Am Bahnhof

Am Bahnhof

Heute, am Münchner Hauptbahnhof. Eigentlich wollte ich zu dem Geschäftstermin zu Fuß gehen, aber nun regnet es in Strömen. Ich stehe etwas unschlüssig im Nebeneingang herum, ab und an schaue ich abwechselnd zum Himmel und luge in Richtung einer Ecke, hinter der ich einen Taxistand vermute.

“Guten Tag, I bin der Martin”, steht plötzlich ein Männlein vor mir und streckt mir die Hand entgegen. Der Typ ist Mitte 30 , robust gebaut, fettige Haare. Er trägt eine speckige Weste. Eine strenge Alkoholfahne weht mir entgegen. Ich erwidere: “Guten Tag. Ich möchte Ihnen nicht die Hand geben” und sehe ihn an. “Joa, so schaust Du auch aus! Sag mal, warum guggstn Du uns die ganze Zeit an? Bist vom Kriminalamt oder was? Beobachtest Du uns?”, sagt das Männchen ruhig, aber mit zusammengekniffenen Augen.”WAS?! Ich habe Sie noch nie gesehen! Ich stehe hier und gucke in den Regen!”, entfährt es mir verblüfft. “Bleibst mal schön ruhig, dann BLEIBEN WIR AUCH RUHIG!”, droht das Männchen, dreht sich um und geht zu seinen Saufkumpanen zurück, die, alle eine Dose Bier in der Hand, an der Ecke rumlungern, hinter der ich den Taxistand vermute. Ganz ruhig ist er dabei, aber sein Verhalten verrät den Choleriker, der jederzeit durchbrechen kann.

Tja. Bahnhöfe ziehen Verrückte wohl an.

In Frankfurt hat mich mal eine Frau angesprochen. Mitte 50, 50 Kg Übergewicht, Stoffkleid mit Blumendruck, Dauerwelle, Warze auf der Nase, strenger Schweißgeruch. Ihr Name sei Maria. Sie hätte ja so ein schönes Schlafzimmer. Und ein Loch. Das Loch sei in der Wand, hinter ihrem Bett. Da habe sie früher all ihr Geld, den Schmuck und die Erinnerungsstücke drin gehabt, in dem Loch. Aber dann sei Jesus in ihr Schlafzimmer geschlichen, Nacht für Nacht, und habe immer, wenn sie tief und fest schlief, etwas aus ihrem Loch gestohlen. Bis es leer war. Die Sau. Wer hätte von Jesus gedacht, dass er sich heimlich an Marias Loch vergeht?
Das alles erzählte sie mit großem Ernst und voller Sorge in der Stimme. Ständig sah sie sich um, und als sie ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, drehte sie sich um und verschwand in der Menge.

5 Gedanken zu „Am Bahnhof

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