Wenn´s sein muss, bis März
Schreck beim gestrigen Nachhausekommen. Handwerker wuseln herum, Bauscheinwerfer strahlen aufgestemmte Wände an, der Hausmeister flucht, etliche ältere Damen stehen zitternd im Flur. Der Heizungstechniker versucht mit einer Art Tauchsieder-am-Besenstiel Rohre zu erwärmen. Irgendwas ist eingefroren, man weiß nur nicht wo.
Hat ein Marder die Isolierung der Therme angeknabbert? Liegen Rohre zu dicht an der Hauswand? Man weiß es nicht.
Was man dagegen weiß: Von vier Parteien in unserem Haus hat ausgerechnet Frau Weiß kein Wasser.
Frau Weiß ist noch fit und rüstig, geht aber hart auf die 80 zu.
Eine echte Frau vom Dorf, die in jungen Jahren noch Wölfe mit der Küchenschürze erschlagen und eigenhändig ganze Felder bestellt hat, während sie nebenbei vier Kinder großzog.
Heute ist sie eine Oma vom Typ “Ich-will-ja-nichts-sagen, aber die Nachbarn haben schon wieder die Strasse nicht gekehrt!” – dabei aber, das muss man fairerweise dazu sagen, die meiste Zeit liebenswert und freundlich.
Der Typ Frau, die jeden Morgen die ausgelesene Tageszeitung einer anderen Dorfältesten im Briefkasten hat und dazu meint “Bekomme ich halt die Zeitung vom Vortag. Das ist doch egal, in meinem Alter gibt es keine Nachrichten, die ich sofort lesen müsste.”
Sicher.
Es sei denn, es geht um Neuigkeiten aus dem Dorf. Bevorzugt vom Kaliber “Sickendieks Erna ihre Nichte…” oder “Hoppenstetts Günther sein offenes Bein…”. So was erfährt Frau Weiß in Sekundenschnelle.
“Frau Weiß ohne Wasser!”, ist natürlich auch eine Meldung im Dorffunk.
Selbst Gegenstand der Berichterstattung zu sein und im Mittelpunkt zu stehen gefällt ihr sichtlich. “Ich konnte den ganzen Tag über nicht mal das Klo benutzen!”, verkündet sie zum wiederholten Male einer Horde Altersgenossinnen, die zitternd Flur und Treppenhaus blockieren. Gemeinsam wird sinniert, was man früher wohl in einer solchen Situation getan hat. Brunnen gegraben? Ach was, Schnee überm Feuer geschmolzen!
Gegen 22.00 Uhr meldet der Hausmeister: Die eingefrorene Stelle ist gefunden, sie liegt direkt unter Frau Weiß´Badewanne. Der Einsatz eines Heizgebläses zeigt erste Erfolge. Frau Weiß nimmt die Nachricht mit Freude auf und weiß auch schon die Lösung, um zukünftiges Zufrieren zu verhindern: “Ich lasse mir jetzt ein heißes Bad ein und komme da erst wieder raus, wenn es draussen wieder wärmer ist. Baden gegen eingefrorene Rohre! Wenn´s sein muss, bis März.”
Ein Gedanke zu „Wenn´s sein muss, bis März“
😀
Wenn das Abenteuer so ein gutes Ende hat, dann kann man der guten Frau diese angenehme Aufregung ja regelrecht gönnen!
Die Interpretation von Aktualität (Zeitung) hat was Weises.