99% aller Deutschen sind irrelevant

99% aller Deutschen sind irrelevant

…aber ich zum Glück nicht.

Nein, Spass beiseite: Ich habe vor einiger Zeit aufgehört an der deutschen Wikipedia mitzuschreiben. Egal was ich einbrachte, immer hiess es von anderen Autoren “irrelevat” oder “versteckte Werbung” oder sowas, und *ZACK* war der Artikel gelöscht. Sicher, an der Wikipedia kann jeder mitschreiben, aber eine kleine Gruppe von Hütern der Wahrheit bestimmt was drin bleibt oder nicht.
Irrelevantes fliegt raus, und irrelevant ist erstaunlicherweise ganz schön viel.
Das erklärt, warum die englischsprachige Wikipedia über 3 Mio Artikel hat, die deutschsprachige aber erst 967.000. Das erklärt auch, weshalb ich mittlerweile in die deutsche Fassung zu populären Themen gar nicht nicht mehr reinschaue. Da steht dazu nämlich meist nix. Populäres ist neu und muss sich seine Würde erst noch verdienen. Als relevant wird nur anerkannt, was in anderen Medien als dem Internet oder in gedruckten Nachschlagewerken auftaucht oder.
Genau.

Diese Art der Fremdbestimmung tut der deutschen Wikipedia nicht gut und hat schon etliche Laienautoren vergrault. Die Konfusion über deutsche Relevanzkriterien hat Pavel auf Aggregat7 jetzt in einem eigenen Artikel schön zusammengefasst.

Money Quote:

Insbesondere ist die Geringschätzung bis hin zur Verachtung des Internets durch die Wikipedia äußerst bemerkenswert. Dem gegenüber steht eine Anbetung der alten Medien, die längst nicht mehr gerechtfertigt ist.

Hier zeigt sich vermutlich eine Art von Minderwertigkeitskomplex und der Wunsch, von den “Alten” ernstgenommen zu werden. Vielleicht haben auch viele Wikipedianer ein unausgesprochenes Problem damit, nach ihren eigenen Kriterien nicht “relevant” zu sein.

Die deutsche Wikipedia macht seit Jahren den Eindruck einer reaktionären, der Entwicklung der Informationsgesellschaft entgegenwirkenden Gemeinschaft, die sich immer mehr einigelt, wenig kritikfähig und vor allem nicht reformfähig ist.

Lesen: “99% aller Deutschen sind irrelevant” von Pavel auf Aggregat7

Ist ein starker Artikel mit vielen guten Ansätzen die erklären, weshalb die deutsche Wikipedia nur eine Staubschicht vom Brockhaus entfernt ist.

13 Gedanken zu „99% aller Deutschen sind irrelevant

  1. Meine Wahl fällt auch immer auf die englische Version. Gut, wenn man die Sprache versteht. Nicht so toll, wenn viele der nicht-zweisprachigen Internetnutzer auf veraltete bzw. lückenhafte Artikel in der deutschen Wikipedia stoßen. Und ich habe doch das Gefühl dass auch einige nicht so sprachbegabte (verschiedene Gründe) unterwegs sind (sollen sie ja auch!!).

  2. Ich erinnere mich an die Kommentare zum Eintrag über einen unserer Profs (aus dem Gedächtnis):
    “Löschen – der hat seinen Beitrag ja selbst verfasst”
    “Passt schon, der ist wirklich wichtig”
    *muahaha*

  3. Eigentlich wollte ich mich zu dem Thema nicht mehr äußern, weil mir bereits beim Wort Wikipedia die Galle hochkommt, aber: ja, ich war Wikipedianer, und das jahrelang. Inklusive Vandalismusbekämpfung, Mentorenarbeit für Neulinge und einer satten Anzahl von neuen Artikeln, einer davon unter den hochheilig als exzellent bewerteten. Ich habe es endgültig aufgegeben, mich damit zu befassen. Warum? Weil ich es satt hatte, mir von ein paar Bildungslückenbüßern meine Arbeit torpedieren zu lassen. Was zählt, ist ein sicheres Standing in einer Seilschaft; fachliche Qualifikation muss man sich nicht vorwerfen lassen, und deshalb wird dieser Enzyklopädieversuch das bleiben, was er jetzt schon ist: ein Versuch. Kein Ergebnis. Denn die deutschsprachige Wikipedia spielt mittlerweile Staat, und so bildet sie sich ihr Gesellschaftsmodell auch ab: ein paar Köpfe passen auf, dass die Meute nach widersinnigen Luftballonaufblasanleitungen turnt, Leistung lohnt sich genau dann, wenn sie nichts mit richtiger Arbeit zu tun hat (und das tägliche Ausmisten von Schülerunfug oder stundenlange Rechtschreibkontrollen sind Knochenarbeit!), und wer versucht, mit gesundem Menschenverstand zu argumentieren, wird niedergebrüllt.

    An dem Artikel über MOGIS, der die Debatte ausgelöst hat, habe ich übrigens mitgeschrieben. Christian, der Verein und ich waren dabei alle via Twitter in Kontakt, so konnten wir uns über die Sache kurzschließen. (Eigentlich eine typische Wiki-Arbeitssituation, mit dem Modell klappt es sehr viel besser als mit vorheriger Arbeitsteilung.) Leider habe ich nicht nur Duftmarken hinterlassen, ich habe mich auch von der Seite in die Löschdiskussion um den Artikel eingeschaltet. Danach bekam ich unter anderem beleidigende Mails, denn Aussteiger sind nicht gern gesehen. Auch wenn es da einzwei Leute gibt, die ich nach wie vor persönlich sehr schätze.

    (Entschuldige bitte, dass ich die Kommentarfunktion als Kotztüte missbrauche, aber nach einem guten Jahr Verdrängung musste das jetzt mal raus.)

  4. Danke für den Blick hinter die Kulissen, Bee. Ich finde das hoch interessant. Bisher hatte ich nur vermutet, dass es so oder ähnlich zugeht. Jetzt stellt sich heraus: Die Realität ist noch viel schlimmer als gedacht. Ich habe mal gestern einige der alten Diskussionen verfolgt. Was da an Arroganz und Gralshütertum durchschimmert lässt einen würgen.

  5. Hmm. Also bei im Ansatz kontroversen Artikeln lese ich in der Wikipedia immer zuerst mal die Diskussionsseite. Das dauert teilweise seine Zeit (manchmal: Stunden), dafür hat man danach schön die Lager und Nebenkriegsschauplätze zu einem Thema sortiert. Das allein mach die Wikipedia als Abbildung und Archiv gesellschaftlicher Diskurse wertvoll.
    Aktuelles Lieblingsbeispiel: Homöopathie

    http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Homöopathie

    Die Lager könnte man treffend mit “Schulmedizin-Nazis vs. Baumumarmer” bezeichnen, wenn man das durch hat sieht man vieles klarer.

  6. Es scheint mir im übrigen eine typisch deutsche Eigenschaft zu sein dass jetzt überall das Ende der (deutschen) Wikipedia proklamiert wird und unser aller Untergang nur allzu nahe his. Immer dieses Drama.

    Kaum hat etwas nachweislich Erfolg, kommt wieder unsere teutonische Urlust an Zerstörung und Exzess zum Vorschein. Nach demselben Prinzip funktioniert doch BILD seit jeher – Aufbauen-Kaputthauen, Aufbauen-Kaputthauen. Egal ob es nun Stars, Politiker oder was auch immer sind.
    Jetzt also Wikipedia: mit wohligem Grusel raunen wir “uh, wie schlimm muss es da wirklich sein…”

    lächerlich.

    Wikipedia ist und bleibt die humanistischste und menschenfreundlichste Erfindung der letzten Jahrzehnte, etwas wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wir haben nichts qualitativ Vergleichbares, und all die “Wikipedia ist schon über den Zenit” Kassandras sollten sich gut überlegen wer von einem Niedergang der Wikipedia eigentlich am meisten profitiert und ob das erstrebenswert ist.

    Ich empfinde die “Excludisten vs. Includisten” Debatte als sehr wertvoll, aber aus diesem auszutragenden Konflikt jetzt abzuleiten “da seht ihr es, das Grundkonzept war schon immer Murks” – ohne mich.

  7. Sehr wahr. Das sollte hier nicht als Kommentar, sondern als eigener Artikel in Deinem Blog stehen. Würde ich nämlich sofort unterschreiben. Sowohl das Vorgehen der Medien (Hochschreiben bis Fallhöhe erreicht, dann abstürzen lassen und nachtreten) als auch die Bedeutung des Projekts.

    Allerdings habe ich noch niemanden gehört der jetzt das Ende der Wikipedia herbeischreibt oder das Grundkonzept in Frage stellt. Vielleicht ist die Wikipedia zu groß und funktioniert zu gut, als dass das jemand ernsthaft proklamieren wagt.

    Was wir jetzt sehen ist ein Vorgang, durch den jede Wikipedia mal durch muss. Die Amerikaner hatten den Inkludisten/Exkludistenstreit vor drei Jahren. Heute findet man Beschreibungen von Comicfiguren in der englischsprahigen Wikipedia. So what?

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