Erschreckend. Zeit der Angst.
“Erschreckend,” murmelt der Arzt und vergräbt sich wieder bis zum Rand der Hornbrille in den Ausdrucken. Die enthalten die Diagramme und Messdaten des Lungenfunktionstest, den ich gerade machen musste. Dabei habe ich mich vor Aufregung ganz dusselig angestellt, bestimmt bin ich durchgefallen, hihi.
Ich bin nervös. Der skeptische Blick des Arztes auf die Röntgenaufnahmen steigert die Nervosität nur noch.
Dreizehn Jahre habe ich geraucht, 20 Zigaretten am Tag. An schlechten Tagen durchaus mehr.
Seit drei Wochen bin ich von der Kippe los, und ich vermisse das Rauchen kein Stück. Im Gegenteil, die neu gefundene Lebensqualität berauscht geradezu und ist jeden Tag wieder ein Genuß.
Weniger genußvoll sind die Schmerzen in der Brust. Mal ein Ziehen, mal eine Art Druck, mal ein Pochen, dann wieder nichts. Was ist das? Kommt das vom Herzen? Ist es nur verspannte Muskulatur von der schlechten Haltung am Schreibtisch? Oder schon Folgen des Rauchens, vielleicht ein Bronchialkarzinom?
Was es auch ist, es macht mir Angst. So saumäßig viel Angst, dass ich schon bei einem Allgemeinmediziner war – das erste Mal seit 6 Jahren. Denn Raucher leben immer in Angst. In Angst davor, auf die Zigarette verzichten zu müssen. Oder dass ihnen jemand sagt, sie dürften nicht mehr Rauchen. Diese Angst ist so groß, dass Raucher zu Beruhigung erst einmal eine Rauchen müssen.
Hört sich für Nichtraucher wie ein Riesenwitz an, ist aber leider schlimme Realität.
Der Allgemeinmediziner, eine ziemliche Schnarchnase, machte ein EKG (unauffällig) empfohl Vitamine, Magnesium und eine Überweisung zum Lungenfacharzt. Der würde mal Röntgen und genau hingucken, was da los sei.
Dieser Lungenarzttermin ist heute. Die Tage zuvor war ich schon ein Nervenbündel und fiel meiner Umgebung mit Rückzug und oder Gejammer auf den Wecker. Was, wenn der Arzt nun Schatten auf der Lunge finden würde? Würde ich eine Biopsie aushalten? KONNTEN die Schmerzen überhaupt von was anderem kommen als Lungenkrebs? Alle Symptome passten doch- Mit solchen Gedanken wache ich morgens schon auf, nach einer Nacht voller schweisnassem Rumgewälze.
Jetzt ist der Termin endlich da, ich sitze dem Arzt gegenüber, mit einem Puls von 200, und er murmelt “Erschreckend” und vergräbt sich wieder bis zum Rand seiner Hornbrille in den Ausdrucken des Lungenfunktionstests. Mir wird Übel.
Man kann halt nicht jahrelang quarzen und denken “hihi, vielleicht passiert ja gerade MIR nichts.” Natürlich passiert einem was. Manchmal schlimmer, manchmal weniger schlimm. Ich wusste das, als ich angefangen habe zu rauchen. Jetzt ist es an der Zeit Bilanz zu ziehen.
“Sie haben wirklich 13 Jahre lang geraucht?”
“j–ah”, stammele ich
“Erschreckend, wie sich der menschliche Körper doch gegen Gifte zur Wehr setzen kann. Sehen Sie, hier: Ihre Lungenfunktion entspricht dem eines Nichtrauchers. Und auch auf den Röntgenbilder, alles ohne Befund.”
Als ich die Praxis verlasse, atme ich erst einmal tief durch und lehne zitternd am Geländer. Erleichterung.
Ich habe das Rauchen überlebt. Bisher.
Fast habe ich das Gefühl, als wäre mir eine zweite Chance gewährt worden.
Ab hier noch 10 Jahre bis zum Normalrisiko. Aber füt heute: Alles OK.
Vielleicht markiere ich mir den 23.06. als zweiten Geburtstag im Kalender.
Der Tag, an dem jahrelange Angst erst einmal endete.
7 Gedanken zu „Erschreckend. Zeit der Angst.“
Leicht hypochondrisch liest sich das aber schon, näch. 🙂
Nichts für ungut bitte, Ich weiß was Du durchgemacht hast, denn ich habe auch viele Jahre sehr ordentlich geraucht und den Termin beim Lungenarzt wegen Brustschmerzen (noch während des Rauchens) mit ähnlichen
feuchten Hosenunguten Gefühlen begangen. 🙂Auch Dir die besten Wünsche und gutes Gelingen. Hätte ich geahnt, dass Du Dich quasi gemeinsam mit der Maid entwöhnen willst, hätte ich selbstredend auch Dir den Mut-Artikel gewidmet. 🙂
Dann gratulier ich mal fix zum Geburtstag… Dem Wiesel back ich dann (wenn es vorbeikommt) einen Kuchen, den es dir mitbringt 😉
Rüdiger: Normalerweise bin ich nicht hypochondrisch, aber hier habe ich mich total reingesteigert. Der mutmach-Artikel hat mir Mut gemacht. Zu dem Zeitpunkt habe ich schon nicht mehr greaucht, war mir aber nicht sicher wie lange ich das durchhalten würde und darum nichts gesagt.
Graval: Das mit dem Kuchen muss anders 🙂
Ich gratuliere dir ganz herzlich zu deinem Zweit-Geburtstag! Und noch mehr zum Nichtrauchen 🙂 Schön durchhalten – der Körper, die Umwelt und die Geldtasche danken! 😉
ich gratulier dir ganz herzlich zum Nicht-mehr-Rauchen!
Schmerzen in der Brust hatte ich auch jahrelang, auch ohne Befund. wobei das bei mir recht eindeutig vom Kopp kam….
auf jeden Fall alles Gute
🙂
Das Schlimmste ist die Umgewissheit. Das kann zermürben. Deshalb Glückwunsch zur (erleichternden und deshalb hoffentlich auch nachhaltigen) Erkenntnis.