Review: Bayonetta
Bild: SEGA
Bayonetta erscheint am 08.01.2010 für XBOX 360 und PS3 in einer englischen Sprachfassung mit deutschen Untertiteln. USK 18.
Eine junge Frau sieht zum Nachthimmel empor und beobachtet einen Schwarm Vögel, der am Vollmond vorbeizieht. Sie streicht eine Strähne ihrer dunklen Haare in das zurück, was man in den 50ern als Bienenkorbfrisur bezeichnet hat, und rückt ihre Hornbrille zurecht. Langsam zoomt die Kamera zurück. Die schwarzgekleidete Frau, so sieht man jetzt, steht auf einem Glockenturm. Genauer gesagt: Auf dem Zifferblatt an der Außenseite einer Glockenturmruine. Die gerade dabei ist, einen unendlichen Abgrund hinabzustürzen. Und während man sich als Zuschauer noch fragt, was zum Geier da eigentlich los ist, entpuppen sich die Vögel als Engel, die in all ihrer strahlenden Pracht zum Klang himmlischer Posaunen zur Landung auf der fallenden Glockenturmruine ansetzen. Die schwarzgekleidete Frau entsichert derweil vier Schießeisen und schickt sich an, den Engeln einen ebenso bleihaltigen wie blutigen Empfang zu bereiten.
Absurde Situation? Sicherlich, aber das ist erst der vergleichsweise harmlose Anfang von “Bayonetta”, dem neueste Machwerk der “Devil may Cry”-Produzenten. Das Spiel lässt sich, genau wie seine Vorgänger im Geiste, keinem gängigen Genre zuordnen. Am Ehesten ist vielleicht die Bezeichnung Beat´em-up-Action-Adventure zutreffend. Der Großteil der Action findet in, in sich abgeschlossenen, Räumen statt, in der es eine bestimmte Anzahl Gegner zu erledigen gilt. Hat man auch den Bösewicht auf die Bretter geschickt, geht die Handlung in einer Filmsequenz oder einer Erkundungspassage weiter. Das Gameplay beschränkt sich aber nicht nur auf Prügeleien, zwischendurch will auch ein Sprint an Hauswänden, ein Ritt auf einer Mittelstreckenrakete, ein Fahrt auf einem Zaubermotorrad und ein Flug durchs All gemeistert werden.
Von der namensgebenden Protagonistin weiß man zu Beginn nur, dass sie eine Hexe ist. Eine Hexe, die die letzten 500 Jahre in einer Kiste auf dem Grund eines Sees zugebracht hat, und die seit ihrer Befreiung vor 20 Jahren von Engeln heimgesucht wird.
Diese Engel versuchen krampfhaft, Bayonettas Seele in die Hölle zu verbringen – ein Ansinnen, dem die Dame mit dem Over-the-Top-Posh-British-Accent nicht nachkommen möchte. Stattdessen hat sie sich darauf spezialisiert, die sie heimsuchenden Engel umzulegen und deren Heiligenscheine gegen Geld zu verhökern. Als ein Informant ihr von einem alten Hexenjuwel erzählt, macht sich Bayonetta auf den Weg nach Europa und stösst dort auf einen merkwürdigen Großkonzern, der heilige Ruinen zu Festungen umbaut und Engel mit Militärtechnologie zu kreuzen scheint. Bayonetta weiß, dass das alles einen Sinn ergeben muss – wenn sie nur erinnern könnte, was vor 500 Jahren geschehen ist…
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Die Eingangszene mit dem fallenden Uhrenturm und ein erster Eindruck vom Gameplay.
Den Engeln macht Bayonetta zu den Klängen von J-Pop auf unterschiedlichste, und stets fantasievolle, Art und Weise die Hölle heiss. Gegen Standardgegner reichen ihre vier Pistolen, von denen zwei als an ihren Füßen(!) befestigt sind, größere Himmelsboten erledigt sie mit ihren Haaren.
Äh.
Genau.
Haarig und ab 18
Hexenhaar führt nämlich ein Eigenleben. Es dient Bayonetta in erster Linie als Kleidung, in bestimmten Situationen wird daraus ein haariger Riesendämon beschworen, der Bossgegener erledigt. Da das Haar nur eine Funktion zur Zeit ausüben kann, steht Bayonetta bei Endgegnerkämpfen halbnackt in der Arena. Das ist nicht der einzige Grund weshalb das Spiel keine Jugendfreigabe hat – in den Kämpfen geht es sehr hart zur Sache. Blutende Engel mit abgerissenen Flügeln sind noch harmlos gegen das, was nach einem Folterangriff, den Bayonetta in späteren Kämpfen ausführen kann, übrigbleibt. Dabei wird mittelalterliches Foltergerät beschworen und eingesetzt, und sagen wir es mal so: Eine eiserne Jungfrau ist kein Spielzeug.
Bayonetta prügelt, schießt, schlitzt und foltert sich nicht nur durch eine absurde Handlung, in deren Verlauf sie Jeanne d´Arc, den Journalisten/Love Interest Luca und sich selbst als kleinem Mädchen begeget, sondern auch durch Himmel, Hölle und alles dazwischen. Besonders abgefahrene Idee: Die Engelssphäre, in der sich Bayonetta auf der Erde bewegt, wird von Menschen nur am Rande der Wahrnehmung erfasst. Umgekehrt ist es genauso: Menschen wirken für Bayonetta schattenhaft, wie eine Reflexion in heißer Luft. Auf der Erde findet ein Großteil der Handlung statt, gelegentlich Abstecher in die Hölle sind allerdings unvermeidlich – dort wartet Dämon Rodin darauf, Zauberlollis(!) mit Heilkräften oder spezielle Waffen zu verkaufen. Am Ende der, 20 Stunden langen, in 30 19 (Korrigiert, danke Fisheye) Kapitel unterteilten, Geschichte geht es dann sogar in den Weltraum, zum finalen Kampf gegen die Schöpferin.
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Titelmusik Mysterious Destiny & Gameplayszenen
Tekken 6 ist was für Weicheier
Die Steuerung ist ein typischer Fall von “Easy to learn, hard to master”: Zwei Knöpfe des Gamepads sind für Attacken, einer ist für Ausweichmanöver belegt. Durch schnelles Drücken stellt man damit Kombos zusammen. So weit, so Prügelspiel. Dazu kommen aber eine ganze Reihe Spezialmoves und nette Einfälle wie die “Hexenzeit”. Weicht man einem Angriff erst im letzten Moment aus, verlangsamt sich die Zeit und Bayonetta kann den eingefrorenen Gegner gefahrlos Saures geben. Die Hexenzeit sollte man unbedingt beherrschen, sonst sieht man in den schnellen und teils unübersichtlichen Kämpfen sehr schnell kein Land mehr. Denn Bayonetta ist BOCKSCHWER.
Gerade in letzter Zeit sind viele weichgespülte Games erschienen, die vom Schwiereigkeitsgrad her zwischen “nicht vorhanden” und “kann ein Dreijähriger spielen” rangieren. Bayonetta ist hier anders, selbst auf der Schwierigkeitsstufe “Normal” stirbt man tausend Tode und beisst des Öfteren nicht nur ins Gras, sondern auch ins Gamepad. Neben der Beherrschung der Steuerung kommt es aber auch auf Köpfchen an – Endgegner lassen sich mit der richtigen Taktik und den richtigen Waffen oft in einem Rutsch erledigen, was ebenfalls eine nette Abwechselung von den oft repetetiven Bosskämpfen, wie man sie oft im Shootergenre findet, darstellt. Kein Kampf ist unlösbar schwer, keine Stelle unfair.
Beispiel: Bayonetta steht auf einem brökeligen Steg über einer Lavagrube und kämpft gegen einen, unbesiegbar scheinenden, heiligen Drachen. Man kann nun endlos auf den einprügeln und dabei tausendmal sterben, bis auch der himmlische Lindwurm evtl. irgendwann das Zeitliche segnet. Man kann aber auch ein wenig die Umgebung absuchen und mittels Hexenkraft und einer zu findenden Sanduhr die Zeit rückwärts laufen lassen, bis zu einem Punkt in der Vergangenheit, an dem noch keine Lava, sondern fester Boden vorhanden war. Das macht den Kampf wesentlich einfacher.
Gute Unterhaltung!
Bayonetta ist eine Wundertüte an überraschenden Einfällen – Die Handlung hat es in sich, denn genauso skurril wie die beschrieben Sequenz mit dem Uhrenturm verhält sich das ganze Spiel. Die Dichte der Aneinanderreihung von WTF-Momenten ist beeindruckend, das Spiel wird nie langweilig und unterhält nicht nur mit abwechselungsreichen Gameplay, einer nett anzuschauenden Hauptdarstellerin mit und einer absurden Handlung, sondern auch mit wunderschönen Filmsequenzen und einer Achterbahn von tollen Einfällen und Liebe zum Detail – noch nirgends sonst habe ich einen spielbaren und sinnvollen Ladebildschirm gesehen. Und das sich das Spiel mit drei aufeinanderfolgenden Endsequenzen beim Spieler bedankt, davon sollten sich alle “Das Ende machen wir offen und lassen die Leute auf den zweiten Teil warten”-Idiotendesigner eine Scheibe abschneiden. Spieler wollen am Ende eines Spiels belohnt werden – und Bayonetta tut dies, u.a. mit einem Poledance (s. Video unten).
Bayonetta macht vieles anders und sehr vieles besser als andere Spiele. Selbst wenn man Japan-Prügelspiele generell nicht mag, sollte man einmal einen Blick riskieren. Wie gesagt: Bayonetta ist anders.
I should become a Poledancer!
Und wer diesen langen Text brav bis zum Ende gelesen hat, der darf sich jetzt an den folgenden Videos erfreuen.
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Dance-Ende: Bayonetta und Gegner tanzen
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Credits: Fly me to the Moon in der Jazz-Version, inkl. PoleDance.
4 Gedanken zu „Review: Bayonetta“
Das Genre der “beat ’em up” mit Tekken und deren Ablegern hat mich nie fangen können. Die Optik und Idee des Spiels gehört sicherlich zur besseren Sorte. Dein Review lässt mich zumindest das Spiel mal auf die Watchlist für zukünftig gebrauchte Spiele setzen. Später mal rein zu schauen schadet schließlich nichts. Merci für das hilfreiche Review.
Mit Beat´em ups konnte ich auch nie was anfangen. Knöppschedrügge für kleine Kinder, sowas. Glücklicherweise fallen die Devil May Cry-Spiele (die ich auch nicht gespielt habe) und Bayonetta in ein eigenes Genre. Allein die irre Geschichte lässt einen vergessen, dass es ein Prügelspiel ist.
Ansich gute Review, geniales Spiel, aber ich bitte dann doch bitte keine Falschaussage wie 20 Stunden Spielzeit oder 30 Kapitel zu machen !
Das Spiel hat gerade mal ca. 10 Stunden Spielzeit, was für ein Spiel dieses Genres schon recht hoch ist und dazu noch einen hohen Wiederspielkeitswert.
Naja, und von den 30 Kapiteln können wir gut die hälfte nehmen !
Als Durchschnittsspieler ist man auf “normal” locker mit 20 Stunden dabei. Sicher, wenn ich entweder ein geübter Superspieler bin ODER das ganze auf “Superleicht” angeht, dann ist man in 10 Stunden durch.
Die Kapitelanzahl ist in der Tat ein Tipfehler. Das sollte 20 heißen, wobei es im Endeffekt nur 19 sind (wenn man das Lost Chapter mitzählt)