Ordnungshilfe: L´Aquila-Urteil
Unterdessen in Italien: Richter Marco Billi verurteilt sieben Wissenschaftler zu einer sechsjährigen Haftstrafe, weil sie das Erdbeben, das 2009 die Region um L´Aquila in Mittelitalien zerstörte, nicht korrekt vorhergesagt haben – was technisch aber gar nicht möglich ist. Spinnt der Richter? Wird zukünftig überhaupt noch ein Wissenschaftler Prognosen machen, wenn er bei falschliegen in den Knast wandert? Verbrennt man in Italien demnächst wieder Hexen? Warum MACHEN die das?? Eine kleine Hilfe zur Einordnung dieses Vorgangs.
Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass das Urteil in nächster Instanz kassiert wird und Italien nicht sofort ins finstere Mittelalter abgleitet. Was wir hier aber in der Tat beobachten können, ist ein umfassendes Symptom des Systems Berlusconi.
Ja, richtig gelesen: Berlusconi. Denn auch, wenn der Cavaliere selbst gerade seine Wunden zu lecken und augenblicklich keine Rolle in der italienischen Politik zu spielen scheint, so arbeitet das System, das er geschaffen hat, unabhängig weiter. Berlusconis größte Schandtat war es, dass er das italienische Gesellschaftsgefüge verändert hat. Unter seinem politischen und wirtschaftlichen Wirken wurde das Land in eine Unterhaltungsdemokratie umgebaut und dafür gesorgt, das bis auf Regionalebene Personen in wichtigen Positionen sitzen, die Berlusconis Denkweise und Moralvorstellungen teilen. Dazu gehört u.a. auch der Gedanke, dass an allem jemand Schuld habe muss, und zwar jemand anders. Es braucht immer jemanden, auf den man mit dem Finger deuten kann.
Das System Berlusconi steht gerade Wissenschaft und Kultur extrem kritisch gegenüber, weil diese eigenes Denken und ggf.Systemkritik fördern können. Der Umgang mit Wissenschaft und Kultur ist deshalb sehr rigide: Kultur im Sinne von Historie und bildender Kunst werden bereits seit Jahren durch das Einstellen von Förderungen trockengelegt, während Wissenschaftler entweder lächerlich gemacht oder, wie im vorliegenden Fall, aufgrund falscher Anschuldigungen geopfert werden. Dieses Vorgehen ist systematisch, und hat sich auch nach der Übernahme der Regierung durch Technokraten nicht wesentlich geändert.
Für Getreue des Berlusconisystems sind Kultur und Wissenschaft unwichtig, was zählt, sind eigene Macht und eigene Vorteile, und zwar nach Möglichkeit ohne Verantwortung zu übernehmen. Solche Personen rutschen schon mal in einen Allmachtswahn ab, und genau das können wir bei Billi, der unter Berlusconi Karriere gemacht hat, beobachten. Billi hat Karriere in einer Umgebung gemacht, in der es OK ist, Wissenschaft verächtlich als etwas negatives, weil systemgefährdendes, zu betrachten. Genau dies kann man beim L´Aquila-Urteil beobachten, und mit welcher Öffentlichkeit sich das System Berlusconi dort präsentiert, das ist der eigentliche Skandal.
Ein Gedanke zu „Ordnungshilfe: L´Aquila-Urteil“
Sehr interessant, danke für die Einordnung!