Zusammenhänge & Pippi Langstrumpf
Die Flut von Gerichtsverfahren, mit der die Musikindustrie “Raubkopierer” überzieht, hat eigentlich nur einen Effekt: Sie noch unsympathischer scheinen zu lassen als sie ist. Das hat man in den USA inzwischen auch begriffen, weshalb man die Strategie nun ändern will.
Der Verband Musikindustrie in Deutschland sieht für sowas keine Veranlassung und bejubelt die Klagewelle als Erfolgsmodell. Seitdem man damit begonnen habe, sei die Anzahl der bekannten Delikte stark zurückgegangen. Von 600 Millionen in 2004 sei ein Rückgang auf 312 Millionen in 2007 zu verzeichnen, meint der Verband, und nennt das einen Erfolg.
Konstruierte Realität, nenne ich so etwas.
Aus nicht zusammenhängenden Fakten kann man dolle Dinge basteln.
Beispiele gefällig?
“Die Anzahl der Fahrzeuge mit schweren Mängeln auf deutschen Strassen ist 2008 drastisch gestiegen!”, schlagzeilt der TÜV. Kein Wunder, sage ich da, 2008 kam ja auch der Golf 6 raus. Der Zusammenhang liegt doch nahe, oder? 🙂
OK, nicht ganz so albern: Der Zusammenhang zwischen “Killerspielen” und gewalttätigen Jugendlichen. Ein Ammenmärchen, erfunden und immer wieder erzählt von Leuten “die auf ihren gesunden Menschenverstand hören”. Nur, weil man eine Geschichte oft erzählt, wird sie nicht wahr: Der Zusammenhang ist aber bis heute wissenschaftlich nicht nachgewiesen, keine wissenschaftlich fundierte Studie belegt das. Ja, wie kann das denn sein, wo es doch auf der Hand liegt?
Zurück zur Musikindustrie: Die Aussage “Durch die Klagen ist die Raubkopiererei zurückgegangen” regt mich auf. Ist es nicht vielmehr so, dass 2004 Musikplattformen, allen voran der iTunes-Store, plötzlich eine legale Alternative boten um schnell und bequem Musik aus dem Netz zu laden?
Könnte DAS nicht den Rückgang erklären? Ist das nicht vielleicht sogar viel naheliegender? Aber ein solches Eingeständnis sehen die Verbände der Musikindustrie wahrscheinlich als späte Schmach. Immerhin hatten sie sich lange Zeit mit Händen und Füßen gegen solche Modelle gewehrt und mussten praktisch zum Jagen getragen werden. Viel lieber hätten sie bis in alle Ewigkeiten schlecht produzierte und überteuerte HD-CDs verkaufen.
Jaja, die Musikindustrie. Liegt fantasierend auf dem Krankenbett, quasi in den letzten Zügen, während die Betreiber neuer Vermarktungsmodelle ihr den Schweiß von der Stirn wischen, ein wenig Händchen halten und beruhigende Worte sprechen. Dabei warten alle nur darauf, dass der alte Dino endlich den letzten Atemzug macht, um dann komplett das Ruder zu übernehmen.
Bis das geschieht, dürfen die Verbände des Patienten (Hihi) ruhig noch ein wenig nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip verfahren, und sich die Welt so machen, wie sie ihnen gefällt.
Nimmt eh´keiner mehr ernst.
14 Gedanken zu „Zusammenhänge & Pippi Langstrumpf“
Danke für das Statement. Hoffentlich bewegt sich greise Dino endlich. iTunes ist eine Möglichkeit aber keine Alternative für Leute wie mich, die (noch) keinen Mac haben. Was wäre das toll, wenn Apple auch Linux supporten würde. *träum*
Es gibt sicher genug Möglichkeiten mit Musik innovativ Geld zu verdienen ohne CDs zu pressen, wenn man nicht zu lange wartet. DRM ist Gängelung der Kunden, das wissen die sicher auch. Dennoch spielen die auf Zeit und versuchen überhöhte Preise und Modelle zu etablieren, die nur fast Nachteile für den Kunden mit sich bringen. Das Einzige was hilft ist Konsumverzicht ….. oder einen Mac kaufen. 🙂
GIbt es eigentlich irgendeine Plattform, die man vernünftig mit Linux nutzen kann?
iTunes deckt wirklich nur Mac und PC ab, aber mittlerweile gibt es ja noch ein paar andere Anbieter.
Um ehrlich zu sein nicht wirklich und auch nur abseits des Main-Streams. Meine persönlich bevorzugten OnlineQuellen sind:
* emusic.com
* magnatunes.com
* akuma.com (wenn es wirklich sein muss, weil mp3 rippen) lästig und verlustreich ist)
Es gibt noch andere Shops die mp3 zu vernünftigen Preisen (<0,50€) anbieten. Bei einigen bekommt man leider einen Downloader aufgezwängt, der aber nur unter Win geht, oder es wird doch versucht DRM verseuchte WMAs auszuliefern. Man muss sehr genau hinschauen.
Ich versorge mich daher auch per 2nd-Hand-CD via Amazon oder in Shops. Die werden gerippt und fertig. Alles was unter 7 Euro bleibt ist willkommen, darüber wird es nicht gekauft.
nanü, da hat es eine Teil des Kommentares verschluckt:
* akuma.com (wenn es wirklich sein muss, weil mp3 rippen) lästig und verlustreich ist)
*öhm-.. wtf? ah ich hatte ein mathematisches kleiner als Zeichen drinnne.. sry früs spamen
akuma.com (wenn es wirklich sein muss, weil kleiner 1.19€ je mp3 sind Abzocke
iTunes (ebenfalls nur im ‘Notfall’, weil 0,99€ grenzwertige Abzocke ist und weil der Umweg über die Konvertierung (Audio-CD erstellen, dann nach mp3 rippen) lästig und verlustreich ist)
Gucken wir mal, ob ama.zon-mp3 vielleicht Besserung bringt. Will mir gar nicht in den Kopf, das Linuxuser so ignoriert werden.
Alleine mir fehlt der Glaube. In UK ist das schon gestartet, hier dauert das sicher wieder. In UK kosten die Songs im Schnitt wohl ~0,59BP was ca. 0,70 entspricht. Die Konzerne hierzulande ist einfach zu gierig. Schön wäre es ja, aber ich bin hier pessimistisch. Akuma begannen seinerzeit mit 89 Cent / Song, die mussten recht kurz nach Eröffnung auf ~1,19€ erhöhen, angeblich weil der Rechteinhaber sonst die Lizenz entzogen hätte. Und für die aktuellen Sachen gibt es doch wieder WMA Wanzen.
Wir sind leider keine lohnende Zielgruppe. “Linuxer sind Leute die kein Geld haben, sonst würden sie Mac nutzen”. Das ist ein Zitat aus einer ‘genrefremden’ Sitzung zum Thema kostenpflichtige Software für Linux, der ich beiwohnen musste. Mit fiel es wirklich schwer nichts dazu zu sagen.
Bei einer solch unqaulifizierten Aussage hätte ich wohl nicht mehr an mich halten können. Nun, wie es aussieht, geht der Trend zu DRM-frei. Das Preismodell “0,99 für einen Song, 9,99 Euro für ein Album” halte ich für absolut fair. Mehr würde ich nicht zahlen wollen.
Ich plaudere mal aus meinen Erfahrungen in der Musikindustrie, als ich 1999 meine Diplomarbeit über das Thema “Digitale Vermarktung” bei Polygram geschrieben hatte. Also schon etwas angestaubt. Aber ich verfolge das Ganze noch mit Interesse.
Richtig und falsch, was Du sagst. Zunächst mal hat die Musikindustrie eine lange Wertschöpfungskette vom Casting/Signing über die Produktion, Vermarktung (inkl. Zweitvermarktung auf Compliations) Fertigung zum Vertrieb. Leider brechen ihr wichtige Pfeiler weg: Der Vertrieb und die Produktion. Die großen Künstler produzieren/vermarkten sich immer mehr selbst über eigene Labels und somit kann die Musikindustrie kleine Künstler immer schwerer quersubventionieren. Damit stützt sie sich auf den schnellen Erfolg wie “DSDS”, wo die Hauptmarge allerdings wieder bei den Medien liegt (RTL). Die klassische Musikindustrie befindet sich in einem Sandwich.
iTunes ist eigentlich nichts anderes als ein Vertriebskanal. Er ist angewiesen auf Produktionen und fertig vermarktete Künstler. Er kann auch nur existieren weil die Monster-Börsen a la Napster eingedämmt wurden. Auch dank der Musikindustrie. Das Risiko eines Künstleraufbaus trägt iTunes auch nicht. Und die Lizenzen gibt immernoch die Musikindustrie, wo die Künstler unter Vertrag stehen an iTunes. Kommen keine Topstars hinterher, weil die Musikindustrie diese nicht mehr aufbauen kann und auch Web 2.0 noch nicht genügend “Selbstvermarktungspotenzial” hat, so wird es auch für iTunes mittelfristig schwer ohne die Musikindustrie. Eine andere Frage ist, wann Apple sich Universal oder BMG kauft.
Letztendlich wird der Erfolg der Musikindustrie nicht mehr vom Plattenverkauf abhängen, sondern von den Produkten drumrum. Wie schaftt sie es an Konzerten, Merchandising, Zweitverwertung (Klingeltöne etc.) zu partizipieren? Die Musik an sich wird immer mehr “nur” PR für diese Vermarktungsformen.
Nur setzt die Musikindustrie wie die GEZ darauf, den Konsumenten als Verbrecher abzustempeln. Das ist fatal, da das Gegenteil von dem erreicht wird, was sie will: Jetzt erst Recht! Das Unrechtsbewusstsein wird NICHT verstärkt. Das betrifft aber ALLE Player auf dem Markt.
Uff, das war lang…
Lang schon, aber so ist das, wenn man komplizierte Sachverhalte darstellt. Vielen Dank für Deine Zusammenfassung.
An diesem Punkt könnte man eine Diskussion anstoßen über “Topstars” und die Querfinanzierung. Ich persönlich glaube ja, dass die großen Labels gerade in den letzten Jahren nur erbärmliche Zumutungen produziert haben. Das Netz wird es kleinen Künstlern auch zukünftig noch leichter machen, sich selbst aufzubauen und zu vermarkten, was ich prinzipiell sehr begrüße.
Auch ja und nein. Auch eine Amy Winehouse oder Coldplay war zu zunächst mal klein als einer der von der Musikindustrie vermarkteten Newcomer. 80% der Newcomer sind (und waren) nicht wirtschaftlich, nur 20% fassen Fuß. Die 80% plus die, die zwar wirtschaftlich wären, aber durch Raubkopiererei es nicht sind, müssen also von den großen Topstars (dann auch inkl. Coldplay) aufgefangen werden. Die Topstars sind sich dieser Macht bewusst und verlangen entsprechend viel Anteil von der Musikindustrie (von den Wertschöpfungsstufen, die noch übrig bleiben).
Allerdings ist die Musikindustrie wenig innovationsfreudig. Da kommt wenig nach. Nur eben die schnell vermarktete Platte, nichts was langfristig aufgebaut wird (was teilweise auch sehr riskant ist)
Gerade der letzte Punkt ist ist es, der mich dem Ableben der großen Unternehmen relativ gleichgültig gegenüberstehen lässt.
@Silencer
Bei uns wäre er vermutlich mit Schwung an eine Wand gelaufen worden, da es genug Linuxer bei uns gibt. Die ‘Veranstaltung’ war extern und als Gast ….
@all
Große Namen von großen Künstlern sind mir einerlei, mir geht es um hörbare und gefällige Musik. Ob die nun von Juanita Grünracke aus Herne kommt (nichts gegen Herne jetzt), oder von einer weltbekannten Diva ist mir herzlich wurscht.
Ich mag hier einfältig sein (pls no flame), wer als Künstler seine Musik macht, baut sich darüber eine Fangemeinde auf und verdient damit sein Geld. Der kurze schnelle gepushte Ruhm via DSDS usw. ist was für die Charts und für die Klingelton-Mafia, Masse statt Klasse. Das Ganze überlebt kaum eine Wochenzeitung.
Es werden brutal und mit aller Gewalt sichtbare Kundenwünsche seitens der MI ignoriert. Welches Unternehmen kann sich so etwas auf Dauer erlauben? Wer zu spät kommt … Mir sind viele kleine Labels, ein 3 große lieber. Vielfalt hat einen Zweck. 😉
Rüdiger: Sehe ich ähnlich. Die neuen Vertriebswege, die das Netz bietet, produzieren ihre Stars durch natürliche Auslese und Publikumsgeschmack. Die “Arctic Monkeys”, ob man sowas nun persönlich mag oder nicht, wurden durch Blogs und damit verbundene Mundpropaganda bekannt.