Reisetagebuch Rom 2013 (3): Dekorateure des Todes
Herr Silencer war im Oktober 2013 in Rom unterwegs. Zu Fuß und mit Wiesel. Am Sonntag lassen es beide mal ruhig angehen, faulenzen vor sich hin, sehen den Vertreter Gottes auf Erden und treffen Skelettmönche.
Sonntag, 20. Oktober 2013
Was mir in der Stadt sehr bald auffällt: Was die Römer tun, tun sie stets gut und elegant gekleidet. Die durchschnittliche Römerin verlässt das Haus so, dass sie jederzeit an einem internationalen Businessmeeting oder einer teuren Tagung teilnehmen könnte. Gibt man ihr noch fünf Minuten um sich aufzuhübschen, würde sie auch auf einem Galaempfang bella figura machen. Dabei ist sie nicht aufgedonnert, chi mancherebbe, das fehlte ja noch, das wäre ordinär – nein, es ist Eleganz im Detail: Der ordentliche Haarschnitt. Das dezente Make-up. Ein einzelnes Accessoire, wie der lange Ohrring oder die Handtasche. Diese Eleganz verströmen die Römerinnen auch in harten Berufen.
Im Ernst: Ich habe noch nie so viel Fahrerinnen von Müllwagen, Strassenkehrerinnen, Busfahrerinnen, LKW-Fahrerinnen, Polizistinnen und Soldatinnen gesehen wie in Rom. Und alle mit diesem leichten Touch von Eleganz. Für Männer gilt übrigens ähnliches, Jeans und Hemd, aber bitte elegant geschnitten und mit wertigen Details. In den Menschenmassen in Rom erkennt man Römerinnen und Römer sofort, gegen sie sind die ganzen deutschen, französischen, italienischen und amerikanischen Touristen gekleidet wie Clowns.
Auch mein Vermieter Fabio ist römisch-elegant gekleidet, als ich in an diesem Morgen mitsamt Hund im Brown´s & Co treffe. Sein Acessoire ist der sorgfältig gestutzte, weiße Schnurrbart, der auf seiner tiefbraunen Haut besonders hervorsticht. Während wir an der Theke stehen und einen Caffè trinken, erzählt Fabio, dass er jahrelang Hotelier in Frankreich war und jetzt insgesamt vier Appartments zur Vermietung hat – alle hier im Viertel, zwei noch im Umbau. Alles Wohnungen in alten Palazzi, die er komplett saniert, in Fremdenzimmer aufteilt und einzeln vermietet. Das nächste soll im November fertig werden, das vierte im März 2014 – wenn alles klappt, seinem Gesichtsausdruck nach glaubt er nicht an die Zuverlässigkeit römischer Handwerker.
Nach dem Frühstück laufe ich zur Engelsburg, vor der skurrilerweise gerade ein japanischer Damenchor klassische Fugen singt, dann am Tiberufer entlang und nach Süden, an der Isola Tiberina vorbei nach Trastevere (ausgesprochen: Tras-teeweree). Auf der Karte sieht das wieder nach nix aus, sind aber locker 5 Kilometer, und mit meinem angeschossenen Knie brauche ich rund eine Stunde bis dahin.
Mein Ziel ist die Porta Portense. Hier gibt es den größten Flohmarkt der ganzen Stadt. Immer Sonntags zwischen 7 und 12 Uhr ziehen sich über 1,5 Kilometer die Stände hin. Meist verkaufen Afrikaner und Philipinos billigen Elektrotant, Tücher, Schuhe und Handtaschen. Dazwischen gibt es aber auch immer wieder Antiquitäten- und echte Flohmarktstände. Man sagt, wenn einem unter der Woche etwas gestohlen wurde, dann kann man es hier wieder zurückkaufen.
Auf dem Markt an der Pota Portense kaufen Italiener ein, Touristen sieht man so gut wie nicht. Im Gänsemarsch schieben sich die Menschenmassen die Standreihen entlang. Ich tauche in die Menge ein und lasse mich treiben. Erstaunlicherweise machen mir hier die vielen Menschen nichts aus – in Kaufhäusern zur Weihnachtszeit bekomme ich dagegen Beklemmungen.
Nachdem mich die Strömungen den Markt einmal hoch und wieder zurück getrieben haben, reicht es mir dann aber trotzdem. Ich habe genug gesehen, und auch die anderen Sinne sind überflutet. Durch Trastevere laufe ich zurück nach Norden, zum Vatikan. Zwischen den Kolonnaden des Petersplatz suche ich mir ein Plätzchen an einer Säule, setze mich und warte. Ich bin nicht alleine, mit mir warten tausende andere auf dem Platz.
Jeder vertreibt sich die Zeit auf die seine Weise.
Ich frage mich zum wiederholten Male, wofür wohl diese Metalldinger an der Kuppel des Petersdom sind.
Dann hat das Warten ein Ende. Um Punkt 12 Uhr schwingt in der oberen Etage des apostolischen Palasts ein Fensterladen auf und der Papst guckt raus. Fast erwarte ich das er laut “KUCKUCK” ruft, aber den Gefallen tut er mir nicht.
Der Petersplatz, der zu fast drei Vierteln gefüllt sein muss, tobt. “Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder”, legt Franziskus los. Sein Antlitz wird auf großen Videoleinwänden übertragen und seine Stimme hallt in DTS-Qualität aus der BOSE-Anlage über den Platz. Bei der AV-Ausstattung hat die Kirche nicht gespart. Zehn Minuten lang hält der Argentinier das Angelusgebet, eine kleine Sonntagspredigt, die mit dem Vaterunser schliesst.
Danach liest er noch eine Liste mit Namen von Leuten vor, die irgendwas gemacht haben, dann plaudert er noch etwas und betont die Rolle jedes einzelnen für eine Kirche die bei den Menschen ist. Schließlcih grüßt er noch verschiedene Gruppen, von denen er wohl weiß, dass die auf dem Petersplatz stehen und wegen ihm da sind. Immer wenn er eine Gruppe grüßt, fängt die an zu johlen und zu schreien und mitgebrachte Transparente oder von Strassenhändlern gekaufte Papa Franciscus-Fähnen zu schwenken.
Nach 20 Minuten ist dann wirklich alles vorbei. Ein Strom aus Gläubigen wälzt sich vom Petersplatz weg, ich mitten drin. Ich laufe nach Norden, quere dann den Tiber und halte mich Richtung zur Villa Borghese. An der Piazza del Popolo, bewundere ich die Zwillingskirchen Santa Maria del Montesanto und Santa Maria dei Miracoli, die den Anfang des Corso, der Einkaufsstrasse schlechthin in Rom, bilden.
Auf einer Terrasse über dem Platz des Volkes versucht sich das Wiesel an einer Ansprache an selbiges. Da aber niemand ein Stoffwiesel versteht, hinterlässt es keine bleibenden Schäden.
Mein Weg führt zur Villa Borghese, noch einmal. Hier will ich mir das Globe Theatre ansehen, eine exakte Kopie von Shakespeares Theater. Leider ist das geschlossen, und so genieße ich einfach die entspannte Atmosphäre im Park.
Sogar eine Wasseruhr steht hier rum, aber die ist vermodert und zeigt Fantasiezeiten an. Auf jeder Seite eine andere.
Im Park stolpere ich über ein Gartenhaus von Scipione Borghese. Das hat Türme aus Draht, weil er darin Vögel gehalten hat und die Ausflug haben sollten.
Von der Villa Borghese führt die Via Veneto den Hügel mit dem feinen Stadtteil Ludovici hinab. In einer Biegung, kurz vor der Piazza Barberini, liegt eine Abtei der Kapuziner. Hier besuche ich eine nette, kleine Auststellung, die in etwas sehr ungewöhnlichem mündet: Einer Krypta, die gleichzeitig ein Oservatorium ist, ein Gebeinhaus.
Hier suchten und fanden, der Legende nach, Ende des 17. Jahrhunderts Mönche aus Frankreich Zuflucht. Sie versteckten sich in der Krypta, in der die Gebeine von 4.000 Kapuzinermönchen befanden. Im Laufe der Zeit bekamen sie Langeweile, und weil einer von ihnen früher mal Künstler bzw. Dekorateur gewesen war, fingen sie an zu basteln… Wandschmuck, Kronleuchter, Möbel, Bilder. Aus dem Material, was überall herumlag.
Erstmalig erwähnt wurde dieses Werk vom Marquis de Sartre, der schrieb, er habe noch nie etwas gesehen, was derartige Emotionen in im auslöste – Fragen nach der eigenen Endlichkeit und dem Tod. Das sind ohnehin zentrale Motive bei den Kapuzinern, viele ihrer Brüder lassen sich mit Totenschädeln porträtieren. Das geht auf den heiligen Franziskus zurück, der wohl mal eine Erleuchtung hatte, als er mit einem Schädel rumhantierte.
Die Kapuziner sind übrigens keine Franziskaner, weil sie sich mit denen nicht auf die Form der Kapuze einigen konnten. Die Franziskaner hatten nämlich irgendwann abgerundete Kapuzen, was für die Kapuziner ein Frevel war, immerhin hatte der Heilige doch eine Gartenzwergspitze Mütze gehabt! Tja, irgendwoher muss “Das Leben des Brian” ja seine Anregungen gehabt haben…
Durch die Innenstadt und am Hardrock Café vorbei wandere ich am Corso entlang und treffe auf die Trajanssäule. Das ist eine 40 Meter hohe, reich verzierte Säule, die seit 1900 Jahren(!!!) hier steht…
… die in Hunderten von verschlüsselten Bildern Ganze Romane erzählt. 2.500 Personen sind auf dem 200 Meter langen Fries abgebildet, Kaiser Trajan allein rund 60 Mal. Hier ist bspw. zu sehen, wie Trajans Heer von einem dichten Regenschauer (die Gestalt oben drüber hat Arme aus Regen) vor den nahenden Feinden verborgen wird:
Leider ist die Säule durch die Abgase schon sehr beschädigt. Zu Napoleons Zeiten hat man Gipsabdrücke von der Säule genommen, auf denen die Details des Fries deutlich besser zu erkennen sind.
Weiter geht es zu Giolittis, einer der ältesten Eisdielen Roms. Hier muss man am Eingang an einer Kasse eine von drei Standard-Eisgrößen vorab auswählen und bezahlen, dann darf man sich in die Schlange zur Eistheke einreihen. Das übliche “Ich hätte gerne soundsoviel Sorten für x Euro” geht hier nicht, bei Giolittis ist standardisiert. Drei Sorten? Das ist ein großer Becher zu 4,50 Euro.
Spätestens beim Ablick der Horden von desorientieren Asiaten ist man aber froh darüber, dass die Abfertigung dank Prepaid-System so zügig geht. Schmunzeln machte mich nur die resolute Endvierzigerin in Funktions-Clownsklamotten und Rucksack, die sich mit den Worten “Ich muss erst einmal gucken ob mir zusagt was die hier so haben” versuchte an allen anderen vorbeizudrängeln und dafür Schimpf und Schubser beziehen musste. Echt, sowas bringen NUR deutsche Lehrerinnen.
Um die Ecke gibt es eine Eisdiele mit 150 Sorten, Gioltti ist da bescheidener, dafür setzt man auf Qualität. Und die ist OK, auch wenn sie nicht mit den Gelaterien in Levanto oder San Gimignano mithalten kann.
Der diesjährige Brüller unter den Strassenkünstlern Marke “Lebende Statue” ist übrigens die Verkleidung als Mumie oder Freiheitstatue sowie die Nummer “schwebender Mönch”…
…gerne auch zu Zweit:
Nach dem Eis ist es jetzt Zeit für was Vernünftiges, und ich laufe am Pantheon vorbei und zurück in “mein” Viertel.
Dort habe ich eine Osteria entdeckt, die ganz OK zu sein schein. Das es nur eine weitere Touri-Abzocke ist, sehe ich erst, als die Karte 6 Euro für ein kleines Bier, 20 Euro für ein großes Glas Wein und fast 50 Euro für ein Menü aufruft. Ich bleibe bei einer Pizza und Wasser. Ich habe selten so schecht und teuer gegessen wie in Rom. Bei meinem ersten Besuch, 2011, hatte ich auch verbrannte, schlechte Pizza. Damals dachte ich noch an ein Versehen, aber anscheinend macht man das in Rom so.
Am Abend sitze ich in meinem Zimmer und schreibe Tagebuch, als es an der Tür des Appartments, in dem diebZimmer des Ada liegen, klopft, klingelt und schreit. Letzteres dermaßen unverschämt, dass ich keine Lust habe, denen zu helfen. Könnte ich ja ohnehin nicht. Fabio kommuniziert sehr deutlich, dass man ihm mitteilen muss, wann man ankommt – ansonsten ist niemand für den Checkin hier. Für Notfälle hängt die Telefonnummer an der Tür. Wenn die zu dumm sind, haben sie es nicht besser verdient. Eine geschlagene halbe Stunde klopft und klingelt und brüllt es, dann greift eines der Genies endlich zum Telefon, und wenig später ist Fabio zur Stelle. Es sind deutsche Gäste, war bei der Sturschädeligkeit ja klar.
Ich strecke mich auf dem Bett aus und mache die Augen zu. Heute habe ich mich geschont und die Zeit einfach nur genutzt um die Vibrationen der Stadt aufzunehmen. Morgen und übermorgen werden anstrengend genug. Denn Morgen geht es in die Unterwelt und Übermorgen über die Wolken.
3 Gedanken zu „Reisetagebuch Rom 2013 (3): Dekorateure des Todes“
Es ist wirklich immer wieder unheimlich bis beschämend, wie zielsicher man im Ausland Landsleute anhand des Verhaltens identifizieren kann.
Die Mönche scheinen wirklich in http://therufus.wordpress.com/2012/12/21/lang-hats-uns-nimmer/ 🙂
Pizza mit Wurstel, Pommes und Ei hätte ich aber auch aus lauter Trotz absichtlich verbrennen lassen. 😀