Ordnungshilfe: Leistungsschutzrecht
In der Tagesschau wird in einer Kurzmeldung erwähnt, dass der Bundestag über das sog. “Leistungsschuzrecht” berät. Angeblich macht Google dagegen mobil. In der Zeitung steht davon nichts, also kann es nicht so wichtig sein, oder?
Falsch.
Oh, da steht ja doch was in der Zeitung. Ein Kommentar der Redaktion. Sie schreiben, dass Google die Zeitungen ihre Arbeitsplätze kaputt macht, weil es ihre Artikel kopiert und selbst weiterverkauft. Das ist ja Diebstahl! Gut, das mal jemand was dagegen macht! Dann ist das Leistungsschutzrecht, dass die Leistungen der Journalisten schützt ja was richtig Gutes, was?
Falsch.
In der Tat ist es nicht einfach, sich in dieser emotional geführten Debatte einen Überblick zu verschaffen. Insbesondere, weil klassische Medien in der Causa Leistungsschutzrecht (LSR) nicht oder gezielt falsch berichten. Was wir hier sehen ist die vermutlich größte Vertuschungs- und Desinformationskampagne aller Zeiten, durchgeführt als konzertierte Aktion der Verlage unter Führung des Springer Verlags. Ich übertreibe nicht.
Das sind die Fakten:
Der Verlagsbranche geht es seit Jahren schlecht und schlechter. Die Auflagen der gedruckten Zeitugen sinken, Werbeumsätze brechen ein. Als Schuldigen dafür hat man Internetnutzer und -dienste ausgemacht. Vor denen möchten die Verlage nun geschützt werden, und sie wollen Geld für ihre Inhalten haben. Mit eigenen Angeboten Geld verdienen ist nicht verwerflich, aber Bezahlangebote haben es im Netz schwer. Deshalb ist auf allen Zeitungswebseiten Werbung geschaltet, die finanziert zumindest zum Teil das Angebot. Die Verlage möchten aber mehr Geld für ihre Inhalte haben. Bezahlabos u.ä. Modelle, bei denen der Nutzer die Wahl hat, laufen schlecht – weil im Internet nämlich, mal als Beispiel, das Schwalmbrücker Käseblatt in Konkurrenz zu Spiegel Online steht, das genauso viele Klicks entfernt und kostenlos ist.
Nun sind die Verlage auf eine Idee gekommen. Wenn man Geld für Internetinhalte bekommen möchte, ohne Privatpersonen bezahlen zu lassen – dann müssen das eben Firmen tun. Und die muss man per Gesetz dazu zwingen. Damit war die Idee des Leistungsschutzrechts in der Welt, und fortan schwärmten die Lobbyisten der Verlagsbranche aus und bearbeiteten Politiker. Die Botschaft war immer die gleiche: Da gucken sich Leute unsere Artikel an und ziehen beruflichen Vorteil daraus, also sollen sie dafür zahlen!
Ein Beispiel: Wenn ich was über Änderungen bei der Krankenversicherung wissen möchte und mich privat evtl. auf www.schwalmbrücker-Käseblatt.de darüber informiere, soll das kostenfrei sein. Wenn ich das aber tue, weil ich z.B. dieses Wissen beruflich haben muss, DANN soll meine Firma dafür Geld bezahlen. Das ist das Leserecht, das im Leistungsschutzerecht verankert sein soll.
Der zweite Bestandteil des LSR ist das Snippetrecht, das die Verwendung von Snippets für jedermann untersagen soll. Was sind denn nun Snippets? Snippets sind kleine Textfragmente, aus denen man ungefähr erahnen kann, worum es im Text geht. Die soll niemand mehr verwenden dürfen, auch die Verwendung ähnlich lautender Formulierungen soll durch das LSR strafbar werden. Und zwar für alle, die Text produzieren, auch die kleinen Blogger. Die Folgen sind absehbar. Wenn die Verwendung kleinster Textbausteine und Halbsätze unter Strafe steht, wird das im besten Fall weitgehende Rechtsunsicherheit bringen, im schlimmsten Fall grenzenlose Abmahnwellen. Dabei kann es wirklich jeden treffen: Schon dann, wenn man einen Link auf Facebook postet. Denn Facebook generiert automatisch ein Snippet, für das derjenige haftet, der den Link eingibt.
Aktuell beteuern die Verlage, dass man es ja nicht auf die Blogger abgesehen habe (was man sehr wohl doch hat), sondern es geht um große Dienste wie Google, die die Inhalte der Verlage ungefragt klauen, kopieren und dann als eigene Angebote ausgeben. Dem wolle man einen Riegel vorschieben.
Gucken wir uns spasseshalber mal an, was Google eigentlich tut. Das hier ist die Startseite von Google News:
Gut zu erkennen: Google News zeigt aktuelle Schlagzeilen und verwendet Snippets, um Besuchern einen Nachrichtenüberlick zu ermöglichen. Man kann aber keine ganzen Artikel lesen. Um das zu tun, muss man auf die Überschrift klicken und kommt dann auf die Seite der Zeitung, von der der Artikel stammt. Die gleiche Zeitungsseite, die mit Werbung gespickt ist und von Klicks und Verlinkungen darauf lebt. Google sorgt, Werbefrei, für Publikumsverkehr auf den Zeitungsseiten – und soll dafür bestraft werden.
Jahaa, sagen die Verlage, aber die Snippets gehören uns. Und Google fischt die einfach so ab, das geht doch nicht! Doch, das geht. Besonders kurze Wortfolgen sind nicht vom Urheberrecht geschützt. Und das mit gutme Grund, weil der Gesetzgeber nämlich fürchtete, dass sonst wegen wiederverwendeter oder ähnlicher Halbsätze juristische Auseinandersetzungen stattfinden würden. Nicht ohne Grund, wie ich finde.
Nichtsdestotrotz hätte bereits jetzt jeder Verlag die Möglichkeit für jeden einzelnen Artikel festzulegen, ob Google den Artikel normal in seinen Suchindex aufnehmen soll (mit Snippet), oder ob NUR die Überschrift bei den Suchtreffern angezeigt werden soll ODER ob der Artikel gar nicht bei Google News auftauchen soll. Nochmal: Für JEDEN Artikel kann man das einstellen. Was man für sich behalten möchte, kann man für sich behalten. Die Verlage behaupten, das ginge nicht – und das ist eine Lüge.
Um die Situation mit einem Beispiel, das nicht von mir stammt, zusammenzufassen: Die Verlage betreiben einen Puff und Google ist der Taxifahrer, der die Kundschaft vorbeibringt. Außerdem springen überall in der Stadt nackte Frauen herum. Was die Verlage nun wollen, ist, das der Taxifahrer dafür zahlen soll, dass er Kundschaft bringt. Und die Kundschaft soll dafür zahlen, wenn sie zufällig eine der nackten Frauen sieht – auch, wenn er gar nicht im Puff ist.
Klingt bizarr? Ja, tut es. Die Folgen eines LSR, wenn es beschlosse wird, sind weitreichend und kaum abzusehen. Blogger, Google und neuerdings auch Juristen laufen Sturm gegen das LSR. Vor kurzem veröffentlichte das Max-Planck-Insitut für Immaterialgüter ein Gutachten. Führende Urheberrechtsjuristen untersuchten das LSR und kamen zu dem Ergebnis, dass es nicht gebraucht wird, weil kein Grund dafür ersichtlich ist, wenn es aber doch käme es einen volkswirtschaftlichen Schaden hervorrufen würden. Denn warum sollten Nutzer für deutsche Presseangebote zahlen, wenn Presseangebote anderer Länder kostenlos und ebenso nahe sind?
Zusammengefasst kann man also sagen, dass wir es hier mit einem Gesetzentwurf zu tun haben, der auf das Betreiben der großen Verlage wie Springer und Burda zurückzuführen ist und der einzig dazu dient, die Verlage an Newsaggregatoren anderer verdienen zu lassen. Urheberrechtsexperten sehen den Sinn nicht und halten es für schädlich. Käme das Gesetz, würde es das deutsche Internet für immer zum negativen verändern und jeden einzelnen von uns treffen. Da es hierbei um Verlagsinteressen geht, wird über das LSR nicht oder falsch berichtet – hier nutzen die Verlage tatsächlich ihre Macht, um sich ein Gesetz zum Schutz ihrer alten Geschäftsmodelle schreiben zu lassen und nutzen ihren Einfluss auf die Berichterstattung, um darüber entweder nicht oder falsch zu berichten. Die Bundesregierung will das LSR trotzdem beschließen lassen – steht ja so im Koalitionsvertrag.
Mehr zum Thema: IgeL – Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht
Stefan Niggemeier: Leistungsschutzrecht
Anm.: Da leiere ich mir über Tage diesen Artikel aus den Fingern, und dann erklärt Frank Rieger bei der FAZ das ganze Thema besser und präziser. Nunja. Wenigstens eine Zeitung aufgewacht.
Frank Rieger: Leistungsschutzrecht – eine unheilige Scheindebatte.
4 Gedanken zu „Ordnungshilfe: Leistungsschutzrecht“
Es wird schon soooooooooo lange in der Welt fehlinformiert! Das ist mal Fakt. Und das hat auch einen Grund und System. Hier geht es ja um viel Geld und um Macht. Da stimme ich dir zu. Doch was hier abgeht, ist der patetische Versuch, aus einem sinkenden Kahn noch mal einen Luxusdamfer zu schustern, der aber in einem Puffboot endet. (Danke für deinen Vorgedanken) Das ist nun auch ein Snippet. Willst jetzt dafür Geld haben… 😉
Lass mal, wenn, dann müsstest Du jetzt Geld dafür haben wollen, wegen dem Puffboot – das hat es so noch nirgendwo gegeben 🙂
vielen Dank für diese knackige kurze Zusammenfassung. 🙂
Gern geschehen. Ich muss sowas manchmal aufschreiben um selbst noch durchzusteigen. 🙂