Epilog – Motorradreise 2012, Tag 16: Das Ende einer Reise
Silencer war im Juni 2012 mit dem Motorrad in Europa unterwegs. 4.500 Kilometer, über 30 Orte, 16 Tage. Dies ist das Tagebuch der Reise. Am sechzehnten Tag bleibt nur noch ein Epilog.
Samstag, 16.06.2012, Oberderdingen, Baden-Württemberg
Alles geschieht so wie geplant. Herr Fitterling trägt auf die Minute zur vorgemerkten Zeit ein wunderbares Frühstück inkl. Spiegelei in den Frühstücksraum der Ölmühle. Nach der Verabschiedung steige ich auf die Kawasaki, und ab geht es auf die Strasse. Zunächst Landstrasse, durch kleine Ortschaften die gerade erst aufwachen. Es ist Samstag, kurz vor Acht. Erst wenige sind unterwegs und holen Brötchen oder machen was Schwaben halt Samstags so tun.
Dann schwenke ich auf die Autobahn, gebe der Kawasaki die Sporen und ab geht es gen Norden. Schon zur Mittagszeit taucht im Leinetal Göttingen vor mir auf, die Perle Südniedersachsens. Kurz danach rolle ich am Ortsschild von Mumpfelhausen und über die staubige Dorfstrasse am Emmaladen vorbei, und plötzlich bin ich wieder zu Hause.
Ich trage die Koffer ins Haus, sehe mich im Arbeitszimmer um und atme tief ein.
Ich bin wieder da. Die Reise ist vorüber.
Plötzlich fühle ich ein wenig Leere. Auf DIE REISE hatte ich mich ein halbes Jahr vorbereitet, sehr oft an das gedacht, was da kommen wird, und nun… ist da eine Lücke. Leerlauf in den Gedanken.
Gleichzeitig freue ich mich aber total, dass alles gut gegangen ist. Kein Unfall. Keine Panne. Nichts verloren. Nicht krank geworden. Kein Maschinenschaden. Die Ausrüstung, sorgfältig ausgewählt und über 10 Monate zusammengekauft, hat sich bewährt.
Ich war nur 16 Tage unterwegs, aber es kommt mir vor, als wäre ich Monate weg gewesen. Was habe ich in der Zwischenzeit aber nicht alles erlebt: Begonnen hatte es mit dem Weg nach München. Dann ging es durch eine unfassbar kitschige Alpenlandschaft und über Österreich in die Lombardei, auf eine Kiwifarm. Von dort an die Adria nach Rimini, dann über die Berge nach San Marino und von dort über die Toskana an die ligurische Riviera, durch die Gebirge in den Piemont und von dort wieder durch die Alpen und über die Schweiz zurück nach Deutschland. Zusammen mit allen besuchten Orten waren das 4.557 Kilometer.
Ich habe Berge gesehen, bin durch unglaublich lange Tunnel gefahren, bin am Meer spazieren gegangen, war so dicht unter den Wolken das ich sie fast hätte berühren können, bin auf hohe Türme geklettert und habe Friedhöfe besucht, gesehen wie man Käse macht, war am Boden zerstört und auf Höhenflügen.
Das war die vermutlich beste Zeit meines Lebens, und das lag erstaunlicherweise weniger am Motorradfahren an sich oder an den besuchten Orten, sondern vor allem an den Menschen und den Geschichten, auf die ich unterwegs gestoßen bin. Diese beiden Faktoren sind es, die diese Reise unvergesslich machen werden. Allein die Freundlichkeit, die mir überall (mit Ausnahme von München) begegnet ist, wird sich als schöne Erinnerung einbrennen. Mit einigen der Menschen, die ich unterwegs kennengelernt habe, habe ich sogar noch Kontakt.
DIE REISE sollte ja auch eine Prüfung für mich selbst sein. Ich wollte auf ganz vielen Ebenen neues ausprobieren, mich fordern und mich prüfen. Ich wollte mich bewusst Dingen und Situationen aussetzen, die mir unangenehm sind, die ich sonst meide und die mir vielleicht sogar Angst machen. Ich wollte sehen, ob ich mit dem Wissen und den Fähigkeiten, die ich besitze, mit all dem fertig werde. Anhand der Ergebnisse wollte ich schauen, was ich eigentlich heute für ein Mensch bin. Irgendwie hatte ich mich in den letzten Jahren ein wenig aus dem Fokus verloren, etwas Selbsterkenntnis war dringend nötig.
Ich habe mich über Bergstrassen und durch volle Großstädte gequält, habe mich in Dörfern verlaufen, habe im Backofen der Toskana geschmort, Fisch und Krustenbraten gegessen, in einem Truckstop übernachtet, mit fremden Menschen in einer Sprache, die ich nicht beherrsche, Gespräche angefangen, undundund. Ich habe unfassbar tolle Momente ebenso erlebt wie eine tiefe Niedergeschlagenheit und Einsamkeit, ich bin an meine körperlichen Grenzen gegangen und habe es mir danach gut gehen lassen.
Und, was soll ich sagen… Ich habe herausgefunden was ich wissen wollte. Ich kann was, und der Mensch, den ich gefunden habe und der ich bin, ist jemand, mit dem ich gut leben kann.
Die Fahrt an sich war natürlich auch etwas Besonderes. Auf einem Motorrad ist man ungeschützt und anfälliger, auch für Eindrücke von Außen. Fremde Länder mit dem Motorrad zu bereisen ist ein wesentlich intensiveres Erlebnis, als im geschlossenen Auto durch die Landschaft zu fahren. Man bekommt mehr mit. Mehr von der Landschaft, mehr vom Wetter (das manchmal auch in den Stiefeln herumschwappt) und mehr von den Menschen. Man lernt, Dinge anders wahrzunehmen. Natürlich ist es auch anstrengend, aber immer dann, wenn man körperlich ausgepowert ist, nimmt man die schönen Momente und die Lebensfreude der Menschen um einen herum erst richtig wahr.
Wenn ich die Reise noch einmal machen könnte, würde ich etwas anders machen? Ja. Ich würde mir mehr Zeit nehmen. Das straffe Programm verhinderte zwar Leerlauf und damit Langeweile, die ein Einfallstor für Einsamkeit sein kann, aber auch das habe ich auf der Reise gelernt: Vor Einsamkeit brauche ich mich nicht zu fürchten. Ich bin nicht einsam. Ich bin nur allein unterwegs. Das ist ein großer Unterschied. Ich kann sehr gut allein sein, das gibt mir Kraft und ist gut für mich. Und deswegen brauche ich auch keine Bedenken zu haben, mich länger an einem Ort aufzuhalten, anstatt nach einem Tag wieder weiter zu ziehen.
Wenn ich also nochmal auf Reisen gehe, dann… langsamer.
Ich hoffe, die Leserschaft war den Reiseberichten geneigt. Schon während der Fahrt habe ich in Gedanken Blog geschrieben, nach Sätzen gesucht, die das erlebte gut einfangen würden. Die Leserinnen und Leser fuhren die ganze Zeit im Inneren des Helms mit, sozusagen. Das bisherige Feedback war ja überraschend positiv – ich hätte nicht gedacht, dass tatsächlich jemand die langen Texte liest. Verbesserungsvorschläge trotzdem gerne in die Kommentare. Dann lesen wir uns vielleicht wieder, bei der Schilderung
Der LANGEN Reise, die seit Oktober 2012 in Planung ist… 😉
Wer sich jetzt an das Reisetagebuch als samstägliche Morgenlektüre gewöhnt hat, muss nun nicht traurig sein. Ab nächster Woche gibt es an dieser Stelle das Wieseltagebuch. Das Wiesel hat zwischen der Motorradreise im Sommer und unseren Abenteuern in Florenz im Herbst eine ganz besondere Abenteuerreise hingelegt, und davon wird in den nächsten Wochen berichtet – aber nicht von mir, soviel sei schon verraten…
Alle Teile zum Nachlesen:
Europareise:
– Das Motorrad
– Planung
– Prolog: 4.557
– Tag 1: Freiwild. Von Göttingen nach München.
– Tag 2: Unterwältigt in München.
– Tag 3: Risotto alla Giulia. Von München nach Volta Mantovana
– Tag 4: Der Rubicon ist überschritten. Von Mantua nach Rimini
– Tag 5: Der Gesang der Strasse, Fuchsbauten und Werwölfe. Von Rimini über San Marino nach Siena.
– Tag 6: Landschaft, Brüste und der Nabel der Welt
– Tag 7: Lara Croft, die Entdeckung der Langsamkeit und ganz viel Käse
– Tag 8: Blümchenpflücker im Backofen
– Tag 9: Der Fall. Von Siena nach Livorno.
– Tag 10: Geisterfahrer bei Oma Lalla. Von Livorno nach Moconesì.
– Tag 11: Flirtrennen und Friedhof am Tag den es nicht gibt: Von Genua in den Piemont
– Tag 12: Im Reich des irren Architekten: Turin
– Tag 13: Ausgetrickst über die Alpen: Von Turin nach Bern
– Tag 14: Bär´n in Bern
– Tag 15: Owley und die Ölmühle: Von Bern nach Oberderdingen
– Tag 16 & Epilog: Das Ende einer Reise
10 Gedanken zu „Epilog – Motorradreise 2012, Tag 16: Das Ende einer Reise“
Dein Reisebericht ist ein Genuss zu lesen, vielen Dank. Wenn ich Motorrad fahren könnte hätte ich spätestens jetzt große Lust es Dir gleich zu tun. EingGroßartiger Bericht einer tollen und beneidenswerten Reise. #kudos
Also irgendwie hat das Pflanzerl nicht die richtige Farbe für das Kleid 😀
Und nu der Hammer der Queen: wenn du wirklich mal an deine (psychischen) Grenzen gehen und auch bereit bist sie überschreiten zu wollen, dann fahre einfach mal an ein Ziel, wo du gar nichts planst. Ich werde dir bei Gelegenheit erzählen, wie ich den Jakobsweg “geplant” habe. Das nur als kleine Randinfo… Mir war nur mein Ziel und ein paar von den Zwischenetappen bekannt, sonst gar nichts. Und ich habe spontan beschlossen, mein tatsächliches Ziel zu… naja lassen wir das.
Dein Tagebuch war toll. Dein Art zu schreiben hat mir so seeeeeeeeeehr viel besser gefallen, als deine Art zu Reisen 😉 Und deswegen habe ich sehr viel Respekt vor dir. Du hast in dieser Situation sehr viel Mut bewiesen. Alle Hochachtung. Danke für diese wundervollen Zeilen.
sehr schön.
da bin ich mal gespannt auf die LANGE Reise.
🙂
Danke fürs Mitnehmen.
Rüdiger: Dankesehr!
Queen: Habe ich auch schon mal gemacht. Ist OK, entspannt mich aber nicht wirklich. Muss ich in anderer Form nochmal testen, aber nicht bei so langen Abenteuern. Und Danke für das große Lob!
Markus: davor kommen noch ein paar andere, coole Sachen – versprochen.
Guinan: Gern geschehen!
Lieber Silencer, danke dass du uns mitgenommen hast auf deiner Reise. Mir haben die Berichte sehr gut gefallen, jeder einzelne, aber ich stehe ja generell sehr auf Reiseberichte 🙂
Du hast meinen vollen Respekt für das Durchziehen deines Abenteuers, ich kann mich dunkel erinnern, dass mir ein netter Blogger auf der CeBIT erklärt hat, dass Reisen so gar nix für ihn wäre. Vor allem dieses Reisen um des unterwegs-sein willens. Unglaublich dass du das warst 😉
Ich freue mich schon auf weitere spannende Geschichten und bin neugierig was das Wiesel erlebt hat und was zu dieser langen Reise dann noch alles dazu kommt!
Kalesco_ Sehr gerne – gegen DEINE Abenteuer sind meine zwar eine Kleinigkeit, aber ich steigere mich sicher noch 😉
Und ja, Zeiten ändern mich…
Das war wunderbar! Grazie di cuore! <3
… das “andere Land” kommt noch, ganz bestimmt.