In ein Auto setzt man sich rein und fährt los, in der relativen Sicherheit eines geschlossenen Fahrzeugs.
Stellen wir uns einfach mal eine Fahrt durch ein Dorf vor. Plötzlich und unerwartet setzt ein Auto aus einer Einfahrt zurück auf die Fahrbahn, direkt in unsere Spur. Wenn es jetzt zu einer Kollision kommt und wir in einem Auto unterwegs sind wird es mächtig krachen. Im besten Fall werden sich im Anschluß alle Beteiligten aus ihren Airbages wühlen, die Versicherungskarten austauschen und nach Syptomen für HWS googlen.
Der beste Fall in der gleichen Situation, aber bei Kollision mit einem Motorrad bedeutet: Rolle des Fahrers über das Auto, Aufschlag auf der Straße und danach mal gucken, welcher Knochen im Körper nicht gebrochen ist. Motorradfahren, da machen wir uns mal nichts vor, ist im direkten Vergleich scheissend gefährlich. Es erfordert Fitness, und zwar körperlich und vor allem geistig. Dazu gehört grundlegendes Verständnis von Fahrphysik und den Kräften, die da so wirken sowie die Erfahrung, diese Kräfte mal am eigenen Leib und auf dem eigenen Motorrad zu erfahren und zu wissen, wo die Grenzen sind.
Um einmal in einer geschützten Umgebung die eigenen und die Grenzen der Physik auszuprobieren bieten sich spezielle Motorradtrainings an. Ich mache sowas gerne zu Beginn einer Motorradsaison, denn nach 4 bis 6 Monaten Fahrpause muss ich mich jedesmal neu mit dem Motorrad und dem, im Vergleich zum Auto, geänderten Fahrverhalten vertraut machen.
Deshalb habe ich Ostern in Gründau-Lieblos verbracht. Das ist nicht so schlimm wie es sich anhört, im Gegenteil. Gründau ist ein Örtchen im Nordspessart, ca. 40 Kilometer nordwestlich von Frankfurt und umgeben von so historischen und schönen Orten wie Büdinngen und Bad Orb. In letzerem hatte ich mich gemeinsam mit zwei Freunden über Ostern einquartiert, um am Ostersonntag an einem Motorrad-Intensivtraining teilzunehmen. Neben Gründau hat der ADAC nämlich ein große Verkehrstrainingsgelände eingerichtet, mit mehreren Plätzen zum Üben.
Der ungewöhnliche Termin am Ostersonntag um 08.00 Uhr morgens war es wohl, der nur kleine Gruppen zustandekommen ließ. In unserer Gruppe waren gerade einmal 7 Personen, was sehr vorteilhaft ist. Zum einen kann die Übungen öfter fahren, zum anderen kann der Trainer die einzelnen Teilnehmer intensiver beobachten.
Los ging es mit Gleichgewichtsübungen. Zum warmwerden wurde bei voller Fahrt auf dem Motorrad herumgeturnt: Bei 30-50 km/h freihändig stehend, mit den Füßen auf dem Heck kniend, auf einer Fußraste stehend oder im Damensitz mit einem Bein über den Tank gelegt fahren, dass macht man im Alltag ja auch eher selten.
Danach folgten Übungen im langsamfahren. Geübt wurde vor allem das Fahren mit Stützgas, bei dem man gleichzeitig Gas gibt und mit dem Fuß auf der Bremse steht. Das Motorrad zieht sich dadurch auseinander, bleibt stabil und kippelt nicht, während es mit weniger als Schrittgeschwindigkeit fahren kann – eine Technik, die mir in Bergkehren hinter Reisebussen schon sehr geholfen hat.
Die Technik lernt man schon im Basiskurs, im Intensivkurs wird sie in mehr Situationen ausprobiert. Extrem-langsam-Slalomfahren, z.B., oder wenden in einer engen Straße.

Neben Motorräder üben auch PKWs und anscheinend sogar LKW-Fahrer hier das Verhalten in Extremsituationen.
Dazu gab es Übungen wie Anfahren mit Volleinschlag, versetzt Slalomfahren u.ä. – immer und vor allem um die Blickführung zu trainineren, die beim Motorradfahren ungleich wichtiger ist als bei anderen Transportmitteln. Und es ist so, SO! wertvoll, wenn jemand anders mal auf das eigene Fahrverhalten guckt und dieses ggf. korrigiert.
Nach diesen ersten Übungen gab es dann einen abwechselungsreichen Mix aus Theorie und Praxis. Wie ist das mit den unterschiedlichen Kurventechniken? Was ist der paradoxe Lenkimpuls und wie kann man ihn bewusst einsetzen? Wie kann man die Steuerung mit Brems- und Ausweichmanövern kombinieren? Wie verhält sich das eigene Motorrad in extremen Schräglagen auf einer Kreisbahn, oder wenn das Vorderrad kurz blockiert, und wie schnell kommt man auf trockener und nasser Fahrbahn zum Stehen? Wie fühlt es sich an, wenn ich in Schräglage ein Hindernis wie einen Stock überfahre? Diese Dinge mal in einer gesicherten Umgebung ausprobieren zu können ist wirklich, wirklich hilfreich. Am Ende des Tages hat man vielleicht nicht unbedingt neues gelernt, aber man bekommt die eigenen Defizite aufgezeigt, gesagt, an was man arbeiten muss und hat sich als Minimum acht Stunden lang intensiv mit seinem Motorrad beschäftigt, was allein schon wichtig ist um wieder ein Gefühl für die Maschine zu bekommen. Die Heimfahrt lief auf jeden Fall wieder deutlich geschmeidiger als die Hinfahrt zum Kurs.
Mein Tip daher: So ein Training sollte jeder Motorradfahrer machen, mindestens alle zwei Jahre. Muss nicht beim ADAC sein, es gibt auch andere Anbieter, aber machen sollte man sowas. Alleine schon deshab, um sich viele unbewusste Dinge mal wieder bewusst zu machen oder sich gedanklich auf Gefahrensituationen einzustellen und dann einfach zu wissen, was zu tun ist. Im Besten Fall kann man dann in der Eingangs beschriebenen Situation noch ausweichen.
Auch solche Dinge wie Bremswege sollte man sich ab und zu nochmal vor Augen führen:

Bremswege aus 30, 50 und 70 Km/h. Bei 30 Steht die Kiste nach wenigen Metern, bei 70 erst nach 70 Metern.
Und noch eine Erkenntnis: Gerade die Bremsübungen zeigten sehr deutlich, was für einen Sicherheitsgewinn ein ABS bringt – ein Luxus, über den die Renaissance leider nicht verfügt. Wer aber mit dem Gedanken spielt ein neues Motorrad zu kaufen, der sollte Maschinen ohne ABS gleich von der Liste potentieller Kandidaten streichen.
Neben solcher Erkenntnisse gibt es am Ende des Tages beim ADAC ein Zertifikat. Das ist tatsächlich zu was gut: Je nach Versicherung hat die Teilnahme an einem Sicherheitstraining positive Auswirkungen auf die Höhe der KFZ-Versicherung. Beim ADAC selbst bekommt man 6-10 Prozent erlassen, das rechnet sich dann schon. Und: Das Zertifikat berechtigt zu einem echten Hardcore-Training innerhalb der nächsten 24 Monate, dem Perfektionstraining. Da passieren dann solche Schweinereien wie Fahrten über eine Stahlplatte, die einem unvermittelt das Hinterrad wegreisst. Mal gucken, vielleicht mache ich das im nächsten Jahr.
Und am Ende des Tages: Die EIGENTLICHE Belohnung.
War das die Fortsetzung von jenem Training, das du im letzten Jahr gemacht hast und das so unheimlich kräftezehrend war? Ich erinnere mich nicht mehr genau, nur dass da doch was war (viel zu heiss?). Das hier liest sich auf jeden Fall sehr viel entspannter.
Und ich finde es immens angenehm, dass du nicht die ‚ach mir passiert schon nix‘-Einstellung an den Tag legst und dich dafür rüstest, falls doch. Die Motorradfahrer, die ich bisher näher kennenlernte, waren leider alle so drauf. Erinnert mich im Rückblick ein bisschen an die Zeit als ich noch geraucht habe und auch am liebsten alle gesundheitlichen Risiken ausblenden wollte…
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So ungefähr… bei dem, was Du meinst, wollte ich lernen im Gelände zu fahren. Das Intensivtraining hier war eher die Fortsetzung von dem hier: https://silencer137.com/2012/05/26/teilgenommen-adac-fahrsicherheitstraining/
Ich finde es wichtig, nach einem halben Jahr Pause wieder in die Physik des Mopeds reinzukommen. Und bislang habe ich bei jedem Training noch was neues gelernt und mit dem Gefühl weggefahren, dass ich die Kiste jetzt besser beherrsche. Dein Vergleich ist super. Ich kenne auch etliche Leute, die der Meinung sind, dass sei Zeitverschwendung und sie könnten ja alles. Und wie viele irre Heizer es gibt, sehe ich gerade hier im Blog bei der Diskussion um Reifen. Welche, die ich 12.000 Kilometer fahre, verheizen einige in 4.000 Kilometer. Die müssen fahren als hätten sie einen Nagel im Kopf….
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