Heizung an!
Und dann war da noch Runger. Den nannten wir so, weil das sein Nachname ist.
Runger fuhr, noch bis vor Kurzem, einen Golf II “Memphis”, den er Anfang der Neunziger mal von seinen Eltern geliehen und dann vergessen hatte zurück zu geben. Der Golf war ursprünglich in der Farbe “Tornadorot” ausgeliefert worden, aber wie das mit der Haltbarkeit der VW-Lacke zu der Zeit so war: Denen konnte man beim Verwittern zugucken. Als ich Runger kennenlernte war der Golf deshalb schon nicht mehr rot, sondern hatte eine hellrosa Färbung ausgenommen. Runger fuhr in einem Barbiebomber durch die Gegend.
Das störte ihn aber gar nicht, er war da sehr stoisch. Das galt auch für die anderen Macken, die der Wagen über die Zeit an den Tag legte. Runger fand immer eine Möglichkeit, sich mit den Fehlfunktionen zu arrangieren oder möglichst wenig zu investieren. Beispiel: Als bei einem verunglückten Aufbruchsversuch das Türschloss auf der Fahrerseite zerstochen wurde, stieg er halt immer auf der Beifahrerseite ein und ruckelte sich rüber auf den Fahrersitz. Als dann das Schloss auf der Beifahrerseite kaputt ging, kletterte er wochenlang durch den Kofferraum. Und als die letzte Glühbirne der Armaturenbrettbeleuchtung ihr Leben mit einem funzeligen Glimmen aushauchte und dadurch der Tacho im Dunkeln nicht mehr ablesbar war, fuhr Runger über Land nach Gehör (“Man kennt doch sein Auto”) und in der Stadt mit einer Taschenlampe, die er über ins Armaturenbrett geklemmt hatte. Diese Beispiele vermitteln einem den Kern von Rungers Charakter: Eine unerbittliche Sturheit, gepaart mit schwarzem Humor.
Er kam mit diesen Nummern irgendwie auch immer durch, dank schweinemäßigem Glück.
Bis heute legendär ist der Abend, an dem wir von der Polizei angehalten wurden. Runger hatte zu viel getrunken, die Kennzeichenbeleuchtung war nur mit einem beherzten Tritt zu aktivieren, die Reifen waren abgefahren, die Blinker auf der linken Seite funktionierten nicht und auf dem Armaturenbrett rollte die Taschenlampe hin- und her. Wie wir aus der Kontrolle nur mit der Ermahnung, uns mal um die Kennzeichenbeleuchtung zu kümmern, rausgekommen sind, weiß ich bis heute nicht.
Die Hauptmacke des Golf war aber eine andere. Die Heizung. Die, nun, sagen wir mal, roch. Auch damit hatte Runger sich arrangiert: Er benutzte sie einfach nicht. Bei Fahrten im Winter packte er sich einfach dick ein. Anorak, Winterstiefel, Skihandschuhe, und bei Minusgraden setzte er einfach eine Sturmhaube auf. So eine schwarze Vollmaske, wie sie von Verbrechern im Film bei Banküberfällen tragen. So eierte er dann bei Minusgraden in voller Verbrechervermummung, mit einer Taschenlampe hantierend, in seinem rosa Golf durch die Gegend. Das dürfte mehr als einmal zu Schrecken bei Leuten geführt haben, die an der roten Ampel zufällig rüberblickten.
Bei Temperaturen wie aktuell gerade, also zweistellig im Minusbereich, führte die Nichtbenutzung der Heizung bei anderen Fahrzeuginsassen zu Irritationen. Während der Fahrer in Vollvermummung und mit dicken Skihandschuhen da saß, fror man sich als Beifahrer sonstwas ab.
Die Situation war dann immer die gleiche:
Beifahrer: “Alter, jetzt mach die Heizung an, ich sterbe hier!”
Runger: “Bist Du da wirklich sicher?”
Beifahrer: “JAAAAA! Oder ist die kaputt?”
Runger: “Nö, die funktioniert.”
Beifahrer: “Dann MACH DAS DING AN!”
Runger: “Willst Du das wirklich, Dave?”
Beifahrer: “Ja! Jetzt hör auf “2001” zu zitieren! HEIZUNG AN!” (Zähneklapper)
Heizung an.
Schweigen.
Fünf Sekunden später:
Beifahrer: “Machst Du die Heizung bitte wieder aus?”
ALLES war nämlich besser, als diesen infernalischen Gestank des rosa Boliden zu ertragen. Auch erfrieren.
Sobald man die Heizung aktivierte, stank es im Wagen schlagartig nach verbranntem Kunststoff in Tateinheit mit verwesendem Fisch. Keine Ahnung, wie VW DAS gemacht hat, aber es war eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die keine Werkstatt beheben konnte.
Ich glaube, im Laufe der Zeit hat jeder, der bei Runger mitgefahren ist, irgendwann einmal das Einschalten der Heizung gefordert. Einfach weil man die eigenen Finger nicht mehr spürte und ALLES BESSER SEIN MUSSTE als diese verdammte Kälte! Und dann wurde man eines besseren belehrt.
Runger, der diese Nummer mit seinen Beifahrern dauernd erlebte, hatte das breiteste Grinsen überhaupt im Gesicht. Da bin ich mir sicher, auch wenn ich es durch die Sturmhaube nicht sehen konnte.
13 Gedanken zu „Heizung an!“
Ich hatte als ersten Wagen von den Eltern einen Golf 3 mit rotem Lack bekommen, und das war der geilste Lack den es gab! Der hat bis zu seinen letzten Tagen der Abrwackprämie so ausgesehen wie am ersten Tag. Da hat jeder drüber gestaunt, wie gut der sich gehalten hat. Das wollte ich nur mal als Relativierung anbringen. Aber wie immer: Schöner Beitrag 🙂
So sah mein Golf ungefähr aus: http://www.16v.net/gallery2/d/5670-2/golf_3_7.jpg
Du hast Recht, das ist besser geworden. DamalsTM haben die erstmals mit Lacken auf Wasserbasis experimentiert, und das war eine Katastrophe. Der Kram zersetzte sich unter UV-Licht, aber das jemand sein Auto bei Tag bewegt, war für VW wohl unvorstellbar, dehslab haben die nicht damit gerechnet. Danach wurde es besser. Zumindest im Stammwerk. Die Rezeptur für beschissenen Lack haben die an die Tochterfirmen weitergegeben. Das Kleine Gelbe AutoTM ist ein Seat. Original: Bananengelb. Aktuell aber nur noch so gelb wie eine anämische Zitrone. Beim Scheibenwechsel hat zudem die Klebefixierung große Lackstreifen aus dem Dach gerissen. So toll kann VW das also auch heute noch.
großartig.
aber so ist das mit den Golf II Fahrern bis heute.
unerschrocken, furchtlos, eisern mit sich selbst und anderen.
🙂
Du meinst, das hübsche pastell-popelgrün des Polos eines früheren Nachbarn und Mitschülers war ursprünglich gar nicht als pastell-popelgrün gedacht, sondern hatte sich erst im Lauf der Jahre dahin entwickelt? 😮
herrlich. *rofl* Wo gibt es Runger-Aufkleber?
Markus: Lass mich raten… Du fährst selbst einen? Bis heute? 🙂
Zimt: Das hieß Bali-Grün und musste so. Die haben das, meine ich zumindest, echt so verkauft. Meine Mom hatte einen Derby in der Farbe.
Ruediger: Verdient hätte er´s, ist schon ne coole Sau.
Echt, das war doch Absicht? Dieses helle aber doch irgendwie intensive Lindgründ, das auch von ganz hinten aus schwerentzündeten Nebenhöhlen hätte kommen können?
Glaube schon. Ich meine das hier: http://www.merkur-online.de/bilder/2010/01/28/608549/1487214612-golf-diesel-1976.9.jpg
Ist es das?
Mmmmmmmmh… nein. Nein, das ist nicht das, was ich meine. Muss mal suchen…
Hierhierhier! http://bit.ly/zsq9dq Die Farbe meine ich!
Saimagrün heißt die anscheinend und war offensichtlich echt so gemeint. Nebenhöhlen ganz tief unten, oder?
Oh, DAS Grün! ja, so einen Mitschüler hatte ich auch. Stimmt. Hatte ich ganz verdrängt. Schlimm, schlimm.
Besser spät als nie, das muss ich gerade mal loswerden: Danke für diesen Beitrag. Unterhaltsam ist gar kein Ausdruck – das war gerade das Goldstück in meiner Liste der noch ungelesenen Beiträge. Runger ftw!
🙂