Museum für Industriekultur, Nürnberg

Museum für Industriekultur, Nürnberg

“Ich habe Rapture gefunden” Der Gedanke schoß mir kurz durch den Kopf, als ich langsam die Treppen hinabstieg. Vor mir breitete sich eine unterirdische Strasse aus, angefüllt mit Exponaten aus den Jahren 1880 bis 1940. Tatsächlich fühlt man sich ein wenig, als wäre man metertief unter der Erde – oder auf dem Grund des Ozeans, in Andrew Ryans Steampunk-Stadt aus dem Spiel Bioshock:

Dabei ist es oft einfach die Größe oder das überraschende Auftauchen eines unvermuteten Ausstellungsstücks, die hier beeindruckt. Und beindrucken lassen muss man sich als Besucher des Museums für Industriekultur, denn Beliebigkeit wurde hier wohl zum Konzept erhoben. Versucht man eine Verbindung zwischen nebeneinander stehenden Stücken wie einer Dampfmaschine, einer Arbeiterwohnung, einem Fön und einem Smart zu ziehen, kommt man schnell zu dem Ergebnis: Geht nicht, alles zusammengewürfelt. Schade, mit mehr Kontext, Einordnung und weniger Bleistiften(!) wäre die Ausstellung bestimmt noch faszinierender – so streifte ich an einem verregneten Samstag, zur besten Museumszeit, allein durch die Hallen.

Werbeplakat für Elektrizität

Die Rapture-Strasse enthält gigantische Maschinen, Fahrzeuge aus verschiedenen Epochen und tatsächlich einen kleinen Strassenzug mit Friseursalon, Zahnarztpraxis, Kino, Geschäft, Kolonialwarenladen und einer Arbeiterwohnung.


“Das Zeichen steten Gleichmaßes von Leistung und Gegenleistung” – hier hat sich der Chef noch selber den Slogan ausgedacht!

Nach dem Klick: Heisse Schlitten, nackte Weiber und Roboter!

Schild an der Zahnarztpraxis. Schon damals mochte man Schiedsrichter nicht – hier bekommen sie keine Narkose!

Faszinierend und mir so nicht bekannt: In einer Zweizimmerwohnung lebten auf 35 Quadratmetern eine sechsköpfige Familie – aber nur in einem Zimmer und der Küche. Egal wie arm man war, ein Zimmer wurde um 1900 nicht benutzt: “Die gute Stube” wurde nur Sonntags betreten, und dann auch nur, wenn Besuch da war. Ansonsten hauste man nur in Küche und Schlafzimmer.

Schon seltsam, was gesellschaftliche Zwänge so anrichten. Das erinnert mich fast an die jungen Spanier, die bei ihren Eltern wohnen, weil sie kein Geld haben eine Wohnung zu kaufen. Und etwas mieten – das macht man in Spanien nicht.

Werbeplakat für Elektrizität, 1920er Jahre.
Das Innere einer Stromsäule. Sieht aus wie eine Litfaßsäule, enthält aber Sicherungen.
Generator.
Vergleichende Werbung für Gebissprothesen aus V2A.
Die Gegenstände der Werbung.
Der “Spatz”, ein Miniauto aus Kunststoff. Es gibt nicht mehr viele davon. Grund: Der Kunststofftank war nicht dicht. Die Karosserie saugte sich mit Benzin voll, und eine Zigarette später brannte die Kiste ab. Von 75.000 produzierten Fahrzeugen leben heute nur noch ca. 70.
Verkleidungsstudie für einen Smart, ging nie in Produktion. Der Lack speichert Licht und gibt es bei Dunkelheit wieder ab.
Lautsprecherbus.
Feuerwehrmotorrad. Das war kurz nach dem Krieg im Einsatz, weil es besser durch die Trümmer kam als die Einsatzwagen.
Hätte man vor 25 Jahren AUF KEINEN FALL gesehen: Amiga 500 und Atari ST in stiller Eintracht nebeneinander.

Ich mag ja die Fernsehserie Futurama für ihre vielen, kleinen Anspielungen. Die hier habe ich jetzt erst begriffen: Der Prediger der Kirche “Robotology”…

…ist nach einem Radio designt, dass den Spitznamen “Kathedrale” trug:

Die Anfänge der Firma Bleistift-Staedtler im Mittelalter.

Neben dem Raptureteil gibt es interessante Nebenausstellungen. Z.B. über die Nürnberger Zweiradindustrie. Wer hätte gedacht, das die fränkische Stadt mal das Zentrum der Welt für Zweiräder war?

Fahrrad aus Bambus.
Ein Mopped.
Viele Moppeds!
Ein SEHR altes Mopped mit Riesenmotor. Deswegen die Stützgestelle hinten: Beim Gasgeben hätte man sonst Purzelbaum geschlagen.

Ein Raum ist dem Ende es Quellekonzerns gewidmet, der in Fürth (was nahtlos in Nürnberg übergeht) beheimatet war. An den Wänden Fotografien von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Texten beschreiben, was Quelle für sie war. Dazu gibt es Werbespots und -Plakate, Arcandor und Middelhoffbashing sowie Schickedanz-Lobhudelei. Bis auf die Werbspots aus den 80ern und 90ern sprach mich dieser Raum nicht an.

“Der Pfennig ist die Seele der Million”, sagt Milliardär Schickedanz. Humbug!
Katalogcover im Wandel der Zeit.

Insgesamt lässt einen das Nürnberger Industriemuseum etwas ratlos zurück – zumindest, wenn man zu viel darüber nachdenkt. Vielleicht muss man sich wirklich einfach vom Zauber der Exponate dahintragen lassen. Wenn der Zauber allerdings nicht wirkt, ist der Besuch verschenkte Lebenszeit.

5 Gedanken zu „Museum für Industriekultur, Nürnberg

  1. Nürnberg – oder das gesamte Städtedreieck Nürnberg-Fürth-Erlangen war eigentlich seit dem Mitelalter ein Standort der Veredelungsindustrie und des Handels.

    Gründe dafür waren insbesondere der Mangel an Bodenschätzen (außer lumpigem Burgsandstein gibt es in Nürnberg wirklich nichts) sowie die Handelswege, insbesondere die Kreuzung mit der Seidenstraße. So ergab es sich, dass es in Nürnberg eine Fülle von Rohstoffen und Halbfertigwaren gab, die eigentlich jederzeit verfügbar waren – dazu noch die notwendigen Arbeitskräfte (“Stadtluft macht frei”). Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entwickelten sich aus den klugen Handwerksmeistern (z. B. Martin Behaim, Veit Stoß, Adam Kraft, …) nach und nach ganz passable Industrieanlagen. Zündap (Deswegen haufenweise Mopeds im Museum Industriekultur!), Herkules (Ja, auch von denen gab es mal Mopeds, heute nur noch Fahrräder) MAN (Maschienenfabriken Augsburg NÜRNBERG), Städtler, Schwan Stabilo und Faber Castell (direkt an der Stadtgrenze zu Stein) (deswegen die Bleistifte dazwischen Scilencer, die haben schon ihre Berechtigung in Nürnberg!), Grundig (vor allem Radios, Fernseher), Siemens (insb. auch das Trafowerk), Triumph Adler…

    Viele dieser Unternehmen gibt es heute nicht mehr, oder wenigstens nicht mehr in Nürnberg. Ebenso wie der Quelle-Konzern. Es ist schade, dass Dich der Raum nicht angesprochen hat, wenn auch nicht allzusehr verwunderlich, denn jemand, der über Nürnberg nicht viel weiß, kann das eigentlich nicht ganz verstehen. Gerade Quelle stand eigentlich für Industrie mit Kultur, oder vielleicht ist es besser verständlich es als Unternehmen mit sozialer Verantwortung zu bezeichen? Quelle war mehr als nur ein Händler mit Gewinnmaximierung sondern fülte sich seinen Kunden gegenüber verantwortlich (ich erinnere mich noch gut, wie nach 4 Jahren eine Waschmaschine den Geist aufgab, wir schon angst vor der Rechnung des technischen Kundendienstes hatten, und dann sagt uns der Kundendienstmann, er habe alles geregelt, aus Kulanz würde uns der Zeitwert der Maschine erstattet wenn wir sofort wieder diegleiche kaufen, nur dass der Preis inzwischen deutlich gefallen sei – wenige Tage später kam dann auch ein Lieferant, nahm die alte Maschine mit, stellte eine Neue hin und zahlte uns sogar noch 200€ aus!), aber auch das engagement für seine Mitarbeiter, Stiftungen und Föderung von Sozialpojekten in Nürnberg und Umgebung, 10% Rabatt für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes auf alles… und nein, das war es nicht, warum Quelle pleite ging, sondern nur, weil man zuspät und mit zuwenig Engagement in den Internehthandel eingestiegen ist. Insofern ist sein Satz “Der Pfennig ist die Seele der Miliarde” mehr als nur Humbug – vielmehr der Ausdruck, dass Quelle auch die kleinen Leute nicht vergisst und dass der kleine Mann nicht aufgeben soll und zuletzt ein zutreffendes Unternehmensmotto.

    So ist nun das Museum Industriekultur letztendlich doch zum Museum geworden, das will zwar eigentlich keiner in Nürnberg wahr haben, denn die alten Nürnberger sind stolz auf die Firmen, für die sie tätig waren und treffen sich heute noch regelmäßig z. B. zum “Faustball” mit ihren früheren Kollegen, wobei keine Unterschiede in der Mannschaft zwischen Chef, Stift, Angestellten etc. gemacht werden und wurden. Doch wie gesagt, viele Unternehmen existieren nicht mehr, wo früher der “Adler” fuhr fährt heute die U-Bahn und alle Firmen an der früheren Bahnstrecke (Fürther Str.) existieren nicht mehr (Quelle, Triumph-Adler, AEG) ebensowenig wie Grundig, Zündap…

    Früher wusste eigentlich jeder, warum welches Stück im Museum Industriekultur steht, es war eher eine Ausstellung denn ein Museum und eng verwoben mit der Kultur der Stadt, ja, es fanden sogar immer wieder Konzerte in der Halle stadt – doch heute sterben die alten Nürnberger langsam aus, die jungen Nürnberger kennen Quelle eigentlich nicht mehr – auch sie bestellen alles bei amazon – und dass Fernseher mal eine Röhre hatten wissen sie ebensowenig wie dass solche Geräte mal in Nürnberg gebaut wurden.

    Die Museumswerdung ging schleichend vor sich, und jetzt, wo es soweit ist, will man die zum Stilleben und damit zur verklärten Erinnerung an eine goldene Zeit Nürnbergs – ein Kunstwerk für sich – nicht zerstören und sich wohl auch nicht ganz eingestehen, dass das Museum Industriekultur wohl einer Überarbeitung bedarf. Andererseits muss man sagen, dass jedes Element des Hauses wirklich auch zu Nürnberg gehört (Nix: “Bleistifte ‘raus!”).

    Was in Zukunft aus Nürnberg werden wird, weiß eigentlich keiner so genau. Ob eines Tages wirklich nur noch Christkindelsmarkt bzw. Spielwarenmesse (war mal ein- und dasselbe) und Lebkuchen bleiben wird?

    Nur nebenbei bemerkt: Das Verkehrsmuseum ist übrigens vom didaktischen Aufbau wohl ein wenig gefälliger und berührt ja auch die Industriegeschichte Nürnbergs immer wieder. Vielleicht sollten Touristen besser dieses besuchen?

  2. Danke! Das ist EXAKT die Erklärung, die ein auswärtiger Museumsbesucher benötigt, um die Verbindung herzustellen! Was Du schreibst ist mir tatsächlich größtenteils nicht bekannt gewesen. Schade, dass das Museum selbst nicht in der Lage ist, diese Informationen beim Start des Besuchs weiterzugeben. Mit diesem Wissen hätte ich vermutlich sehr viel mit ganz anderen Augen gesehen.
    Das Verkehrsmuseum… daneben habe ich übernachtet, stand am nächsten morgen davor und habe gedacht: “Nee, das macht jeder. Aber ein Museum für Industriekultur, DAS hat nicht jede zweite Stadt, das guckst Du dir jetzt an.” Ich glaube auch, dass es mehr als nur eine Daseinsberechtigung hat. Mit dem von Dir angeführten Kontext und etwas mehr Fokussierung auf die sozialen Auswirkungen (“Wie hat die Industrialisierung Nürnberg verändert? Wie verändert die Globalisierung Nürnberg?”) wäre es in meinen Top5 der mir bekannten Museen.

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