Requiem für Nuffelmuffen
“Dann wollen wir mal. Also.”
Herr Südmann rückt seine Lesebrille zurecht und starrt angestrengt auf das Blatt vor ihm. Ich hocke derweil auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und weiß schon, was jetzt kommt. Bedeutungsschwanger und langsam, voller Ernst und als rezitiere er ein Requiem, beginnt Südmann zu lesen.
“Da haben wir: drei Unterlegscheiben zu je 17 Cent. Drei Schrauben, 8 mal 1,4, Sechskant Hohlimbus, Edelstahl verzinkt, zu je 68 Cent, macht zusammen…”
Herr Südmann sieht er aus wie ein freundlicher Landwirt. Laut Meisterbrief an der Wand ist er 61 Jahre alt. Herr Südmann ist der Chef des gleichnamigen Autohauses. Eine nette kleine Vertragswerkstatt, in der Lagerist Kalinowski und Werkstattmeister Robart die ganze Bude schmeißen. Die beiden versuchen ihren Chef aus dem Tagesgeschäft rauszuhalten, denn wo Herr Südmann auftaucht, verbreitet er auf eine liebenswürdig-hilflose Art Chaos. Er scheint schlichtweg überhaupt nicht zu wissen was um ihn herum passiert, und wenn er nicht gerade von seinen Untergebenen mit so wichtigen Aufgaben wie “Fahrzeugschein zur Dekra bringen” ausgelastet wurde, versucht er anderweitig zu helfen. Das endet meist in Loriothaften Vorstellungen.
“… Dichtungen, 50mm, Papier und 50mm, Gummi. Dann 4,5 Liter Öl, 15 W 40. Wischwaschmittel, 6 Liter….”
Loriothafte Vorstellungen, so wie jetzt. Weil Kalinowski und die Sexbombe vom Empfang schon im Feierabend sind und Robart auf Weiterbildung, macht Südmann die Endbesprechung mit mir. Und besteht darauf, wirklich jede Position der Rechnung vorzulesen und zu erläutern. Echt, keine Ahnung wie Südmann zu seinem Geschäft gekommen ist.
“…und einen neuen Ölfilter, der Luftfilter wurde erneuert, dafür brauchten wir dann so Befestigungsmaterial, vier 18er Klemmschellen. Ist ja so kompliziert bei ihrem Wagen, da muss man ja dieses Dings, diese Luftbrücke vom Turbolader für abmachen. Moment, heisst das Luftbrücke? Oder war Luftbrücke das in Berlin und das im Auto heisst anders?”
Ich zucke mit den Schultern. Mich interessiert nur die Stelle der Rechnung, wo “Gesamtsumme” steht. Bzw. die Zahl dahinter. Ich befürchte das Schlimmste: Hauptuntersuchung, Abgasuntersuchung. Dazu eine Große Inspektion. Neue Vorderreifen. Ausserdem ist die Nuffelmuffe, also diese Manschette an der Antriebsachse, so kaputt, dass das Radlager Geräusche macht wie ein Affe auf dem Schleifstein (“Schlapp-Ugh-Quieck”). Ausserdem klappert der Auspuff. Tja, das Kleine Gelbe AutoTM ist nun auch schon zehn Jahre alt. Aber es läuft wie Sau und ist zuverlässig, darum hege ich gar keine Ambitionen es gegen was anderes einzutauschen. Wenn nur diese Nuffelmuffensache jetzt nicht so teuer wird…
“…Bremsflüssigkeit musste gewechselt werden, dann steht hier noch so Bremsenreiniger drauf, da weiß ich jetzt gar nicht was das ist. Muss ich mal fragen, ruf ich sie dann an wenn ich das weiß. Und dann noch Gebühr für TÜV, aber die heißen ja jetzt auch Dekra, haha, und hier noch eine Auslage…”
Andererseits: In den Jahren davor habe ich quasi nichts in das Auto investieren müssen. Und was hat es in den letzten 12 Monaten nicht alles mitgemacht: Ein irre harter und langer Winter. Fahrten über verschneite Pässe. Eisregen. Danach Fahrten durch die Camargue. Kurverei durch winziger Bergstädte und durch Saint Tropez. Sogar über die weltberühmte Croisette in Cannes ist das Kleine Gelbe AutoTM gerollt. dann hat es zwei Umzüge mitgemacht. Insgesamt ist es in den letzten 12 Monaten 30.000 Kilometer gelaufen, so viel wie sonst in 3 Jahren. Alles ohne Mucken. Da darf dann auch mal die Inspektion was kosten. Hoffentlich haben die nicht zu viel gefunden. Und hoffentlich war die Nuffelmuffe nicht so teuer.
“Macht zusammen: das hier”
Verschämt und mit Trauermiene reicht mir Herr Südmann die Rechnung. Mein Herz macht einen Sprung. Ich bin Fassungslos.
“So wenig?” stammele ich. Südmann strahlt. Was da hinter “Gesamt” steht ist gerade mal die Hälfte von dem, was ich befürchtet hatte. Ich habe schlagartig gute Laune und möchte Herrn Südmann umarmen. Mein Wägelchen ist durch den TÜV, nichts ist groß kaputt und ich bin nicht pleite! Da fällt mir auf, das auf der Rechnung was fehlt.
“Und was ist mit den Nuffelmuffen?”, frage ich.
“Die Nuffelmuffen?”, fragt Südmann.
“Die Nuffelmuffen”, bestätige ich.
“Die sind kaputt, die Nuffelmuffen.”
“Das WEISS ich.”
“Da fällt schon das Fett raus”, sagt Südmann und ringt seine fleischigen Finger.
“Auch das weiß ich, ich habe mir das zusammen mit Meister Robart angeguckt.”
“Sollten wir das machen? Vielleicht kann man da noch bis zum Frühjahr mit warten oder so, wenn sie nicht zu viel fahren…”
“Ich würde das schon besser finden, bevor das Radlager hin ist. Und die Reifen? Die stehen hier auch nicht drauf.”
“Ja, also, die Reifen”, Südmann wirkt als suche er etwas, hinter dem er sich verstecken kann, “Die Reifen… die gibt es nicht mehr. Und den Nachfolger gibt es erst nächstes Jahr wieder. Aber ihr Profil, also das von den Reifen, das ist noch gut, also, das reicht noch.”
Um es an dieser Stelle abzukürzen: Herr Südmann ist vermutlich der schlechteste Verkäufer der Welt und kann froh sein, kompetente Mitarbeiter zu haben, die seinen Laden schmeißen. Er selbst würde den Kunden vermutlich nur alles ausreden.
Die Nuffelmuffen wurden dann doch noch gemacht, gleich am nächsten Tag. Zusammen mit dem klappernden Auspuffblechen.
Und ich werde mich jetzt bis zum Monatsende von Nudeln mit Maggi ernähren. Den billigen.
Ein Gedanke zu „Requiem für Nuffelmuffen“
zack, da war er.
der Haken.
😀