Motorradreise 2013 (3): Stromlos in der Sternstadt
Im Juni 2013 waren Silencer und das Wiesel mit dem Motorrad unterwegs. 6.853 Kilometer, 22 Tage, mehr als 40 Orte. Am dritten Tag der LANGEN Reise gibt es Pannen, eine ungewöhnliche Stadt und eine rührende Begegnung. Außerdem quietscht es.
Dienstag, 04. Juni 2013, in den Bergen in der Nähe von Graz, Steiermark, Österreich
Der Tag beginnt früh. Gegen 5:30 Uhr wache ich auf und blinzele ins Sonnenlicht. Ein Berg blinzelt zurück. Stimmt ja, ich bin in den Bergen. In Österreich. Bei Kalesco. Ich habe Urlaub. Der Tag muss seinen Beginn noch einmal verschieben, die Nacht erfährt Verlängerung. Zweieinhalb Stunden später werde ich wach, als ein 200 Kilo schwerer Mann die Treppe des Hauses herabspringt. Zumindest hört es sich so an. Tatsächlich ist es nur die kleinere von Kalescos Katzen, die solche Geräusche macht. Die hat nicht nur beim Kapitel “Samtpfoten” in der Katzenschule nicht aufgepasst, sondern ist auch ein kleines Wunder. Wie ein so kleines und leichtes Geschöpf solche Geräusche machen kann, erschliesst sich mir überhaupt nicht.
Egal, Zeit zum Aufstehen. Bei genauerer Betrachtung und mit Brille auf der Nase erweist sich der Berg vor dem Fenster als Nachbarhaus. Während ich noch schlaftrunken (und zum Glück nicht Schilcherverkatert) durch die Gegend tappe hat Kalesco bereits Frühstück gemacht. Wir plaudern noch ein wenig, dann wird es leider auch schon Zeit für den Abschied. Zu gerne hätte ich in hier noch mehr Zeit verbracht. Eigentlich war das auch so geplant, aber wegen des verschobenen Start der Reise muss der zweite Tag bei Kalesco leider ausfallen. Wirklich schade. Nach einem kurzen Abschied, der hoffentlich nicht für immer war, schwingt sich Kalesco auf zur Arbeit, und ich mich auf´s Motorrad. Raus geht´s aus der Einfahrt und drauf auf die Landstraße.
Der Weg führt gen Süden, zur italienischen Grenze. Zuerst per Dorfstraßen, die sich in fiesen Serpentinen durch die Berge finden. Teilweise sind die verdreckt, was in Kombination mit dem stetigen Regenfall keinen Spass macht.
Ich habe beim Losfahren auf die Regenkombi verzichtet, in der Hoffnung damit das Wetter zum Besseren beeinflussen zu können. Der Schuss ging nach hinten los; es regnet Bindfäden. Zwar ist auch mein Fahreranzug wasserdicht, aber wie das bei Goretex-Sachen halt so ist: Die werden außen trotzdem durchgefeuchtet. In Kombination mit dem Fahrtwind schlägt dann die Physik erbarmungslos zu, und es wird kalt. Dazu kommt noch die Höhe: Der Höhenmesser zeigt irgendwann 1.200 Meter, das Thermometer 6 Grad. Wieder mal bin ich froh über meine guten Klamotten und die Griffheizung, aber Spaß macht das nicht, und nicht einmal die lustigen Ortsnamen können tragen zur Aufheiterung bei. Im Ernst, wie kommt es, das ein ganzer Ort “Edelschrott” heisst?! Nein, meine Laune ist wirklich nicht die beste. Schlechtes Wetter und die frühe Abreise, das schlägt mir auf die Stimmung. Nicht mal die lustigen Ortsnamen wie “Edelschrott” heitern mich auf.
Ich bin froh, als ich die Dorfstrassen hinter mir lasse und die Autobahn erreiche. Auf der A2 geht es durch Sturm und Regen, Tunnel und Baustellen bis nach Villach, was im Grenzgebiet von Österreich, Italien und Slowenien liegt. Dort nehme ich ein letzten Mal österreichisches Benzin auf, von dem manche behaupten, es sei nicht nur günstiger, sondern auch energiereicher als Sprit in Deutschland.
Dann geht es auf einer gut ausgebauten Strasse durch Bergtäler gen Westen. Hier ducken sich die wenigen Orte auf den Talgrund. Viele sind überbaut von der Autobahn, deren Stützpfeiler wie die Stelzen der dreibeinigen Herrscher wirken und manchmal sogar zwischen Kirchen und Häusern stehen, deren Bewohner einen Himmel aus Beton über sich sehen. Durch die Täler ziehen sich Sturzbachbetten, und zum ersten Mal sehe ich hier welche, die gefüllt sind. Das Wasser aus der Schneeschmelze und den Regenfällen der letzten Tage und Wochen sprudelt durch Rinnen aus riesigen Steinquadern ins Tal und in die Flussbetten, die den Rest des Jahres ausgetrocknet sind. Kristallblau wirkt das Wasser, wie flüssiges Eis. Äh.
Die Strasse ist breit und gut ausgebaut, und die Renaissance gleitet durch die engen Felseinschnitte dahin. Immer wieder drehe ich den Kopf um die Felswände anzusehen, die Brücken von Eisenbahn, Autobahn und Superstrada zu bewundern oder den Sturzbächen zuzuschauen. Ich kann die Gedanken schleifen lassen, auf der Strasse ist wenig Verkehr auf den ich achten müsste, und was die Wegfindung angeht… Das Navi am Lenker sagt mir schon rechtzeitig wo ich lang muss, und nicht mal auf die Geschwindigkeit muss ich achten, denn das TomTom spielt einen Warnton in den Helm ein, wenn ich zu schnell bin. Oh, wie ich das Fahren mit diesem Ding liebe!
Denke ich noch so bei mir, da geht es plötzlich aus. WTF?!
Ich tippe auf den Bildschirm, der sofort aufleuchtet, aber nach wenigen Sekunden wieder ausgeht. Das Gerät läuft offensichtlich im Notstrommodus. Normalerweise wird es über das Bordnetz der Renaissance mit Strom versorgt, aber nun wird es mit dem internen Akku aufrecht erhalten. Da die ständigen Berechnungen, die 3D-Darstellungen und die GPS-Triangulation viel Strom verbrauchen, schaltet sich bei Akkubetrieb das Display aus. Nur wenn komplizierte Fahrtänderungen anliegen oder der Fahrer den Bildschirm berührt, geht das Display an.
Ich fluche im Helm. Das Navi hängt an einer kleinen Steckdose, die im Cockpit angebracht ist. Das Ding hat schon öfter Probleme gemacht, weil die Kontakte oxidieren. Ich hatte die vor der Fahrt extra mit Kontaktspray eingesprüht, aber anscheinend hat das nicht gereicht. Auf dem LKW-Parkplatz einer Tankstelle in Maglern halte ich an, krame ein Stück Schleifpapier aus dem Bordwerkzeug und schmirgele die Kontakte der Steckdose ab. Nichts. Oha. Das ist dann anscheinend doch was ernsthafteres. Auf dem Parkplatz einer Tankstelle nehme ich die Sitzbank ab, unter der die Batterie sitzt, und wackele mal an allen Kabeln. Nichts.
Aus meiner Ladegerättasche nehme ich einen iPhone-Zigarettenanzünderanschluss und hänge den in die Steckdose. Nichts. Die Dose schein tot zu sein.
Ich baue alles wieder zusammen und fahre weiter. Für heute wird der Akku des Navis noch halten, da mache ich mir keine Sorgen. Fünf bis sieben Stunden hält der durch, aber ich habe in den nächsten Tagen und Wochen wesentlich längere Etappen vor mir, und dafür brauche ich das Bordnetz. Ich muss mir was einfallen lassen. Später. Außerdem quietscht irgendwas am Vorderrad, dem werde ich auch auf den Grund gehen müssen.
Zunächst geht es weiter durch tiefe Bergtäler, dann über die Grenze. Eigentlich hätte ich heute noch in Slowenien die Stadt Maribor besuchen gewollt, aber auch dieser Ausflug muss wegen der Verschiebung ausfallen. So geht es gleich nach Italien.
Kaum bin ich über die Grenze, wird das Wetter schlagartig sehr viel besser. Auf über 20 Grad klettert das Thermometer, und die Regenwolken bleiben an der tiefen Schlucht hängen. Die Superstrada 13 ist das Äquivalent zu einer gut ausgebauten Bundesstrasse, und auf der geht es mal über, mal unter der stark befahrenen Südautobahn A2 hindurch gen Süden. Die Berge um die engen Täler sind dicht bewachsen, wie mit Urwald, und stehen wie grüne Wände zu beiden Seiten der Strasse.
Der Weg durch die Berge ist nicht mehr lang, und schon nach kurzer Zeit komme ich in die Ebene der Region Friaul-Julisch Venetien, im Nordosten Italiens, heraus.
An Udine, der zweitgrößten Stadt der Region, geht es vorbei nach Palmanova. Das ist eine total unbedeutende, aber sehr interessante Stadt. Vor drei Jahren habe ich in einem Buchgeschäft in Frankfurt einen Reiseführer durchgeblättert, und war dabei an etwas hängengeblieben, dass ich so noch nie gesehen hatte. Es war der Grundriss einer kleinen Stadt, so ungewöhnlich, dass in dem Moment feststand: Die will ich sehen!
Nun ist es endlich soweit, das Motorrad rollt durch eines der Stadttore in den massiven Festungsmauern. Ich stelle die Kawa in einer Seitenstrasse ab, stecke die Parkscheibe hinter den Windschutz und gehe auf den Dorfplatz zu.
Seltsam, jetzt hier zu sein, nachdem ich so lange nur Bilder von diesem Ort gesehen habe. Rund um den symetrisch angelegten Platz gibt es Parkplätze, die man nur benutzen darf, wenn man bezahlt hat, warnen Schilder. Dooferweise gibt es nirgendwo Parkautomaten… schon auf Streetview ließen sich die nicht entdecken, und in Natura sind sie auch nicht zu sehen.
Während ich mich noch darüber wundere, ist das Wiesel aus meiner Jackentasche gehüpft und hat sich in die Mitte des Platzes gewieselt. Das Wiesel steht ja erwiesenermaßen gerne im Mittelpunkt, und das tut es nun auf einmalige Weise…
Vom Boden aus gesehen ist das jetzt nicht weiter spektakulär. Von Oben sieht das aber ganz anders aus:
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Die Geschichte von Palmanova
Palmanova ist eine Planstadt, die im 16. Jahrhundert von den Venezianern zum Schutz gegen die Türken angelegt wurde. Mehr als 300 Jahre wurde von hier aus die Region geschützt, bis Napoleon kam und alles überrollte. Und ein gewisser Feldmarschall Radtezky, der mit dem Radetzkymarsch, marschierte hier ein und fand es so schön, dass er gleich mal die Adelige aus dem Nachbardorf ehelichte und zum Graf der Region wurde. In Palmanova wurde Venedigs Kapitulation während des Unabhängigkeitskriegs unterzeichnet. Militärisch spielte die Stadt im ersten Weltkrieg wieder eine Rolle. Seit 1960 ist sie ein Nationaldenkmal. Die typische Sternform kommt daher, dass die Festungsmauern so angelegt sind, dass Bogenschützen und Archebustiere überlappende Schusswinkel haben sollen und so jeden Angreifer von zwei Seiten unter Beschuss nehmen können. Es gibt wenige Städte, bei denen die Planstruktur noch so gut erkennbar ist wie in Palmanova. Karlsruhe gehört dazu.
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Auf dem Rückweg zum Motorrad wird mir klar, was ich mit dem Navi machen werde. Ich weiß genau was zu tun ist und sehe jeden einzelnen Handgriff vor mir. Ich steuere die Maschine zum anderen Stadttor von Palmanova hinaus und halte die Augen nach einem ungenutzen Firmengelände oder einem leeren Parkplatz offen, irgendwas anonymes, abgelgenes. Sowas gibt es in Italien alle Nase lang, aber natürlich gerade jetzt, wo ich danach suche, nicht. Im Dorf Felettis fahre ich die Kawasaki schließlich mit einem kleinen Hüpfer über eine Kante und auf einen leeren Basketballplatz. Der befindet sich mitten im Dorf, und hier gibt es mehr neugierige Augen als mir gerade lieb ist, aber ich verliere die Geduld mit der putzigen, kleinen, persönlichen Umgebung hier im Julisch-Friaul, die keine anonymen Parkplätze zu kennen scheint. Zudem geht mir die Zeit aus, in einer Stunde muss ich an der Küste sein.
Ich stelle die Maschine mitten auf dem Spielfeld ab, klippe die Koffer aus ihren Halterahmen und nehme die Sitzbank ab. Alles deutet darauf hin, dass die Steckdose keinen Saft hat. Also muss die Ladehalterung des Navis auf andere Weise mit Strom versorgt werden. Dummerweise hat die einen proprietären TomTom-Stecker, glücklicherweise habe ich aber ein langes Kabel mit genau so einem Stecker dabei. Ich werde also einen Bypass legen.
Schnell hole das Bordwerkzeug raus, suche aus dem Ersatzteillager das Kabel und lege los. Ich vermute einen Kabelbruch zwischen Batterie und Steckdose, irgendwo unter dem Tank. Ich muss die Leitung zur Steckdose opfern, weil ich deren Kabelschuhe und die Sicherung brauche.
Mit einem Seitenschneider knipse ich die Steckdose ab, dann isoliere ich das TomTom-Kabel mit den Zähnen ab und verzwirbele damit die Steckschuhe der Steckdose, die immer noch an der Batterie hängen. Ich kann den Tank hier nicht abnehmen, deswegen verlege ich den Bypass durch die Verkleidung am Rahmen entlang und verknote alles mit Kabelbindern aus der Werkzeugtasche.
Voila! Stolz stecke ich den neuen Stecker in die Ladeschale und…
…nichts tut sich.
Verdammt!
Über 30 Grad haben wir in der prallen Sonne, aber nicht nur deswegen steht mir jetzt der Schweiß auf der Stirn. Schnell entferne ich die gerade angebrachten Isolierungen und schließe die Ladekabel direkt an die Batteriepole an. Bitte lass es nicht die Ladehalterung selbst sein!
Dann passiert das, was ich schon die ganze Zeit befürchtet habe. Jemand hält an und will helfen. Ein älterer Herr steigt aus seinem Wagen aus und kommt näher.
“Gibt es ein Problem?”, fragt er auf italienisch.
“Nein, kein Problem”, antworte ich. “Nur ein kleines, elektrisches, mit diesem…”
“Ah, Navigatore!”, sagt der Mann, der mit seiner Nickelbrille, dem weißen Schnäutzer und den freundlichen Augen ein wenig wie Jean Pütz aussieht.
“Genau”, sage ich, “mit diesem Mistding.”
“Posso aiutare?”, ob er helfen könne, will Gironimo Pütz wissen, und, nach einem Blick auf´s Nummernschild der Renaissance fragt er: “Sei tedesco?”, ob ich Deutscher bin.
“Ja, ich komme aus Deutschland, und nein, ich habe das hier schon im Griff, danke.”
“Icke kanne sprecke die Deutsche”, sagt Jean Putzo stolz.
“Bene!”, sage ich bewundernd und meine das auch so.
“Und immer wenn ich einen Motorradfahrer in Not sehe, halte ich an um zu helfen”, fährt er fort, wieder auf italienisch. “Wir müssen zusammenhalten. Ich fahre Ducati. Mein Sohn auch. Meine ganze Familie fährt nichts anderes.”
Aha, denke ich bei mir, Ducati. Na, die müssen ja VIEL Erfahrung mit Pannen haben. Das sage ich ihm natürlich, nicht sondern danke für die Hilfsbereitschaft.
“Kann ich wirklich nichts für dich tun? Ich hätte ein Starthilfekabel!”
Ich mache ihm klar, dass mir wirklich gerade nicht zu helfen ist, und er verabschiedet sich und fährt davon. Leider hat mein Rumgefrickel an den Batteriepolen nichts gebracht, die Ladehalterung bleibt tot. Verdammt. Damit ist das eine Ding, was nicht kaputt gehen durfte, und das ich als Ersatz nicht mitnehmen wollte weil es so teuer ist, kaputt gegangen. Vermutlich hat der ständige Regen und die Temperaturunterschiede von mehr als 20 Grad in kurzer Zeit der Ladehalterung hinübergeholfen. Mist.
Ich fahre weiter gen Venedig, denn Naviproblem hin, seltsames Quietschen vom Vorderrad her, ich habe noch eine ganz besondere Verabredung heute. Meine Schwester macht mit Ihrem Mann seit zwei Tagen Urlaub in einer Ferienanlage in Caorle. Dorthin will ich, und bleibe prompt an der Schranke vor dem Campinggelände hängen. Drei Spuren, Schalterabfertigung, riesige Rezeption. Dieser Campingplatz ist offensichtlich eine Nummer größer als alles was ich kenne.
“Buon Giorno”, spreche ich die Rezeptionista an. “Vorrei visitare la mia sorella. Posso parcheggiare a qui?”. Ich will meine Schwester besuchen, ob ich das Motorrad auf dem Parkplatz vor der Schranke abstellen darf. “Certo”, sagt sie und blickt nicht mal auf. “Passoporto!”
Verwirrt schiebe ich meinen Personalausweis über den Tresen. Schwupps, hat sie den einkassiert und mir eine laminierte Papierkarte dafür hinübergeschoben. “Un ora e graduito, dopo diece euro.” Eine Stunde Besuch ist kostenlos, dann kostet der Besuch 10 Euro. Woah.
Wenige Minuten später holt mich mein Schwager ab und bringt mich zu einer Siedlung von “Mobile Homes”, kleiner Holzhütten, die komplett mit Küche, Bad, Toilette und zwei Schlafzimmern ausgestattet sind. In diesem speziellen Fall auch mit Satellitenantenne und TV. Unter großem Hallo wird begrüßt, und es ist schon seltsam, so weit von zu Hause bekannte Gesichter zu sehen.
Dann lerne ich jemanden kennen. Hier, in Italien, am Rande der Adria, treffe ich zum allerersten Mal meinen Neffen. Sechs Monate ist er jetzt alt, und als ich den Kleinen das erste Mal im Arm halte und er mich anlacht und mit seiner kleinen Hand meinen Zeigefinger umklammert, geht mir das Herz über. Ein unvergesslicher Moment.
Auch das Wiesel will den Kleinen kennenlernen, und die beiden verstehen sich sofort ausgezeichnet.
Gemeinsam machen wir einen kleinen Spaziergang zum Strand, wo das Wiesel verzückt die Nase in die Seeluft hält.
Dann stellen wir empört fest das der Nachmittag schon wieder rum ist. Gemeinsam mit dem Schwager bocke ich das Motorrad auf und prüfe das Vorderrad. Irgendwas quietscht seit Österreich heftig. Es lässt sich nicht feststellen woher das kommt, und ich will hoffen, dass es nicht das Radlager ist, das den Geist aufgibt. Schließlich verabschiede ich mich schweren Herzens von Schwester, Schwager und dem neuen Neffen und fahre, nachdem ich meinen Perso ausgelöst habe, nach Norden.
Im Ort Bagio Callalta habe ich eine günstige Unterkunft mit großem Parkplatz gefunden. Parkplatz ist immer wichtig für´s Motorrad. Gerade in Italien gibt es viele Unterbringungen ohne Parkmöglichkeiten. Ein Großteil meiner Reisevorbereitungen besteht deshalb darin, auf Booking.com billige Herbergen zu suchen und dann per Google Streetview zu gucken wie die Parksituation ist.
Die “Villa Maria Luigia” sah auf Bilder aus wie eine Fernfahrerabsteige. Überraschung Nummer eins: Ist sie nicht, stattdessen ist es eine gediegene, alte Villa. Überraschung Nummer zwei: Der Parkplatz ist… SCHOTTER. Nicht flacher Schotter auf festem Boden, sondern TIEFER Schotter. Ich beiße die Zähne zusammen und steuere das Motorrad auf die Flächen. Sofort sinken die Räder ein und die Maschine eiert herum. Jetzt bloss nicht zu langsam werden…
Erinnerungen an den Fall im vergangenen Jahr werden wach. Jetzt bloss nicht bremsen… Immer wieder rutscht die Maschine nach links oder rechts weg, aber da hier kein Gefälle ist, kann ich sie immer gerade noch halten. Als ich gerade vorwärts vor einem Zaun eingeparkt habe, kommt eine Mittdreißigerin aus dem Haus gelaufen und fragt mich etwas in Schnellfeueritalienisch. Ob ich das Motorrad woanders parken will? Si, nichts lieber als das! Sie rückt Blumenpötte zur Seite und bedeutet mir, direkt über die Terasse des Hotelrestaurants zu fahren.
Ich würde dem gerne nachkommen, aber zu nächst muss ich die Maschine rückwärts vom Zaun wegbekommen. Ich stemme die Fußspitzen in den Schotter, denn weiter runter komme ich mit beiden Füßen gleichzeitig nicht, und ruckele und reiße am Motorrad, das in Momenten wie diesen eine Tonne zu wiegen scheint. Zentimeter für Zentimeter geht es rückwärts. Bis ich komplett festhänge und nicht mehr weiterkomme. Da hilft ein Hotelgast. Er legt die Hände auf die Kanzel des Motorrads und schiebt kurz, und schon ist das Motorrad frei, ich starte den Motor und rolle unter den erstaunten Blicken der Restaurantgäste direkt an ihren Tischen vorbei, quer über die Terrasse und unter den Sonnenschirmen hindurch und bis unter einen Pavillon. “Hier steht Dein Motorrad sicher und geschützt. Du hättest auch direkt geradeaus über den Fußweg und durch den Ziergarten fahren können, dieser Schotter muss doch die Hölle sein!”, sagt die Frau mit dem Kurzhaarschnitt. “Merke ich mir für´s nächste Mal”, keuche ich und steige ab.
Sara, so heisst die Dame, führt mich ins Innere der Villa Maria Luigis. Die beherbergt im Erdgeschoß ein Restaurant, darüber sind Fremdenzimmer. Das Haus ist gediegen und überaus geschmackvoll eingerichtet, wirklich eine Deko-Augenweide.
Nicht das, was ich an einer Fernstrasse erwartet hätte. Das Haus ist sehr alt, aber die Innenausstattung ist brandneu. WLAN ist kostenlos, und als ich im Restaurant zu Abend esse, wird mir klar, dass Sara eine Feinschmeckerköchin ist. Es gibt Ravioli mit Spinat-Ricottafüllung, bestreut mit Mohn und Käse, danach regionales Beef auf einem Ruccolabeet und gewürzt mit schwarzem(!) Salz, dazu gibt es einen Viertelliter Vino da Tavola aus der Region. Herrlich. Ich genieße jeden Bissen.
Nach dem Mahl verabschiede ich mich, und beziehe mein Zimmer. Dort schreibe ich noch Tagebuch, sichere die Daten und Bilder des Tages und recherchiere nach Bezugsquellen für TomTom-Teile in Norditalien.
Später in der Nacht liege ich Bett und überlege, ob ich morgen vielleicht 300 Kilometer bis nach Mailand fahren will, zum autorisierten TomTom-Händler.
Nein, will ich nicht.
Und schon bin ich eigeschlafen.
Was für ein langer und seltsamer und denkwürdiger Tag. An den werde ich mich noch lange erinnern.
Im nächsten Teil: Der mit der appen Nase.
Weiter zu Teil 4: Der mit der appen Nase
11 Gedanken zu „Motorradreise 2013 (3): Stromlos in der Sternstadt“
Äääääääääh, Du kriegst das hin mit dem Navi, äääääh – ike spüre daaaas, äääääh.
dieser unvergessliche Moment mit dem Neffen… kommt da nicht auch die Lust?
Awwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww.
Rufus: Danke für die Zuversicht! 🙂
Leandrah: Erstaunlicherweise… nein. Ist aber auch ein schwieriges Thema.
Das Foto mit dem Knirps und dem Wiesel ist einfach Zucker! Das sieht wirklich aus, als ob der Kleine da eine wunderbare Freundschaft begründen will. Aber das Wiesel weiß ja zum Glück um seine Pflichten und ist nicht als Kuscheltier da geblieben. Braves Wiesel!
Mic: Da sagen Sie etwas sehr wahres. RAmen!
Mic & WdW: Wenn ihr wüsstet…. das Wiesel war im Rest des Sommers ganze zwei Monate bei dem Knirps. Er wollte es nicht mehr hergeben und ohne es nicht mehr einschlafen. Jetzt hat er sein eigenes Wiesel: Wisela. Ein einjähriger mit eigenem Wiesel, aus dem MUSS was werden.
Tja, dann bleibt nur noch die Frage zu klären, ob der Neffe mehr Eindruck auf den Onkel, oder der Onkel auf den Neffen gemacht hat. Oder liegt die Sache mit dem Wiesel irgendwie in den Genen in eurer Familie? Wisela ist aber mal ein ausgesucht schöner Name für ein Wieselmädchen.
Der Knirps hatte das Wiesel zwei Monate und hat NICHT DARÜBER GEBLOGGT???
Tssss.
Wisela ist ein prima Name. Weiter so.
Das bringen wir ihm als nächstes bei, das bloggen.
Bloggen ohne Wiesel ist möglich, aber sinnlos 😉