Vom Glauben abgefallen

Vom Glauben abgefallen

“Ich fall vom Glauben ab” dachte ich neulich mal wieder so bei mir, beim Ausfüllen der jährlichen Steuererklärung. Und dann habe ich genau das getan. Ich bin vom Glauben abgefallen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Die Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht.

Der Anblick des Betrags, den ich jedes Jahr an die Kirche zahle, brachte mich, wie jedes Jahr, zum Nachdenken. Gefühlt ist es nämlich so, dass ich jeden Monat einen signifikanten Betrag meines Lohnes an eine Institution abführe, die damit einen überkommenen Wasserkopf finanziert, während die wenigen, relevanten Aufgaben, die ihr noch verblieben sind, chronisch unterfinanziert oder sowieso aus Beiträgen oder Spenden aufrechterhalten werden. Wenn überhaupt.

Die Kirche und ich hatten eine lange Beziehung. Weniger, weil ich ein gläubiger Mensch wäre – das bin ich nicht – sondern weil die Kirche, zumindest in ländlichen Gebieten, wichtige psychosoziale Funktionen ausübt. Dazu gehören Angebote für Kinder und alte Menschen genauso wie Mediationsgespräche, Selbsthilfegruppen und Ersthilfe bei psychischen Problemen – also das, was gemeinhin unter “Seelsorge” subsummiert wird. Den Begriff Seelsorge finde ich im theologischen Zusammenhang albern, aber in seiner ganz realen, weltlichen Bedeutung ist er wichtig. Die o.g. Aufgaben erledigen in urbanen Gebieten andere Einrichtungen, der nächste Therapeut ist um die Ecke und bei manchen Problemen kann man unter zig Selbsthilfegruppen wählen. Aber auf dem Dorf gibt es das nicht, da bleibt vor Ort wirklich meist nur die Kirche als Anlaufstelle. Das die Kirche diese Funktionen weiterhin ausüben kann finde ich sehr wichtig.

Kirche ist Teil dörflicher Gemeinschaften, und aus diesem Grund war ich mal recht engagiert. Gut, das ist schon lange her, aber wenn man in seinen Teenie-Jahren Kindergottesdienste und Jugendräume organisiert und Konfirmandencamps in Südtirol begleitet, dann prägt das schon. Diese Prägung hat mich, zusammen mit einem diffusen “wer weiß, wozu man die Kirche noch mal braucht”-Gefühl, hat mich lange vom Austritte abgehalten.

Jetzt bin ich diesen Schritt gegangen. Meine Rechtfertigung dafür: Es hält mich niemand ab, mich zukünftig für Kinder, Alte oder sonstwen ehrenamtlich zu engagieren. Ich kann die Kirche sogar weiterhin unterstützen, wenn ich das möchte. Durch Spenden. Die kommen dann im Zweifelsfall auch direkt dort an, wo sie gebraucht werden, und wandern nicht in den Wasserkopf. Wieviel ich spende, falls ich das tue, und in welcher Form ich die Leute vor Ort unterstütze, entscheide ich aber selbst – ohne so eine monatliche Zwangsabgabe.

Fun Fact am Rande: In Deutschland ziehen unterschiedliche Glaubensrichtungen unterschiedlich ein. Evangelisch-Lutherische erkennt man an der monatlichen Kirchensteuer, während die Reformierten eine Sammelrechnung im November bekommen. Und dann gibt es noch Unterschiede zwischen den Bundesländern. Aber ich schweife ab.

Kirchenaustritt ist mittlerweile eine Sache von 10 Minuten. Zunächst muss man mit seinem Personalausweis zum Standesamt, nach 5 Minuten hat man dann ein Schreiben, dass meine Standesbeamtin als meine “neue Religion” bezeichnete und den Austritt beurkundet. Dann muss das zuständige Finanzamt noch auf der Lohnsteuerkarte (da die eigentlich schon seit 2 Jahren abgeschafft sein soll, aber immer noch gebraucht wird, auf der 2010er Karte) einen Vermerk anbringen. Das dauert, ohne Wartezeit, 2 Minuten. Und that´s it, fortan zahlt man keine Kirchensteuer mehr, kommt dafür aber nach dem Tod bestimmt in die Hölle. Wenn man dran glaubt.

5 Gedanken zu „Vom Glauben abgefallen

  1. Typisch Katholisch: Wer es glaubt, kommt in den Himmel; protestantische Antwort: Wer es nicht glaubt, kommt auch in den Himmel.

    Ich finde es schade, dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, auch wenn ich die Gründe durchaus verstehen kann. Kirchensteuer zahle ich gerne, weil ich (bei aller Kritik) davon überzeugt bin, dass die evangelisch-lutherische Kirche eine wichtige Institution ist.

    Andererseits habe ich auch viel von der Amtskirche profitiert, ich habe meine Schulbildung überwiegend an einer evangelisch-kooperativen Gesammtschule erhalten und auch die Seelsorge-Angebote der Kirche oft in Anspruch genommen – in ganz unterschiedlichen Lebenslagen – und übrigens in der Großstadt, nicht auf dem Dorf. Dennoch bleibt bei der Kirchensteuer schon ein fahler Beigeschmack. Dass Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, mag ein formaler Rechtfertigungsgrund für die Erhebung einer Kirchensteuer sein – dass man aber dann im Endeffekt dafür Kirchensteuer zahlen muss, damit man ein Wahlrecht hat (also: Zensuswahlrecht – widerspruch zur gleichen Wahl) bzw. um bestimmte seelsorgerische Leistungen wie bei Beerdigungen zu empfangen oder eine krichliche Trauung (sprich: die Kirche oder ihre Beamten handeln als Amtskirche nicht aus Nächstenliebe oder im Auftrag Gottes) missfällt mir.

    Wie man das aber besser regeln könnte (die Abschaffung der Kirchensteuer würde der Kirche wohl entgültig den Todesstoß versetzen) weiß ich auch nicht…

  2. Ich arbeite in einem sozialen Tätigkeitsfeld in dem die Kirche 1/3 der potentiellen Arbeitgeber ausmacht. Von da komme ich so schnell vermutlich eh nicht in Versuchung auszutreten.

    Ich kann den Gedanken aber schon nachvollziehen. Ich war jahrelang in einem Kirchenvorstand tätig und habe da miterlebt wie die Landeskirche einerseits für Projekte sehr viel Geld investiert die vielleicht nicht unbedingt nötig gewesen wären und andererseits auch gerne mal von kleinen Gruppen das ohnehin schon kleine Budget restlos gestrichen haben. Das die Kirchengelder da nicht unbedingt immer angekommen wo man sie sich wünscht, verstehe ich da schon.

    Mein Verwandter von mir – ebenfalls kein Kirchenmitglied – spendet auch regelmäßig an die eigene Gemeinde. Da weiß er dann auch meistens wofür es verwendet wird und dass es nicht im Verwaltungsapparat der Landeskirche versickert.

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