Reisetagebuch Paris (2): Das neueste Testament und die falschen Monster
Freitag, 24. Oktober 2014, Paris
Man kann nicht wirklich sehen ob es nun regnet oder nicht – zu eng und hoch ist der kleine Innenhof, in den das Fenster meines Hotelzimmers zeigt. Auch als ich durch die groĂen Scheiben des FrĂŒhstĂŒcksraums im ErdgeschoĂ blicke und dabei Croissant mit Marmelade und ein StĂŒck Baguette mĂŒmmele, erschlieĂt sich das Wetter immer noch nicht richtig. Der Himmel ist grau und dunkel, die StraĂe könnte nass sein – oder das Kopfsteinpflaster schimmert lediglich so, weil es uralt und glattgewetzt ist.
TatsĂ€chlich regnet es nicht, als ich mich gegen 09.00 Uhr auf den Weg mache. Um diese Zeit wacht Montmartre gerade auf, und das auch nur gaaaanz langsam. Die Obstfrau schwatzt schon mit dem BĂ€cker, aber der Feinkostladen daneben hat noch geschlossen. In den CafĂ©s, die die StraĂe sĂ€umen, ist schon ein wenig los, aber die meisten GeschĂ€fte werden gerade erst beliefert.
Die Metro bringt mich in einer halben Stunde zur Ăle de la CitĂ©. FrĂŒher, also so 400 Jahre frĂŒher, war die Insel in der Seine die Keimzelle von Paris. Damals unterschied man zwischen Paris/Stadt (das war die Insel), Paris/Dorf (die Stadt am Ufer der Seine) und dem Pariser Umland. Die Stadt war fest in der Hand der Kirche, das Dorf wurde von den UniversitĂ€ten dominiert, und das Land… das baute Kohl oder sowas an.
Heute ist die Insel hauptsĂ€chlich von drei groĂen GebĂ€udekomplexen bedeckt: Dem Justizpalast, dem Hospital und Notre Dame. Die Kathedrale will ich mir heute ansehen, zuerst die TĂŒrme. Als ich der gothischen Kathedrale gegenĂŒberstehe, bin ich gleichzeitig beeindruckt und ergriffen von dem ĂŒberbordenden Bauwerk. Ich weiĂ noch, dass ich total unbeeindruckt war, als ich das erste Mal hier war. Ich dachte sowas wie “DAS Ding soll so berĂŒhmt sein? Ist doch nur eine Kirche, und eine halbfertige noch dazu, die hat ja nicht mal ein Dach!”. Und das war das. Aber damals war ich 15 oder so, heute bin ich ein anderer.
Das Innere von Notre Dame wird von der Kirche selbst verwaltet. Der Eintritt ist kostenlos, und es gibt sogar GratisfĂŒhrungen. Um 09.30 Uhr öffnet die Kirche, und noch ist erstaunlich wenig los vor dem groĂen Portal. Ich ignoriere das und gehe links an Notre Dame vorbei. Hier, in einer Gasse an der Seite der Kirche, ist der Eingang zu den TĂŒrmen. Die Besichtigungen werden vom Staat organisiert, weshalb sie etwas kosten. Was den Besuch auf Notre Dame so ressourcenintensiv macht ist aber weniger der Eintrittspreis als vielmehr die Wartezeit. Da es im Inneren der TĂŒrme so eng ist, das eine winzige, schmale Wendeltreppe sowohl fĂŒr den Auf- als auch fĂŒr den Abstieg benutzt werden muss, werden alle 10 Minuten nur ca. 20 Besucher eingelassen. Zumindest in der Theorie, tatsĂ€chlich sind es eher 15 Besucher alle 20 Minuten.
Als ich eine Viertelstunde vor der Ăffnung in der SeitenstraĂe eintreffe, stehen dort schon ca. 40 Leute und spielen an ihren Smartphones und Kameras rum. Ich tue es Ihnen gleich, und nach rund 45 Minuten darf auch ich in den Turm eintreten und mich die Treppe hochquetschen.
Unversehens endet die nach wenigen Metern wieder, und ich stehe in einem groĂen Raum mit Andenken und Kinkerlitzchen. Hier kauft man ein Ticket. Es gibt eine Warteecke, in die ich mich probeweise stelle. Sofort stehe ich bis zur HĂŒfte in schnatternden Japanerinnen. Das gefĂ€llt mir nicht, und deshalb ignoriere ich alle “Bitte warten sie hier”-Schilder und gehe wieder ins Treppenhaus mit der engen Wendeltreppe. Ein gelangweilter Mitarbeiter reisst meine Karte ab, und ich darf in den Turm hinaufklettern. TatsĂ€chlich sagt einem keiner, wann es mit der Warterei genug ist. Die Japanerinnen sehe ich den Rest der Tour nicht wieder, vielleicht warten die immer noch.
Die Treppe wendelt sich eng und steil im Turm empor. Keine Ahnung womit der ansonsten gefĂŒllt ist – die TĂŒrme von Notre Dame sind doch so groĂ, warum muss die Treppe so schmal sein? Hinter mir schnauft eine deutsches Muttertier als wĂŒrde sie gleich umkippen, hĂ€lt sich aber wacker. Insgesamt muss man in Notre Dame 400 Stufen hochsteigen. Es gibt keinen Lift, nichts ist barrierefrei, das Treppenhaus ist eng und weitgehend fensterlos, und Toiletten gibt es selbstredend auch nicht.
Nach 46 Metern Höhenunterschied öffnet sich das Treppenhaus und es geht hinaus ins Licht. Hier ist die Panoramagalerie, von der aus man die Wasserspeier an der Fassade ganz aus der NÀhe sehen kann. Ich finde sie genial. Ich mag die stummen WÀchter, die von oben auf die Stadt blicken, Tag und Nacht, bei Sonne, Regen und Schnee. Was die wohl schon gesehen haben? Gargoyles fand ich schon immer klasse.
Dabei wurden die Gargoyles von Notre Dame nachtrĂ€glich zur Kirche hinzugefĂŒgt, bei einer Restaurierung, und entsprangen der Fantasie des Renovators. Der ist ein alter Bekannter. Mit Eugene Violett-LeDucs Werk habe ich erst im Sommer Bekanntschaft gemacht. Er war es, der Carcasonne erhalten und fantasievoll âVerbessertâ hat. Bei Notre Dame war es Ă€hnlich.
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Die Geschichte mit der Renovierung
Heute kennt Notre Dame jedes Kind, und besonders bekannt ist das Bauwerk wegen seiner grotesken Figuren und Wasserspeier, die von der Fassade auf die Stadt hinabblicken. Das war nicht immer so.
Anfang des 19. Jahrhunderts war Notre Dame eine Ruine. Die Kathedrale auf der Ăle de la CitĂ© verfiel seit Jahrhunderten. Das sie wĂ€hrend in der französischen Revolution stark beschĂ€digt und als Lager benutzt worden war hatte den Verfall nur beschleunigt. Dann aber schrieb ein gewisser Victor Hugos einen Roman ĂŒber die Kathedrale. âDer Glöckner von Notre Dameâ wurde 1831 ein riesiger Erfolg, und plötzlich interessierten sich die Leute wieder fĂŒr die Kirche und spendeten fĂŒr die Renovierung.
Mit den Arbeiten wurde EugÚne Violet-le-Duc beauftragt, der danals bereits einen Ruf hatte. Nicht den besten, aber immerhin einen Ruf. Er zog nÀmlich mit einer Horde Restaurierungsvandalen durch die Welt und renovierte alles, was nicht bei drei auf den BÀumen war. Allerdings tat er das mit viel KreativitÀt. Die DÀcher von Carcassonne? Eine Erfindung von Violett-Le-Duc.
Violett-Le-Duc rettete Notre Dame, aber er nutzte auch hier die Gelegenheit einige Dinge hinzuzufĂŒgen, die da eigentlich nicht hingehören. Der groĂe Turm in der Mitte des Kreuzdaches, zum Beispiel, den gab es so bis dahin nicht, aber Violett-Le-Duc fand, ein Steinturm wĂŒrde sich an der Stelle gut machen.
Zu den Dingen, die Violett-Le-Duc nach eigenem GutdĂŒnken an die Kirche montierte, gehörten auch die Gargoyles – sie seien aber âabsolut authentisch wie im Mittelalterâ, versicherte er, nachdem er zugeben musste sie sich ausgedacht zu haben.
AuĂerdem befinden sich dem Dach, rund um den neuen Turm, Figuren von Heiligen, die von diesem zentralen Punkt der Kathedrale aus ĂŒber Frankreich sehen. Alle auĂer einem, der genau in die andere Richtung blickt und fast bewundernd auf den Turm schaut.
Diese Statue trĂ€gt die GesichtszĂŒge von EugĂšne Violett-Le-Duc. Und das ist nicht die einzige Stelle, an der er sich verewigt hat: Um die Fassade von Notre Dame lĂ€uft eine Galerie von Heiligenfiguren. WĂ€hrend der Revolution fehlinterpretierte der Pöbel die als Königsfiguren und zerschlug sie. WĂ€hrend der Restaurierung wurden die Figuren neu geschaffen, und die achte von Links trĂ€gt das Gesicht von⊠EugĂšne Violett-Le-DucâŠ
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Das Wiesel versucht gleich Freundschaft mit den Gargoyles zu schlieĂen und geriert sich probeweise als neues Monster in der Galerie der steinernen WĂ€chter.
Nachdem man sich ein wenig an der Fassade rumgedrĂŒckt hat geht es weiter nach oben. Das mit dem RumdrĂŒcken ist wörtlich gemeint. Teilweise ist der Durchgang zwischen Fassade und GelĂ€nde der Panoramagalerie nur 30 Zentimeter breit. Amerikanische Durchschnittstouristen wĂŒrden da drin stecken bleiben, vorausgesetzt sie kĂ€men ĂŒberhaupt hier hoch. Der nĂ€chste Aufstieg ist wieder eine Wendeltreppe, aber NOCH enger und diesmal mit einer Stufenbreite von nur 15 Zentimeter. Man muss also nicht nur eine steile Treppe mit ausgetretenen Stufen hinaufklettern – man muss das auf Zehenspitzen tun!
Hat man den Balanceakt geschafft, wird man dafĂŒr mit einem sehr tollen Blick ĂŒber Paris belohnt. Montmartre, Eiffelturm, Tour Montparnasse, das Massiv der Wolkenkratzer von La Defense – alles kann man von hier aus sehen.
Wo ich schon mal auf der Ăle de la CitĂ© bin, begebe ich mich zum Justizpalast. Der GebĂ€udekomplex beherbergt alle wichtigen Institutionen der französischen Rechtsprechung und bedeckt fast ein Drittel der Insel.
Direkt neben dem Justizpalast steht Sainte Chapelle, eine Kirche, die als eines der schönsten gotischen Bauwerke ĂŒberhaupt gilt. Und das stimmt auch. Allerdings bin ich erst ein wenig unterwĂ€ltigt, weil die Kirche nur aus einem niedrigen Raum zu bestehen, der zudem noch mit AndenkenstĂ€nden vollgerĂŒmpelt ist.
Ich will schon wieder gehen, als ich begreife, dass dies nur die Krypta ist – eine versteckte Treppe hinauf und um eine Ecke gebogen stehe ich in der wirklichen Kirche – und bin sehr beeindruckend. Gothische Architektur zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr dem sakralen, dem himmelwĂ€rtigen zugewandt ist. Alles strebt nach oben und in den Himmel. Im Fall der französischen Gotik kommt oft ein elaboriertes Spiel zwischen Architektur und Licht hinzu. Mit groĂen, schmalen Fenstern und dem Einsatz von Buntglas werden ganz besondere Stimmungen geschaffen, und Sainte Chapelle ist das Meisterwerk dieser Kunst. Die Kirche war nur fĂŒr den König Saint Louis und seine Ritter gedacht, und dem entsprechend prĂ€chtig ist sie.
FĂŒnfzehn riesige Fenster aus buntem Glas dominieren den Innenraum. Sie sind so groĂ, dass massive Einfassungen aus Schmiedeneisen eingezogen sind, weil sie sonst unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen wĂŒrden. Vierzehn der Fenster liest man zeilenweise von unten links nach oben rechts. Sie erzĂ€hlen Geschichten aus dem alten und neuen Testament, der ĂŒbliche Kirchenkram, halt. Das fĂŒnzehnte Fenster aber hat es in sich. Es wird als Bustraphedon gelesen, das heisst von links nach rechts, dann eine Zeile hoch, dann von rechts nach links, wieder eins hoch und wieder von links nach rechts usw. das wirklich ungewöhnliche ist, dass das Fenster die Geschichte von Louis zeigt, als direkte Fortsetzung des neuen Testaments. Es zeigt ihn, wie der die Dornekrone Christi als Reliquie kauft, und damit seine Untertanen zum neuen, auserwĂ€hlten Volk macht und fortan anfĂŒhrt. Ganz schön gröĂenwahnsinnig, der Mann, aber die Franzosen verehren ihn bis heute als Heiligen.
Sainte Chapelle liegt in einem Innenhof des Justizpalasts. Hier marschieren stĂ€ndig bewaffnete Polizisten durch die Gegend, und in einem Hauseingang steht eine Richterin und raucht verstohlen. In einem Nebenbau des Palasts findet sich die Conciergerie. Ich habe ein Kombiticket fĂŒr Sainte Chapelle und hier vorbestellt gehabt, aber das bringt gar nichts – hier wie da muss ich in der gleichen Schlange mit denen anstehen, die noch kein Ticket haben, zumindest bis der Sicherheitscheck hinter uns liegt. Röntgenscanner, Metalldetektor, Rucksack durchwĂŒhlen – das volle Programm, sowohl vor der Kirche als auch in der Conciergerie. Lustigerweise fangen beim Anblick des Wiesels, das sich zusammengerollt in meinem Daypack durch die Gegend tragen lĂ€sst, immer gleich alle Wachen an zu lachen und winken uns durch. Das ist gut, denn dem Wiesel gefĂ€llt das, und so bleiben uns unschöne Szenen wie in London erspart. Wenn die Wachen wĂŒssten, dass Wiesel die anarchistischsten Tiere ĂŒberhaupt sind, wĂŒrden sie nicht so sorglos mit diesen Mardertieren umgehen.
Die Conciergerie hat in ihrem Inneren den gröĂten gotischen Gewölbesaal der Welt. Der ist gerade mit einer Ausstellung zu Saint Louis gefĂŒllt. Widerlichste Heldenverehrung bar jeder historischen RealitĂ€t – als wĂ€re die Ausstellung von der Kirche selbst kuratiert worden. Wir bewegen uns etwa auf “und hier bringt unser strahlender Held, dem schon im Alter von vier Jahren die Heiligkeit aus den Ohren tropfte, den dummen Wilden den wahren Glauben.” Vollkommen unwissenschaftlicher Mist. Lediglich eines der ausgestellten Bilder finde ich interessant. Aigues-Mortes am Meer. Das Tor kenne ich nĂ€mlich… …bei genauerer Betrachtung ist das Bild aber kein Zeitdokument, sondern pure Fantasie aus dem Jahr 1991.
Spannender ist da schon die Zelle von Marie Antoinette, in der sie ihre letzten Wochen verbrachte, bevor sie Bekanntschaft mit der Erfindung von Monsieur Guillotine machte. Die Zelle war in eine SĂŒhnekappelle verwandelt worden. Hier betete Marie-Antoinette um Vergebung, wĂ€hrend sie die WĂ€chter im Auge behielten.
Die Conciergerie war nÀmlich lange Zeit auch ein GefÀngnis. Je nachdem wieviel Geld der Gefangene hatte, bekam er eine Einzel- oder Mehrbettzelle. Hatte er kein Geld oder es ging ihm aus, oder die Familie wollte nicht mehr zahlen, ging es zu den Armen in die unteren Stockwerke. Hier vegetierten mehr als 500 Gefangene in einem Raum zusammegpfercht vor sich hin. Unschön.
Der Rundgang durch die Conciergerie endet mit einer Zusammenfassung der französischen Revolution, und wie sich diese durch die eigene Unwucht schlieĂlich zerlegte, der Staat den Terror erfand und schlieĂlich die RevolutionĂ€re selbst dran glauben mussten. Robespierre verbrachte seine letzten Stunden in der Conciergerie. Er hatte versucht sich mit einer Pistole das Hirn rauszublasen, sich aber nur den Unterkiefer weggeschossen. So verblutete er langsam in diesen RĂ€umen, bis man ihn – mehr tot als lebendig – auf die Guillotine schaffte.
Nach so viel Mord und Totschlag gönne ich mir erst einmal was Schönes. Berthillon macht das anerkannt beste Eis von Paris, und Pistazie und weiĂen Nougat mit HonigstĂŒcken kann ich nur empfehlen. Solche QualitĂ€t hat ihren Preis: Eine Kugel kostet 2,50 Euro. Mit dem Eis in der Hand geht es an Notre Dame vorbei und ĂŒber eine BrĂŒcke zur Nachbarinsel, der Ăle de Saint-Louis.
FrĂŒher war die kleine Nachbarinsel der Ăle de la CitĂš voller WĂ€schereien, heute ist sie voller uriger, kleiner LĂ€den und vielen KĂŒnstlerateliers und Teesalons. Hier ist es viel ruhiger, nur wenige Touristen verlaufen sich hier hin. Auf dem RĂŒckweg komme ich am Pont des ArtevĂȘchĂ© vorbei. De BrĂŒcke verbindet den Garten von Notre Dame mit der Stadt und ist vollgehĂ€ngt mit tausenden von Schlössern. Ich finde das ja doof, ein Schloss als Symbol der Liebe. Liebe sollte frei sein und nicht eingesperrt. Und doof aussehen tut es auch:
Als ich am Ufer der Seine langbummele, unter den gelbroten HerbstbĂ€umen, und der Blick ĂŒber Notre Dame und die Boote schweift, wird mir schlagartig bewusst: Ich bin in Paris. ICH BIN IN PARIS!!
Dem Wiesel gefÀllt es hier auch, es wieselt die herbstlich-bunten BÀume hoch und runter, erschreckt Touristen und verlangt fotografiert zu werden.
MerkwĂŒrdig ĂŒbrigens: Es gibt in der Pariser Innenstadt sehr wenige LebensmittelgeschĂ€fte und quasi keine SupermĂ€rkte. Entweder sind die gut versteckt oder es lohnt sich fĂŒr die nicht hier zu eröffnen. Ich finde das ziemlich uncool, denn nichtmal die ĂŒblichen, von grimmig guckenden Asiaten gefĂŒhrten Minimarkets gibt es hier – und ich bin am verdursten. Wo man in anderen StĂ€dten an jeder Ecke eine Flasche Wasser kaufen kann, oder -wie in Rom- gleich öffentlich damit versorgt wird, hat man es in Paris echt nicht einfach ein GetrĂ€nk zu organisieren das man mitnehmen kann und nicht 3 Euro kostet. Klingt merkwĂŒrdig, ist aber wahr: In Paris geht man in ein CafĂ©, wenn man ein DĂŒrstchen verspĂŒrt. Die Stadt besteht nur aus CafĂ©s und ModelĂ€den, eins am anderen, da verpönt man wohl den Verkauf von Wasser in Flaschen.
Am SĂŒdufer der Seine liegt das Quartier Latin, das Stundentenviertel der Stadt. Hier gibt es viele BuchlĂ€den, auch das legendĂ€re “Shakespears & Co. Es ist auch der Ort der Sorbonne, “die UniversitĂ€ten von Paris”.
Ehe ich es mich versehe hat das Wiesel an der Sorbonne studiert. Nur eine U-Bahnkarte, aber immerhin. Damit wird es bis in alle Ewigkeiten angeben.
Hinter der Sorbonne liegt das Pariser Pantheon. Das sieht von AuĂen aus wie das Pantheon in Rom, von innen aber wie der Petersdom. Wirklich, das Ding ist absurd riesig. Die Kuppel ist von AuĂen leider gerade eingerĂŒstet.
Als ich im Inneren des Baus nach oben sehe, erwarte ich klassizistische Malerei oder Ă€hnliches zu sehen. Stattdessen glotzen mich Leute an. Die Kuppel ziert von Innen eine Fotocollage, was wirklich… seltsam wirkt.
Genauso riesig ist die Krypta. Hier liegen u.a. Alexandre Dumas, Voltaire und Rousseau. Manche “Helden der Revolution” wurden hier beigesetzt, fielen aber in spĂ€teren GeschichtsbĂŒchern in Ungnade. Dann wurden sie wieder ausgebuddelt und in Schimpf und Schande woanders verscharrt.
Hinter dem Pantheon fĂ€llt mir eine skurrile Kirche auf. Die Tumrkonstruktion ist sehr ungewöhnlich. Das setzt sich im Inneraum fort. Der ist durchbrochen von einer… BrĂŒcke? Wunderbares GebĂ€ude. Die Elise EtiĂ©nne ist eine der schönsten Kirchen von Paris.
Pantheon und Eglise Etienne liegen auf einem HĂŒgel ĂŒber dem Jardin Luxembourg. Das ist ein groĂer Park, der zum Flanieren und Verweilen einlĂ€dt. Ăberall stehen grĂŒne StĂŒhle rum, die man nach belieben benutzen und durch die Gegend tragen darf. Es ist mit 15 Grad nicht mehr wirklich warm, aber ĂŒberall sitzen Leute und lesen. Oder tanzen. Wirklich, in einem Pavillon tanzt eine junge Frau. Etwas unbeholfen und ungeschickt, aber trotzdem interessant.
In der Mitte des Parks gibt es einen groĂen Brunnen, in dem Kinder mit Stöcken Segelboote anschieben und dabei einen HeidenspaĂ haben. Nicht zum ersten Mal komme ich mir vor, als wĂ€re ich in den FĂŒnfziger Jahren. Das Wiesel freut sich und will auch Boot fahren.
Der Eindruck das ich hier eine andere Zeit erlebe setzt sich fort, als ich am Ufer der Seine zum Rathaus der Stadt wandere. Die Promenade ist gesĂ€umt von BuchhĂ€ndlern, Les Bouquinistes die hier BĂŒcher und Poster an zusammenklappbaren MinistĂ€nden anbieten.
Wieder beschleicht mich die traurige Gewissheit, hier lebende Relikte vergangener Zeiten zu sehen Einige haben ihr Sortiment schon um Filmposter erweitert, aber dennoch: In wenigen Jahren wird niemand mehr hier BĂŒcher kaufen. Die wenigen Bouquinistes die ĂŒbrig bleiben, werden vom Verkauf von EiffeltĂŒrmen aus Plastik leben.
Das Rathaus ist ein ebenso beeindruckender wie finsterer Bau.
Ein StĂŒck die StraĂe hinauf beginnt ein Kunstviertel, das mit ordentlich Streetart aufwarten kann.
Hier liegt auch das Centre Pompidou, eine Kunstgalerie, organisiert wie ein Kaufhaus. Das besondere: Die Architekten haben alle Versorgungleitungen auĂen ans GebĂ€ude verlegt. Jede Sorte Leitung – Luft, gas, Wasser, Abwasser – hat eine eigene Farbe. Im Gesamtbild sieht das nach Borg-Kubus aus. Oder wie eine Industrieanlage, weshalb die Einheimischen das GebĂ€ude auch “La Raffinierie” nennen.
Die Architekten, die das GebĂ€ude Mitte der 70er entworfen haben, sind ĂŒbrigens Richard Rogers, Gianfranco Franchini und – Renzo Piano! Der verfolgt mich wirklich ĂŒberall hin. egal wo ich hinkomme: Irgendwas steht da mit Sicherheit von Renzo Piano rum und lĂ€uft mir zufĂ€llig ĂŒber den Weg.
Ich will keine der Galerien im Centre Pompidou besuchen. Dennoch ziehe ich mir fĂŒr 3 Euro ein Ticket an einem der Automaten und fahre damit die Rolltreppen an der AuĂenwand des Hauses nach oben. Vom “Vue de Paris” hat man einen schönen Ausblick ĂŒber die Stadt – zumindest meistens, im Moment regnet es leider, und dadurch ist durch die Plexiglasscheiben nicht viel zu erkennen.
Der Regen ist es auch, der meinen Besuch am Place de Bastille stark verkĂŒrzt. Zu sehen gibt es ohnehin nicht viel, die Bastille, jenes legendĂ€re GefĂ€ngnis, wurde wĂ€hrend der Revolution zerstört. Heute steht an der Stelle ein Kreisel. Aus dessen Mitte grĂŒĂt eine alte Bekannte – die TrajanssĂ€ule, die ich schon in Rom und London getroffen habe. Aber wĂ€hrend in der italienischen Haupstadt das Original steht und in der britischen ein AbguĂ aus napoleonischer Zeit, handelt es sich bei der Pariser Ausgabe um eine SĂ€ule, die der TrajanssĂ€ule nur Ă€hnlich sieht. Napoleon mochte das Design und gab deshalb eine eigene in Auftrag.
Eine ĂŒberfĂŒllte Metro bringt mich nach Pigalle. Hier finde ich endlich einen Supermarkt und trage wenig spĂ€ter eine ordentlich gefĂŒllte Einkaufstasche vorbei an den blinkenden Neonreklamen der Sexshops und Stripschuppen. Pigalle ist die Sexmeile von Paris, hier liegt auch das Moulin Rouge. Die laute und bunte StraĂe steht in starkem Kontrast zu den ruhigen Gassen, die direkt dahinter verlaufen.
Im Hotel sehe ich mir mein Abendessen an. Es Abend gibt es TaboulĂ©, Baguette und Macarons. Letztere stellen sich als doppelt gefĂŒllte Mandelkekse heraus, die einfach nur… hach. sagen wir einfach: Die Dinger sind irre teuer, rund 2,50 Euro in der Version aus dem Supermarkt und bis 5 Euro vom Konditor… aber ich wĂ€re bereit noch mehr dafĂŒr zu zahlen.
Ach, Paris ist wirklich eine Stadt der VerfĂŒhrungen.
10 Gedanken zu „Reisetagebuch Paris (2): Das neueste Testament und die falschen Monster“
Sehe schon, Du bist nicht selbstverliebt genug – so kommst Du zu keinem Selfie đ
Keine Beweisfotos hinterlassen, kennst Du doch đ
*Wiesel kĂŒss*
So schön! Der Bericht, und die Stadt. MĂŒsste ich hier unterstreichen was ich genau so empfunden habe und/oder vollkommen unterschreibe, alles wĂ€re markiert đ
Danke fĂŒr den schönen Ausflug – du hast natĂŒrlich wieder mehr gefunden und gesehen als ich, aber den kleinen Park mit Kunst und Skulpturen hinter dem Raffinerie Dings wohl nicht?
Auch bei den Selfies sind wir uns einig – ich bekomm (bekam, mittlerweile isses wurscht) immer Schimpf weil meine Verwandtschaft schon auch mal Fotos mit mir drauf haben wollte. Wozu, ich weiĂ es nicht, stand ich doch im Moment direkt vor ihnen đ
Das Wiesel als opener bei Securityleuten, na hoffentlich bringt das jetzt nicht böse Menschen auf die Idee, sich mit Wieseln zu versorgen um ĂŒberall durchzukommen.
WdW: <3, soll ich ausrichten.
Kalesco: Der mit dem Wasserbecken, wo sich moderne Figuren drin drehen? Falls Du den meinst, den habe ich gefunden. Ist sogar fĂŒr 1,2 Sekunden im Teaser zu sehen.
Zimt: Wiesel gehen nicht freiwillig mit bösen Menschen, die beissen sie in den Po.Keine Gefahr, also.
Zum Topic: Nikki de Ste. Phalle und Ygves Tinguely haben den Brunnen gestaltet.
Zum Wiesel: hachz *dahinschnelz*
– g Sie wissen schon.
WdW: Nikki de St. Phalle verfolgt mich. Und Renzo Piano auch. WAS WOLLEN DIE VON MIR???!
Ihr Bestes. Das Wiesel?! Wer weiss das schon.