Unverantwortlicher Hecmec
Also, wenn ich Gemüsebauer in Nordeutschland wäre, dann wäre ich aktuell nicht nur schwer angepisst, ich würde mir auch überlegen eine Klage anzustrengen. Zuallererst gegen das Robert-Koch-Institut, danach gegen den versammelten Qualitätsjournalismus.
Da sind also etliche Leute am EHEC-Erreger erkrankt. Keiner weiß, welcher Stamm genau das ist und wo der herkommen könnte, aber stante pede wird in den Medien gemutmaßt, dass die Infektion wohl vom Verzehr von rohem Gemüse kommen könnte, das mit Gülle gedüngt wurde.
“Uuuuuah”, sagt da ein Teil der Verbraucher und wäscht das Gemüse sorgfältiger ab.
“Wir haben es ja schon immer gesagt”, sagt ein anderer Teil und frisst ab jetzt nur noch Mettwurst. Wollte die schon immer, jetzt haben sie eine Ausrede.
“Gemüse mit Gülle düngen? Man düngt nur Mais und Getreide mit Gülle, und das noch vor der Saat”, sagen die Bauern und wundern sich über die komischen Stadtmenschen.
“PanikPanikPanik wir werden alle sterben!”, kreischt der Qualitätsjournalismus, wirft die Arme in die Luft und rennt hysterisch im Kreis.
Und weil in unserer Aktionismusrepublik neuerdings spätestens nach drei Tagen was passiert sein muss, stellt sich gestern das RoKo hin und sagt allen Ernstes: “Wir haben 25 Leute befragt, was sie gegessen haben. Und auf den ersten Plätzen waren…. Tomaten, Gurken und Blattsalat.”
Fünfundzwanzig Leute? Really? Mein Gott, das ist weniger als bei dieser alten Fernsehshow mit dem ewig besoffenen Showmaster, dem Familienduell! Die haben wenigstens so getan als hätten sie hundert Leute befragt! Aber 25?! Das ist weniger als man für ein signifikantes Ergebnis braucht! Und DANN kommt noch dazu, dass die Leute natürlich befragt worden sind, nachdem der Qualitätsjournalismus schon was von Tomaten, Gemüse und Blattsalat gelallt hatte.
Das ist die Grundlage der Warnung: Die Befragung einer Handvoll vorgeprägter Leute. Auf dieser Grundlage wird jetzt die Landwirtschaft, von der wir im Norden ganz viel Biobauern haben, nachhaltig geschädigt. Und IHR schimpft euch Wissenschaftler? Der Qualitätsjournalismus lässt solche Zweifel übrigens nicht vorkommen. Stattdessen siet man selbst im ZDF friemelige Computeranimationen, in denen es jemandem den Darm in Stücke reisst.
Ganz egal wie schlimm dieser EHEC-Erreger am Ende wirklich ist und ob es eine Epedemie wird oder die erste Sommerlochhysterie ist: Der Umgang mit diesem Ereignis durch Wissenschaft und Qualitätsjournalismus, gefördert durch die Politik, ist wieder mal unverantwortlich. “Wieder mal”, weil man sich ja eigentlch vorgenommen hatte, aus Schweinegrippe & co endlichmal zu lernen. Stattdessen verfallen alle ganz schnell wieder in alte Muster.
18 Gedanken zu „Unverantwortlicher Hecmec“
Word!
Eine Frechheit diese Berichterstattung und Recherche und Aufarbeitung etc…
Heute früh im Radio: Warum sind mehr Frauen erkrankt? Weil Frauen mehr Gemüse und Salat essen als Kinder und Männer.
Ja wie, die haben alle dasselbe Zeug (vom selben Lieferanten?) gegessen? In allen 16 von 17 Bundesländern?
Wow.
Ja es ist leider so. Der Homo Sapiens (HS) oder auch “moderne Mensch” hat offensichtlich einen schwerwiegenden Gendefekt.
Daran sollte man forschen.
Er verfällt immer wieder in alte Muster, egal ob beim Ölfördern im Golf oder bei der Atomkraft oder wie hier bei der wieder mal falschen Politik. Unzählige Beispiele belegen das immer wieder.
Solange der HS sein größter eigener Feind ist und sich selber vernichtet und wie die Heuschrecken den Planeten verwüstet, sehe ich da auch keine Chance auf ein Licht am Ende des Tunnels.
Wie gesagt, offensichtlich ist das nur mit Gen- Manipulation beim HS behebbar.
Allein die lange Liste der Fehlentscheidungen unserer Kanzlerin belegt das in beeindruckender Weise. In so kurzer Zeit so viel falsch zu machen, das ist schon sehr rekordverdächtig.
Also, Hecmec und Panikmache und voreilige Schuldzuweisung völlig normal hier.
Vielleicht kommt dieses “signifikante” Ergebnis ja auch daher, das gerade einfach die Jahreszeit ist, in der selbige Gemüsesorten wieder massenweise frisch und schmackhaft im Gemüseregal liegen und dabei auch wieder deutlich günstiger sind als die überteuerte und dabei oft nur wässrige Winterware. Da greifen die meisten Menschen gern zu und schwupps – haben die meisten Infizierten zufällig frisches Gemüse gegessen.
Ich esse schön weiter das Gemüse aus meiner Gemüsekiste vom norddeutschen Biobauern und wasche dabei einfach alles gründlich, was ich im Übrigen schon immer und mit allem, bio oder nicht bio, getan habe. Mit Ausnahme der Tomaten, die früher in Mamas Garten direkt von der Hand in den Mund gingen. Oder der Erdbeeren im selben. Oh nein, die waren ja mit Pferdemist gedüngt! *kreisch*
Ich bin ja immer gegen zu große Panikmache oder Aufhetzerei. Auch in Blogs. Auch in sonst von mir hochgeschätzten 🙂 Schon alleine im Spiegel-Artikel (denen ich sonst Manipulation auf Bild-Niveau unterstelle) finde ich nämlich folgendes:
– “Dennoch sei nicht auszuschließen, dass auch andere Lebensmittel als Infektionsquelle in Frage kommen.”
– “Allerdings seien dem RKI auch Fälle aus anderen Bundesländern gemeldet worden, so dass auch es auch dort kontaminierte Lebensmittel geben könnte.”
-“In der Studie wurden den Angaben zufolge seit vergangenen Freitag 25 Erkrankte und 96 gesunde Personen intensiv zu Ernährungsgewohnheiten und anderen möglichen Infektionsquellen befragt. Da die Studie nur in Hamburg durchgeführt wurde, habe diese nur bedingt Aussagewert für andere betroffene Orte, betonte das RKI.”
– plus ohnehin sehr viele Konjunktive.
Dass sie Qualitätsjournallie durch die Bank weg solche relativierenden, ausgewogeneren Statements unter den Tisch kehrt, kann ich also ganz und gar nicht bestätigen. Ausgenommen ist wie immer die Bild, bei deren Überschriften alleine ich schon HUS-ähnliche Symptome bekomme.
Frau Aigner, auf der ich sonst auch mit Vergnügen rumhacke, schränkt sogar noch weiter ein (Artikel von tagesschau.de):
“Bundesverbraucherministerin Aigner hatte zuvor im ARD-Morgenmagazin vor zu schnellen Schuldzuweisungen gewarnt. Berichte, wonach Landwirte die Krankheitswelle durch den unsachgemäßen Einsatz von Gülle als Dünger ausgelöst haben könnten, bezeichnete Aigner als Spekulationen. […]”
Der Stamm ist seit gestern auch identifiziert (kam in der Fußball-Halbzeit auch schon in den Nachrichten), viel mikrobiologische Fachtermini gibt es in der Mitteilung des RKI: http://idw-online.de/pages/de/news425103
Ich habe nun viel gelesen, wie das mit Gülledüngung so aussieht. Aber nur, weil mir verschiedene Bauernverbände versichern wollen, dass Gülledüngung bei wachsendem Gemüse gegen Regeln und gute Praxis verstößt… ja nun. Facebook sagte auch, es verstoße gegen die Nutzungsbedingungen, die Token-Sicherheitslücke zu nutzen, deswegen hätte es sicher keiner gemacht. Es muss ja nur ein Betrieb sein, der regional ausgedehnt bzw. bundesweit Erzeugnisse vertreibt. Aber hier gebe ich auch gerne zu: Spekulationen. Mehr Hygienebewusstsein im Umgang mit Lebensmitteln kann dennoch generell, ganz unabhängig von EHEC und co., nicht schaden.
Im Angesicht von Nierenversagen, dauerhaften Nierenschäden und Zerstörung von Blutplättchen sowie roten Blutkörpern bin ich ganz dankbar um Warnungen und Hinweise; vor allem sehe ich eine ganz andere Erkrankungs”qualität” als bei der Schweinegrippe. Verarscht fühle ich mich allerdings hier auch, wenn die Pharmaindustrie mit einem Medikament um die Ecke kommt und Rahmenverträge mit den Ländern abschließt.
@kalesco: Die Gesundheitsbehörden haben von Anfang an gesagt, dass es im Vergleich zu den sonst dokumentierten Fällen (EHEC-Infektionen sind in Deutschland meldepflichtig) ungewöhnlich viele Frauen sind. Die Erklärung, dass Frauen auch post-Emma häufiger Essen zubereiten (was eigentlich verbreitet wurde, nicht dass sie mehr essen) und darum vermutlich verstärkt mit dem Erreger in Kontakt kommen, halte ich für plausibel.
Wow, so viele, so ausführliche Kommentare in so kurzer Zeit.
Um mal einen Punkt aus der Diskussion rauszugreifen: Es wohl auf die Definition von “Unter den Tisch fallen lassen” an. Wenn eine Zeitung was von Todesopfern in der Schlagzeile schreibt und dann im letzten Absatz Konjunktive und Einschränkungen auftauchen, dann ist für mich schon die Grenze überschritten. Eine verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema wäre gewesen, in der Überschrift zu melden, warum es keinen Grund zur Panik gibt – und dann im Text zu erläutern, dass der normal-sein-sollende hygienische Mindeststandard ausreicht, um die Gefahr zu bannen. Wenn aber auf NDR-Info ein Experte, der eigentlich beschwichtigen will, vorher stundenlang erzählt wie man den Kühlschrank desinfiziert und welche Art von Atemschutz man verwenden muss – ja, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass alle glauben, sie müssten beim Anblick der nächsten Gurke sterben.
Nicht vergessen: Die Welt da draußen ist schlecht informiert und kann Informationen nicht einschätzen. Als im Göttinger Klinikum Fälle von Schweinegrippe gemeldet worden sind, haben sich Eichsfelder unter Tränen und Nervenzusammenbrüchen geweigert die Stadtgrenze zu übertreten, weil sie dachten, sie müssten in eine Quarantänezobe und dann sterben. Kein Witz.
Und solchen Leuten gegenüber haben die Medien verdammt nochmal eine gewisse Mindestverantwortung zu tragen.
Wie man ja bisher rausgefunden hat, ist das eine mutierte also bisher nicht vorgekommene EHEC Version, die besonders aggressive Toxine freisetzt.
Also mit den “Jahreszeiten für frisches Gemüse” oder sonstigen Verharmlosungsargumenten is nix.
Bei der rasanten Ausbreitung und den bekannten Infektionswegen mal hier die dämliche Frage:
Mal angenommen, wenn jemand, z.B. hirnkranker Alquaida Islamist, dieses Virus besonders effizient unter die Leute bringen will, wie stellt er das wohl am besten an?
Supply Chain heißt das Zauberwort.
Fressbudenketten haben in jedem Burger frischen Salat, oftmals frische Tomate und Gurke und natürlich von Wraps bis Chefsalat ist alles sowas drin. Geradezu OPTIMAL ist die Logistikkette dieser Fast Food Ketten dazu geeignet, innerhalb von 48 Stunden eine Verbreitung zu erreichen. Da sie alles (aus Kostengründen) zentralisiert haben, genügt wahrscheinlich hier die einmalige Infiltration, um das Ding in Umlauf zu bringen. Woher die das einkaufen? K.A.
Jedenfalls ist es wie vorher schon gesagt, eine dreiste Äußerung, den Gemüsebauern die Schuld zuzuschieben und vorsorglich schon mal deren Existenzen zu ruinieren.
@silencer: Wenn in der Überschrift aber etwas von “kein Grund zur Panik” steht, dann lesen gerade die Hirnbratzen, die es nötig hätten, die Artikel nicht weiter. Im Kern ist aber sogar Grund zur Panik gegeben, wenn man nicht einige Vorsorgemaßnahmen (und sei es ausführliches Gemüsewaschen) ergreift – mit denen lässt es sich dann aber gut leben und entspannt abwarten. Darum bin ich eigentlich ganz froh, dass hoffentlich auch der Letzte – von mir aus mit dem Holzhammer – begreift, wie wichtig Händewaschen, etc. sind.
Die Relativierungen, die ich aus dem Artikel rausgegriffen hatte standen übrigens schon in den ersten Absätzen, nicht den letzten, und haben immer die direkt vorhergehende Aussage (meist RKI-/Ministerien-Wiedergabe) eingeordnet, eingeschränkt und bewertet (gutes journalistisches Handwerk) – daher auch meine Einschätzung, dass der Umgang einigermaßen und je nach Medium legitim ist. Das Argument “Das steht erst ganz am Ende”, kann ich nicht stehen lassen.
Meine Vermutung liegt an anderer Stelle: Die Rezipienten interpretieren sich ihre Panik daher. Medien unterliegen, je ironisch-sarkastischer der Einzelne mit der Welt umgeht, immer mehr dem Generalverdacht der Panikmache. Sonst hätte man vermeintlich auch nichts mehr zu meckern. Würde man wirklich mal auswerten, was rein vom Wortlaut geschrieben steht, habe ich derzeit eher den Eindruck, dass eine recht zuverlässige Auflistung der verschiedenen Aussagen öffentlicher Stellen und deren Einordnung vorgenommen wird. Habe ich nicht wirklich viel gegen auszusetzen.
Qualitäts-was?
Ich stimme dem Schalldämpfer zu, was den Journalismus angeht. Die wichtige Information hat zu Beginn zu stehen, die Details dann weiter unten, denn nicht nur die “Hirnbratzen” lesen Artikel nicht ganz, auch der geneigte Bildungsbürger tut das oft nicht. Schon gar nicht bei der momentan unüberschaubar großen Flut an Artikeln zum Thema.
Ist doch eh´ nur Röslers Rache an den Grünen und Rentenabsicherung durch Verträge über tollen Dünger mit seinen Lobbyfreunden aus Pharma- und Chemieindustrie.
Früher hat man statt EHEC übrigens einfach Dünnschiss, Durchfall, Diarrhö oder sonstwas gesagt.
Mahlzeit.
@wortkomplex, Vieles richtig, geht aber am Kern vorbei: Wenn man die Texte intensiv untersucht, kann man vermutlich durchaus zu dem Befund kommen, dass Ausgewogen und unpanisch berichtet wurde. Zumindest in manchen Publikationen. Aber: Es kommt nunmal nicht nur auf den Inhalt an, sondern auch auf die Verpackung. Die Art, wie ich etwas verpacke/rüberbringe/betitele. Wenn in einer öffentlich rechtlichen Nachrichtensendung 60 Sekunden Animationen von explodierenden Därmen gezeigt werden, und anschliessend ein Wissenschaftler 3 Sekunden lang zu Protokoll geben darf, das eigentlich alles gut wird, wenn man seine Gurke kocht – dann kann man sich sehr genau ausrechnen, welche Info eher hängen bleibt. EineThese, die aktuell wohl jeder Gurkenhändler bestätigt.
Allein wenn ich mir die ehec-Themenseite des Spiegel von gestern Abend angucke wird mir schlecht:. Da fanden sich folgende Schlagzeilen direkt untereinander weg:
Ehec-Erreger: Behörde warnt vor norddeutschem Gemüse
Gefährliche Darminfektion: Wie Ehec-Bakterien die Nieren zerstören
Ehec-Infektionen: Mediziner raten von rohem Gemüse für Kinder ab
Da gucke ich doch nur mal über die Schlagzeilen und kaufe direkt die nächsten 10 Jahre kein Gemüse mehr.
@sasa: Nein, EHEC hieß schon immer EHEC. Mit “Durchfall” hat das leider nicht mehr viel zu tun. Der Erreger ist eine Mutation des eigentlich erst einmal harmlosen E.coli-Bakteriums, das wir alle auch noch aus dem Bio-Unterricht kennen sollten. Offensichtlich sind die wichtigen Informationen da leider doch nicht angekommen…
Was den Journalsismus angeht: Wichtige Informationen haben IMMER oben zu stehen, wenn wir von Print sprechen. Das ist das erste, was man schon im Schülerpraktikum bei der Zeitung lernt, inklusive Setzerei-Geschichte zur Verdeutlichung. Bei allem anderen sollten sie “vorne” zu finden sein. Das ist gar keine Frage, dagegen hat auch niemand etwas. Wenn du meine Kommentare gelesen hast, wird dir auch aufgehen, dass ich genau diese wichtigen Informationen auch dort verorte (zumindest bei einem Großteil der Artikel).
@silencer: Das ist doch aber genau das, was ich meine. Die Überschriften, die du raus gesucht hast, finde ich alle extrem unkritisch. Ich glaube, das wirst du auch, wenn du einen Schritt von deiner Nöckel-Position zurück trittst 🙂
Im Detail…
1.) “Ehec-Erreger: Behörde warnt vor norddeutschem Gemüse”
Vor dem Doppelpunkt die Einordnung, auf die sich der Rest bezieht. Dahinter die erst einmal reine Wiedergabe dessen, worum es geht – nämlich einen Bericht darüber, dass das RKI vor norddeutschem Gemüse warnt. Das ist passiert, das steht da, mehr nicht. Das ist ehrlich gesagt sehr neutral gehalten. Wo genau ist da die Panik? (Abgesehen vom Fehler, da das RKI steif und fest behauptet, sie hätten nicht vor norddeutschem Gemüse sondern vor Gemüse in Norddeutschland gewarnt.)
2.) “Gefährliche Darminfektion: Wie Ehec-Bakterien die Nieren zerstören”
Die Überschrift weist mich auf einen Hintergrundartikel hin. Der ist dazu da, dass Leute wie sasa verstehen, dass es kein profaner Durchfall ist, von dem wir hier reden. Der Erreger ist gefährlich, schon eine extrem geringe Konzentration führt zur Infektion. Behandlung durch Antibiotika fast ausgeschlossen (nicht nur, weil wenige Derivate wirken sondern auch, weil das Bakterium in einer Stressreaktion auf Antibiotika Toxine ausschüttet, die zu weiteren Beschädigungen innerer Organe führen können). EHEC löst das HUS aus und genau das kann zu Nierenschäden (soweit ich verstanden habe das Hauptproblem) führen, das “Wie” steht – so suggeriert mir die Überschrift -in diesem Artikel, der mich als interessierten Medizin-Laien, der gerne alles über genau so etwas wissen möchte, darüber informiert. Wir haben also eine korrekte EInordnung (gefährlicher Erreger), den Hinweis, worum es in dem Artikel geht (das”Wie” von EHEC) und gleichzeitig die Benennung des Hauptproblems (Nieren). Wieder die Frage: Wo ist hier die Panik? Nochmal… Nein, es ist kein Durchfall: Wer damit konfrontiert ist und die Auswirkungen zu spüren bekommt, wird im Zweifelsfall erst Mal an die Dialyse-Maschine gehängt.
3.) “Ehec-Infektionen: Mediziner raten von rohem Gemüse für Kinder ab”
Auch hier wieder die Spiegel-typische thematische Einordnung vor dem Doppelpunkt (EHEC-Infektionen). Und im Kern die gleiche Argumentation wie bei 1.). Mediziner haben in öffentlichen Statements von rohem Gemüse für Kinder abgeraten. Genau das steht in der Überschrift. Zur Bewertung lässt sich hier kurz die alte Litanei halten, dass das Immunsystem von Kindern noch weniger ausgebildet ist als das von Erwachsenen, darum anfälliger und noch viel stärker reagieren kann, was wiederum zu mehr Problemen als Lösungen führen kann.
Ich komme nun also wieder auf meine These zurück, dass das eigene Mindset entscheidenden Anteil daran trägt, ob wir “Panik!!!” lesen bzw. hinein lesen oder nicht.
Ein anderes Problem, dass ich hier sehe: Online-Nachrichten schreiben eben über alles, was gerade passiert. Das ist ein generisches Online-Problem – wer die Zeitung von Morgen aufschlägt hat dann eben nicht die drei Artikel sondern vielelicht einen plus Hintergrund und Kommentar, in dem alles mit etwas größerem Abstand (aber auch nicht viel, da darf man sich nichts vormachen) zusammengefasst ist. Aber dann muss man auch so konsequent sein und wieder tote Baum-Edition lesen oder das eFormat abonnieren oder was auch immer und nicht selbst genau dort nachschauen, wo das Problem entsteht und man genau das eigentlich auch weiß.
Zum Spaß die Überschriften-Vergleiche zur Bild:
“Killer-Keim EHEC: Breitet sich Epidemie über Europa aus?”
“EHEC: So gefährlich ist der Todes-Keim”
“DARM-SEUCHE: Salat-Angst in Deutschland”
“EHEC: Spur der Gift-Gurken führt nach Südspanien”
Das hat dann doch nochmal eine ganz andere Qualität 🙂
Nöckel-Position 🙂
Sehr schön auseinandergepflückt, ändert aber immer noch nichts am Effekt, um den es mir eigentlich geht: Die Bauern und Händler, die gerade nichts mehr loswerden, werden ein Lied davon singen können wie gut die Leserschaft aufgrund der Berichterstattung differenziert. Das Auge liest im Zweifelsfall nur “Ehec-Erreger ist tödlich” “Gemüse ist Schuld”.
Der Mindset-Effekt spielt evtl. eine Rolle wenn es darum geht, wie distanziert oder reflektiert man selbst mit den Medien umgeht und ob man sowas als Panikmache wahrnimmt oder nicht. Das ist allerdings schon eine Ebene über den unmittelbaren Auswirkungen der Berichterstattung – und ein Großteil der unmittelbaren Auswirkungen im vorliegenden Fall gammelt gerade in Lagerhäusern vor sich hin.
“Das Auge liest im Zweifelsfall nur „Ehec-Erreger ist tödlich“ „Gemüse ist Schuld“.”
– was nun mal aber derzeit der aktuelle Kenntnisstand ist? Also ich persönlich finde es schon relevant darüber informiert zu werden, wenn es an einem Tag so viele Infektionen gibt wie sonst in einem Jahr.
Und dieses Lament “all die armen Öko-Bauern” – da können wir denke ich mal ganz entspannt bleiben. Alle essen wieder Rind, alle Schwein, Geflügel etc – niemand regt sich mehr über BSE, Schweinepest und CO auf. Und wenn URsache/Quelle gefunden ist, werden auch alle wieder brav Gurken essen.
Panik111!!! funktioniert eben immer in mehrere Richtungen.
Verzeihung, aber das sehe ich etwas anders: Erst Mal dreschst du gewaltig auf die Wissenschaftler und Medien ein. Dass die Medien zu Teilen wirklich verantwortungsvoll mit der Thematik umgegangen sind, habe ich ziemlich dezidiert aufgezeigt. Da gehe ich im Wesentlichen -wenn auch nicht nur, aber zumindest hier in diesem Blog – vom Silencer’schen Mindset aus. Du hast z.B. die Überschriften als unverhältnismäßig zitiert, die aber vor allem nur Fakten wiedergeben. Wenn das zu der Konsequenz führt, dass du zehn Jahre auf Gemüse verzichtest, mag das so sein – aber sollten deswegen die vielgescholtenen Medien und Wissenschaftler die aktuelle Faktenlage verschweigen oder verdrehen? (Zu der Hamburger-Befragung ließe sich übrigens auch noch einiges schreiben… Testgruppe, Schwierigkeiten mit Referenzgruppe, etc. plus die Erkenntnis von oben, dass immer betont wurde, die Aussage gelte nur für Hamburg.)
Es sei hier noch einmal gesagt: HUS ist wirklich, wirklich!, kein Spaß. Nicht jede EHEC-Infektion muss dazu führen, aber viele tun das bei diesem Stamm ungewöhnlicherweise gerade. Darin liegt auch das besonders gefährlich und besonders berichtenswürdige. Die Infektionen sind nicht nur aus Lust an der Dokumentation meldepflichtig. Erste Pflicht sowohl für Wissenschaftler als auch für Medien ist in der Konsequenz meiner Meinung nach, die Information über die Gefahren- und Faktenlage weiter zu geben und über diesen Weg evtl. Eindämmung zu bewirken. Unverantwortlich wäre es, wenn über jedes pupsige EHEC-Auftreten berichtet würde. Aber darüber sind wir einfach schon weit hinaus. Darum: Nein, es war und ist keine Panikmache (bei der Bild und ihren Killer-Bakterien allerdings schon… aber hey, sie haben immerhin die Bakterien/Viren-Unterscheidung hin bekommen), wenn auch großflächige Eingrenzungen (“Gemüse” allgemein) gemacht werden. Natürlich tut es mir um die Bauern leid – aber das ist kein Argument dafür, schlimmstenfalls Menschenleben zu gefährden, wenn man es verhindern kann.
Wären die Informationen nicht weiter gegeben worden, bin ich mir übrigens recht sicher, auch das hier in einem Rant zu lesen zu bekommen. Inklusive der Aussagen “Da sieht man wieder, wie unverhältnismäßig mächtig Bauernverbände und Lobbyisten sind” und “Man muss eben nur fragen, wo das Geld liegt.”
Um gleich auch noch mal nachzutreten: ich werde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass sich jetzt gerade die Möhren kauende Öko-Fraktion ganz arg unrecht behandelt fühlt. Böse Medien und so.
Genau dieselben Menschen, die bei den bisherigen Skandalen wie BSE, Schweinepest, Gammelfleich als erstes mit schreiendem Zeigefinger herumrennen “SEHT IHR, DAS HABT IHR MASSENTIERHALTER VON EUREN SÜNDEN!”
Dass dabei die kleinen Fleischbetriebe genauso leiden ist dann eher nebensächlich, sind ja schließlich auch alles Mörder.
Nun ist also ausnahmsweise mal Gemüse dran.
Tja.
Vielleicht bricht die große Zeit der Veggi-Skandale erst an – man lese etwa mal so was hier (aus dem ZEIT ONLINE Forum):
“Massenauftreten an verschiedenen Stellen, Gurken aus Spanien und den Niederlanden betroffen, da wird nicht nur mal ein Gülletanker über ein spanisches Feld gefahren sein.
Seit wenigen Jahren wird mit massiver politischer Unterstützung (z.B. Wachstumsbeschleunigungsgesetz von 2009)Gülle in gigantischen Ausmaßen bei 37 Grad, dem Temperaturoptimum des EHEC-Erregers, in künstlichen Kuhmägen – Biogasanlagen – bebrütet. Die flüssigen oder festen Rückstände werden anschließend als organischer Dünger verkauft.
Mit diesen “biologischen” Düngemitteln mutiert jede hochtechnisierte Gurkenzuchtanlage unter Glas zum Biobauern – in Spanien, den Niederlanden und anderswo.
Das RKI sollte seine Petrischalen mal mit diesen Düngemitteln benetzen. Die gülleverarbeitenden Biogasanlagen bebrüten Gülle verschiedener Lieferanten und Tierspezies, zugleich gibt es Antibiotikarückstände: ideale Bedingungen für Neumutationen also. Es ist eine Frage der Zeit, wann diese gefährliche Melange explodiert. Man braucht sich kein Biowaffenszenario auszudenken: das wird bei uns per Gesetz mit jeder verbrauchten Kilowattstunde zwangsgefördert.”
rstockm: Genau das geißele ich ja: Es gab zu dem Zeitpunkt, da dieser Artikel und Blogpost kam, keine gesicherten Erkenntnisse. Ich prangere an, dass jedes Stochern im Nebel zur Meldung wurde – und das ist eine Form der Verantwortungslosigkeit.
Wortkomplex: Dann sind wir uns im Kern einig: HUS ist kein Spass und davor muss gewarnt werden. Sachlich.
Zu sagen “die Medien haben schon sachlich berichtet, nur die Bildzeitung nicht” ist dann aber schon merkwürdig. Man muss sich dann doch mal die Informationen, die man so im Verlauf des Tages aufnimmt, und die Quellen angucken. In der Regel werden das verschieden sein, und da gehört BILD bei vielen mit dazu.
Man kann noch so viel nachweisen, dass die Medien (mit Ausnahme der Bildzeitung) ausgewogen berichtet haben (Was nicht der Fall ist – man präsentiere mir zum Gegenbeweis bitte die Überschrift mit der Aussage “So sicher sind sie vor EHEC”). Wenn am Ende des Tages halb Deutschland kein Gemüse mehr isst, Mensen und Kantinen keinen Salat anbieten und selbst gestandene Akademikerinnen der Überzeugung sind, dass Ehec-Erreger nicht an, sondern IN Gemüse ist – dann stimmt da was nicht. Da sind dann die wirklichen Informationen im Grundrauschen und der Angstberichterstattung untergegangen.
KLeines Fundstück als Nachtrag: http://www.bildblog.de/30763/panikmache-in-deutschen-landen/