Motorradreise 2013 (0): Fehlstart
Im Juni 2013 wollten Herr Silencer und das Wiesel zu einer Motorradreise epischen Ausmaßes aufbrechen. Was leider nicht klappte. Zumindest nicht wie geplant.
Samstag, 01. Juni 2013, Mumpfelhausen
Das Wiesel stemmt die Vorderfüßchen an die Fensterscheibe und starrt hinaus. Dann rennt es ins Arbeitszimmer, springt auf die gepackten Koffer und guckt mich an. Dann läuft es zurück ins Wohnzimmer und presst seine Nase wieder ans Fenster.
Schon seit Stunden geht das so. Ich kann verstehen was in dem Wiesel vorgeht, mir geht es nämlich ganz genauso. Eigentlich wollten wir jetzt schon unterwegs sein, denn heute ist der erste Tag der LANGEN REISE. Heute Abend werden wir in Passau erwartet. Allein, es soll nicht sein. Wir fahren nicht. Der Grund: Höhere Gewalt.
Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wochenlang habe ich mich auf diese Reise gefreut, wochenlang habe ich geplant und vorbereitet. Vor dem Haus steht das Motorrad, frisch gewartet und bis zum Stehkragen vollgetankt. Neben mir stehen die Koffer, fertig gepackt und bereit für die Abfahrt. Und nun macht mir das Wetter einen Strich durch die Rechnung.
Ganz exakt auf der Reiseroute von Mumpfelhausen nach Niederbayern sind für heute die schwersten Unwetter seit Jahren angesagt. Mir hängt ja der Ruf an, dass schlechtes Wetter mich mag und mir deshalb folgt. Das das wahr ist bestreite ich natürlich vehement, das ist pure Verleumdung und überhaupt kein Stück wahr. Dennoch bin ich recht hart im Nehmen was Wetter angeht. Ein paar Tage im Regen Motorrad fahren ist unangenehm, wirft mich aber nicht aus der Bahn. Nur: Das, was gerade in Süddeutschland vom Himmel kommt, ist kein normales Regenwetter. Das ist Weltuntergang. Ich bin vielleicht hart im Nehmen, aber ich bin nicht lebensmüde.
Es ist eine Sache, mal ein wenig nass zu werden. Aber Starkregen ohne Sichtweite, dafür mit Aquaplaninggefahr und unterspülten und einstürzenden Fahrbahndecken, das ist ernst. Diese Situation haben wir gerade auf der Strecke, überall. Am Alpenrand ist es am schlimmsten, dort ballen sich die Wolken und lassen laufen. Bis Montag soll das noch so weitergehen, dann wird das Wetter angeblich besser. Am schlimmsten soll es heute, am Samstag sein. Also habe ich entschieden zu Hause zu bleiben und hoffe, dass es morgen ein wenig besser wird.
Seit Wochen regnet es schon schlimm, überall sind Flüsse über die Ufer getreten und haben Überschwemmungen verursacht. Dieses Jahr ist echt übel. Er dauert der Winter bis April, dann geht der auch noch nahtlos in eine Naturkatstrophe über. Die jetzt kurz vor ihrem Scheitelpunkt steht. Als ich gestern Abend begriffen hatte, wie das Wetter heute würde, hatte ich nach langer Überlegung zum Telefon gegriffen.
Ich habe LANGE Reise in Schleifen und mit Zeitpuffern geplant, für genau solche Fälle. Die LANGE Reise ist lang, mehr als drei Wochen und 6.000 Kilometer soll sie dauern. Fast jeden Tag will ich woanders sein, d.h. es muss stetig Strecke gemacht werden. Dabei muss man zwangsläufig damit rechnen, dass irgendwann eine Panne oder ein Unfall oder sonstwas dazwischen kommt und die Weiterfahrt verzögert. Deshalb gibt es alle paar Tage einen Zeitpuffer und streckenmäßig immer mal wieder eine sorgfältig geplante Schleife, die im Notfall ausfallen kann. Das der Notfall nun schon eintritt, bevor ich einen Meter gefahren bin, dass hätte ich mir nicht im Traum einfallen lassen. Nunja, so ist es jetzt nunmal. Der Gasthof, in dem ich heute Abend sein wollte, hat auch morgen noch ein Zimmer für mich. Leider werden aus den zwei Tagen in Österreich nun nur einer werden, aber das lässt sich nicht ändern. Es ist schade, aber besser als sich auf der Autobahn den Hals zu brechen.
Im Verlauf des Samstags sieht es allerdings nicht danach aus. Ich dachte immer, dass Unwetterwarnung Stufe 5 und tiefrot die höchste Warnstufe ist, aber am Samstag mittag taucht plötzlich eine höhere auf: Violett. Unfassbar. Zumindest gilt die nur für München, Passau liegt etwas weiter nordöstlich.
Also verbringe ich den Tag mit Hausarbeiten, ein wenig Sport und dem wiederholten checken des Gepäcks. Ich bin mir sicher alles dabei zu haben und weiß auswendig was wo in welchem Koffer steckt, aber nochmal nachprüfen schadet ja nicht. Ein Koffer enthält nur “Zivilkleidung” (in Abgrenzung zur Textilkombi, die quasi die Fahreruniform ist), eine Jeans, ein Hemd und ein Dutzend Sets Leibwäsche sowie ein großes Universalhandtuch und das Netbook, mit dem ich dieses Jahr gleich jeden Abend bloggen will. Der andere Koffer ist zu einem Viertel mit Werkzeug und Ersatzteilen voll. Bowdenzüge, Fußrasten, ein Lichtmaschinenregler… was halt einfach mal so oder bei einem Umfall kaputt gehen kann.
Das nimmt nicht so viel Platz weg, ist aber recht schwer. Außerdem sind noch Regenkombi, ein paar Trekkingschuhe, eine Reisapotheke und Sommerhandschuhe mit an Bord. Jeder Koffer ist übrigens gerade halb voll. Das ist auch gut so, wer weiß, was mir unterwegs noch so an interessanten Einkäufen über den Weg läuft. Alles ist übrigens noch einmal in Müllsäcke verpackt. Theoretisch sind die Koffer Wasserdicht, aber nach meiner Erfahrung findet starker Regen IMMER einen Weg, zumal wenn er mit 120 Sachen in die Ritzen und Spalten drückt.
Ich hatte mit Kompressionsbeuteln mit Ziploc-Verschluss aus dem Trekkingbedarf experimentiert, die luftdicht abschliessen und mit denen man die vakuumierten Klamotten zusammenrollt. Letztlich waren die aber zu steif und haben in den Motorradkoffern mehr Platz weggenommen als die klassische Müllbeutelverpackung, aus der man auch die Luft pressen kann.
Neben der Entspannung hat die Verzögerung der Abreise auch noch andere, gute Nebeneffekte: Zum einen kommt per Mail endlich die Freigabe des Vatikans – ich habe die Erlaubnis bekommen, im Herbst die Nekropole unter dem Vatikan besuchen zu dürfen! Diese Freigabe muss ich innerhalb von 10 Tagen bestätigen, was ich natürlich sofort tue. Wäre ich jetzt unterwegs, hätte ich das verpasst. Zum anderen ist die Psychoqueen in der Stadt, und ich nutze die Gelegenheit und lerne sie bei einem wirklich netten Abendessen kennen. Es wird das Highlight eines rundum guten Tages, der nur ganz anders verlaufen ist als geplant. Nunja.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag sitze ich gegen 01.00 Uhr noch in meinem Arbeitszimmer. Der Computer zeigt auf allen Monitoren Wetterbilder. Die Situation ist nicht besser geworden. Zwar kommt aus Norden gutes Wetter, aber auch Sturm. Der heult jetzt schon um´s Haus und lässt Dachziegel klappern. Außerdem sagt die Vorhersage jetzt, dass zwar sowohl in Passau, meinem Ziel, das ich gegen Abend erreichen will, als auch in Nürnberg, was auf dem Weg liegt, das Wetter zwar leicht besser wird… aber gegenläufig. Im Nürnberg gegen Abend, in Passau am Mittag. Das hieße, um dem schlimmsten Wetter zu entgehen, müsste ich… schon Mittags in Passau ankommen. Hm. Hey, warum eigentlich nicht? Ich kann tun und lassen was ich will, ich habe eine Zeitmaschine! Ist ja nicht in Stein gemeißelt, das ich erst Abends in Passau ankomme. Ich könnte auch irre früh aufstehen und zusehen, dass ich die 600 Kilometer bis zur Mittagszeit runtergerissen habe. Das ist zwar eine bekloppte Idee, aber immerhin ein Plan, der mir das Gefühl gibt zu Handeln und nicht dieser… Situation hilflos ausgeliefert zu sein. Ich schalte den Rechner aus und gehe ins Bett.
Die Originalwettermeldung von heute:
Im Südosten hält dagegen der Dauerregen weiter an. Am Alpenrand und im Erzgebirge staut sich der Niederschlag, sodass unwetterartige Regenmengen von noch einmal über 50 Liter pro Quadratmeter möglich sind. Es besteht große Hochwassergefahr! Die Luft erwärmt sich mit Sonnenunterstützung auf 18 bis 23 Grad, bei Wolken und Regen liegen die Werte meist nur bei 13 bis 16 Grad, am Alpenrand auch unter 10 Grad.
Weiter zu Teil 1: Der Untergang
3 Gedanken zu „Motorradreise 2013 (0): Fehlstart“
vernünftig gehandelt hast, das Du dich dem Wetter nicht so ausgeliefert hast. Passau sagt mir was… aber wo zum Kuckuck ist Mumpfelhausen? Googlen hat nicht geholfen.
bin neugierig wie es weitergeht.
Das nenne ich mal wieder einen Cliffhanger.
Foto 1: ooooooooooooooooch.
Leandrah: Ja, war im Nachhinein genau dir richtige Entscheidung. Mumpfelhausen ist nur ein Codename für “Kaff in der Nähe von Göttingen” 😀