Spanien 2013 (1): Girona

Spanien 2013 (1): Girona

“Ich glaube, die ganzen Reiseführer hätten wir uns sparen können. Das Bild im Klo zeigt ALLES was man in hier sehen muss.” “Sag mal, wieviel hast Du von dem Wein schon getrunken?!” “Nein, im Ernst! Apropos Wein, gib mal den Korkenzieher.”

WLAN und Rioja, was für ein schöner Ausklang eines langen Tages.

30 Minuten vorher:
Da liegt es, das Designhotel Vincci Bit, östlich des Zentrums von Barcelona. Ich bin froh ins Warme zu kommen. Spanien hin oder her, 4 Grad sind 4 Grad und nicht besonders warm. Immerhin zieht es hier aber nicht so schlimm wie vorhin in Girona, und ausserdem habe ich jetzt endlich meine Mütze auf.

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Zwei Stunden vorher:
“Nein, hier gibt es keine Korkenzieher. Da müssen Sie in den Chinaladen die Strasse runter an der Ecke”, radebrecht die einzige englischsprechende Verkäuferin in dem kleinen Supermarkt. Ich seufze. Also wieder zurücklaufen. Durch den eisekalten Wind. Und das, wo mir doch jetzt schon die Ohren abfallen. Ich beglückwünsche mich zum wiederholten Male, vor der Abreise als letztes noch an eine Mütze gedacht zu haben – und ärgere mich gleichzeitig darüber, dass sich die jetzt im Auto befindet und nicht auf meinem Kopf, wo sie hingehört. Außerdem wundere ich mich: Komische Supermärkte haben die hier. Aber wenigstens haben wir jetzt eine Flasche guten Rioja und etwas zu Essen im Gepäck, das kleine Sandwich von vorhin hält nicht ewig.

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Zwei Stunden vorher:
Der erste Weg führt vom Flughafen ins angrenzende Girona. Das Pandababy lassen wir am Rand der Stadt zurück und laufen zu Fuß dorthin, wo Modnerd die Altstadt vermutet. Im Dunkel durchstreifen wir die Gassen, die sich mal steil den Berg hinaufwinden und mal abrupt in Sackgassen enden.

An dieser Treppe wurde eine Szene für “Das Parfum” gedreht:

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Zwischendurch stoßen wir immer wieder auf hell angestrahlte Gebäude und Denkmäler. Interessant ist übrigens, dass jede Strassenlampe, jede Ampel und jede kleine Laterne mit LED-Lampen versehen ist.

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Eine kleine Bäckerei versorgt uns mit leckeren Sandwiches, dass erste, was Modnerd und ich an diesem Tag zu uns nehmen. Der kleine Snack in Bremen von heute Mittag zählte nicht. Mittag? Das scheint schon Ewigkeiten her zu sein. So ist das, wenn man viel zu gucken hat.

Eine Stunde vorher:
Schließlich entdecken wir den Parkplatz, den die Spanier in einem Parkhaus versteckt haben, und übernehmen einen Fiat Panda, oh Wunder, was auch sonst? Egal. Das Ding ist klein, übersichtlich und – egal.

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20 Minuten vorher:
“Und wenn wir da hinten mal schauen?”, ich gucke Modnerd fragend an und holpere dann mit meinem Rollköfferchen über den Kreisel mitten im verlassenen Gewerbegebiet. Irgendwo hier soll der Parkplatz für Mietwagen sein. Um uns herum gibt es Schilder für alle möglichen nationalen Mietwagenverleiher, aber nicht für Hertz oder Europcar. Mist. Kaum in Spanien, schon verlaufen.

15 Minuten vorher:
Und plötzlich stehen wir auf dem Rollfeld, mitten in den Bergen, neben dem Ryanair-Flieger, und ich kann es gar nicht fassen, dass wir schon in Spanien sind.

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Leider ist es schon spät am Nachmittag, und so schnell wie die Sonne hinter den Bergen versinkt, so schnell kommt die Februarkälte herangekrochen. Nicht die spitze Kälte mit Minusgraden, wie gerade in Deutschland – nein, die Art von Kälte die man bekommt, wenn man knapp über Null mit einen ordentlichen Wind zusammenmixt. Feucht und durchdringend. Schnell suchen wir im Flughafengebäude den Mietwagenschalter auf, erledigen die Formalitäten und mit einem freundlichen “Hier raus, Strasse runter und da hinten links”, verabschiedet uns die freundliche Autoverleiherin.
Das Laufen tut gut, nach der Tortour eben.

Zwei Stunden vorher:
“Und das passt?” “Ja, sicher, jetzt pack Deinen Koffer schon unter den Vordersitz!” “Und meine Füße?” “Wir fliegen jetzt, da brauchst Du keine Füße!” – damit habe ich wieder was von Vielflieger Modnerd gelernt. Ich biege und dehne meine Füße ebenso kunstvoll wie schmerzhaft um den Koffer, den Vordersitz und die Seitenwand des Flugzeugs herum. Alles andere als bequem, aber für zwei Stunden wird es schon gehen. Mal abgesehen davon, dass meine Extremitäten sowieso immer noch total durchgefroren sind.

Zum wiederholten Mal lobe ich meine In-Ohr-Kopfhörer. Dank denen muss ich die Kindermeute um mich herum nicht hören und kann mich ganz auf den Flug konzentrieren. In wenigen Stunden werden wir in der Wärme sein, aber jetzt und hier, im grauen und kalten Bremen, werden gerade die Tragflächen enteist.

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Nach dem Start und dem Durchstoßen der Wolkendecke geht urplötzlich die Sonne auf. Sonne! So viel und so intensiv, wie ich sie seit geschlagenen vier Monaten nicht mehr gesehen habe! Wenn nur das Wiesel eben nicht verloren gegangen wäre und das jetzt sehen könnte!

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Eine Stunde vorher:
Nach einem kurzen Aufenthalt im unglaublich schlecht organisierten McDonalds am Flughafen Bremen sind Modnerd und ich in die Wartehalle des Ryanair-Terminals umgezogen.

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Dort hat sich das Wiesel aus der Reisetasche gewieselt und erkundet erst die Wartehalle, dann knabbert es den Reisekiosk an, und schließlich ist es ganz außer Sichtweite. Bis zum Abflug taucht es auch nicht mehr auf. Das beunruhigt mich nicht wirklich, das Wiesel kann auf sich selbst aufpassen. Und überhaupt geht mir das Wiesel gerade ein wenig auf die Nerven, denn es ist übellaunig. Und ich weiß auch wieso.

Zwei Stunden vorher:
Das Wiesel und ich haben uns am Bahnhof mit Modnerd getroffen, und als der ICE einfährt, ist die Freude groß: Die Waggons sind alle leer! Keine nervigen Mitreisenden! Dann wird der Grund dafür offenbar: Der Zug wird durchaus benutzt, weil aber in der Hälfte der Wagen die Heizung ausgefallen ist, haben sich die Reisenden in den verbliebenen Waggons gepfercht. Als wie einen von denen zu betreten versuchen, sehen wie uns einer Menge über- und untereinandergepackte Augenpaare gegenüber, die uns kollektiv einen Blick zuwerfen der sagt: “Oh BITTE! Nicht NOCH mehr Leute hier drinnen!” Auf Gedränge haben wir aber alle Drei keine Lust, also behalten Modnerd und ich unsere dicken Winterjacken an und belegen gleich mehrere Sitze in einem der leeren Wagen – WEIL WIR ES KÖNNEN! Das Wiesel bekommt spontan schlechte Laune: Es hatte sich auf Wärme und Sonne und interessante Leute gefreut, und nun sitzen wir hier in einem leeren Bahnwaggon bei Temperaturen knapp über Null Grad. Das kann schon mal auf die Laune schlagen.

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Eine Stunde vorher:
Heute ist der 08. Februar! Heute soll es los gehen! Also springen das Wiesel und ich in den Zauberbus, der bei uns in Mumpfelhausen vor der Haustür abfährt, und nach nur zwei Mal Umsteigen werden wir in Spanien sein!

Vier Monate vorher:
“Es wird das letzte Mal sein. Abschiedstournee, quasi.” Modnerd guckt ernst. “Danach bin ich mit Spanien durch und fahre woanders hin. Wenn ich Dir da was zeigen soll, dann ist das jetzt die letzte Gelegenheit.”

Es ist September 2012, und schnell stehen zwei Dinge fest: 1. Modnerd und ich werden noch einmal gemeinsam auf Tour gehen und 2. wird das im Februar 2013 passieren. Dann, wenn der Winter in Deutschland noch einmal eine ordentliche Schippe drauflegt, wollen wir der Kälte entfliehen und der Winterdepression durch einen vorgezogenen Frühling ein Schnippchen schlagen. Die Mission: Architektur bestaunen und Spanien kennen lernen. Und diese Hippies, die mir seit Jahren nicht aus dem Kopf gehen.

Zwei Jahre vorher:
“Da ist es echt total irre! Was die Spanier da für abgefahrenes Zeug hinstellen, so architekturmäßig, dass musst Du sehen! Und dann gibt es da ein ausgetrocknetes Flussbett, da haben sie eine Stadt der Künstler hingestellt! Das muss man sehen, so lange es das noch gibt!”
Modnerd ist offensichtlich begeistert. Verständlich. Vor meinem inneren Auge kann ich die Stadt der Künste schon sehen: So eine Hippiekommune mitten im Fluß, die töpfernd vor bunten Zelten sitzt und in ihrer selbsternannten “Stadt der Künste” Batiktücher und ähnlichen Tand an Touristen verkauften. Ich war fast ein wenig neidisch auf die Reise, von der Modnerd gerade zurückgekehrt war.

Heute:
“Du hast recht, da ist alles drauf, was man sehen muss.Und wir werden uns ALLES angucken!”

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6 Gedanken zu „Spanien 2013 (1): Girona

  1. Zimt: 😀 Nein, ich wollte nur eine Form finden, die ein wenig ausdrückt, wie surreal der Tag war.

    Katja: Ja, der Panda ist gut, auch für Bergstrassen. Und zum Parken sowieso. Mit was seid ihr denn unterwegs? Einem LKW?

  2. Quasi. 😀 Herr Lehmann, das Auto des Mitreisenden, ist ein Skoda Superb Kombi. So innen ist das ja superpraktisch, wenn ich ohne nachzudenken 20 Bücher für 3 Wochen mitschleppen kann und den Jahresvorrat an Rioja, Olivenöl und jede Menge Queso und Jamon trotzdem auf der Heimreise noch Platz finden, aber zum Kurven durch schmale spanische Altstädte oder enge Serpentinen oder zum Parken, speziell in den Parkhäusern, ist das ganz schön nervig. Nicht nur, dass er bei den üblichen andalusischen Parkhausbuchten vorne oder hinten rausguckt, er füllt auch seitlich die Markierungen manchmal komplett aus. Immerhin bin ich dadurch mittlerweile ziemlich gut im Einweisen in Parklücken. 😀

  3. Ich finde diese Weise des Schreibens sehr spannend. Da darf ich schon geistig sehr bei der Sache sein als Leser, da ist mal alles gefordert. Und zum Schluss DER Schluss: DER Hammer. Ich hab erst mal richtig laut losgelacht. Der Schlusssatz is ja mal echt ein Brüller!!! Aber es past sehr gut. Mensch an dir ist echt ein guter Schreiberling verloren gegangen.

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