugreifen. Bisher meldet sich aber niemand zu Wort.
Na, ich habe ja so einige Wortmeldungen bekommen. Was bin ich froh, dass ich bekennende Misanthropin bin.
Habe ich verfolgt.
So ich schicke mal die überarbeitete Version, damit niemand mehr die Fehler machen muss, wenn er die folgenden Zeilen schreibt:
“Ich glaube nicht, dass Ihr Kommentar sehr angebracht ist. Sicherlich ist es Ihre Meinung, aber man sollte trotzdem vor den Toten Respekt haben!!! (…) Außerdem hat Herr Haider durch sein ganzes Handel, schließlich auch etwas für Kärnten getan, oder!? Wenn Sie jetzt aus Kärnten wären, dann hätten auch Sie etwas davon gehabt!!! (…)
Er war immer ein guter Politiker, der viel für sein Land Kärnten getan hat. Ich hoffe nur, dass das BZÖ es schafft, sein Erbe und seine Visionen fortzuführen.
In Gedenken an Jörg Haider (* 26. Jänner 1950 in Bad Goisern, Oberösterreich; † 11. Oktober 2008 in Lambichl). Mein aufrichtiges Beileid spende ich an seine Familie, seine Parteigenossen und an die Bevölkerung von Kärnten.”
Hm, Rufus, was willst Du uns durch das Zitieren eines Zitats sagen?
Ich habe die Kommentare nicht so analytisch verfolgt, aber Deine Analyse hat etwas Verstörendes.
Ich dachte zunächst, dass der Tod Haiders bei einigen einfach so eine Art Märtyrertod ins Unterbewusstsein spült. Und zwar, so abwegig es klingt, weil Prominente wie James Dean, Falco und Diana “ähnliche” Schicksale hatten und die Medien recht glorifizierend gleich mit stereotypen Charakterstempel darauf angesprungen sind. Und das alles nun kombiniert mit Haiders “aufopferungsvollen” Pionierrolle.
“Propaganda” braucht, denke ich, einen einheitlichen Urheber oder Organisator und ein konkretes Zeil, was damit verfolgt wird. Dafür ist Deine These der viralen Propaganda recht explosiv, weil das Konzept zwangsläufig schnell aus der Tasche gezogen werden musste.
@rufus: ??
ich glaube Rufus hat nur einfach die Rechtschreibfehler korrigiert aus dem ursprünglichen Zitat.
Ich war selbst sehr erstaunt, was für eine Welle sich lostreten lässt mit simplen Zeilen. Ich glaube nicht alle sind politisch einzusortieren. Andere sind einfach nur Mitläufer oder pöbeln eben einfach so gern. Doch unterm Strich bleibt der fade Beigeschmack bei der Auseinandersetzung mit solchen Situationen, dass hier “geschickt” versucht wird Politik zu machen.
Donkey: Sicher eine wilde These, aber darüber habe ich mir echt mehrere tage Gedanken gemacht und rund 10 Blogs und alle Kommentare genau angesehen. Natürlich nicht qualitativ ausgewertet, aber schon genau unter die Lupe genommen. Einige Autoren scheinen identisch, auch wenn sie (z.T. in einem Blog) unter verschiedenen Namen auftreten. Andere geben sich in ihren ersten Kommentaren, als würden sie das erste Mal schreiben – um später, wenn sie in Rage sind, doch plötzlich Grammatik und Rchtschreibung zu beherrschen.
“Propaganda” muss, so die gängige Definition, nicht zentral gesteuert werden. Zentraler Punkt ist vielmehr die Manipulation einer Nachricht um ein bestimmtes (politisches) Ziel zu erreichen.
Ganz so schnell wurde das Konzept also nicht aus der Tasche gezogen, da steckt schon Arbeit drin.
Schonzeit: Danke für den Hinweis. Hatte ich übersehen.
Na ja, so wild ist die These ja anscheinend nicht. Und dass Communitys für Marketing…oder eben auch Propaganda…geschickt missbraucht werden können, ist ja auch nicht neu. Aber die Abgebrühtheit finde ich schon bemerkenswert.
Wolltest ja eine Meldung aus Ö. Die einzelnen Seiten im Web, die sich dieses Themenkomplexes annehmen, werden zunehmend eigenartiger und das in alle Richtung links, rechts und sonst noch weiß ich wohin, daher dieser “neutrale” Korrekturwisch.