Zu faul um unordentlich zu sein
Ich bin zu faul um unordentlich zu sein. Das hört sich wie ein Wiederspruch an, ist es aber nicht.
Früher, da sah es bei mir nach fünf Minuten aus wie auf dem Schlachtfeld. Alles lag kreuz und quer, Papiere wurden chronologisch in Haufen abgelegt und allein der Schreibtisch war von mehreren Sedimentschichten bedeckt. Resultat war natürlich: Sucherei. Immer. Einkommensteuererklärung vom letzten Jahr? Vielleicht in dem Haufen hinterm Bücherregal, etwa unteres Drittel. Oder woanders.
Im Laufe der Zeit habe ich aber mitbekommen, dass es viel einfacher und das Leben stressfreier ist, wenn ich Ordnung halte und alles an seinem Platz ist. Das erspart elendige Sucherei und beugt abgenutzten Nerven vor. Man könnte auch sagen: Ich habe meine beiden Schwächen, Faulheit und Unordentlichkeit, gegeneinander in Stellung gebracht und sie aufeinander losgelassen. Faulheit hat gewonnen, das Resultat ist eine aufgeräumt Wohnung.
Vielleicht stimmt es auch, was ich vor langer Zeit mal gesagt bekam: Das der Zustand der Wohnung das innere Seelenleben wiederspiegelt. Fühlt man sich chaotisch, sehen auch die eigenen vier Wände so aus. Wenn dem so ist, bin ich gerade sehr mit mir im Reinen.
Bis es soweit kam war es aber ein langer Weg. Zunächst war ich gernervt davon, dass ich ständig Dinge suchen musste. Schlüssel gehörten witzigerweise nie dazu, aber so gut wie alles andere. Ein Griff… undie Sucherei ging los. Irgendwann ging mir das so dermaßen auf den Saque, dass ich mir kleine Rituale angewöhnte, um Dinge an ihren Platz zu legen. Mit der Zeit schliffen sich diese kleinen Ordnungsabläufe ein. Heute hat alles seinen Platz, ohne überreguliert zu sein. Ich bin kein Ordnungsfetischist, brauche aber nichts lange suchen. Ich bin ein Kerl, der weiß wo sein Kram ist, wenn Sie wissen was ich meine.
Umso mehr warf es mich dann heute Morgen aus der Bahn, als ich schnell zu ebenjener musste, die Kopfhörer aber nicht an ihrem Platz in der linken Jackentasche waren. Da sind sie normalerweise immer, vor langen Zugfahrten nehme ich sie da raus und packe sie in die linke Hosentasche, damit sie griffbereit sind, während die Jacke in der Gepäckablage liegt. Und heute morgen? Ist die Jackentasche leer.
Wo habe ich die Dinger zuletzt benutzt? Hm. Fällt mir nicht ein. Sind sie im Motorradrucksack? Nee. In der Tasche mit den Netzteilen? Nee. In der Aktentasche? Ach nicht. Shitshitshit. Reservekopfhörer habe ich auch gerade keine. Mist. Das wird eine LANGE Bahnfahrt, und ohne Ohrstöpsel muss ich mir den Quark der Businesskasper anhören, die wichtig-wichtig machen.
Vielleicht sind die Kopfhörer in der anderen Jacke? Nee.
Im Citybag? Neee, auch nicht.
Mist, ich muss los.
Ab in die Bahn, ohne Entertainmentbeschallung. Den ganzen Morgen zermartere ich mir das Hirn, wo die Teile wohl abgeblieben sind.
Nachmittags stehe ich grummelnd vor der Tür eines Restaurants. Es ist kalt, ich ziehe die Schultern hoch und stecke die Hände in die Hosentaschen. Und darin sind… die Ohrhörer!
Habe ich die im Halbschlaf schon reisefertig sortiert. Offensichtlich haben sich manche Ordnungsabläufe schon so tief eingeschliffen, dass ich sie nichtmal mehr mitbekomme.
4 Gedanken zu „Zu faul um unordentlich zu sein“
Haha, das kann ich quasi unterschreiben. Vom (fast) niemals Schlüssel suchen bis zum festen Platz für die Dinge, weil mir meine Zeit zu schade zum Suchen ist.
Und vorgestern musste ich dann ausnahmsweise doch ewig meinen Geldbeutel vorm Einkaufen suchen, den ich vorm Schuhe anziehen unbewusst schon mal in die Jackentasche gesteckt hatte. 😀
Gab’s denn wenigstens interessante wichtig-wichtig Unterhaltungen im Nachbarsitz?
Jep, unterschreibe ich auch so, und ich setze noch einen drauf und sach: “Lasse los und du hast zwei Hände frei!”
Das mit dem Seelenleben und dem Spiegel im Umfeld ist eine schöne Assoziation und ist absolut unstrittig.
Katja: Ah, ich bin nicht allein! Danke! Die Unterhaltungen hielten sich im Rahmen, alles gut.
Queen: Absolute, ich habe so eine “Lass los”-Erfahrung vor ein paar Jahren gemacht und verteile meine Seele seither nicht mehr willkürlich auf Dinge: http://silencer137.wordpress.com/2008/05/16/dinge-fressen-seele-auf/
Sondern achte sehr darauf, dass mein Hausstand klein bleibt.
Das ist absolut ein Highlight auch in meinem Haushalt, und du sprichst mir sehr aus der meinen… Seele!
Und wer seine Dinge in (der) Ordnung hält, kann sich hier tatsächlich den Gang zur Feng Shui Beratung sparen, denn aufräumen können wir ja selber, wie es die Deine Erfahrung ebenso die meinige gezeigt haben. Klasse!