Motorradreise 2013 (1): Der Untergang
Im Juni 2013 waren Silencer und das Wiesel unterwegs. 6.853 Kilometer, 22 Tage, mehr als 40 besuchte Orte. Nachdem der erste Tag der LANGEN Reise schon ins Wasser gefallen ist, geht es heute endlich los – von Mumpfelhausen über den Regen in die Traufe und weiter in die Flut.
Sonntag, 02. Juni 2013, Mumpfelhausen
Gegen 07.00 Uhr klingelt der Wecker, aber ich bin ohnehin schon wach. Was von der Nacht noch übrig war, war sehr unruhig. Ich springe aus dem Bett und in meine Klamotten, dann mache ich die Wohnung abwesenheitsfertig und trage die Koffer zur Kawasaki. Die hat die Sturmnacht fest verschnürt unter einer Plane verbracht.
Die Koffer und das Topcase in die Halteklauen am Heck des Motorrads einzuklinken und das Navigationsgerät mit der Renaissance zu verbinden ist der leichte Teil. Umständlicher ist es, sich in die Regenkombi zu fummeln, die ich über meinem normalen Fahreranzug trage. Zwar regnet es gerade nicht, aber das wird sich ändern. Außerdem schützt die Regenkombi vor dem Fahrtwind. An diesem Junimorgen zeigt das Thermometer gerade mal 9 Grad an, und dort, wo ich heute hin will ist es kälter als in Mumpfelhausen. Deshalb trage ich auch unter Regenkombi und Fahreranzug eine Schicht dicker Klamotten, und da drunter noch Funktionsunterwäsche.
Im Ernst, ich habe selten ein so kaltes Jahr erlebt. Bis April lag hier Schnee, jetzt ist es arschkalt, und gestern habe ich erfahren dass einer der Pässe auf meiner Route gerade wieder geschlossen wurde – wegen Schnees. Im JUNI!
Als ich fertig verkleidet bin, bin ich zwar absolut umbeweglich, aber warm und wasserdicht verpackt. Trotzdem fühle ich mich wie ein tapsiger Bär. Oder ein Astronaut. Oder wie ein Bär in einem Astronautenanzug. Also ein Astronautenbär, quasi. Das Wiesel ist auch wasserdicht verpackt und ramentert im Topcase herum.
Ich checke die Maschine und alle Halterungen. Der Tacho zeigt 51.892 Kilometer, mal gucken wo der am Ende der Fahrt steht. Dann schwinge ich mich auf die Kawa – und falle beinahe mit der Maschine um. Ich habe in diesem Jahr wegen des schlechten Wetters noch keine Übung im Fahren mit Gepäck. An das Gewicht der beiden Koffer links und rechts und dem verschobenen Schwerpunkt durch das Topcase muss ich mich erst wieder gewöhnen.
Bevor ich auf den Startknopf drücke, halte ich kurz inne. Was, wenn die Maschine jetzt gar nicht anspringt? Immerhin lief sie schon seit mehr als einer Woche nicht mehr… Das wäre ja jetzt noch der Lacher.
Doch die Sorge ist unbegründet. Die ZZR erwacht beim ersten Knopfdruck zum Leben. Aus den Entlüftungsöffnunen des Auspuffs hustet sie Kondens- und Regenwasser auf den Asphalt, dann geht es los. Am Ortsausgang von Mumpfelhausen muss ich noch einmal kurz anhalten, weil das Navi nicht spricht. Nach einem Reconnect mit dem Helm höre ich dann aber die Stimme durch den Gehörschutz. Dann rolle ich die Dorfstrasse hinunter, biege um die Ecke und bin einfach weg.
Es tut gut endlich unterwegs zu sein, auch wenn Autobahnfahren langweilig ist. Wie eine Erlösung, nach all der Vorbereitung.
Es ist erst 8:30 Uhr, dazu noch Sonntag, da ist selbst auf der berüchtigten A7 noch ist nicht viel los. Ich gebe der Kawa die Sporen, und sie saust über den Asphalt, während Windböen an der Maschine und mir herumzerren. Die Kawasaki ist eine ZZR600, eine Tourensportlerin. Nicht übermäßig groß und für mich gut zu beherrschen, dabei aber mit ihren 98 PS irrsinnig durchzugsstark und mit 250 Km/h auch recht schnell. Mit Koffern dran käme ich allerdings nie auf die Idee Geschwindigkeitsrekorde aufstellen zu wollen. Max. 120 darf man damit, sagt der Hersteller. Zu meinen Superalbträumen gehört es, plötzlich feststellen zu müssen, dass einer der Koffer sich gelöst hat und wie ein Geschoß über die Autobahn fliegt. Ist einem Bekannten schon passiert. Nee, da fahre ich lieber sinnige 130, ist eh viel entspannender für eine so lange Etappe wie heute.
Wenigstens regnet es nicht. Im Gegenteil: Hinter Kassel erschrecke ich mich kurz, weil etwas neben der Kawasaki auftaucht und genau auf unserer Höhe bleibt. Es ist… ein Schatten! Die Sonne scheint! Unfassbar, nach dem Sintflutwetter der letzten Tage! Die Temperatur steigt auch langsam, und als ich bei Schweinfurt bin, rollt das Motorrad bei 22 Grad über den diamantenen Asphalt. Wirklich, es gibt da ein Stück Autobahn, dass in der Sonne glitzert, als wären tausende Edelsteine darin eingelassen.
Der erste Tankstopp ist bei Riedelswald bei Würzburg nötig. Sofort nach dem Tankvorgang geht es ohne Pause weiter. Bei Nürnberg, so sah es zumindest aus, werde ich auf die Schlechtwetterfront stoßen, die gerade für Unwetter in ganz Südostdeutschland sorgt. Tatsächlich beginnt es bei Erlangen zu regnen. Nun, darauf bin ich Astronautenbär ja vorbereitet. Allerdings gibt es nur einen Schauer und bedrohlich aussehende Wolken, dann ist die Strasse wieder trocken.
Erst 100 Kilometer nach Nürnberg kommt ein weiterer Schauer, und der meint es diesmal auch ernst. Dichte Wasserschleier hängen über der Autobahn, und innerhalb weniger Minuten fällt die Temperatur wieder auf unter 10 Grad. Es wird dunkel und die Sicht ist schwierig. Aber auch dieses Regeninferno hält nur wenige Minuten. Danach regnet es leicht weiter, aber das ist kein Problem. Problematischer ist, dass ich seit 5 Stunden in der gleichen Haltung in der Kälte hocke und mich kaum noch bewegen kann. Zwar ist mir nicht zähneklapperkalt, und die Griffheizunmg versorgt die Finger einigermaßen mit Wärme, aber schön ist was anderes.
Beim nächsten Tankstopp falle ich fast vom Motorrad und muss erst einmal Lockerungsübungen machen. Wenigstens sind da jetzt ein paar Muskeln zum lockern, ein Ergebnis der letzten drei Monate, an denen ich an mindestens fünf Tagen in der Woche im Fitnessstudio war. Im vergangenen Jahr fühlte sich das an wie schmerzende Löcher im Rücken, und davon hatte ich über Tage was.
***
“Wir sind nur einen Schritt vom Ziel entfernt”
-“Ja, und das ist genau der Moment, indem man normalerweise den Boden unter den Füßen verliert”.
Diese Weisheit aus “Indiana Jones und der letzte Kreuzzug” habe ich mir gemerkt, und tatsächlich passiert einen Schritt, oder 20 Kilometer, vor dem Ziel noch das, was ich befürchtet hatte: Starkregen setzt ein. Die Fahrbahn schwimmt, Wasser kommt durch die Belüftungsöffnungen des Helms, die Sicht ist mies. Ich reduziere die Geschwindigkeit. Wasserschleier und Nebel liegen über der Fahrbahn. Aus dem Blickwinkel eines LKWs wäre ein Motorrad mit Topcase jetzt von Nahem gar nicht sichtbar, weil das kleine Rücklicht aus dem Blickwinkel eines Brummis unter dem Überstehenden Koffer verborgen wäre. Und ob man das eine, funzelige Licht von Weitem in diesem Regenvorhang sieht? Wie gesagt, bei einem normalen Motorrad wäre das sicher ein Problem. Die Renaissance, da bin ich mir sicher, sieht man in dieser Wasserhölle. Die Koffer und das Topcase sind rundum mit Diamond Grade Reflexband beklebt. Das Zeug reflektiert das geringste Restlicht, und ich bin mir sicher, dass mein Motorrad gerade ein weithin funkelndes Licht im strömenden Grau darstellt. Wie ein Stern in dunkler Nacht, denke ich kichernd und überlege, ob der Regen schon den Sauerstoff im Helm verdrängt hat, dass ich auf so komische Gedanken komme.
Trotzdem bin ich heilfroh, als das Navi sich mit einem “fahren sie von der Autobahn ab” im Helm meldet. Ich folge den Anweisungen des TomToms und rolle langsam auf Passau zu. Es regnet in Strömen, und ich bin froh, dass mein Helm nicht beschlagen kann. Die Straßen sind stellenweise überspült, überall liegen Steine und Schotter herum. Passau ist Hochwasser gewohnt, durch die exponierte Lage im Dreieck zwischen Inn und Donau, aber solche Wassermassen wie in den letzten Tagen sind auch hier ungewöhnlich. In der Innenstadt soll schon Wasser stehen, heisst es. Nur gut das meine Unterbringung weit von der City weg ist.
Schließlich habe ich mein Ziel erreicht – behauptet das Navi. Allerdings wollte ich nicht zu einem Sägewerk, das es uns hier gerechnet hat. Ich halte am Straßenrand an und checke die Karte. Der Gasthof, zu dem ich eigentlich wollte, liegt Luftlinie nur einen Kilometer entfernt. Allerdings muss man dafür über einen Berg, was die Strecke verdreifacht. Egal. Bevor ich weiterfahre strecke ich einen Arm aus und beobachte fasziniert wie das Wasser daran hinabläuft. Es regnet so stark, dass es aussieht, als würde ich einen Umhang aus Wasser tragen oder den Arm gerade in einen Wasserfall stecken. Wirklich, was da vom Himmel fällt sind keine dicken Tropfen, das sind Klumpen von Regen.
Wenige Minuten später rollt die Renaissance auf den Parkplatz des Gasthofs Schäfer, einem echten, niederbayrischem Gasthaus. Als ich den Helm abnehme gibt das Wetter noch einmal alles. Es regnet dermaßen, dass es sich anfühlt, als würde jemand einem Eimer Wasser über mir auskippen.
Als Frau König, die Gastwirtin, mir im großen Gastraum die Hand entgegenstreckt, mag ich den Gruß erst nicht erwidern, weil alles klitschnass ist. Sie mustert mich kurz wie ich da stehe und ihren Vorraum volltropfe, ist aber trotzdem nett, bittet mich herein und erklärt mir gleich dreimal den Weg zum Zimmer. “Ums Haus rrrrum und die erste Tür, gell?” Vermutlich sehe ich wirklich gerade nicht besonders schlau aus, aber ich bin halt ein durchgefrorener Astronautenbär.
Das Zimmer ist super – klein, rustikal, aber mit allem was ich brauche. WLAN gibt´s nicht, aber das ist nicht schlimm. Ich schäle mich aus den Kombis und kümmere mich um die Klamotten. Erst das Pferd, dann der Reiter, das ist immer die Devise. Das Motorrad ist unter einem kleinen Vordach geparkt, dass zumindet ein wenig Schutz vor den Regenmassen bietet. Für die Maschine kann ich gerade nicht mehr tun, für meine Klamotten schon. Sei gut zu Deiner Ausrüstung, dann ist sie gut zu Dir. Zum normalen Ritual gehört jeden Abend das Sauberwischen von Helm und Kleidung, alles zum Trocknen aufzuhängen und alle batteriebetriebenen Geräte, auch den Helm, ans Ladegerät zu klemmen. Erst als alles versorgt ist, kümmere ich mich um mich selbst. Als ich den ersten Koffer öffne, sehe ich, wie gut es war, alles wichtige in Plastiktüten einzupacken. Der Starkregen ist durch die Kofferdichtungen geschlagen und hat das einzige, was nicht in Kunststoff eingeschlagen war, komplett durchnässt: Ein Handtuch.
Nach einer langen, heißen Dusche lege ich mich kurz auf Bett, und prompt fallen mir die Augen zu. Das kann ich nicht zulassen – es wäre schade um den Tag, wenn er jetzt schon zu Ende wäre. Ich greife zum Telefon und rufe ein befreundetes Ehepaar an. Die beiden haben Zeit und wohnen direkt um die Ecke, und so kommt es, dass wir erst gemütlich in die Innenstadt essen gehen und dann wieder gemeinsam nach Hause fahren wollen.
Der Plan funktioniert bis knapp nach “Essen gehen”, und dann… erweist es sich als gar nicht einfach, aus Passau wieder rauszukommen. Die Pegel von Inn und Donau sind in den vergangenen Stunden so stark gestiegen, dass nahezu alle Straßen in der Innenstadt gesperrt sind. Flutwellen rollen durch die Stadt. Manche natürlichen Ursprungs, andere von Jeepfahrern und THW oder Feuerwehrfahrzeugen. Ein ums andere Mal erwischt mich eine solche Welle, und ich bin froh, dass ich die wasserdichten Motorradstiefel unter der Jeans trage. Am Ende ist die Hose bis zu den Knien nass, aber meine Füße sind trocken. Tatsächlich werde ich gerade Zeuge von Passaus Untergang. Die Aufnahmen im folgenden Video sind am frühen Abend enstanden. Da sind wir noch weit von der Höchstmarke, dennoch ist das Ausmaß der Überschwemmungen heftig.
[wpvideo ZzEdJVFc]
Wir kommen an Horden von Katastrophentouristen vorbei, und als ich die Kamera zücke um dieses bayerische Venedig festzuhalten, wird mir klar, dass ich gerade selbst einer bin. Belustigt sehe ich mehrere SUV-Fahrer, die ratlos vor ihren abgesoffenen Kisten stehen – die Deppen haben tatsächlich versucht durch gesperrte Straßen zu fahren. Dooferweise sind die meisten SUVs halt nicht geländetauglich und ziehen die Luft für den Motor auf gleicher Höhe wie ein PKW, so dass die Kisten mit Wasser im Motor liegen bleiben. Das ist, nebenbei bemerkt, ein Totalschaden. (Hihi.)
Die Innenstadt ist wirklich ein einziges Katastrophengebiet. Donau und Inn haben sich zu einem Meer vereinigt, und dummerweise hatte Passau das Pech bei dieser Kopulation im Weg zu sein. “Willkommen am Rand der Apokalypse”, brummt meine Begleitung grimmig, und er hat Recht: mit den vielen Rettungsfahrzeugen, den gesperrten Straßen und den hektisch umhereilenden Menschen wirkt das hier wirklich wie ein Weltuntergang. Festnetztelefon, Wasser- und Stromversorgung sind bereits im Großteil der Stadt ausgefallen, das Handynetz ist überlastet.
Wir sind mitten in der Katastrophe und kommen nicht mehr raus. Die wenigen Straßen, die noch nicht vom Wasser überspült sind, werden von Fahrzeugen des THW oder der Feuerwehr blockiert.
Tatsächlich hat es Passau so schlimm getroffen wie nie zuvor. Zehn Meter über Normal steht das Wasser auf diesen Bildern:
Erst als es schon lange dunkel ist finden wir einen Weg aus der Altstadt heraus. Gegen 23.00 bin ich wieder im Gasthof und schreibe noch ein wenig Tagebuch, und schon dabei fallen mir die Augen zu. Der Tag war anstrengend und kräftezehrend, und während ich mich in das warme Bett einkuschele, regnet es draußen unerbittlich weiter. In der Nacht steigt das Wasser auf 12,80 Meter, aber davon bekomme ich nichts mit.
Das folgende Video von Youtube-Nutzer “WetterZone24” hat das Hochwasser auf dem Höchststand einen Tag später festgehalten. Einige der Wege, die ich noch lang gelaufen bin, gibt es darauf schon nicht mehr. Im Video ist außerdem zu sehen wie es aussah, als der Wasserspiegel wieder sank.
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=jOyYqo3WvCI]
Interaktive Hochwasserbilder des Bayerischen Rundfunks.
Übrigens ist auch im Dezember 2013, ein halbes Jahr nach Passaus Untergang, immer noch Landunter in der Stadt – wirtschaftlich gesehen. Zwar ist das Wasser weg, aber es hat Spuren hinterlassen, die zu beseitigen es noch Jahre dauern wird. Viele Häuser in der Innenstadt sind unbenutzbar. Viele Existenzen sind hier vernichtet worden, und etliche Kaufleute hatten entweder nicht die Energie oder das Geld um ihre Läden wieder aufzumachen. Deshalb herrscht in der Innenstadt viel Leerstand. Man sieht Hochwasserlinien an den Häusern, dazu zugeklebte Schaufenster, und an etlichen Stellen riecht sogar noch muffig und brackig.
Alles Spätfolgen dieser Nacht.
Im nächsten Teil: Der Versuch aus Passau herauszukommen, Passfahrten, Kalesco und – Klaus.
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2 Gedanken zu „Motorradreise 2013 (1): Der Untergang“
das Hochwasser in Passau ist von diesem Jahr, ok.
aber der Teil mit der Sonne und Schatten Anfang Juni, nee nee, das glaub ich nicht.
🙂
schöner Text!
🙂