Tatsächlich: Alles Liebe

Tatsächlich: Alles Liebe

Abt.: Kleine Lokalecke. Herr Silencer war im Theater und hat eine Meinung dazu.

Tief in meinem Herzen bin ich ein unheilbarerer Romantiker. Das erklärt meine Anfälligkeit für gut gemachte romantische Komödien und wieso ich den Film “Tatsächlich… Liebe” so mag.
Tatsächlich befinde ich den für so zauberhaft, das ich ihn letztes Jahr gleich mehrfach zu Weihnachten verschenkt habe. Damit auch Menschen, die ich gut leiden kann, etwas von diesem wunderbaren kleinen Film haben. Was ich nicht leiden kann ist, wenn solche Lieblingsfilme von überambitionierten Theaternuffeln so lange geschändet werden, bis vor lauter Scheitern am eigenen Anspruch nichts mehr davon übrig ist. Aber der Reihe nach.

“Tatsächlich… Liebe” erzählt parallel neun verschiedene Handlungen, die auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben. Da gibt es den alleinerziehenden Vater, dessen Sohn Schlagzeug spielen möchte. Den Ehemann, der eine Affäre beginnt. Die beiden Lichtdoubles, die sich bei den Vorbereitungen zum Pornodreh näherkommen. Den abgehalfterten Schlagersänger, der mit einer Weihnachtssingle sein Comeback versucht. Den Schriftsteller mit der Schreibblockade, der versucht mit seiner Haushälterin zu kommunizieren. Und es gibt die frisch Verheiratete Frau, die sich fragt, warum der beste Freund Ihres Mannes sich so abweisend verhält.

Natürlich hängen alle Episoden irgendwie miteinander zusammen. Handlungen überkreuzen sich, Personen laufen sich irgendwann über den Weg, und am Ende gibt es sowohl das ein oder andere Happy End als auch traurige Momente.

Obwohl “Tasächlich… Liebe” ein stargespicktes Promivehikel ist, beherrscht er auch ruhige Zwischentöne. Er nimmt sich viel Zeit für seine Charaktere, die zum Großteil schrullig daherkommen oder sich in absurden Situationen befinden. Die Figuren wachsen einem schnell ans Herz, und ihre kleinen, in der Summe unspektakulären, aber sehr bewegenden Erlebnisse, rühren den Zuschauer sehr.

Sowas funktioniert nur bei sehr sorgfältiger Erzählweise, und ich war der Meinung, dass das Theater im OP (ThOP) in Göttingen sich keinen Gefallen getan hatte, als man dort beschloss, den Film unter dem Titel “Alles Liebe” für die Bühne zu adaptieren. Ich war mir sogar absolut sicher, dass die Aufführung eine mittelschwere Katastrophe werden würde – Theater kann subtile Zwischentöne und kleine Gesten schlecht transportieren, und davon lebt der Stoff.

Um es abzukürzen: Ich bin total geflasht. Meine negative Erwartungshaltung wurde komplett enttäuscht. Mit anderen Worten: Es ist großartig!

“Alles Liebe” ist wohl eine der besten Inszenierungen, die ich je im ThOP gesehen habe. Es ist absolut erstaunlich, wie intelligent und feinfühlig die verschachtelten Handlungen umgesetzt wurden. Einige Handlungsstränge der filmischen Vorlage wurden gestrafft oder ganzweggelassen, bei manchen Szenen und Figuren hinzugefügt Vor allem aber wurden viele, höchst originelle Ideen eingebaut und wirklich gut umgesetzt. Allein die Idee, eine zusätzliche Bühne für eine der Erzählschienen zu bauen, ist ziemlich groß. Das Stück mit Livemusik anzureichern ambitioniert. Und die technischen Lösungen, angefangen bei der aufwendigen Lichtgestaltung bis hin zu Dialogen mit der fremdsprachigen Haushälterin, die tatsächlich untertitelt sind, sind streckenweise einfach nur Geniestreiche.

Das sechs Regisseurinnen und Regisseure, fast 30 Schauspielerinnen und Schauspieler und wer weiß wie viele gute Geister hinter den Kulissen an der Umsetzung beteiligt waren, tut dem Stück gut – durch die unterschiedlichen Handlungen muss es auch gar nicht wie aus einem Guß wirken, es lebt ja auch von den Unterschieden. Hier der laute und ordinäre Schlagersänger, dort die verhuschte Büromaus, die heimlich in einen Kollegen verliebt ist. Die Darstellerinnen und Darsteller sind allesamt Laien, machen ihre Sache aber mit spürbarer Begeisterung für´s Stück und können allein dadurch schon mitreißen.

In der Summe ist “Alles Liebe” für Laienspielverhältnisse ganz großes, man verzeihe mir die schiefe Metapher, Kino. Obwohl eigenständig interpretiert hat es die Theaterumsetzung geschafft, an den gleichen Stellen die gleichen Emotionen bei mir hervorzurufen wie der Film.

Das Stück berührt und entlässt einem am Ende mit einem warmen, vorweihnachtlichen Gefühl im Herzen in die kalte Dezembernacht.

“Alles Liebe”, noch bis 21.12.11 im Theater im OP, Göttingen.
Karten 9 Euro, ermässigt 6 Euro. Reservierung dringend anzuraten.
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2 Gedanken zu „Tatsächlich: Alles Liebe

  1. Hmm. Ich bin ja rein gar kein Freund des Episodenflms, auch die “großen” wie Magnolia, Short Cuts oder Night on Earth hinterlassen mich konstant gelangweilt. Ich verstehe die Absicht, durchaue die Konstruktion – aber mir ist das immer zu klinisch.
    Ähnlich erging es mir mit tatsächlich…Liebe, wirklich kein schlechter Film, aber rauscht bei mir so durch (wobei ich generell romantic comedy eher schätze).

    Es gibt aber zwei Ausnahme: “L.A. Crash” sowie “Leben und Leben und Lieben in L.A.” – der erste, weil er eine eher ungemütliche Story erzählt, bei dem zweiten weiß ich auch nicht warum: habe aber u.a. die Musik im Verdacht. Vielleicht aber auch naheliegend: Episodenfilme funktionieren nur in L.A. 😉

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