Review: CRYSIS (2007)
CRYSIS wird gemeinhin als Shooter bezeichnet. Als irgendein egaler Elitesoldat (uh) läuft man auf einer tropischen Insel rum und kriegt dauernd Aufträge nach dem Motto “Lauf dorthin und mach dies. Ach nee, doch lieber ans andere Ende der Insel und das machen.”
Dooferweise ist man nicht allein an den Stränden, im Dschungel oder im Sumpf unterwegs. Wenn man einen der Bäume schüttelt, fällt gleich ein ganzer Haufen Gegner herunter. Neben feindlichen Soldaten (Nordkoreaner. Uh.) sind das im Spielverlauf auch ausserirdische Lebensformen. CRYSIS versucht, richtig dreckigen Krieg zu spielen, und ich mag eigentlich keine Kriegsspielchen.
Das CRYSIS bisher an mir vorbeigegangen ist, hat noch einen anderen Grund: Die Hardwareanforderungen sind horrend hoch. So hoch, dass es bisher kaum einen Rechner gibt, auf dem das Spiel mit “Sehr hohen” Grafikeinstellungen läuft, und auch für niedrigere Details braucht man schon eine sehr gute Grafikkarte. Als es Ende 2007 rauskam, konnte man es eigentlich gar nicht spielen: Es gab schlicht keine Hardware, die den Anforderungen genügte.
Nun, mit 15 Monaten Abstand, ist das anders. Und wer das Spiel kennt, weiß, warum enorm viel Rechenkraft notwendig ist: Es hat die mit Abstand schönste Grafik, die man bisher in einem Spiel erleben konnte.
Der Dschungel ist Dschungelig, Wasser, Charaktere und Strände fast fotorealistisch. Alles wirft korrekte Schatten, es gibt Tag- und Nachtwechsel, usw – alles wirkt sehr, sehr echt.
Beispiel: Nach der Eröffnungssequenz schwimmt der Spieler an einen Strand. Dort zuckelt, vom Mondlicht beschienen, eine große Schildkröte entlang. Leuchtet man die mit der Taschenlampe an, erschrickt sie sich und zieht den Kopf ein. Lässt man sie in Ruhe, verrichtet sie ihr Geschäft und schlurft ins Wasser zurück. Das ganze sieht so echt aus, dass ich die ersten 15 Minuten damit verbracht habe, nur mit dieser Schildkröte zu spielen.
Das Terrain ist riesig und (bis auf einen Schauchlevel) frei erkundbar, ob zu Fuß oder mit Fahrzeugen.
Unsere Spielfigur trägt einen sog. “Nanosuit”, einen Anzug, der auf Knopfdruck den Träger mit einer Panzerung umgibt, übermenschliche Schnelligkeit oder Stärke verleiht oder ihn unsichtbar macht. Leider nicht alles gleichzeitig, man muss sich für einen Modus entscheiden. Wechsel sind jederzeit möglich, was gänzlich unterschiedliche Vorgehensweisen im Spiel erlaubt.
Beispiel: Ein stark gesicherter Wachposten an einer Strasse. Klassische Shooterfans werden den Anzug auf “Maximale Panzerung” einstellen und sich durchballern. Wer´s lieber heimlich hat, macht sicht unsichtbar und schleicht durch das Lager. Und wer gerne Neues miteinander kombiniert, rennt mit blitzartiger Geschwindigkeit durch die Reihen der verwirrten Feinde, wechselt zu “Maximaler Stärke” um über die Barrikaden zu springen, um sich dahinter in den Schatten zu kauern und das Tarnfeld zu aktivieren.
So weit, so gut. Leider funktioniert die Spielmechanik hinter der Grafikpracht äusserst bescheiden. Die Anzugsteuerung ist arg fummelig und wenig intuitiv geraten, zudem ist die Energie des Nanosuits, je nach Modus, in Sekunden erschöpft. Dazu kommt die schlechte Balance: Mit einem T-Shirt bekleidete Feinde halten zig Treffer aus, während die Spielfigur in ihrem Panzeranzug nach Sekunden ins Gras beisst. Die Spielpassagen, in denen man ein Fahrzeug steuert, sind noch schlimmer geraten. Es reicht, wenn ein Gegner den gepanzerten Jeep des Spielers heftig anhustet, um ihn explodieren zu lassen (den Jeep, nicht den Spieler).
Diese unausgewogene Spielbalance setzt sich fort: Gegen clever agierende Gegner, die sich gegenseitig Deckung geben oder sich auch mal zurückziehen und neu formieren, hat keiner was – aber das die Kerle einen schon auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad im dichtesten Urwald aus 5 Km Entfernung sehen und bei der kleinsten Bewegung des Spielers das Feuer eröffnen, dass ist unfair. Man raschelt mit einem Blatt und schon liegt der Spielcharakter in seinem Super-Duper-Anzug tot am Boden – wo ist da der Spielspass?
Die Spielfigur stirbt so dermaßen häufig, dass man die Funktionen zum Schnellspeichern und Schnellladen eigentlich auf die rechte und linke Maustaste legen müsste. Wie Hohn klingt es da, wenn einem das Spiel dauernd erzählt, man sei ja praktisch Superman, wegen diesem tollen Nanodings. Das fühlt sich in keiner Sekunde so an, und das ist auch der Grund, weshalb CRYSIS für mich nur im Ansatz funktioniert und ansonsten einfach fürchterlich nervt. Keine Story, kein Balancing, und: Kein Humor. Alles ist todernst gemeint. Nerv.
Das eine Story keine Tiefe entfaltet und das Spiel abrupt vorbei ist, wenn man denkt “Jetzt geht es geht richtig los” macht die Sache nicht besser. Fehlende Story und Charakterentwicklung versucht CRYSIS durch Hektik zu übertünchen, was die Idee “Man kann´s auch als Schleich-Shooter spielen” ad absurdum führt.
Fazit
Unterm Strich ist CRYSIS eine wunderhübsche Grafik-Bitch großen Anforderungen, die aber nur wenig mehr drauf hat als eine Technologiedemo. Der Nanosuit ist eine gute Idee, funktioniert aber, genau wie die Fahrzeug-Sache, aufgrund der schlechten Balance nicht wirklich gut.
Der Cliffhanger am Ende ist eine Unverschämtheit – Spieler wollen SCHÖNE Enden in Spielen, die trotzdem Lust auf die Fortsetzung machen. Das ist die Belohnung für die harte Arbeit – warum kapieren die Designer das nicht?
CRYSIS hat viel Potential, das über weite Strecken gnadenlos verschenkt wurde. Wenn der Nachfolger mehr Story bietet und nicht von 16jährigen Vollzeitzockern getestet wird, die das ganze Balancing verhauen, könnte daraus eine große Serie werden.
Wenigstens die Schildkröte war klasse.
Abhilfe schafft übrigens z.T. das rumschrauben an den Konfigurationsdateien: Dadurch kann man die Werte des Nanosuits so einstellen, dass er länger als 5 Sekunden hält. Und plötzlich ist es da, das Superman-Feeling, und das Spiel macht fast Spass. Aber Cheaten für den Spielspass – das kann nicht Sinn der Sache sein.
12 Gedanken zu „Review: CRYSIS (2007)“
Hmm.
Will jetzt hier niemanden deprimieren oder protzen, aber: habe glaube ich die ersten sieben (?) Level ohne Lebensverlust durchgespielt – Counterstrike zahlt sich eben doch aus.
Crysis war von der Gegnerintelligenz für meinen Geschmack wieder eine Generation hinter dem Vorgänger “FarCry” – das war hammerhart und wirklich eine auch taktische Herausforderung mit auch interessanteren Leveldesign. Vermutlich doch der beste Shooter überhaupt.
Habe Crysis etwa zur Hälfte durchgespielt und dann gelangweilt weggelegt (bei den ersten Alien-Sequenzen), vermute ich habe nicht viel verpasst. Man kann übrigens auch die Grafik über die CONF Dateien tunen – dann hat man auch auf langsameren Rechnern ordentliche (wenn auch nicht umwerfende) Grafik, die Presets sind ziemlich für die Tonne.
Danke für das hilfreiche Review. Der PC und mein Geiz diesen immer wieder für derartige ‘tolle’ Spiele hochzurüsten verhindern weitere Erfahrungen in der Spielewelt. Ich habe jetzt nur noch Assassins Creed vor mir und das war es dann für mich mit ‘neuen’ Spielen.
Mensch2.0: Ich glaube Dir ja Vieles, aber im Punkt 7-Levels-am-Stück täuscht dich vermutlich Deine Erinnerung. Übrigens hat Counter Strike einen ähnlichen Story-Tiefgang wie CRYSIS
Rüdiger: Assasins Creed könnte auch was für mich sein, zumindest was klettern und entdecken angeht. Ich werde wohl auf die Budget-Version warten, trotzdem würde mich mal Deine Meinung zu den Minispielchen und den Missionen interessieren – was ich davon bisher gelesen habe, klingt eher abschreckend.
ich gebe zu, dass ich noch vor 5 Jahren zu den Leuten gehörten, die ihren PC für Spiele nachrüsteten. Nun stehe ich vor dem Problem, dass meine Kiste auch jetzt noch zu lahm für Crysis wäre.
Es reizt mich nach wie vor, aber ich bin auch immer skeptisch, wenn Spiele besonders hungrig sind. Zu “meiner” Zeit war das nicht zwingend ein Qualitätskriterium.
Schonzeit: Damals kam es noch auf gute Spielideen an, Grafik war Nebensache.
jepp. das habe ich meinen Freunden auch immer gepredigt. Die waren aber grundsätzlich anderer Meinung und wunderten sich dann doch immer wieder, dass wir bei den guten alten Klassikern landeten.
Aber die Schildkröte klingt nett! 🙂
wobei ich schon garstige Schildkröten kennenlernen durfte. 😀
Nein Level 7 war real – gegen FarCry ist Crysis entschieden zu einfach. So bin ich ich etwa mit absoluter Sicherheit niemals nie im einem Fahrzeug explodiert – im Gegenteil mit dem MG oben ist man ja quasi im God-Mode.
Wenn Du “Kriegsspielchen” selten bis nie spielst fehlen hier einfach ein paar Jahre Training.
ich werde gerne berichten, sobald ich Muße dazu entwickle es auch zu spielen.
Gerade noch mal nachgesehen: es war in der Tat gegen Ende von Level 2. Wobei die Level ja stundenlanbg dauern und aus einzelnen Sequenzen bestehen die eher klassischen Leveln entsprechen – “gefühlt” ist es im Spiel also eher gegen Level 20 🙂
Rüdiger: Vorschlag: Gib´s mir, ich erzähle Dir dann, wie es ist 🙂
M2.0: Hör lieber auf, sonst hast Du am Ende noch gefühlt das Game ganz durchgespielt ohne einmal zu sterben 🙂
Vielleicht fehlt mir tatsächlich das Hardcore-Training, aber einen Shooter a la Bioshock nehme ich zwischendurch ganz gerne mal mit – und bin auch nicht schlecht darin.
Die Frage muss aber trotzdem erlaubt sein: Warum bietet ein Spiel auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad nicht jahrelang-trainierten-Taktik-Shooter-Experten keine Erfolgserlebnisse? Und warum funktioniert der Nanosuit als Spielelement so schlecht? (In Far Cry war man ja im Hawaiihemd unterwegs)
Antwort: Schlechte Spielbalance. DAS ist mein Hauptkritikpunkt.