Freundlicher Verrückter

Freundlicher Verrückter

Herbert Plusch ist ein feiner, älterer Herr. Mitte 50 ist er und mit Leib und Seele ebenso Frohnatur wie Bilanzbuchhalter. Einmal pro Monat kommt er vorbei, macht die Kontierung und bereitet alles für den Steuerberater vor. Er hat immer einen Witz auf den Lippen und einen Tip zum steuerlichen Umgang mit Geschäftsessen in der Hinterhand – und er erzählt gerne. Manchmal reicht eine Frage zu einer Buchung und er beginnt mit “Ich erzähle ihnen mal eine Geschichte…”.

Bei Herrn Pluschs Geschichten kann man immer noch was lernen, auch für´s Leben, und deshalb höre ich ihm gerne zu. Manchmal holt er mit seinen Geschichten so weit aus und macht dermaßen viele Nebenerzählstränge auf, dass ich ihn schütteln und dabei rufen möchte “Jetzt kommen sie endlich auf den Punkt”. Was ich natürlich nie tue.
Er gehört zu den Menschen, die man nicht einfach anstellt – nein, Herr Plusch hat entschieden für mich tätig zu sein, und das kommt einer Ehre gleich. Meinerseits.

Herbert Plusch hat immer die Ruhe weg. Ob es daran liegt, dass er nicht nach Stunden bezahlt wird oder daran, dass unsere Firma noch über einen Raucherraum verfügt – ich weiß es nicht. Sein Humorspektrum erstreckt sich vom schmutzigen Witz über den gemeinen Kalauer bis hin zu hintersinniger Ironie. Ich schätze ihn sehr, auch wenn seine überbordende Art mitunter anstrengend sein kann. Aber Herr Plusch darf das, denn er ist fachlich sehr, sehr gut und ein feiner Kerl.

Eines Tages kam Herr Plusch mit einem neuen Aktenkoffer zur Arbeit. Statt des abgewetzten roten Lederkoffers, in dem er seinen Taschenrechner (“Den lasse ich nicht am Schreibtisch! Das ist der GUTE Rechner!”) Thermoskanne, eine Tageszeitung und eine Banane beförderte, trug er plötzlich einen Pilotenkoffer mit sich rum. So ein schwarzgläzendes Lederteil mit runden Ecken. Sehr schick, aber auch sehr groß, denn Piltoenkoffer heissen so, weil darin Piloten nicht nur die Aktenordner mit Unterlagen für die Arbeit, sondern auch ein Hemd zum Wechseln und einen Kulturbeutel mit sich rum schleppen.

“Neuer Koffer? Schick!”, kommentierte ich.
“Jaha, von meiner Frau zum Geburtstag bekommen”, sagte Plusch sichtlich stolz.
“So einen hatte ich auch mal”, fügte ich hinzu.
“Und warum benutzen Sie ihn nicht?”, fragte Plusch.
“Nun, Herr Plusch, jetzt erzähle ich Ihnen mal eine Geschichte… Es begab sich zu einer Zeit wo ich hier ganz neu war und meine erste Aussenmission vor mir hatte. Großes Projektmeeting am anderen Ende der Republik. Damals habe ich noch an Meetings geglaubt und musste Aktenordner und Notebook und Whatnot mitschleppen. Dafür hatte ich mir einen Pilotenkoffer gekauft. Einen aus schwarzem Leder, dass ganz toll geduftet hat, mit variabler Innenraumabteilung und rausnehmbarem Einsatz für Stifte und einer Halterung für eine Wasserflasche.”

“Und dann?” fragte Plusch
“Und dann war das erste Kommentar einer Projektpartnerin, als ich den Konferenzraum voller wichtiger Leute betrat: Na, verkaufen Sie jetzt auch Bürsten? Oder wozu der Vertreterkoffer? Seitdem steht er ungenutzt zu Hause und duftet vor sich hin.”
“Hm”, machte Plusch.
Dann begann er ein gackerndes Geräusch von sich zu geben, dass schliesslich in ein Prusten überging. Ich ging irgendwann weg, er rollte sprichwörtlich vor Lachen auf dem Teppich rum.

Ab da war es geschehen. Ab diesem Moment schwenkte Plusch jedesmal wenn er mich morgens sah, seinen Koffer und krähte “Der Bürstenvertreter ist wieder da!”.
Er hielt das, aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen, für einen Irrsinnsgag und steigerte sich da von Monat zu Monat mehr rein. Zuletzt verabschiedete er sich sogar mit den Worten: “Die gute Nachricht: Die Buchführung ist fertig. Die schlechte Nachricht: Ich habe wieder keine Bürste verkauft”

Heute hat dieser Irrsinn den Höhepunkt erreicht. Ich kam gerade aus einer Besprechung wieder, als ich Herrn Plusch aus meinem Büro huschen sah. Er hatte heimlich folgendes auf meinem Schreibtisch platziert:

bürstenherbert

Ich will mal stark hoffen, dass der Gag damit auserzählt ist und nicht den Anfang des richtigen Wahnsinns markiert….

9 Gedanken zu „Freundlicher Verrückter

  1. Also erst einmal: Mehr von solchen Anekdoten! Du hast wirklich ein Händchen so etwas in Worte zu fassen. Köstlich! 😆

    Und der Gag nutzt sich natürlich ab, aber schaden tut er ja auch nichts. Er ist ja nicht bösartig. Fände ich, glaube ich. Nächstes mal drückst Du ihm einen Euro für seine erste verkaufte Bürste in die Hand. 😀 (Passt die eigentlich in den Pilotenkoffer?)

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