Ameisen im Piranhabecken: Die Lehrermesse

Ameisen im Piranhabecken: Die Lehrermesse

“Bildung macht Schule” untertitelt sich, recht sinnfrei, “DIE BILDUNGSMESSE” in Hannover.
Wäre man ehrlich, müsste man sich “Die Lehrermesse” nennen und sich den Claim “Hier gibt´s alles” geben. Tatsächlich wird alles zur Schau gestellt, was auch nur ganz entfernt mit Schule zu tun hat. Von Schulessen (“Unsere neuen Konzepte schmecken allen”) über Schuluniformen (One Size fits No One) bis hin zu Legorobotern. Die guckt aber kaum einer an, genau wie die verwaisten Stände der, stiefmütterlich am Rand platzierten, Hochschulen. In denen passiert zwar auch manchmal Bildung, aber das interessiert hier niemanden wirklich.

Neue Konzepte für Schulessen.
Neue Konzepte für Schulessen.

Nein, diese Messe ist zur Bespassung des deutschen Lehrkörpers gedacht und gemacht.

Lehrer/-innen verfügen übrigens einen ganz spezifischen Tonfall. Irgend etwas in der Stimme, das gleichzeitig an den Nerven sägt und jeden, der das deutsche Schulsystem durchlaufen hat, innerlich in Hab-Acht-Stellung gehen lässt. An allen Ecken ist diese STIMME zu hören – was zu permanenter Anspannung führt. Das rührt von der tief verwurzelten und jahrelang konditionierten Angst her, beim Hören dieses speziellen Lehrertonfalls im nächsten Moment eine Kurvendiskussion an der Tafel vorführen oder französischen Vokabeln herunterleiern zu müssen. Einen ganzen Tag zwischen solchen STIMMEN zu verbringen, ist für einen erwachsenen Menschen fast so schlimm wie stundenlang dem Heulen eines Zahnarztbohrers lauschen zu müssen.

Das die meisten Messebesucher Lehrer/-innen sind, sieht man ihnen auch an. Niemand sonst darf in solchen Klamotten und mit so vielen Halstüchern herumschluffen, nicht mal Finanzbeamte. Und alle, alle haben gute Laune, weil man ja heute auf diese tolle Messe darf und sich nicht mit den doofen Blagen in der Penne rumschlagen muss. Hier ist man unter sich, da kann man die Sau rauslassen und sich schon mal um 10.00 Uhr im Messerestaurant mit Piccolöchen auf den Tag einstimmen.

Auffällig viele Besucher führen Trolleys im Format eines Überseekoffers mit sich. Daran erkennt man den Lehrermesseprofi. Langjährige Besucher der BILDUNGSMESSE stürmen die Stände der Schulbuchverlage, wuppen an Gratismaterial in die leeren Koffer was geht und schleppen so kiloweise Gratiskopiervorlagen nach Hause. Womit die leichte Unterrichtsvorbereitung im nächsten Jahr gesichert ist.

Die Halle mit den Verlagen ist denn auch brechend voll, die Dichte Menschen & Taschen pro Quadratmeter ist höher als auf der Cebit 1998. Ein Piranhabecken. Man prügelt sich hemmungslos um die Gratisexemplare, jüngere Lehrer/-innen versuchen DIE STIMME gegen das Kollegium einzusetzen, noch nicht wissend, dass andere Lehrer gegen den speziellen Tonfall immun sind. Hemmungen kennt kaum jemand. “Gibt´s bei Ihnen was umsonst? Nein?” – und weiter. Das ist ein Verhalten, dass man sonst nur von 16jährigen auf der “Grünen Woche” kennt.

Nach fünfstündigem Waten durch Pädagogenmassen geht es endlich nach Hause. Am Bahnhof kann man sich noch mal richtig amüsieren: Über die Vielzahl an vollgepackten Trolleys, Rucksäcken und roten Riesenverlagstaschen (Pfeile) sowie eine Dame, die offensichtlich alles, was sich zusammenraffen liess, in einem Bettbezug abtransportiert. Die Karawane der Lehrenden, vollgepackt mit Gratiszeugs, sieht aus wie eine Ameisenarmee auf dem Rückweg von einem Picknick im Park.

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Diese Messe zeigt einem in wenigen Minuten, was am deutschen Schulsystem – unter anderem – nicht in Ordnung ist.

Ein Gedanke zu „Ameisen im Piranhabecken: Die Lehrermesse

  1. Da warst Du ja wirklich in den Niederungen einer ganz besonderen Subkultur unterwegs. Andererseits kenne ich die Jäger & Sammler von fast jeder Messe, die halb Fach- und halb Publikumsmesse sind. Den Tonfall habe ich auch gerade im Ohr. Weiteres Merkmal: Die Frisuren.

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