Spanien 2013 (3): Valencia
Im Februar 2013 sind Modnerd und Silencer der Kälte des Winters entflohen. Nach Spanien. Modnerd kennt sich da aus, sein Begleiter kein Stück. Die Mission: Studium von Architektur. Von Barcelona geht es nach Valencia.
“Naja, alles mögliche halt, und da sind halt so Spieße drin und das steht immer oben auf der Bar und dann nimmt man sich da eben so viel man will”, sagt Modnerd, schon leicht ungehalten, weil ich jetzt zum xten Mal nachfrage, was denn bitte eigentlich Tapas sind und warum er ständig nach Spießen guckt. Spanische Essgewohnheiten sind nämlich ganz schön verschieden von unseren. Beispielsweise verhungert man in Spanien um halb Acht am Abend. Auch in großen Städten wie Valencia, wo wir für drei Tage sind. Die Stadt und ich hatten ohnehin einen Start auf dem verkehrten Fuß, mit dem bin ich nämlich in einem Riesenhaufen Hundescheiße ausgerutscht. Nun humpele ich mit meinen kaputten Knien und einem stinkenden Fuß durch Valencia, neben mir ein hungriger Modnerd und um uns rum nur geschlossene Restaurants.
Als wir endlich eine Kneipe finden, in der es auch was zu essen gibt, bestellt Modnerd sofort Tapas – und lässt sich auch nach mehrfacher Nachfrage der Bedienung, ob er nicht lieber auch was Richtiges essen wolle, nicht davon abhalten. Die Quittung folgt in Form eines Riesentellers voll feinem Schinken. Sonst nichts. Keine Beilage. Nicht mal ein Stück Brot. Und erst recht kein Spieß. Spieße gibt es nicht. Nirgends.
Nach einem vermurksten ersten Abend wird es dann aber schlagartig besser, und Valencia entpuppt sich als der Knaller. Das Wetter ist sonnig und warm, über 20 Grad sind es in der Februarsonne. Diese Region ist mit Sonnenschein ohnehin reich gesegnet. Als wir in unserem Fiat Panda die 350 Kilometer von Barcelona bis hierher zurückgelegt haben, sind wir durch weitläufige Täler gefahren, in denen links und rechts der Strasse Orangen angebaut wurden. Das war das erste Mal, dass ich sowas gesehen habe. In Spanien wachsen Orangen auf Bäumen! Verrückt!
Das es hier des öfteren gutes Wetter gibt, merkt man auch den ausgeblichenen Gebäuden und den fast weißen Steinen von Wegen und Mauern, die wie gebacken aussehen. Im Hochsommer ist es hier bestimmt schwer auszuhalten. Vor Jahren ist Modnerd schon einmal hier gewesen, und bei seiner Rückkehr erzählte er mir von einem ausgetrockneten Flussbett mitten in der Stadt, in der es eine Stadt der Künste gäbe. Vor meinem Inneren Auge sah ich beim Stichwort “Stadt der Künste” eine Kolonie aus bunten Zelten, alten Wohnwagen und bemalten Bussen, vor denen Hippies und Austeigerinnen saßen und töpferten oder malten, um dann Batikhemden und Tonaschenbecher an Touristen zu verhökern. Das wollte ich nicht unbedingt sehen, aber das Flußbett, dass fand ich spannend. Ich hatte dabei so ein echtes Flussbett voller Geröll vor Augen.
Oh, wie falsch ich doch liege. Das wird mit klar, als Modnerd und ich von unserem Designhotel aus eine Strasse hinunter, und als wir nach 5 Minuten um eine Ecke biegen, trifft mich fast der Schlag. Vor mir steht das zweitskurrilste Gebäude, dass ich bislang gesehen habe.
“DAS”, sagt Modnerd, “ist die Stadt der Künste!”.
Ich bin baff. Vor mir steht dieses unfassbar elegante Gebäude in einer steril-weißen Zukunftslandschaft mit weiten Wasserbecken, Parks und futuristischen Brücken. So sieht das Sternenflottenhauptquartier im 26. Jahrhundert aus – aber doch keine Hippikommune! Nirgendswo Hippies. Oder Batikhemden. Wie falsch ich doch lag. Mit allem. Das erste große, dicke FALSCH prangte über meiner Vorstellung der Stadt der Künste. Das lag natürlich auch an Modnerds Bezeichnung, denn der volle Name ist “Stadt der Künste und der Wissenschaft”, “Ciudad de las Artes y las Ciencias”. Und das ist keine Hippiekommune, sondern ein Science Center.
Der Sage nach befand Anfang der Neunziger die damalige Bürgermeisterin von Valencia, dass die Stadt eine Attraktion bräuchte. Freiwillig kam nämlich kaum ein Tourist nach Valencia. Zu abgelegen, außer Orangen und Sonne gabe es nichts zu sehen, und drum rum befanden sich Konkurrenzstädte wie Barcelona im Norden und die Partyorte an der Küste im Süden, aber nach Valencia wollten die Touristen oder Unternehmen nicht. Nachdem sich die Bürgermeisterin einige Städte in Europa angesehen hatte, beschloss sie, eine runde Größenwahn auszuprobieren. Sie beauftragte einen Architekten von Weltruhm, Modnerds Lieblingsarchitekten Santiago Calatrava, ein Operhaus zu bauen, dass in einer Liga mit Sydney spielen sollte. Und ein Wissenschaftsmuseum, wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Und ein Imax-Kino. Und irgendwas für Sport und so, kann man ja immer brauchen. Calatrava selbst ist gebürtiger Valenzianer, sah die Chance hier unsterblich zu werden, und machte sich ans Werk. Die Bürgermeisterin bestellte bei der Architektenlegende Felix Candèla das größte Aquarium Europas. Wenn schon, denn schon. Hatte ja in Bilbao auch geklappt. Dort hatte man sich von Frank Gehry das Guggenheim-Museum hinstellen lassen, und schwupps, kamen aus der ganzen Welt Leute in die spanische Stadt, um das zerknüllt aussehende Gebäude anzuschauen.
Gesägt, tun getan, und eine Milliarde Euro und 15 Jahre später wurde im Jahr 2006 die Stadt der Künste und Wissenschaft feierlich eröffnet. Sie besteht aus dem Opernhaus (Palau de les Arts), einem 3D- und Imax-Kino (L’Hemisfèric), dem eigentlichen Naturkundemuseum mit Science Center (Museo de las Ciencias Príncipe Felipe), dem Aquarium (Oceanográfic) und einem undefinierbaren Mehrzweckbau, den man noch irgendwie als Nachsatz mitten rein gebaut hat. Besichtigen können wir den nicht, das ganze Gebäude hat Mercedes gemietet, um der gelangweilten Weltpresse die 2013er Modelle vorzuführen.
Staunend gehen wir über das Gelände. Alle Gebäude, Bänke, Mauern und Wasserbecken glitzern in der Morgensonne. Ihre Oberflächen sind nach der traditionellen, spanischen Trencadís
-Technik gestaltet: Fliesensplitter, keiner größer als ein Daumennagel, sind aneinandergelegt und die Zwischenräume mit Beton versehen worden, und zwar so kunstvoll, dass man sich beim darüberstreichen mit der Hand keine blutigen Finger holt.
Der exzessive Einsatz von Trencadís erklärt die Keramikindustrie um Valencia. Manche Seitentäler scheinen als Wirtschaft nur die Fleisenherstellung zu kennen. Ein Fliesenwerk reiht sich ans nächste. Vermutlich produzieren die Fliesen, um sie gleich wieder zu zerschlagen und an die Trencadís-Künstler zu verkaufen. Hm.
Ich habe diese Technik schon einmal gesehen: Im dem Tarotgarten von Nikki de Saint Phalle in der Toskana. Auch dort hat mich diese Technik begeistert, aber hier, in dieser Masse, ist es einfach nur unglaublich.
Fein ist auch das Innere der Gebäude. Modnerd und ich verbringen einen lustigen Nachnmittag damit, im Science Center allerlei Experimente durchzuführen und einem Focaultschen Pendel zuzusehen.
Im Imax-Kino sehen wir uns eine Abenteuerdokumentation über eine Reise den Nil herunter an und sind anschließend fasziniert von der Beobachtung, dass die Filmrollen mit Gabelstaplern transportiert und eingelegt wird und der Film über eine Strecke von bestimmt zwei Stockwerken zum Projektor läuft.
Etwas ganz besonderes ist das Operngebäude. Der Äußere Teil des Gebäudes ist auf Rollen gelagert und ruht, wie eine Brücke, nur auf zwei Punkten. Die “Feder”, die sich vom Boden über das Dach des Gebäudes wölbt, ist kein tragendes Element. Tatsächlich ist sie nur am Boden befestigt und liegt an einer Stelle auf dem Gebäude auf, ansonsten steht sie völlig frei.
Auch das Innere des Palau de les Arts Reina Sofía ist fantastisch. Es gibt zwei Hauptsääle für je 1.500 Besucher, eine Bühne für Kammermusik mit 400 Plätzen und ein unterirdisches Theater mit ebenfalls Platz für 400 Personen. Bei den Hauptbühnen stehen hinter den Kulissen 15.000 Quadratmeter zur Verfügung. Insgesamt bietet das Haus eine Grundfläche von über 40.000 Quadratmetern, damit ist es das größte Opernhaus Europas. Im Keller hat Placido Domingo übrigens eine Schule, in der vielversprechende Talente ausgebildet werden.
Neben dem größten Opernhaus Europas steht das größte Aquarium Europas. Ja, hier bekommt man was geboten für sein Geld.
Die Gestaltung und Aufmachung der Anlage ist beeindruckend. Die Becken sind riesig – trotzdem kann ich es nicht gutheißen, dass hier sogar ganze Belugawale gehalten werden. So groß kann kein Becken sein, dass das eine artgerechte Haltung sein könnte.
Viel Spass haben dagegen die Pinguine, die eine ganze unterirdische Felsenstadt für sich haben und ein Zauberloch, aus dem den ganzen Tag Schnee fällt. Die unterirdischen Teile der Anlage sind durch Tunnel in den Aquarien miteinander verbunden. Sehr schräges GEfühl da durch zu laufen.
Nach dem Aquarium geht es in den Fluß – besser gesagt, in das trockene Bett des Flusses Turia. Der Turia bewässert seit Jahrhunderten die Gegend um Valencia. Diktator Franco beschloss, dass der Fluss vor der Stadt wichtiger war als in der Stadt, und liess den Fluss in den Stadtgrenzen von Valencia trocken legen, um eine Stadtautobahn zu bauen. Nach seinem Tod protestierten die Bürger dagegen, das Volk wollte lieber einen Park haben als eine neue Hauptverkehrsader. Und tatsächlich bekam der Architekt Ricardo Bofill den Auftrag, einen Park anzulegen.
Dabei ist ein sieben Kilometer langes, grünes Band mitten in der Stadt herausgekommen. Die Abschnitte sind unterschiedlich bepflanzt – mal gibt es Wälder, mal Blumenbeete, mal Palmenhaine. Auf den Wegen durch den Park wird spazieren gegangen, gelaufen, gejoggt, genordicwalkt, geskatet, gebiket und geritten. Überall stehen Kunstwerke herum, links und rechts kommt man immer wieder an großen Sportanlagen wie Laufbahnen oder Fußballplätzen vorbei. Ein Paradies, und alles was man dafür tun muss um hier hin zu gelangen, ist, ein paar Treppen aus der Innenstadt hinabzusteigen. An einem Ende des Flußbetts liegt die Stadt der Künste und Wissenschaften, am anderen Ende ein künstlicher Berg mit einer Seenlandschaft.
Modnerd ist das Flussbett übrigens in der Nacht abgewandert, und hat darüber einen Podcast für Schöne Ecken gemacht.
Meine besondere Aufmerksamkeit hat das hier gefunden. Ich hatte es vorab es auf den Satellitenbildern der Stadt gefunden. Gelobt sei Google Maps, sonst hätte ich nicht gewusst, was das hier sein soll:
Na? Rausgekriegt was das sein könnte?
Das ist… Gulliver! In Lilliputanien! Wie niedlich, oder? Da liegt er so rum, und die spielenden Kinder sind die Lilliputaner. WIE genau er da liegt, sieht man aber echt nur aus der Luft:
Wobei mich immer noch mal interessieren würde, wo sein anderer Schuh ist. Den Spaniern traue ich ja zu, dass der in einem anderen Stadtteil liegt. In einer anderen Stadt.
Der Rückweg führt wieder durch die Altstadt, die eine beindruckende Ansammlung von mittelalterlicher Baukunst, Streetart und… Dingen enthält. Besonders gefallen haben mir die geschäftigen Markthallen.
Zum Glück entdecken wir endlich das, was Modnerd mit Spießen gemeint hat, aber nicht näher definieren konnte: Das Lizzaran. Das ist ein Franchiserestaurant, dessen Konzept es ist, Tappas in rauen Mengen und Selbstbedienung anzubieten und später die übriggebliebenen Spieße auf dem Teller zu zählen. Die Spießart, ob rund oder eckig, kurz oder lang, gibt Auskunft über den Preis. Die Auswahl der Tappas reicht von Brotscheiben mit Schinken, Käse oder Obst bis hin zu Bratkartoffelpfännchen mit Spiegelei. ZU Stoßzeiten kommen aus der Küche im Minuntentakt neue Tabletts mit Leckereien, die die flinken Bedienungen zwischen den Tischen hindurchbalancieren und den Gästen anbieten. Was für ein Glück – ich war zwischendurch an dieser Tapassache so verzweifelt, dass ich Spanienexpertin Katja kontaktiert hatte um sie zu fragen, was das wohl sein könnte. Katja hatte dann auch ganz schnell und umfänglich geantwortet, hinter das Geheimnis der Spieße sind wir aber auch gemeinsam nicht gekommen.
Ein Schlaraffenland, denn dazu gibt es auch noch preiswertes und schnell serviertes Bier – genau das richtige nach einem langen Tag in staubigen Flussbetten. Direkt neben dem Lizzaran gibt es eine weitere Verlockung, die ich nun auf immer mit Valencia verbinden werde: Frozen Yoghurt!
Man sucht sich für einen ordentlichen Frozen Yoghurt Obst aus, rund ein Dutzend Sorten wird Angeboten. Dazu wählt man ein Topping, was von Erbeersauce bis hin zu warmen Nutella alles sein Kann. Dann noch was zum drüberstreuen – Krokant, Oreos und ein halbes Dutzend weiterer Sorten stehen zu Auswahl. Das ganze wird eingebetten in Yoghurt, der die Konsistenz von Softeis hat. Und so sieht das aus:
Valencia bei Nacht ist sehr heimelig beleuchtet. Nicht nur die Altstadt…
…auch die Stadt der Wissenschaft ist schön anzusehen, auch wenn im Februar nur die Notbeleuchtung an ist und die Gebäude selbst gar nicht illuminiert sind.
Was ich total verpeilt habe, als ich in der Kathedrale war:
Dort vorne wird der heilige Gral ausgestellt. Also, eigentlich das “Heilige Gefäß” (Holy Chalice), von dem manche meinen, es sei der Gral. Die Spanier fördern solche Gerüchte nach Kräften und nehmen ordentlich Eintritt, sind selbst aber zurückhaltender: Man redet nur vom “Holy Chalice” und umtanzt damit den Begriff “Holy Grail”. Wenn jemand das beides verwechselt… Pech. Eigentlich wollte ich mir das Ding ansehen, habe das dann aber in einem kurzen Anfall geistiger Umnachtung vergessen. Tja, muss ich halt noch mal nach Valencia.
4 Gedanken zu „Spanien 2013 (3): Valencia“
Auweia… Wie ich mich noch lebhaft aus den guten alten Mensazeiten erinnere – ein ungehaltener weil hungriger Herr Modnerd ist so ziemlich das schlimmste, das einem über den Weg laufen kann. 😉
Tolle Fotos! Aber die meisten hätten durch ein Wiesel noch gewonnen 😉
Zimt: Ach, so schlimm war es nicht. Bei der Mischung aus Knurrigkeit und Verzweifelung schlug das Pendel eher in Richtung Letzteres aus.
WdW: Absolut, aber das feine Wiesel hatte ja “besseres” vor.
Äh ja, die Liste der spanischen Städte, die ich auf dem Weg nach Andalusien gerne irgendwann abklappern möchte, steigt stetig. 😀
Das mit den Spießen ist ja interessant! Den Namen der Kette muss ich mir mal merken und vorm nächsten Spanienurlaub gucken, ob es die dann in der Nähe gibt.