Motorradreise 2013 (13): Florenz verkehrt rum
Im Juni 2013 waren Silencer und das Wiesel mit dem Motorrad unterwegs. 6.853 Kilometer, 22 Tage, mehr als 40 Orte. Dies ist das Tagebuch der LANGEN Reise. Am vierzehnten Tag geht es durch´s Chianti, irgendwas ist verkehrt rum und es gibt Motorradstunts.
Immer noch Freitag, 14. Juni 2013, Nonna Cianas Haus, Siena, Toskana
Das Motorrad steuert über den Schotterweg, weg von Nonna Cianas Haus. Es ist tiefschwarze Nacht, und ich weiß, dass am Ende des Weges diese korkenzieherförmige Kurve liegt, mit starker Steigung und lockeren Kieseln. Ich atme tief durch, da taucht die Biegung bereits im Scheinwerferlicht auf. Jetzt nur keinen Fehler machen und genug Gas geben! Jetzt stehenbleiben wäre tödlich, denn wenn die Machine hier anhält, und mein Fuß sie im Gefälle nicht halten kann, stürzt sie in die Kurve hinein, und ich werde sie nicht wieder aufrichten können.
Ich gebe Gas, und die Kawasaki beginnt die Steigung emporzuklettern. Die ist nicht lang, 15 Meter vielleicht. Als ich zur Hälfte hoch bin, spuckt und stottert plötzlich der Motor, und die Maschine bockt, macht einen Satz nach vorn und kommt abrupt zum Stehen als sie ausgeht.
Durch das Gefälle tritt mein linker Fuß ins Leere, der rechte rutscht auf dem Schotter weg. Das Motorrad kippelt hin und her, während ich versuche das Gleichgewicht in dem schrägen Hang zu wahren. Dazu kommt, dass die Maschine sich bewegt; zwar greift die Vorderradbremse, aber der Hang ist so steil, dass sie mit stehendem Vorderrad rückwärts rutscht.
Ich fluche, während meine Gedanken rasen. Ich kann jetzt unmöglich auf den Startknopf drücken und mit der anderen Hand den Choke einstellen. Dafür brauche ich beide Hände, und die sind gerade beschäftigt. Ich muss die Maschine stabilisieren! Ich halte noch instinktiv die Kupplung umklammert, und jetzt löse ich langsam den Griff. Der Gang, der drin liegt, stoppt das Hinterrad des Motorrads und wir rutschen nicht mehr. Mein rechter Stiefel findet einen festen Tritt im Hang, damit habe ich zumindest etwas Gleichgewicht. Ich schlage den Lenker ein wenig ein und ziehe wieder die Kupplung. Mit einem Knirschen rutscht das Motorrad wieder rückwärts, aber dabei dreht es sich, bis es im fast im rechten Winkel zum Hang steht. In dieser Position rollt und rutscht es nicht mehr, und ich kann es stabilisieren. Vorsichtig, auf einem Fuß balancierend, stelle ich den Choke ein und drücke den Starter.
Die Kawasaki orgelt durch die toskanische Sommernacht, und nach quälenden fünfzehn Sekunden kommt der Motor langsam und startet schließlich wieder. Tief durchatmen. Jetzt nur noch anfahren. Im Hang. Im Schotter. In einer Kurve. Und Du bist so gut wie raus hier.
Ich lasse sie einen Moment warmlaufen, dann gebe ich vorsichtig Gas und fahre zügig eine Kurve im Hang. An ihrem Scheitelpunkt beschleunige ich, Steine spritzen unter dem Hinterrad weg, aber das Motorrad bleibt stabil, schneidet die Kurve, holpert über Gras am Wegesrand und ist mit einem letzten Satz wieder auf der Ebenen Straße oberhalb des Hangs. Puh, das wäre fast ein unschöner Ausgang eines schönes Tages gewesen.
Samstag, 15. Juni 2013, Casa Brescia, Siena, Toskana
Neun Stunden später blinzele ich ins Sonnenlicht, das durch das Fenster fällt. Im Frühstücksraum des Casa Brescia klappert Stefano mit den Tellern. Mein schlaftrunkenes Hirn zeigt mir nochmal die Bilder von letztern Nacht, und im Habschlaf muss ich Lächeln. Mir ist ein lautes JAAAAA! entfahren, als ich die Kawa ohne zu Stürzen aus dem Hang und der Schotterpiste heraus hatte. Seit gestern Nacht, spätestens, bin ich der Überzeugung, dass ich mit dieser Machine nahezu alles fahren kann.
4.000 Kilometer und 14 Tage bin ich jetzt auf der Strasse, und noch immer haben sich zwei Dinge nicht eingestellt, die mir im letzten Jahr schon nach einer Woche zu schaffen gemacht haben: Das Gefühl einsam zu sein, und Schmerzen im Handgelenk. Beides vermisse ich nicht.
Die Sache mit dem einsam sein… nun, das liegt auch daran, dass ich Leute wieder treffe, die ich schon kenne, und Orte sehe, die mir vertraut sind. Das ist ein wenig wie nach Hause kommen. Es liegt aber aber auch daran, dass sich meine Sichtweise im Vergleich zum letzten Jahr noch einmal geändert hat. Ich bin noch mal ein Stück offener geworden, ich weiß, was ich mit anderen teile und wie offen ich wann sein möchte. Offen bin ich, als Stefano fragt, wo ich heute hinwill. Ich muss grinsen. Heute geht es an einen Ort, dem ich erst vor knapp neun Monaten Tschüss gesagt habe. Heute geht es nach Florenz, zum ersten Mal mit einem eigenen Fahrzeug!
Zwischen Siena und Florenz liegt das Chianti. Kennen die meisten vom Wein, den Namen, und mit dem Wein werden oft Korbflaschen aus den 70ern und schlechte Qualität assoziiert. Seit meinen *hicks* “Studien” an der Tuscany Wine School kann ich sagen: Stimmt nicht, die meisten Weine die hier produziert werden sind Spitze. Ich mag die Sangiovese Traube, mit ihrem herben und leicht bitteren Nachgeschmack. Die jungen und leichten Tafelweine mit ihrem manchmal recht hohen Säuregehalt schmecken frisch, während die Riserva mit ihren mehr als drei Jahren Lagerzeit voll und samtig sind. Das Gütesiegel ist DOCG, das garantiert das Anbaugebiet und den Traubenmix, aber leider hat das nicht viel zu sagen. Ein DOCG-Wein, den man in Italien kauft, ist Spitze. Kauft man einen DOCG-Wein bei Aldi, schmeckt der… naja. Und das, obwohl die DOCG-Qualitätsparameter bei beiden stimmen. Woher kommen dann also diese extremen Qualitätsunterschiede? Nun, im Extremfall bekommt man einmal die besten, handverlesenen Trauben im Wein – und einmal das, was ein automatischer Ernter im dritten Duchgang rausholt, inklusive Blättern und Zweigen. Einmal bekommt man evtl. einen handüberwachten Wein eines einzelnen Winzers – bei großen Ketten aber bekommt man stets das Ergebnis einer Agrargeossenschaft, und die produzieren nur auf Masse und gleichen Geschmack.
Also: Wein aus dem Chianti ist nicht schlecht. Er hat nur einen schlechten Ruf.
Das Chianti selbst ist grün und hügelig, das absolute Gegenteil zur Wüste westlich von Florenz oder zur “Crete Sienese”, dem Ödland hinter Siena. Gestern Abend, bei Nonna Ciana, sprach mich der alte Bauer des Hofes an und meinte er selbst hätte eine Motoguzzi, aber seine Reisezeiten wären seit der Familie vorbei. Dann grinste er und legte den Kopf schief, holte mit dem Arm aus und machte eine weite Bewegung über das Land um uns herum. “Dabei ist diese Gegend so genial zum Motorradfahren! Wie liegen am Tor zum Chianti und dem Eingang zur Crete. Perfekte Straßen, wenig Verkehr. Perfekt zum Spaß habe mit dem Motorrad!”
Dem kann ich nichts hinzufügen. Ich habe Spass, als ich die Renaissance über die verschlungenen Straßen steuere. Die Maschine gleitet durch die grünen Hügel dieser menschenleeren Landschaft. Nur wenige Ortschaften gibt es hier, meist sind nur einzelne Gehöfte in die Weinberge getupft. Ich nehme mir viel Zeit. Sicher, über die Strada Statale kann man in etwas mehr als 70 Minuten von Siena aus in Florenz sein, aber dann sieht man absolut nichts von der Gegend. Die Fahrt durch die Weinberge, Wiesen und Wälder des Chianti dauert auch nur zwei Stunden und ist viel angenehmer. Nunja, bis auf die letzten 20 Kilometer vor Florenz, dort staut sich der Verkehr. Im Schrittempo geht es weiter auf die Stadt zu. Es ist Samstagvormittag um kurz vor 11, die Touristen wollen in die Stadt um Sightseeing zu machen, die Einheimischen wollen Einkaufen.
Dazu kommt, dass es bereits jetzt über 30 Grad sind. Dem Motorrad und auch mir fehlt der kühlende Fahrtwind. Die Kawa behilft sich, indem sie ihren Kühler anwirft und aus allen Abluftöffnungen heisse Luft pustet, mir genau um die Ohren. Ich habe leider keinen Kühler und leide still vor mich hin. Dann führt die Straße über den Hügel südlich von Florenz. In einem Moment war hier alles noch Vorort, aber als ich am Piazzale Michelangelo vorbeikomme, liegt plötzlich Florenz ausgebreitet im Tal des Arno vor mir, und aus der Mitte des Häusermeers erhebt sich der gewaltige Dom.
Der Stadtverkehr ist weniger schlimm als erwartet, und nach wenigen Minuten steht die Renaissance auf einem Motorradparkplatz neben dem Torre Niccólo, 10 Minuten vom Ponte Vecchio entfernt. Ich war hier schon oft zu Fuß und habe mich vorgestellt, wie es wäre, wenn ich mein Motorrad hier hätte. Nun steht die ZZR tatsächlich hier, mitten in der Renaissancestadt. Ich schließe den Helm ein, hänge mir die Jacke über die Schulter und stiefele los.
Mein Ziel ist der Marktplatz Santo Spirito. Dort war ich im Oktober in einen kunterbunten Ökomarkt hineingestolpert, auf dem Kunsthandwerker und Bauern aus der Region ihre Waren anboten. Ich hatte mit mildem Interesse etwas gekauft, das sich zu Hause als das weltbeste Pesto überhaupt herausstellte. Nach einiger Recherche hatte ich herausgefunden, dass dieser spezielle Markt nur an jedem dritten Wochenende im Monat abgehalten wird, und das es das Pesto nur dort zu kaufen gibt. Aber – Glückes Geschick!- heute IST das dritte Wochenende im Monat. Als ich um die Ecke des Marktplatzes biege, wird mir allerdings klar, dass die Marktveranstalter wohl anders zählen. Außer dem normalen Gemüsemarkt ist hier heute nichts.
Naja, was soll´s. Zum Trost leiste ich mir an der St. Trinita-Brücke, in der besten Gelateria von Florenz, ein Eis, dann schlendere ich weiter zum Ledermarkt. Ich bin seit Ewigkeiten auf der Suche nach einer vernünftigen Lederhülle für meinen eReader, und wenn es irgendwo sowas gibt, dann hier. Aber leider habe ich wieder Pech: iPadhüllen, ja, die stellen die traditionellen Lederwerkstätten mittlerweile her, aber andere Formate – Fehlanzeige.
Auch egal. Ich besuche das tolle Papierwarengschäft Signum, in dem es Reproduktionen von Landkarten und historischen Bildern gibt, muss mich aber – mangels Transportmöglichkeit – beim Einkauf zurückhalten. Ein Stückchen weiter liegt der Seidenwarenladen der Familie Evangelisti. Den kann ich leider nicht verlassen ohne zwei Krawatten gekauft zu haben. Ich liebe diese eine, spezielle Sorte, die sowohl dezent ist als auch fantastische Farben hat.
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Den Rest der Mittagszeit und des Nachmittags verbringe ich mir dem Besuch verschiedener Orte in der Stadt. Dem Hotel Arianna, in dem ich im Herbst gewohnt habe, dem Supermarkt um die Ecke, der Laden des skurrilen Modemachers Mondo Albion… Es ist schön, wieder hier zu sein.
Nach der Lektüre von Dan Browns neuem Buch “Inferno”, das zum Großteil in Florenz spielt, muss ich aber noch zwei Orten einen Besuch abstatten. Brown selbst ist übrigens gerade in der Stadt und liest aus seinem Buch. Hoffentlich weist ihn das Publikum darauf hin, dass die italienischen Phrasen darin aus dem Googleübersetzer zu kommen scheinen. Ehrlich, wie kann den Lektoren sowas durchrutschen, bei einem Millionenseller? Ich besuche zuerst das Casa di Dante Alighieri, das im Roman eine wichtige Rolle spielt.
Das Casa di Dante ist das Geburtshaus von Alighieri und ein Museum. Hier erfährt man alles über sein tragisches Leben und seine Werke, mit denen er vor 800 Jahren die Welt verändert hat.
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Die Geschichte von Dante Alighieri
Ein bemerkenswerter Mann, dieser Algheri (Sprich. Aljieri). Lebte im 13. Jahrhundert und war tierisch verknallt in eine Frau, die erst einen anderen heiratete und dann mit 24 starb. Blieb ihm nur noch seine andere Liebe: Florenz, das er innig betextete, immerhin war er Autor. Leider verlor er auch die, durch Intrigen wurde er aus der Stadt verbannt und durfte bis zu seinem Tod nicht zurückkehren.
Extreme Situationen bringen Menschen oft zu außergewöhnlichen Leistungen. Im Falle Alighieris war das zunächst tiefe Reflexion über alles Mögliche (Liebe, Moral, Ökonomie, Kirche), bei der er auf allen Gebieten zu bemerkenswerten Einsichten kam, die z.T. auch heute noch gültig sind. Zum anderen reiste er viel und schrieb auf, was er sah bzw. verabreite es in seiner “Göttlichen Komödie” und anderen Werken. Das Resultat war so beliebt, dass es etwas besonderes schaffte. Italien war im 13. Jahrhundert nämlich so fragmentiert in Stadtstaaten, dass es nicht einmal eine gemeinsame Sprache gab. Man verstand sich auf dem Stiefel schlicht nicht. Dantes Werk gab Italien eine Universalsprache, die jeder lernen und verstehen konnte. In der Schrifstellerei löste er das Lateinische ab und machte das Italienische zu einer Literatursprache. Nicht weniger als die sprachliche Vereinigung Italiens, das hat Alighieri geschafft. DARUM wird er heute immer noch so verehrt.
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Dann besuche ich das Baptisterium auf dem Domplatz, jenes kleine, achteckige Häusschen mit den tollen Türen. Eine Taufkirche wurde früher deshalb gebraucht, weil ungetaufte Menschen den Dom nicht betreten durften. Deshalb musste die ausgelagert werden.
Tatsächlich ist es, wie Dan Brown es in seinem Buch beschreibt. Man betritt die Taufkirche, und es ist unmöglich NICHT zur Decke zu sehen, die aus purem Gold zu bestehen scheint. Das Licht kommt durch fast verborgene Fensteröffnungen hinein und bringt die Kuppel zum Leuchten.
Benommen nehme ich Platz und genieße die Pracht dieses Ortes. Das Studium der ausliegenden Flyer fällt mir allerdings schwer, denn neben mir sitzt ein französischen Pärchen, dass sich irre lustige Bilder auf eine iPad ansieht und sich dabei in seiner gutturalen Brechlautsprache anhustet und immer wieder kichert. Überhaupt ist die Geduld der Einheimischen mit den Touristen bemerkenswert. Ich bin schon nach dem halben Tag in Florenz zur Dreiviertelhochsaison fast am Durchdrehen und möchte alle die desorientierten, alle zwei Schritte stehenbleibenden Touris nur noch umschubsen. Es gibt sie nämlich tatsächlich noch, diese klassischen Touristen, diese zweieinhalbzentnersäcke wahlweise in karierten Shorts, Poloshirts und Socken in den Sandalen oder im Sommerkleid mit Blumendruck. Auf der fetten Wampe ruht eine 2.000 Eurokamera mit einem halbmeterlangen Objektiv, und benommen wird sich, als gäbe es andere Menschen gar nicht oder als wären die nur zur Erfüllung der eigenen Wünsche da.
Es wird sich auf´s unappetitlichste flegelhaft benommen und fortwährend die Eingeborenen, das Essen oder das Wetter beklagt. Der Chor des Genörgels erhebt sich über die Massen aus trägem Fleisch, das sich durch die Gassen der schönen Stadt schiebt. Das macht den Abschied von Florenz einfacher. Es wird kein Abschied für immer sein, denn ich habe hier noch unfinished Business. Ich werde wiederkommen.
Für heute reicht es aber, jetzt will ich nur noch hier raus. Es ist heiss, ich ärgere mich über die Touris, und tanken muss ich auch. Ich sattele die Kawasaki und fädele mich in den dichten Stadtverkehr ein. Bloss weg hier!
In meiner Ungeduld mache ich eine Fehler, und der ist – das lässt sich später am Computer nachvollziehen – nur auf meinem Mist gewachsen und nicht Schuld des Navis. Nach einem ungeschickten Abbiegemanöver, währenddessen ich mich schon frage, ob das jetzt alles so richtig war, befinde ich mich auf einer vierspurigen Strasse. Einer LEEREN, vierspurigen Straße. Wie kann das sein, in einer Stadt mit so viel Verkehr? Kein Fahrzeug befindet sich auf der langen Gerade, die in einigen hundert Metern um eine Kurve aus der Sichtweite verschwindet. Ich sehe mich irritiert um. Auch neben oder hinter mir ist niemand.
Der zweite Verdachtsmoment, dass hier etwas nicht stimmt, kommt auf, als mir eine Vespa auf meiner Spur entgegenkommt und hupt. Ich bremse auf Tempo 60 ab und blicke nach vorne. In einem Moment liegt die Straße noch leer da, im nächsten Moment kommen auf allen vier Spuren Autos um die Kurve gebogen und auf mich zu. Ich fahre frontal auf eine Wand Autos zu.
ICH BIN IN DER VERKEHRTEN RICHTUNG AUF EINER HAUPTVERKEHRSADER UNTERWEGS.
Ich überlege nicht lange und lege das Motorrad ohne zu Bremsen in eine Schräglage. Die Maschine taucht blitzschnell über die Fahrspuren hinweg Richtung Fahrbahnrand, dort richte ich sie wieder auf halte auf den Bürgersteig zu. Zwischen Straße und Fußweg liegt noch ein Grünstreifen, dicht bewachsen mit Büschen und Bäumen. Ich halte auf die Büsche zu, und beim Überfahren der leichten Bordsteinkante fühlt es sich an, als ob das Motorrad für einen kurzen Moment abhebt und über den Grünstreifen fliegt.
Eine Fußgängerin springt erschrocken zur Seite, als die silberne Kawasaki unvermittelt aus den Büschen gesprungen kommt, mit einem Knall des Hauptständers auf dem Gehweg aufsetzt und mit quietschenden Reifen abbremst. “Scusa me!”, rufe ich der Frau zu, die sich an die Brust fast vor Schreck. Ohne stehen zu bleiben fahren ich den Fußweg hinab, der ansonsten zum Glück leer ist. Ein paar hundert Meter entfernt gibt es eine Stelle, an der ich vom Bürgersteig in eine Parkbucht fahren und und mich von dort wieder in den Verkehr fädeln kann. Diesmal richtig herum.
Was für eine Scheißaktion. Ich glaube nicht, dass mein Puls merklich hochgegenagen ist. Außer einem herausgepressten “Ach, Shit!” habe ich gar nicht groß emotional reagiert. Hm.
An einer roten Ampel stehend sehe ich die Stelle, an der ich gerade meinen kleinen Stunt aufgeführt habe. Das war direkt vor dem Tor des Polizeihauptquartiers von Florenz…
Ich fahre in Richtung Fiesole. Dank eines Bloglesers hier habe ich noch eine Adresse, die ich besuchen möchte. Umgeben von hohen Mauern blickt die Villa Maiala stolz über Florenz hinweg. Damit hätte ich dann wirklich ALLE Orte und Bauwerke des Spiel gefunden, besucht und dokumentiert.
Nach mehr als sechs Stunden bei über dreissig Grad in Motorradmontur bin ich etwas geschafft und nehme deshalb die ungeliebte Schnellstrasse zurück nach Siena. Kurz vor der Stadt tanke ich noch einmal und werde zeuge eines denkwürdigen Schauspiels. Ein älteres Ehepaar aus Ostdeutschland scheucht erst den Tankwart von ihrem Wagen weg, und fragt ihn dann laut und deutlich, ob “Senza PB” bleifrei heisst. Als der Benzinaio nur auf englisch antwortet, fragen sie ihn mit exakt den gleichen Worten noch einmal NUR LAUTER-UND-DEUTLICHER. Das wiederholt sich noch zweimal. Während der Mann schon die Auslage des Tankshops inspiziert und “Gugge Mol, des giebtsjanich!” sagt, schreit die Frau den Tankwart freundlich lächelnd an, bis der sich entnervt abwendet und erstmal mein Motorrad betankt.
Ich nehme den Helm ab, nicke der Frau zu und frage “Das erste Mal in Italien?”. Sie sieht mich an und sagt “Nö! Das erste mal überhaupt!” Ach Du Schande, “Nö” hat sie gesagt, aber “ja” gemeint. Dann sind die beiden aus der Gegend von Pirna, aus dem tiefsten Osten, weit hinter Dresden.* Schön, dass die sich überhaupt aus ihrem dunklen Tal raustrauen, da haben sie jede Hilfe verdient.
“Saggense Mol, Zenza Pee-Bee, Wos hosten dosch?”, will die Frau nun von mir wissen. “Das heisst Senza Piomba und bedeutet bleifreies Superbenzin. Gibt es nur eine Sorte von.” Die Frau blickt neugierig und fragt “Und worom kannsche das nicht nehmon ohne das där Härr da herumfummle tut?” Sie winkt in Richtung des Tankwarts und ihres Mannes, der immer wieder mit lautem “Sch! Sch!” den Benzinao wegscheucht, vermutlich weil er denkt, der will ihm die Radkappen klauen. Ich bleibe ernst “Weil sie in der Reihe “Mit Service” stehen, das kostet ein wenig mehr, dafür wird ihr Auto von dem Herren betankt und sie brauchen nicht mal aussteigen.”
Die Frau guckt ins Leere, und man kann sehen, wie es in ihr arbeitet. Dann bricht es aus ihr heraus “Na, dos gönnsche einem eigentlich mol wer soggn!”
“Ja”, sage ich dann dolmetsche ich noch den Bezahlvorgang der Beiden und gebe ihnen als Tip auf den Weg, dass sie am Sonntag mit ihrer EC-Karte kein Benzin bekommen werden, nur für den Fall, dass sie es noch weit haben. Haben sie aber nicht, “Ei Stückele hinna Tsienna und dann rechts”, da sei das Ziel. Wir wünschen uns eine gute Reise, dann nehme ich die nächste Ausfahrt.
Ich fahre nach Siena hinein und genieße den Samstag Abend in der Stadt, esse zum ersten Mal Porchetta (Schweinefleisch im Brötchen, von der Beliebtheit her der italienische Döner) und höre Straßenmusikern zu. Was für ein entspannter Tag.
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* ich hatte da mal Erlebnisse, dass wollense nicht wissen. Die Leute da reden dermaßen schräg… das fragt man beim Frühstück “Möchten sie Milch” und bekommt als Antwort “Nö”, und DANN sind die Leute beleidigt wenn man ihnen keine gibt.
4 Gedanken zu „Motorradreise 2013 (13): Florenz verkehrt rum“
Eine Geisterfahrt – hihi….
Das kommt von zuviel Videospielen, da macht man das doch ständig, oder?
JhWdwv Dank ist Ihnen nichts passiert und auch sonst niemandem!
Rufus: Ja, genau 🙁
Wdw: JhWdwv?
Jenes höhere Wesen, das wir verehren. Ersetzt “Gott” (Heinrich Böll, Dr. Murkes gesammeltes Schweigen).