Katastrophen am Vesuv
Was tun, wenn man an einem einem Sonntag Morgen zu früh wach ist und keine Lust auf den anstehenden Papierkram oder die drohende Hausarbeit hat? Nun, erstmal wird ein Kaffee getrunken, aus der Tasse, die seit 1991 die Lieblingstasse für “Heute-lasse-ich-es-mir-gutgehen”-Tage ist.
Dann wird sich auf die Maschine geschwungen und flugs mal die Autobahn frequentiert, um eine erlesene Kollektion an heimischer Fauna über drei Bundesländer hinweg zusammen zu tragen.
Die Reise führt nach Halle an der Saale, ins Landesmuseum für Vorgeschichte. Ein beeindruckendes Gebäude, in dem die berühmte Sternenscheibe von Nebra ausgestellt wird. Außerdem gibt es hier aktuell eine Sonderausstellung über Nola.
Nola? Kannte ich nicht. Herculaneum auch nicht. Pompeji? Ah, ja, natürlich! Die Stadt, die durch den Vulkan zerstört wurde! Genau. Aber Pompeji ist nicht allein, auch Nola und Herculaneum sind Städte, die der Vesuv zerstörte, und die erst in den letzten 200 Jahren wiederentdeckt wurden. Danach ist die Ausstellung benannt: Pompeji, Nola, Herculaneum – Katastrophen am Vesuv.
Über zwei Etagen des Museums erstreckt sich die Ausstellung im Halleschen Landesmuseum, und fotografieren ist strengstens verboten. Während meines Besuchs sorgten ungefähr 30 überaus freundliche Wächter für die Einhaltung des Knipsverbots. Das ist äusserst schade, denn die Ausstellung zeigt beeindruckende Fundstücke. Wundervoller Schmuck, der in dieser Form direkt im Schaufenster eines Juweliers liegen könnte, Weinsiebe und Waffen, die aussehen als wären sie keine 100 Jahre alt, und Alltagsgegenstände wie Handspiegel, Rasierzeug oder Strigilis (Sicheln, mit denen man sich nach dem Sport den Staub vom Körper schabte), bei denen jede Verzierung eine Geschichte erzählt. Viele der Fundstücke sind erstmals ausserhalb Italiens zu sehen und manche werden letztmalig verliehen.
Wie fast jeder habe ich von Pompeij als der Stadt gehört, die direkt am Fuß des Vulkans Vesuv lag, und die so schnell vernichtet und dann von Lava überzogen wurde, dass die Siedlung quasi für die Ewigkeit konserviert wurde. Oder zumindest so lange, bis die Archäologen kamen. Darauf beschränkte sich mein Wissen, und durch die Ausstellung wurde es eindrucksvoll erweitert.
Denn die Funde in Pompeji, Nola und Herculaneum haben nicht nur unser Verständnis für den Alltag und das Leben der Menschen des Jahre 79 geprägt, sondern auch Auswirkungen bis in die Popkultur unserer Gegenwart.
Ohne die Funde wüssten wir bspw. kaum etwas über das Leben und die Ausstattung der Gladiatoren. Die Serie “Spartacus”, die gerade im Fernsehen läuft, greift stark auf Referenzen und Erkenntnisse aus Pompeji zurück. Tatsächlich wurden Gladiatoren wie heutige Spitzensportler bewundert, hatten eigenes Merchandising und waren oft Mittelpunkt erotischer Begierden und Phantasien, wie man aus Graffiti(!) aus Pompeji weiß. Ohne die Archäologie wüssten wir nichts über die unterschiedlichen Klassen von Gladiatoren, die in festgelegten Paarungen gegeneinander antraten. In der Ausstellung sind verschiedene Rüstungen zu bewundern, die aussehen, als kämen sie frisch aus der Schmiede. Hier zum Bespiel ein schwer gerüsteter Murmillo:
Eine Unterart des Murmillo war der Secutor. Er trug einen Helm ohne viele Kanten, denn er kämpfte Hauptsächlich gegen einen Retiarius, der seine Gegner erst mit einem Netz einwickelte, bevor er ihnen die Augen ausstach. Der eiförmige Helm sollte das Netz am verfangen hindern, und die Augengitter vor den Dolchhieben schützen.
Als jemand, der zwischenzeitlich fast 20 Jahre gar nicht in Museen war, bin ich immer wieder überrascht von der Art, wie heute Ausstellungen präsentiert werden und welche Kniffe Kuratoren anwenden, um Menschen ihr Sujet näher zu bringen. In Halle hat man besonders beeindruckende Mittel gefunden. Das Erdgeschoß des Museums wird von einem Nachbau eines pompejischen Innenhof beherrscht. An dessen Außenseite wird, in Textform, die zeitgenössische Beschreibung eines rauschenden Fests wiedergegeben und dazu die passenden Fundstücke präsentiert. Auf diese Art wird der Text greifbar, der Betrachter hat fast das Gefühl, mittels der Gegenstände über die Zeit hinweg am Gelage teilzuhaben.
Ein anderer Kniff ist die Präsentation von Gegenständen aus UNSERER Zeit, die so verändert sind, als hätten sie 2000 Jahre in Sedimenten verbracht. Jeweils Rücken an Rücken werden so die der Kühlergrill eines Lancias und ein Teil einer Kutsche,Teile eines Speers und eine Berettapistole und eine Beinschiene eines Gladiators und eines Fußballspielers präsentiert. Das hört sich albern an, hat aber (zumindest auf mich) ungeheuer Wirkung gehabt. Denn es macht klar, was Archäologen und Historiker in einem gammeligen Überrest sehen, und lässt einen die verwitterten unter den Exponaten anders wahrnehmen.
Solche didaktischen Kniffe sind die Sahnehaube einer ansonsten rundherum toll präsentierten und überaus gelungenen Ausstellung. Von den Lichtinseln und den aufwendig ausgestatteten Betrachtungsschränken mit den “schwebenden” Exponaten über Korkmodelle der Städte, dutzenden von Monitoren mit Animationen oder Filmaufnahmen von Vulkanausbrüchen der Jetztzeit bis zur Projektion eines gluterfüllten Himmels an der Museumsdecke, hier kann man sich beeindrucken lassen und sich in der Geschichte und den Geschichten verlieren.
Nun trägt dieses Blog nicht zufällig manchmal den Untertitel “History is our Playground”. Die Tagline ist von Ubisoft geklaut, für mich bedeutet sie aber etwas, das mir persönlich sehr wichtig ist. Wir befinden uns an einem Punkt der Geschichte, in der uns unfassbar viele Informationen über frühere Zeiten schnell und umfassend zur Verfügung stehen. Wie einen großen Abenteuerspielplatz können wir die Geschichte erkunden, daraus unser Verständnis für die Welt formen und, das ist ein sehr wichtiger Aspekt, für unsere Zukunft lernen und dadurch besser werden in dem was wir tun und was wir sind.
Die Ausstellung in Halle hat mich vor allem eins gelehrt: Es gibt Dinge, die passieren so schnell und mit solch entsetzlicher Gewalt, dass die Menschen sich nicht dagegen wehren können, egal was sie anstellen. Ein Vulkanausbruch gehört dazu. Heute leben im Gebiet rund um den Vesuv fast 2 Millionen Menschen. Neben der Stadt Neapel und den Dörfern drum herum gibt es noch wilde Siedlungen den Hängen des Vesuvs. Die Behörden haben angeblich ausgeklügelte Notfall und Evakuierungspläne, das Gebiet in unterschiedliche Gefahrenzonen eingeteilt und hunderte von Beobachtungsstationen für seismische Aktivitäten. Tatsache ist aber, und das lehrt uns das Schicksal von Pompeji, Nola und Herculaneum, dass kein Plan der Welt die Menschen schützen kann. Die Vorwarnzeit bei einem Ausbruch beträgt zwischen drei Tagen und wenigen Stunden. Wie will man in der Zeit zwei Millionen Menschen evakuieren? Das die Gebete und Opfer helfen, die heutzutage für San Gennaro, den Schutzheiligen der Dörfer am Vesuv, praktiziert werden, darf man mit gutem Grund anzweifeln.
Zumal es wirklich unfassbar schnell gehen wird. In Pompeji war es so, dass der Vulkan zwei tage zuvor kurz gebebt hatte. Dann kam der Moment der Eruption, und während die Menschen noch in den Himmel starrten und fassungslos auf den 30 km hohen Wolkenpilz aus Asche blickten, begann es bereits Bimsstein zu regnen. Dann kam die Asche herab, und mit über 100 Stundenkilometern raste eine Welle aus pyroklastischem Material die Hänge des Vesuv herab. Jeder, der nicht davon verbrannte oder vom Steinregen erschlagen wurde erstickte an den giftigen Gasen oder der Asche. Die Aschemassen waren unglaublich, noch im 800 KM entfernten Istanbul lagen am nächsten Tag 8 cm. In den Untergegangenen Städten lag die Asche schnell höher als die Giebel der Häuser, und das ist der Grund, weshalb alles so gut erhalten wurde. Die Asche wurde fest. Gegenstände wurden konserviert, Menschen und Tiere verwesten und hinterliessen Abdrücke, die Archäologen ausgossen.
Zum Beispiel dieses arme Schwein:
Oder dieser Hund, im Todeskampf zusammengekrümmt und verdreht:
Die italienische Halbinsel wird unter dem Druck der tektonischen Verschiebung mit, für geologische Maßstäbe, beeindruckender Geschwindigkeit verdreht und zerrissen. Ja, man sollte Italien besuchen, so lange es noch da ist. Die Frage ist allerdings nicht, OB der Vesuv wieder ausbricht, sondern lediglich WANN es das nächste mal so weit seien wird. Die Antwort lautet: Das kann niemand sagen, evtl. nächste Woche. Der letzte Ausbruch war 1944, aber der war Mini-Mini, und seitdem staut es sich wieder im Vulkaninneren. Der Vesuv kann nun JEDERZEIT ausbrechen, und wenn er dann groß muss, werden Hunderttausende Menschen sterben. Es wird niemand sagen können, dass das nicht abzusehen war.
Auf Spielplätzen sollen Kinder etwas lernen.
Die Geschichte ist unser Spielplatz.
Leider lernen wir oft viel zu wenig daraus, sonst gäbe es zumindest keine wilden Siedlungen am Vesuv.
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Pompeji, Nola, Herculaneum – Katastrophen am Vesuv
Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt
bis 26.8.2012
Richard-Wagner-Str. 12, Halle (Saale)
Internetseite
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag, 9-19 Uhr
Eintritt Erwachsene 8,- Euro
Eintrittskarte berechtigt auch zur Besichtigung der Sternenscheibe von Nebra