Gelöschtes Wissen ist verloren: PlusPedia

Gelöschtes Wissen ist verloren: PlusPedia


Bild: Pluspedia.de

Ich habe ja auch mal für die Wikipedia geschrieben.
Immerhin bin ich, auf sehr speziellen und absurden Gebieten, tatsächlich ein Experte für gewisse Dinge.
Wie jeder von uns.
Und warum nicht die Welt an meinem Wissen teilhaben lassen? Welchen höheren Sinn einer menschlichen Existenz kann es geben, als sich Wissen anzueignen, im Kontext seines Lebens zu bewerten und es weiterzugeben, auf das nachfolgende Generationen auf den Schultern von Giganten stehen mögen und die Menschheit als Ganzes weiterkommt?

Leider ist, wenn man so denkt, die Wikipedia, zumal die deutsche, nicht der richtige Ort für einen. Denn in der deutschen Wikipedia tobt ein Krieg. Dort kämpfen die Inkludisten gegen die Exklusionisten. Ganz vereinfacht gesagt: Die Inkludisten wollen ALLES in der Wikipedia haben, auf das sie den Gral alles Wissen hüten möge. Die Exklusionisten oder Exkludisten tanzen um das Goldene Kalb der Relevanz, und wollen in ihrer Wikipedia nunmal keine allwissende Müllhalde haben, sondern nur Artikel zu relevanten Themen. Und was relevant ist, bestimmen immer noch die Exkludisten selbst, trotz aller vorgeschobenen Regeln.

So musste ich mir schnell anhören, das meine Artikel über Nebenfiguren in Neil Gaimans “Sandman”-Büchern zwar sicher richtig seien und deren mythologischer Hintergrund akribisch recherchiert und so – aber das seien doch irgendwie Comics und könnten deshalb gar nicht relevant sein. Oder Beschreibungen von alter Software für den Amiga – wen bitte soll denn das interessieren? Gibt es da nicht mehr Quellen? Nee, das Computerheft von 1989 zählt nicht als Quelle, wenn es nur bei Dir zu Hause liegt, man es aber nicht mehr öffentlich einsehen kann. Relevant sind also nur Dinge, die man auf totem Baum nachlesen kann, der aber digitalisiert vorliegen muss, damit die Exklusionisten ihre Ärsche für die Recherche nicht vom Sofa hiefen müssen. Leider gewinnen die Exklusionisten viel zu häufig bei diesen Diskussionen, was ein Grund ist, warum die deutsche Wikipedia signifikant weniger Artikel hat als die englischsprachige – weil die deutschen Schergen Meister im Ablehnen von Artikeln sind. Gleichzeitig jammern sie darüber, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht und immer weniger Menschen an der Wikipedia mitarbeiten. Ja, wen wundert´s denn?

Als freiwilliger Autor fräst man sich stundenlang durch das komplexe Regelwerk, wie ein Artikel auszusehen hat und welche Ansprüche er erfüllen soll, lernt dann weitere Stunden die Syntax des Wikis zu schreiben und feilt dann wochenlang an einem Text, der nach wenigen Stunden mit der Begründung “Ist nicht relevant” wieder rausfliegt. Solchen Quatsch macht man zwei, dreimal mit, dann fühlt man sich veralbert und lässt das elitäre Exklusionistenpack in seiner eigenen Selbstdemontagesuppe zurück. Ich zumindest nutzte fortan nur noch die englische Wikipedia.
Witzigerweise gibt es noch einen anderen Weg als den Boykott.

Eine Gruppe findiger Wikipediafreunde hat bereits 2009 Pluspedia gegründet, ein Wiki, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat “irrelevantes” Wissen zu retten. Aus der Selbstbeschreibung:

Die PlusPedia ist eine Enzyklopädie ohne Relevanzkriterien. Sie wurde als Antwort auf ermüdende Löschdiskussionen bei der Wikipedia und auf die vielen “irrelevanten” Artikel gegründet.
Einerseits retten wir aktiv gelöschte Artikel aus der freien Enzyklopädie, andererseits finden hier selbstverständlich auch Artikel ein Plätzchen, die bei der Wikipedia keine Chance hätten.
Als seriöse Enzyklopädie haben wir das Ziel, Sachverhalte korrekt darzustellen. Wir sind breit aufgestellt und bieten natürlich auch “relevantes” Wissen an (nach der Definition von Wikipedia). Das hält uns aber nicht davon ab, hier und da auch Humor zu beweisen. Verstaubte Vorstellungen gibt es draußen genug.

Aktuell gibt es über 25.000 Artikel in der Pluspedia, davon 12.000 die aus der Wikipedia “gerettet” wurden. Getreu dem Motto: Gelöschtes Wissen ist verloren! Dabei legen die Macher die gleichen Qualitätsmaßstäbe an wie bei Wikipedia, was den Inhalt von Artikeln angeht. Neutralität und Quellenangaben sind Pflicht.

Ohne jetzt viel über die Qualität der Pluspedia sagen zu können: Der Ansatz gefällt mir. Ich bin nämlich überzeugter Inkludist. Meine These ist: Es gibt kein irrelevantes Wissen. Jede Information ist irgendwann, für irgendwen, in einem ganz bestimmten Kontext, relevant.
Sammelt das Wissen! Alles davon!

Und WENN auch dem PlusPedia-Projekt nichts wird als eine peinliche Ansammlung halb garer Stümpfe und schlechter Artikel – dann ist das zwar schade, aber hey – immerhin hat mal wer was gegen den Exklusionismus unternommen.

Pluspedia

24 Gedanken zu „Gelöschtes Wissen ist verloren: PlusPedia

  1. Zum Thema “gelöschtes Wissen ist verloren”: vor wenigen Monaten wurden die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die ergeben dass:

    wir uns dinge, von denen wir ausgehen, dass wir sie (z. B. in Wikipedia) leicht nachschlagen können, schlechter merken als Informationen, von denen wir ausgehen, dass wir sie nicht leicht nachlesen können.

    Hierdurch ergibt sich eine besondere Problematik: Löscht nun einer die Informationen, so sind sie für uns tatsächlich verloren, weil wir sie und ja nicht gemerkt haben. Was aber fast noch schlimmer ist: Ändert jemand die Informationen, so bemerken wir es auch nicht – denn wir haben uns den Inhalt ja nicht gemerkt.

    Insofern ist es neben der beschriebenen Problematik der Exklusion gut, mehrere Onlinequellen zu haben, denn so wird die Möglichkeit einer Manipulation erschwert.

    Noch einen schönen Feiertag!

  2. Ein Einwand meinerseits: Ein Artikel über eine eher unbekannte Software – nebst Screenshot – wurde in der englischen Wikipedia wegen Irrelevanz entfernt, in der deutschen ist er noch unangetastet. Ähnliches gilt für manchen Musikartikel. Ich wage zu behaupten: Die englische Wikipedia ist da noch scheußlicher als die deutsche, nur schreiben dort mehr Menschen mit (aus logischen Gründen, Muttersprache und so) – da fällt das nicht so auf.

    Ich lasse jedenfalls fortan die Finger von der englischen Löschopedia.

  3. Kleines Problem ist: das Wissen ist nicht gerettet, es ist bestenfalls eingefroren. Die Halbwertzeit von Wiki-Wissen ist oft erstaunlich gering. In Pluspedia wimmelt es von PR-Artikeln wie den über den Super-Duper-Jungunternehmer und BILD-Liebling Lukas Mielke, obwohl dessen Firmen offenbar längst den Geschäftsbetrieb eingestellt haben.

    Gelöschte Artikel irgendwo abzuladen ist nicht genug. Man muss auch dran arbeiten die Mängel zu beseitigen, wegen der die Artikel gelöscht wurden. Und wenn man das tut, kann man es meist auch gleich in der Wikipedia tun.

  4. Pi: Das man sich Dinge weniger gut merkt, wenn sie ubiquitär verfügbar sind, haben wir alle schon gemerkt. Stichwort: Telefonnummern auswendig können. Das es andersrum aber genauso ist, wir uns Dinge, die sonst verloren sind, intensiver merken, ist interessant.

    tux: Dann haben in der deutschen Ausgabe die Exklusionisten den Artikel noch nicht gefunden. 😉 Nein, im ernst: Guck Dir mal das Verhältnis geschriebener/wegen Irrelevanz gelöschter Artikel in den beiden Ausgaben an. Ich verwette mein Websters Dictionary, dass in der deutschen Wikipedia mehr wegen Irrelevanz rausgeworfen wird. Um mal vom Einzelfall wegzukommen: Von TV-Serien wird in der englischen Wikipedia jede Episode erschöpfend behandelt. Das findet in Deutschland wegen Irrelevanz nicht statt.

    Torsten: Natürlich ist die Halbwertzeit problematisch. Ist sie aber in jedem Medium. deshalb halte ich Recherche und die Fähigkeit, Informationen zu bewerten für eine neue Kulturtechnik. Im Zweifel hat man eine Momentaufnahme der Vergangenheit vor sich, die aber an sich schon interessante Infos beinhalten kann. Abgesehen von der Aktualität hat die Pluspedia, zumindest propagiert sie das, die gleichen Qualitätsansprüche wie die Wikipedia. Nur kann man DORT die Artikl eben nicht pflegen, weil sie wegen Irrelevanz entfernt wurden. Meine These ist ja: Es gibt kein irrelevantes Wissen. Jede Information ist irgendwann, für irgendwen, in einem ganz bestimmten Kontext, relevant.

  5. Was ist BNR? Ein Benutzerrepository? Nein, eine solche Fragmentierung halte ich für den falschen Weg. Ansonsten ist es genau der Ansatz wie “Jeder trägt Wissen mit sich rum, in der Summe ist also alles da”. Was ich am Pluspedia-Projekt ja auch spannend finde: Wenn dort auch als irrelevant gebrandmarkte Artikel ein zuhause finden und dort bewahrt werden, kann man abwarten bis die Exklusionisten aussterben und dann alles wieder mit der Wikipedia fusionieren.

  6. Silencer: Das mit dem Fusionieren würde vielleicht klappen, wenn in PlusPedia weiter an den Artikeln gearbeitet würde. Das passiert aber in den allermeisten Fällen nicht. Insofern könnte Wikipedia die gelöschten Artikel auch einfach aus der eigenen Datenbank ziehen.

  7. BNR = Benutzernamensraum.

    Du befürwortest eine Fragmentierung über mehrere Wikis, nicht aber über mehrere Namensräume desselben Wikis? Und: Wenn Dinge, die nicht “den Qualitätskriterien” entsprechen, rausfliegen, ist der Unterschied zur Wikipedia doch nur sehr gering, oder?

  8. Nein, ich befürworte eine Fragmentierung über mehrere Wikis nicht. Ich hätte gerne ALLES in der Wikipedia. Das geht aber gerade nicht. Eine Teilung auf zweite Wikis finde ich dann aber noch besser als ein Split auf tausende von Nutzern, deren BNR (danke für die Erklärung!) nicht von der allgemeinen Suche des Wikis beachtet werden.

    Und ja, Du hast Recht: der Unterschied zur Wikipedia ist sehr gering. Einzig das Relevanzkriterium wird bei PlusPedia als, errh, irrelevant betrachtet.

  9. Silencer: Du hast den falschen Link angesehen. Unter Neue_Seiten sieht man nur die Importe und die paar Artikel die auf PlusPedia neu angelegt werden. Die Artikelarbeit auf PlusPedia selbst ist unter Letzte_Änderungen nachvollziehbar. Und das sieht mehr als traurig aus: nur eine Handvoll Nutzer und an den “geretteten” Artikeln werden allenfalls ein paar Formalien geändert und dann bleiben sie unangetastet. Klick ein paar Mal auf “Zufälliger Artikel” und guck Dir die Bearbeitungshistorie an.

  10. Oh, Sorry. Angesehen habe ich mir schon den richtigen Link, nur reinkopiert habe ich den verkehrten. Hier ist der mit den Änderungen: http://de.pluspedia.org/wiki/Spezial:Letzte_%C3%84nderungen

    Trotzdem verstehe ich die Klagen gerade nicht. Auch an Wikipedia-Artikeln wird nicht 24/7 rumgebastelt. Wenn die Pluspedia ihrem eigenem Anspruch gerecht werden will, werden die Artikel nach Ihrer Rettung den Formalien gemäß angepasst und stehen für weitere Bearbeitung bereit – ob die dann erfolgt oder nicht.

    Versteht mich nicht falsch: Ich sehe sehr wohl auch die Gefahr, dass die PlusPedia eine Ansammlung von Schrott wird und das Projekt irgendwann einschläft. Aber es liegt dann im Zweifelsfall an interessierten Leuten, am Projekt mitzuwirken und zu verhindern, dass so etwas passiert. Damit sich Leute interessieren können, müssen sie vom Projekt erfahren – und deshalb gibt es hier einen Blogartikel darüber. Nicht, weil ich Pluspedia für das tollste Ding der Welt halte, sondern weil ich den Ansatz sympathisch finde und begrüße, dass jemand mal was gegen den Relevanzwahn tut anstatt nur zu nöhlen.. Noch schöner wäre es allerdings, wenn endlich alle Artikel in der Wikipedia zu finden wären. Dann wäre die Pluspedia nämlich überflüssig. Aber so wie ich das sehe, wären die Initiatoren die ersten, die gerne wieder in den Schoß der Wikipedia zurückkehren würden.

  11. Falsch was das “nur Schrott angeht”, True in Bezug auf “Gucken was man noch draus machen kann” angeht. Das liegt aber nicht nur an “denen”, sondern an allen die bereit sind, sich bei sowas zu engagieren. Im Zweifelsfall also: Los, schreiben!

  12. erst mal vielen Dank für den Hinweis, das kannte ich auch noch nicht.
    das Bild von dem ‘hürdensprigenden Hauskaninchen’ finde ich sehr passend bei den Relevanzkritrien, und das bei Pluspedia unter ‘aktuelles’ steht dass die Simpsons Folgen alle untereinander verlinkt sind finde ich sehr sympathisch.
    😀

  13. Danke für den Artikel. Mir geht es auch so. Lese eigentlich nur noch in der englischsprachigen Wikipedia. Find dort einfach viel mehr. In der Deutschen sind eigentlich nur Tabellen besser. Das mögen die Deutschen. Irgendwelche Tabellen und Statistiken.
    In der englischen gefällt mit auch sehr gut, dass fiktive Universen und auch fiktive Charaktere ausführlich behandelt werden.
    Kannst du gut genug Englisch schreiben? Dann veröffentliche doch dort.
    Nochmal Danke

  14. Mir gefällt das Konzept von PlusPedia wirklich gut und bin auch der Meinung, dass es kein unnützes Wissen gibt. Viele Kommentatoren bei Wikipedia spielen sich auf und meinen, die Informationen seien nicht relevant etc.. Ich finde, dass das eine sehr eng begrenzte Sichtweise auf Informationen und deren Gewichtung ist. Jeder Mensch hat andere Interessen und legt seinen Wissensschwerpuntk anders. Das wird, natürlich nur meiner Meinung nach, nicht immer objektiv bewertet. Umso schöner, dass es PlusPedia gitb :-).

  15. Lisa: Englisch schreiben kann ich ganz OK, aber muss ja nicht sein. Zumal viele der Artikel die ich vorhatte in der englischen Wikipedia schon enthalten sind. Und ich mit meiner Zeit auch anderes anfangen kann.

    Kathrn: Ganz genau. Wollen wir mal hoffen, das Pluspedia da was draus machen kann und das keine peinliche Veranstaltung wir. Aber hey, dann HAT wenigstens mal wer was getan.

  16. Ich kenn das Problem bei Wikipedia zur Genüge, seitdem dort mein Artikel Chubby gelöscht wurde und mir ein ganz bestimmter User dort permanent auf die Eier also meine Einfügungen lôscht, hab ich dort auch die Schnauze voll

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