Motorradreise 2014 (16): Lose Enden

Motorradreise 2014 (16): Lose Enden

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Im Juni 2014 war Silencer auf Motorradtour durch Europa. 24 Tage, 7.187 Kilometer, durch sechs ein Viertel Länder. Am 18. Tag gibt es Geldsorgen, Abhöranlagen und einen Berg, den niemand ernst nimmt.

Montag, 23. Juni 2014, Siena, Toskana

Nach 18 Tagen on the road bin ich ein wenig reisemüde. Ich habe das Gefühl in den vergangenen dreieinhalb Wochen so viel erlebt zu haben wie sonst in einem Jahr nicht. Obwohl ich zwischendurch immer mal wieder Ruhetage hatte, fühle ich mich nun… erschöpft. Ich hätte nichts dagegen, jetzt so langsam den Heimweg anzutreten.

EIGENTLICH hätte die Reise jetzt auch enden sollen, aber dann… fand eine Leserin des Blogs noch diesen einen Ort, schickte mir ein Bild davon und ich beschloss auf der Stelle: Den muss ich sehen. Tja, und deshalb dauert das Ganze hier noch etwas länger. Die Etappe zu diesem Ort flößt mir übrigens Respekt ein. Es geht hoch ins Gebirge, und als ob das nicht schon fordernd genug wäre, ist für den Zeitraum und die Region eine Unwetterwarnung rausgegeben worden. An diesen speziellen Ort geht es aber erst Morgen, heute bin ich noch einen letzten Tag in Siena und will endlich ein paar Sachen machen, die ich bei meinen Besuchen zuvor nie geschafft habe.

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Zuerst aber heißt es Tanken, und das an der AGIP-Tankstelle von Fausto, dem alten Benzinao, der wegen seiner schlechten Zähne immer so langsam und deutlich spricht, dass ich ihn prima verstehe. Er war es, der mir das wort “pieno”, volltanken, und das System des “Fai da te” (do it yourself-Tanken) beigebracht hat. Ich erwarte nicht, dass er mich wiedererkennt, als ich ihn mit Namen anspreche. Dann sieht er mich einen Moment an, streicht sich mit den Händen übers Gesicht und sagt: “Wusste ich doch, dass ich Dich schon mal gesehen habe. Ich habe dir doch letztes Jahr gesagt, dass Du wieder nach Siena kommen wirst!”.
Erstaunlich, der Mann.

Der erste Ort auf der Liste ist San Quirico d´Orcia, 30 Kilometer südlich von Siena. Das Tal des Flusses Orcia ist vermutlich das meistfotografierte der Welt. Dieses typischen Bilder der Toskana, die immer in Zeitschriften oder auf Postkarten verwendet werden und auf denen man alte Steinhäuser auf sanften Hügel, Sonnenblumen und Zypressenalleen sieht, die sind in der Regel an einer von zwei Straßen in San Quirico aufgenommen. Im Ernst. HIER ist das Bild, dass alle immer von der Toskana im Kopf haben. Der Ort selbst ist winzig, und mit seiner unaufgeregten und aufgeräumten Art fast niedlich.

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Ich will den Spaziergang durch den Ort nutzen um Geld mit der Kreditkarte abzuheben – wieder ohne Erfolg. Nachdem in den vergangenen Tagen schon verschiedene Automaten den Dienst verweigerten, mit absurden Begründungen wie, dass das Kredikartennetz sei ausgefallen, meint heute ein Automat, meine Karte sei gar nicht für internationale Abhebungen geeignet, und ein anderer bricht einfach so ab. Das ist jetzt das fünfte Mal das ich ohne Erfolg versuche Geld abzuheben. Ich habe zwar Bargeldreserven im Motorrad, aber die sollen eigentlich auch nur in Notfällen angetastet werden, wenn mir jemand die Kreditkarten klaut oder so.

Ich suche mir eine Bank im Schatten der Dorfkirche und telefoniere mit meiner Bank in Deutschland. Die DKB lockt gerne damit, dass ihre Kreditkarte auch im Ausland kostenlos ist, aber bei mir gibt es bei längeren Auslandsreisen irgendwie immer Probleme. So auch diesmal. Obwohl die Karte gedeckt ist, ist sie durch Autorisierungsvormerkungen blockiert. Die Sachbearbeiterin in Berlin löscht die, dann bekomme ich an einem Automaten zumindest einen kleinen Geldbetrag ausgezahlt. Immerhin. Dennoch: So komischer Kram passiert auch im Jahr 2014 noch, und deshalb verlasse ich mich nicht auf Kreditkarten allein, sondern habe immer mindestens so viel Bargeld dabei, wie ich für den nächsten Tag für Übernachtung und Benzin brauche.

Fragen sie nicht.
Fragen sie nicht.

Einen Caffé später und mit etwas besserer Laune kurve ich irrsinnig steile 20%-Steigungen zum Ort Castiglione d´Orcia hoch. Der liegt auf einem Fels, der aus der sanften Landschaft des Orcia-Tals heraussteht wie eine Haifischflosse aus einem Goldfischteich. Die Renaissance lasse ich auf halbem Weg auf einem Parkplatz zurück, und klettere weiter den Berg hoch.

Der ganze Ort scheint übereinander gebaut zu sein, und ich schnaufe beim Anstieg ganz schön, zumal es schon wieder sonnig und heiß ist. Als ich endlich die alte Festung Rocca di Tentennano auf der Spitze des Felsens erreiche weiß ich aber, warum ich mir das alles angetan habe. Der Turm der Burg ist noch erhalten, und nachdem ich die steilen Metallstufen im Inneren erklommen habe, bietet sich ein Ausblick weit über das Land.

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Am Fuße des Turms war es windig und etwas kühl, hier oben ist es warm und windstill, und Fliegen summen um mich herum. Seltsam.

Wieder vom Turm und vom Berg hinabgestiegen fahre ich weiter nach Süden. Der höchste Berg der Toskana ist der Monte Amiata. Wobei “hoch” relativ ist, mit 1.738 Metern ist der Monte Amiata unspektakulär und kann froh sein, dass keine echten Berge in der Nähe sind. Die würden ihn nämlich die ganze Zeit auslachen und hänseln. Weil er so ein Miniberg ist, ist der Gipfel oper Straße erschlossen. Die istkurvig und lässt sich wunderbar fahren, und ich genieße es so dahinzuschwingen und alle Zeit der Welt dafür zu haben. Die Straße führt durch dichte, dunkle und kühle Kastanienwälder, durch deren dichtes Blätterdach die Sonne Lichttupfer auf den Asphalt zaubert.

Als ich am progammierten Navpunkt ankomme bin ich verwirrt – es handelt sich um eine alte Liftstation, deren Skilift zum Gipfel führt. Der Monte Amiata ist also auch ein Skigebiet – mitten in der Toskana! Wer hätte das gedacht. Trotzdem muss es noch höher hinauf gehen, und nach kurzem Suchen finde ich eine weitere Straße.

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Zehn Minuten später ist wirklich das Ende der Fahnenstange und der Gipfel des Bergs erreicht. Dann gilt es noch 10 Minuten zu Fuß rumzukraxeln, und schon stehe ich vor verfallenen Abhöranlagen. Ein Stück weiter gibt es noch mehr Altmetall: Das Gipfelkreuz.

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Das erste Mal gibt es Ausblick. Da waren nämlich ansonsten Bäume davor, der Zwergberg ist nämlich nicht nicht hoch genug um die Baumgrenze zu durchstoßen. Ja, wenn der Amiata nicht alleine hier stünde, seine Bergkollegen würden ihn auslachen. Aber so ist er King.

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Wieder geht es schwungvoll durch die Landschaft. Motorradfahren in der Toskana ist was Herrliches. Es gibt die großen, gut ausgebauten Landstraßen mit weiten Kurven und geraden Abschnitten, auf denen man gefahrlos überholen kann. Verlässt man die Hauptverkehrswege und sucht sich kleinere Straßen, wird man alle paar Meter überrascht. Steigungen und Kehren wie im Gebirge wechseln sich mit schattigen Alleen ab, verdrehte Straßen schlängeln sich durch Felder, Haarnadelkurven sorgen für Spannung. Kurz: Als Fahrer muss man sich und seine Maschine ständig bewegen, sie drücken und legen, von einer Seite zur anderen, und wird nicht nur mit dem Fahrerlebnis, sondern auch immer wieder mit grandiosen Aussichten belohnt. Verkehr gibt es hier nicht viel, so dass man wirklich der Maschine freien Lauf lassen und alles genießen kann. Diese, ähm, Freude am Fahren, die man hier viel lohnender und dabei ungefährlicher genießen kann als an vielen anderen Orten, die ist es, weshalb ich so gerne immer wieder in diese Region südlich von Siena zurückkehre.

Die Südpassage: Von Siena nach Süden über San Quirico d´Orcia zum Monte Amiata, von dort nach Montalcino und zurück nach Siena.
Die Südpassage: Von Siena nach Süden über San Quirico d´Orcia zum Monte Amiata, von dort nach Montalcino und zurück nach Siena.

Als nächste steuere ich nach Montalcino. Das Bergnest versuchte ich schon in den vergangenen zwei Jahren zu besuchen. Ich war sogar jedesmal hier, aber dann brannte die Sonne stets so heiss, dass ich mich nicht überwinden konnte das Motorrad stehen zu lassen und den Bergort zu erklettern.

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Heute ist es kühler, der Himmel hat sich zugezogen und der Wind hat aufgefrischt. So ist es wesentlich angenehmer den Ort zu erkunden, allerdings gibt überraschend wenig zu sehen – bei dem berühmten Namen hätte ich gedacht, dass es hier mehr gäbe als lediglich ein paar Weingeschäfte und Restaurants. Selbst die Festung mit ihren, von außen eindrucksvollen, Mauern ist im Inneren zu 90 Prozent leer, und zu 10 Prozent eine Weinhandlung. Nunja.

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Nachdem ich in Montalcino alles gesehen habe, geht es zurück nach Norden, an Siena vorbei und noch einmal nach Monterrigioni, dann zurück nach Siena.

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Kurze Nordschleife: Abstecher nach Monteriggioni.
Kurze Nordschleife: Abstecher nach Monteriggioni.

Dort kaufe ich einen Kalender, der mich spontan anspricht, der sich im Nachhinein aber leider als zu groß für die Koffer herausstellt. Als ich die Stadt an diesem Abend mit einem Eis in der Hand verlasse, habe ich das Gefühl alles abgehakt zu haben. Die letzten weißen Flecken auf meiner Inneren Landkarte sind erschlossen, und ich kann sagen: In und um Siena herum kenne ich die wichtigsten Orte und mich ein wenig aus. Ich mag es, wenn ich mich irgendwo auskenne. Dann ist nämlich jeder weitere Besuch wie ein nach Hause kommen. Die Fremde ist nicht mehr fremd, und sich an mehr als einem Ort zu Hause zu fühlen kann nicht verkehrt sein.

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Zurück im Casa Brescia lerne ich das erste Mal Virginia kennen, Stefanos Verlobte – wunderhübsche Frau, die mittlerweile ein eigenes Haus in Siena als Bed & Breakfast führt.

Dann beginnt das Packen der Koffer. Das ist gar nicht mehr so einfach, denn mittlerweile haben sich so etliche Einkäufe angesammelt, die alle erst einmal untergebracht werden müssen. Morgen geht es dann ins Gebirge, an einen unwirklichen Ort und mitten in ein Unwetter. Man, bin ich aufgeregt.

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Die ganze Reise:

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