TOAZ: MPI für Sonnensystemforschung

TOAZ: MPI für Sonnensystemforschung

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Im fiktiven Städtchen Eureka leben nur Wissenschaftler, von denen jeder an seinem eigenen Projekt arbeitet. So ähnlich muss man sich das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung vorstellen: Ein ganzes Haus voller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die alle an ihrem eigenen Ding arbeiten. Hier jagt einer Mikroben, ein Labor weiter wird mit einem Seismographen gemessen ob der Stadtbus pünktlich ist, in einem Nebenraum wickelt der Chef des Instituts noch selbst die Heizspulen für einen neuen Ofen, und im Hangar gegenüber arbeiten Leute in Reinraumanzügen an einem neuen Satelliten, der vielleicht später mal für ähnliche Schlagzeilen sorgen wird wie der Solar Orbiter oder Rosetta, der gerade im Moment den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko umkreist.

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Im Norden von Göttingen ist in den letzten 20 Jahren ein ganz neuer, naturwissenschaftlicher Campus entstanden. Stück für Stück ziehen die naturwissenschaftlichen Institute aus der Innenstadt auf den neuen Campus (nur die Mathematiker nicht, weil Mathematiker NIE machen was man ihnen sagt). Der neueste Zugang ist das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.

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Die Max-Planck-Gesellschaft ist ein Verein, der in München sitzt und 83 Institute in ganz Deutschland unterhält. Zweck des Ganzen ist die Grundlagenforschung, die Finanzierung kommt zum Großteil von Bund und Ländern. Den Verein gibt es seit 1948. Der erste Präsident war der berühmte Chemiker Otto Hahn, der aktuelle heißt Martin Stratmann. Das Logo zeigt übrigens Minerva, die Göttin der Weisheit.

Das neue Institut in Göttingen ist ein architektonisch beeindruckender Bau, sowohl was Größe als auch Design des Innenraums angeht. Das Foyer sieht aus wie eine Mischung aus Guggenheim und Zentrale der Men in Black. Der Eindruck verstärkt sich sogar noch, wenn man weiß, was hinter der Designerfassade vor sich geht.

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Das MPI für Sonnensystemforschung residierte bis vor kurzem in Lindau. Lindau ist ein Dorf irgendwo hinter Northeim, und von dem weiß auch schon niemand wo es liegt. Was macht so ein Institut mitten im Nirgendwo?

“Das ist eine interessante Geschichte!”, sagt Herbert Kreuznacher, während hinter uns eine schwere Doppeltür zufällt und wir einen weißen, sterilen Gang entlanggehen. Der Doktor der Biologie führt eine Gruppe von Alumni der Universität Göttingen durch das Gebäude. “Das Institut hat sich ja hochgearbeitet. Erst haben wir nur Athmosphärenforschung gemacht. Das war im zweiten Weltkrieg wichtig, weil man Langstreckenfunk nutzen wollte. Dabei strahlt man Funksprüche hoch in den Himmel. An der Ionosphäre werden sie reflektiert und kommen zurück zur Erde, und zack, konnte man mit Goebbels in Afrika reden, ohne das die Alliierten mithören konnten. Die Ionosphäre verändert sich dauernd, und das Institut berechnete täglich die erforderlichen Wellenlängen und Abstrahlwinkel. ”

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Wir biegen um eine Ecke. Auch dieser Gang ist strahlend weiß, aber hier stehen überall noch unausgepackte Umzugskartons herum.

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Kreuznacher fährt fort “Das Institut wurde in Mecklenburg gegründet, aber weil es so wichtig war für die Nationalsozialisten, nach Wien verlegt. Nach Kriegsende sollten die Wissenschaftler in die britische Besatzungszone verlegt werden, aber niemand wusste, wohin. Nach langen Diskussionen riss einem General der Geduldsfaden, und er tippte blind irgendwo auf die Landkarte. Sein Finger zeigte auf Katlenburg-Lindau. Dann sollten fünf Lastwagen bereitgestellt werden, um nur das wissenschaftliche Personal nach Lindau zu bringen. Der Soldat, der die Papiere fertigmachte, vertat sich aber um eine Null. Statt 5 standen am Tag der Abreise 50 Lastwagen vor der Tür. Die Wissenschaftler konnten ihr Glück kaum fassen, denn so konnten sie alle Geräte aus Wien mitnehmen und in Lindau, quasi auf dem Acker, arbeiten.”

Kreuznacher wedelt mit seinem Schlüssel über eine Metallplatte, das Türschloß klickt, und wir betreten einen Raum, der bis unter die Decke vollgestopft ist mit Instrumenten, deren Zweck ich nicht mal raten kann. Im Hintergrund dröhnen Pumpen. Sie erzeugen in verschiedenen Kammern ein Vakuum.

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“Klimakammern”, ruft Kreuznacher über den Lärm hinweg. “Vakuum, und Temperaturwechseln zwischen plus hundert Grad und minus hundert Grad, immer hin und her. Die meisten Verbindungen halten das nicht lange aus. Die Amerikaner und Russen haben sowas am Anfang der Raumfahrt nicht gemacht. Denen ist alles zerbröselt. Lötstellen, Schweißnähte… fällt einfach auseinander, bei so extremen Bedingungen. Wir testen alles, was hier gebaut wird.” Dazu zählen vor allem Kameras, aber auch Seismographen, Spektrometer und vieles anders, was man zur Erforschung des Weltraums und anderer Planeten und Kometen brauchen kann. Das MPI ist dabei so gut und erfolgreich, dass fast jede Weltraummission ein Instrument aus Lindau, pardon, Göttingen an Bord hat. Kreuznachers Augen leuchten, wenn er von seiner Arbeit spricht. Es ist ihm anzumerken, wie stolz er auf das ist, was er und seine Kolleginnen und Kollegen im Max-Plank-Institut für Sonnensystemforschung tun.

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Manchmal bauen die Forscher einfach ein Instrument, und bewerben sich auf einen Platz bei einer Weltraummission. “Dabei ist es uns vollkommen egal, ob die Mission von der europäischen ESA, der NASA, den Indern oder den Russen durchgeführt wird. Wir sind alle Wissenschaftler, erst, wenn die Politik uns die Zusammenarbeit ausdrücklich verbietet, hören wir mit dem Forschen auf”, sagt Kreuzinger, und sein Tonfall lässt erahnen, was er von den politischen Auseinandersetzungen dieser Tage hält.

Wir kommen an einer langen Glasfront vorbei, vor der altmodische Walkie-Talkies liegen. “Wer hier arbeitet, hat´s gut”, sagt unser Führer. “Wer DORT arbeitet”, er deutet mit dem Finger auf das Labor auf der anderen Seite der Glasscheibe, “hat´s nicht so gut. Wenn sie HIER arbeiten können sie einen Schluck Kaffee trinken, auf´s Klo gehen, sowas halt. Wenn sie da drin arbeiten, geht das nicht. Das sind Reinräume der Stufe 8. Darin bauen wir Instrumente. Bis man da an seinem Arbeitsplatz ist, muss man durch zig Schleusen und sich bis zu zwei Mal umziehen. Da kann man nicht zwischendurch einfach raus- und wieder reingehen”. Die Walkie-Talkies dienen der Kommunikation mit einem Kontaktmann, der benötigtes Material und Werkzeuge beschafft und in den Reinraum einschleust.

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Über eine Treppe gelangen wir auf das Dach des Instituts. Das Licht der untergehenden Sonne fällt auf einen… Spielplatz? “Aber ja doch”, lächelt Kreuznacher. “Wir haben hier oben auf dem Dach einen eigenen Kindergarten. Wir meinen das ernst mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf.”

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Ein Bürotrakt mit großen Glasflächen liegt exponiert zur Südseite. Ob es hier im Sommer nicht fürchterlich warm wird, will eine Teilnehmerin der Gruppe wissen. “Naaa”, sagt Kreuznacher mit bayerischem Zungenschlag, “Wir haben hier Wandkühlung. Die Wände sind gekühlt, und die Fenster sind alle dreifach verglast. Sehen sie die Gitterstäbe vor den Fenstern? Kleiner Irrsinn des Baurechts. Doppelverglaste Fenster sind definiert als Ausbruchssicher, da kann sich keiner durch zu Tode springen. Dreifachverglasung, die ja noch sicherer ist, ist im Gesetz nicht erwähnt, und wird deshalb behandelt wie Einfachverglasung… unser Architekt wäre fast gestorben, als der Bautrupp anrückte und die Fenster hier vergittert hat.”

Über breite Treppen geht es zurück ins Foyer des Instituts. Unter der Decke hängt Rosetta, die Forschungssonde, die gerade einen Kometen analysiert.

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Der Nachbau ist verkleinert, aber auch in diesem Maßstab beeindrucken die weit ausladenen Solarpaneele. “Die brauchen wir”, sagt Herbert Kreuznacher, “Weil die Europäer sich weigern, Plutonium ins All zu schießen. Russen und Amerikaner haben damit keine Schmerzen, die stopfen ein paar Kilo Plutonium mir einer Halbwertszeit von 90 Jahren in eine Brennkammern und packen die auf den Satelliten. Das Ding hat innen dann eine Temperatur von 200 Grad. Damit kann man ordentlich Strom erzeugen und die Instrumente warm halten. Aber wir machen das nicht, wir setzen auf Solar. Auch, wenn das fehleranfälliger ist.”

Damit ist die kleine Tour auch schon vorbei. Aber einen hat Kreuznacher noch. “Normalerweise kostet ein günstiger Raumflug so um die 70 bis 100 Millionen Euro. Die ESA hat uns mal einen Umsonst angeboten. Der Haken: Es war eine experimentelle Rakete, die unmittelbar nach dem Start explodiert ist. Nun, “There is no free lunch”, wie die Amerikaner sagen. Die französische Fremdenlegion hat unseren Satelliten aus den Sümpfen gepuhlt. Sehen sie hier, in der Vitrine? So sah das Ding vorher aus, und so haben wir es wiederbekommen.”

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Als ich das Institut für Sonnensystemforschung verlasse, bin ich beeindruckt. Wer hätte gedacht, dass die Erforschung des Universums hier, auf dem Nordcampus der Uni Göttingen, geplant und vorbereitet wird. Heureka.

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