Vierzig

Vierzig

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Irgendwann im vergangenen Jahr kam mir plötzlich der Gedanke: An meinem nĂ€chsten Geburtstag, der zufĂ€lligerweise auch der vierzigste ist, möchte ich gerne am Leuchtturm von Genua stehen und ganz allein aufÂŽs Meer hinausblicken. Genau das habe ich getan. Diese Zeilen entstehen in einem kleinen Hotelzimmer in Genua. Das Bild oben zeigt ĂŒbrigens NICHT den Blick vom Leuchtturm aus, sondern die andere Seite von Genua. Der Leuchtturm steht inmitten eines Containerhafens, von dort aus kann man das Meer nur erahnen. Man lernt halt nie aus.

Ich meine, ich hĂ€tte mal irgendwann gelesen, dass man mit 40 innehalten und in den Spiegel sehen und sich dann fragen sollte, wie man seinem 8jĂ€hrigen Ich erklĂ€ren wĂŒrde, was aus einem geworden ist.

Das soll wohl ein schockierender Augenöffner sein, nach dem Motto “Als AchtjĂ€hriger wollte ich Astronaut werden, und nun bin ich BĂŒroangestellter und mache mir nur noch Gedanken darĂŒber, wie ich die ReihenhaushĂ€lfte und den Passat abzahlen soll”. Nun, das trifft auf mich so nicht zu. Zum einen habe ich keinen Passat und zum anderen hatte ich als 8jĂ€hriger ĂŒberhaupt keinen Plan was ich beruflich werden sollte. Vielleicht hĂ€tte ich Astronaut oder Pilot werden wollen, aber schon mit 5 klar war, dass solchen Karrieren aufgrund der schlechten Augen nichts werden wĂŒrde. Ich wusste als achtjĂ€hriger nur eines: Ich wollte unbedingt volljĂ€hrig werden. Weiter dachte ich nicht. Erstmal volljĂ€hrig und unabhĂ€ngig werden. Und dann? Sachen machen, halt. Ohne das wer dagegen was sagen kann. Was fĂŒr Sachen, das wusste ich nicht, aber bis 18 war ja noch soooo lange hin, da wĂŒrde sich schon was finden.

TatsĂ€chlich habe ich dann mit 14 angefangen in Nebenjobs zu arbeiten, was mir ermöglichte sofort nach Abschluss der Schule von Zuhause wegzugehen. Nicht, dass ich es in meinem Elternhaus schlecht gehabt hĂ€tte, aber ich wollte auf eigenen Beinen stehen. UnabhĂ€ngig sein. Das war ich dann auch. TagsĂŒber Studium, Nachts und am Wochenende im Systemgastrononmiemanagement arbeiten. Beides gehörte zu meinem Leben. Nur Studium hĂ€tte mich genauso irre gemacht wie nur Arbeit, aber beides zusammen, das war Balance und machte Spaß. Aber es gab halt nur das: Körperliche Arbeit und geistige Arbeit, aber immer Arbeit.

Irgendwann war auch das Studium vorbei, das dank vieler Experimente lange dauerte. Damals, vor EinfĂŒhrung der BachelorstudiengĂ€nge, war es noch möglich ĂŒber den Tellerrand zu schauen, und hey, ich war ja unabhĂ€ngig und damit niemandem Rechenschaft schuldig.

Nach dem Studium hatte ich die Chance ein Hobbyprojekt zum Beruf zu machen, stark vereinfacht gesagt.Aber das ging mit der Pflicht einher, die Verantwortung fĂŒr ein ganzes Unternehmen und alle darin beschĂ€ftigten Menschen zu ĂŒbernehmen. Zum GlĂŒck war ich nicht allein, aber wir hatten damals etliche schlaflose NĂ€chte. Ich hĂ€tte mich aber in den Hintern gebissen, wenn ich es nicht probiert hĂ€tte. Denn vor Verantwortung laufe ich nicht davon. Das Streben nach UnabhĂ€ngigkeit und die Bereitschaft Verantwortung zu ĂŒbernehmen, das sind wohl zwei Leitmotive in meinem Leben.

Ich war auch irgendwann bereit die Verantwortung fĂŒr eine Familie zu ĂŒbernehmen und habe das auch getan. Es war eine der schönsten Phasen in meinem Leben. Letztlich kam es dann vor dreieinhalb Jahren dazu, dass ich mich von vielem lossagte. Es war eine schwere und schmerzhafte Zeit, an deren Ende viele Taue gekappt waren.

Ich bin seitdem so unabhĂ€ngig wie man es nur sein kann, ich trage privat nur fĂŒr mich Verantwortung, und ich kann jetzt Sachen machen, und zwar was auch immer, ohne von Pflichten oder schlechtem Gewissen anderen gegenĂŒber eingeschrĂ€nkt zu werden: Ich kann an der Volkshochschule lernen was ich will, ich kann aus Spass an der Freude Themen meiner Wahl journalistisch oder wie auch immer angehen oder mich genauso gut am Abend in ein Videospiel vertiefen.

Ich kann tun und lassen was ich will, weil ich alleine bin. Das ist in der jetzigen Lebensphase genau das richtige und passt gut zu meiner Persönlichkeit: Ich bin eher introvertiert, d.h. ich kann gut und lange mit mir allein sein. Ich habe gerne Geheimnisse. Ich plane gerne. Also tue ich seit diesem Umbruch vor dreieinhalb Jahren etwas, dass ich vorher noch nie getan hatte: Nach kurzer Starthilfe sah ich mir die Welt an und machte Sachen. Wobei WELT relativ ist – ich mag Europa, und so lange der Körper noch mitmacht, möchte ich das intensiv erfahren. Deshalb baute eine Kawasaki zum Reisemotorrad um, nannte Sie Renaissance, passend zur RĂŒckbesinnung auf den Menschen als Mittelpunkt, und ging mit ihr auf Reisen. Amerika kann ich mir auch noch ansehen, wenn die Kniegelenke nicht mehr mitmachen.

In den letzten dreieinhalb Jahren habe ich gut 25.000 Km durch Europa zurĂŒckgelegt, mit dem Motorrad und per Bahn. Ich habe neue Sprachen gelernt. Ich habe mir das Kochen beibringen lassen. Ich habe coole PlĂ€tze entdeckt und kenne mich jetzt in etlichen der faszinierendsten StĂ€dte unseres Kontinents so gut aus, das ich nicht nur keinen Stadtplan brauche, sondern auch weiß, wo es den besten Kaffee gibt.

Durch das Entdecken von anderen Orten habe ich auch viel ĂŒber mich selbst rausgefunden. Ich bin verdammt gut in der Vorplanung und noch viel besser im Improvisieren. Ich bin im Laufe der zeit hĂ€rter geworden, ertrage weniger Bullshit und trenne mich schneller von Allem, was mir nicht gut tut. Wenn ich mit etwas unzufrieden bin, dann jammere ich nicht, dann Ă€ndere ich es. Wenn ich etwas will, sorge ich dafĂŒr das es passiert. Der beste Beweis dafĂŒr ist, dass diese Zeilen in einem Hotelzimmer in Genua enstehen. Ich tue Dinge gerne alleine, weil ich dann weiß, dass alles nach meinen Vorstellungen lĂ€uft und ich mich nicht auf andere verlassen muss. Ich weiß nun was ich kann, komme mehr als gut alleine klar und habe meine Grenzen immer noch nicht wirklich gefunden und bin immer wieder erstaunt, was noch alles so geht.

Das ich nun vierzig geworden bin bedeutet mir nichts. Ich habe Leute in meinem Bekanntenkreis, die glaubten, dass damit quasi das Leben vorbei sei, und seit der großen 4 ihr wahres Alter verleugnen oder der Jugend hinterhertrauern. Um Himmels Willen, ich will alles, aber bloß nicht noch einmal jung sein. Ich bin froh, dass ich den ganzen Unsinnskram der Teen- und Twen-Zeit hinter mir habe. Ich bin froh, dass mein Leben so ist wie es ist. Ich bin in einer privilegierten Situation, das ist mir klar.

Das der KilometerzÀhler nun auf eine runde Zahl umgesprungen ist hÀlt den Motor nicht davon ab, weiter die beste Leistung zu bringen. Ich habe noch viel vor.

Ich glaube, mein achtjÀhriges Ich wÀre ziemlich zufrieden mit mir.

12 Gedanken zu „Vierzig

  1. Wir sind uns wirklich sehr Ă€hnlich 🙂
    UnabhÀngig davon dass wir beide WassermÀnner sind.
    Aber dennoch – ein gewisser Freiheitsdrang, Neugier und Wissensdrang wird dem Sternzeichen ja nachgesagt, könnte doch was dran sein.
    Alles Gute nochmal!

  2. ich bin auch Wassermann 14. Februar. WassermĂ€nner sind neugierig, Neuem immer aufgeschlossen,phantasievoll, kreativ und das liebenswerteste Sternzeichen ĂŒberhaupt. Was ich nicht kann , ist auch eine typische Eigenschaft des Wassermanns , ich kann nicht mit Geld umgehen. Und ich liebe das Chaos.
    Wenn WassermÀnner sich finden, habe ich so festgestellt, das ist immer eine sehr spontane Freundschaft die lange hÀlt.

  3. Stefan: Tatsache, da ist wohl jemand mit einem Streetview-Rucksack da langmarschiert. Wie man auf Deinem Link schön erkennt: Die Gassen sind echt abgefahren eng und zu jeder Seite stehen mindestens 5stöckige HÀuser, Klaustrophobisch darf man da nicht sein.

    Leandrah: Der Galueb an das Gute. Halt daran fest.

    WdW & RĂŒdiger: Danke!

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