Reisetagebuch Paris 2014 (4): Im Rampenlicht

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Sonntag, 26. Oktober 2014, Paris

Es ist so, wie ich immer vermutet habe: Wenn man auf der Theaterbühne steht und alle Scheinwerfer auf einen gerichtet sind, dann sieht man fast nichts mehr. Ist irgendwie auch besser so. Dadurch kann ich mir einbilden, dass mir nicht gerade ein vollbesetzes Theater gegenübersitzt. Ich sehe nur weißes Licht und höre erwartungsvolles Schweigen von fast 600 Personen. Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass ich mal in Paris in einem Theater auf der Bühne stehe. Ich atme einmal tief durch, dann beginne ich zu improvisieren.

Zwölf Stunden zuvor beginnt der Tag eigentlich ganz harmlos. Am Morgen mache ich einen kurzen Ausflug nach Notre Dame, um die Kathedrale auch mal am Tag gesehen zu haben. Leider ist der Himmel bedeckt, bei Sonnenlicht wirken die großen Buntglasfenster sicher nochmal so erhaben.

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Danach fahre ich mit der Metro eine Tour durch die Stadt und zur Opera Garnier, dem Wirkungsort des Phantoms der Opers.

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Meinen online gebuchten Voucher kann ich am ersten Fenster hinter dem Besuchereingang gegen ein echtes Ticket eintauschen. Das ist bereits handschriftlich mit meinem Namen versehen. Dass das erste Fenster in der langen reihe der Schalter der Abholpunkt für Reservierungen ist, steht da übrigens nicht dran. Die folgenden zwölf Schalter sind für alle möglichen Spezialitäten – Familien, Senioren, Gruppen, asuländische Gruppen – jedes Spezialding hat seinen eigenen Schalter, aber von Reservierungen ist nirgends was zu lesen. Ebensowenig wird kommuniziert wo der Treffpunkt ist.

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Folgt man einem langen Gang und hat alle Ticketschalter passiert, landet man in einer kavernenartigen Rotunde, an deren Säulen Zettel mit Buchstaben kleben. Ein wenig komme ich mir vor wie Indiana Jones, als ich hin- und herblicke und kombiniere. Mein Ticket trägt ein großes „B“, auf einer der Säulen findet sich auch ein „B“. Also stelle ich mich daneben, und tatsächlich – zur vereinbarten Zeit erscheint eine ältere Dame mit einer Lesebrille, die sie an einer Kette um den hals trägt.

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Sie stellt sich als Martine vor, und führt mich in den kommenden 80 Minuten durch das Opernhaus – auf Englisch, denn mein französisches Sprachverständnis reicht hierfür nicht aus.
Dabei ist die Geschichte der Oper hochinteressant.

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Die Geschichte der Opera Garnier

Die Opera Garnier war nicht die erste Oper in Paris, aber die meisten Vorgängerbauten zeichneten sich durch eine Neigung zum Abbrennen aus oder andere Mängel aus. Der Bau der Opera Garnier wurde von Napoléon III beauftragt, der kurz zuvor nur knapp einem Attentat in der alten Oper entkam und nun mehr Sicherheit wollte. 1858 gewann, zur Überraschung der eingesessenen Architekten, der junge und unbekannte Architekt Charles Garnier die Ausschreibung. Sein Entwurf sah ein neobarockes Gebäude vor, dass starke Anleihen bei Gebäuden der italienischen Renaissance machte.

1860 begannen die Bauarbeiten, die insgesamt 15 Jahre dauerten. Dafür war auch der Bauplatz verantwortlich, denn das Gelände war sumpfig und das Fundament lief immer wieder voll Wasser. So kommt es, das heute noch unter der Oper Wasser steht. Es ist kein See in einer riesigen Höhle, wie uns das „Phantom der Oper“ weismachen will. Eher ein Becken, in dem aber so viel Wasser steht, dass angeblich Fische darin gezüchtet werden.

Als die Oper fertig war, war sie das größte Opernhaus der Welt – und blieb das auch bis zur Eröffnung der Opera Bastille im Jahr 1989. Zwar haben andere Häuser mehr Sitzplätze, aber die Opera Garnier ist so groß, weil das Foyer und das Treppenhaus gigantische Ausmaße haben. Sie sind auch der Grund, weshalb Garnier die Ausschreibung gewann. „Sehen und gesehen werden“, deshalb ging das feine Publikum in die Oper, und allein das Treppenhaus bietet fantastische Gelegenheiten sich in Szene zu setzen. „So lange ich dieses Treppenhaus habe“, sagte ein Intendant einmal, „werde ich immer ein volles Haus haben“.

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Die Führung beginnt im Treppenhaus der Oper. Das ist das Besondere an diesem Gebäude. Über 40 Marmorsorten sind hier verbaut. Die Treppen siehen sich quer durch einen großen Raum, der ringsum viele kleine Balkone hat – hier konnte die High Society von Paris sich inszenieren, sehen und gesehen werden.

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Dagegen ist das Auditorium geradezu gewöhnlich. Der Zuschauerraum wurde nach italienischem Vorbild gebaut, mit Logen in den Wänden.

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Ungewöhnlich hässlich ist die Decke. Das Originalbild, mit dem die Kuppel ausgemalt war, war von den Kerzen des großen Kronleuchters (der übrigens NIE runtergefallen ist) unrettbar verrust. 1963 beschloss der damalige Kulturminister, dass da mal was Neues hinmüsste. Ohne Ausschreibung beauftragte er seinen Kumpel Marc Chagall mit der Neugestaltung. Chagall machte sich ans Werk, und was dabei rausgekommen ist, ist brüllend hässlich. Als hätte ein Kind mit bunten Fingerfarben auf einer Tapete rumgeschmiert, so sieht das aus. Ein krasser Kontrast zum Rest der Umgebung.

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Von der Bühne ist zunächst nichts zu sehen, eine staubdichte Trennwand ist an der Stelle des Vorhangs heruntergefahren, während dahinter Umbauten passieren. Als sie sich hebt, ist deutlich zu sehen, dass der Bühnenboden eine Neigung hat. „Die stärkste Neigung aller Opernhäuser. Damit die Zuschauer besser sehen können. Unsere Tänzerinnen trainieren alle von klein auf auf geneigten Böden, aber auswärtige Ensembles haben echte Probleme damit. Die stolpern und schwanken darauf herum und es dauert lange, bis sie sich daran gewöhnt haben“, erklärt Martine.

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Der Zuschauerraum ist natürlich in Gold und rotem Samt gehalten. „Ts Ts Ts“, macht Martine, „Von wegen „natürlich in rot“! Heute ist Rot für uns selbstverständlich. Aber früher waren die Opern immer in blau oder pink gehalten“, sagt sie, „Garnier war der erste, der die Kombination aus Rot und Gold gewagt hat. Das war so erfolgreich, das heute jedes Kino auf der Welt so ausgestattet ist, aber HIER, in diesem Raum, hat das angefangen“.

Es gibt eine Loge für den Staatspräsidenten, der sogar einen eigenen Zugang hatte: Seine Kutsche konnte direkt bis in die Oper fahren, und über ein eigenes Treppenhaus konnte er sicher die Loge erreichen. Die ist ganz vorne an der Bühne. Von da kann man nicht gut sehen – aber gut gesehen werden. Allerdings gab es bei der Fertigstellung der Oper keinen Imperator mehr, und deshalb wurden seine Geheimgänge in eine Bibliothek und eine Bildergalerie umgewandelt. Hier wird alles gesammelt, was in der Oper an Papier produziert wird. Besetzungslisten, Programme, Skizzen für Bühnebilder, Entwürfe für Kleider – und die Baupläne der Oper selbst. Wie ein lebendes Wesen trägt sie ihren Bauplan in sich selbst.

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Mir bleibt die Luft weg, als wie in das Foyer der Oper kommen. Soviel Gold auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen, und es haut mich glatt um.“Ich erzähle noch was hierzu, aber bekommt erstmal Eure Sinne wieder zusammen“, lacht Martine. Unsere Gruppe fotografiert wie blöde, während unsere Guide Anekdoten erzählt. In diesem Saal hat sich auch Herr Garnier verewigt, sein Antlitz ist unter der Decke zu sehen. Ihm gegenüber das seiner Frau.

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Charles Garnier blickt von hoch oben auf die Gäste im Foyer herab...

Charles Garnier blickt von hoch oben auf die Gäste im Foyer herab…

...ihm gegenüber ist seine Frau verewigt.

…ihm gegenüber ist seine Frau verewigt.

Die Oper schließt um 14.00 Uhr für Besucher, denn heute beginnt das Programm ab 14.30 Uhr. Es ist eine Ballettaufführung, wie sie hier im Haus mittlerweile fast nur noch gespielt wird. Echte Opern gibt es fast nur noch im Opernhaus an der Bastille, wobei beide Häuser sich das Personal teilen.

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Bevor ich gehe, frage ich Martine noch, wie man in die Kellergewölbe und damit an den unterirdischen See kommt. Sie verrät es mir. Das ist eine Information, die sich nirgends im internet findet, aber hier verrate ich sie: Man muss Sponsor der Oper werden! Ab einem Spendenbetrag von 10.000, -Euro darf man mit bis zu 30 Personen in den sagenumwobenen Unterleib der Oper und auch das unterirdische Wasserreservoir sehen. Natürlich können mehrere Personen zusammenlegen…

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Eine kurze Metrofahrt später bin ich in am Musee Maillol. Das war mir durch große Plakate in der Metro aufgefallen: „Die Borgia – eine Familie und ihre Zeit“ war angepriesen, und über die Borgia will ich schon seit „Assassins Creed: Brotherhood“ mehr wissen. Dummerweise stellt das Museum eher auf „Und ihre Zeit“ ab und nutzt die Gelegenheit, um einfach mal ALLES aus der Renaissance zu präsentieren, inklusive Skizzen von Leonardo da Vinci, viel zu vielen belanglosen Portraits und unwichtigen Münzen, das allermeiste zudem in Kopie.

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Die Ausstellung sieht gut kuratiert aus, ist es aber nicht. Im unwichtigen Füllmaterial gehen die echten Highlights unter, denn sie werden gar nicht als solche präsentiert. Das eine ist ein Stück eines Freskos, bei dem Babyjesus von Borgiapapst Alexander angefasst und vielleicht sogar gesegnet wird. Das ist natürlich Blasphemie, und das Original wurde zerstört, aber im Geheimen hatten die Orsini eine Kopie zwecks späterer Erpressung fertigen lassen. Diese Kopie ist erst 1940 wieder aufgetaucht.

Das zweite Highlight ist eine Locke von Lucrezia Borgias Haar. Ich hatte immer gedacht, das die Macher des ACB-Spiels sich eine deftige Freiheit rausgenommen haben, als sie Lucrezia als blonde Sexbombe präsentierten. Dem ist aber nicht so: Die Dame war WIRKLICH hellblond!

Lucrezia Borgia, hier die Version „Assassins Creed“, war wirklich hellblond!

Place de la Concorde

Place de la Concorde

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Haus der Nationalversammlung.

Haus der Nationalversammlung.

Argh, schon wider Nikki de saint Phalle!

Argh, schon wider Nikki de Sainte Phalle!

Ich schlendere ich am linken Ufer der Seine entlang bis zu einem unscheinbaren Kiosk. An dem kaufe ich eine Eintrittskarte und erhalte Eintritt in die Unterwelt von Paris…

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Paris ist seit dem Mittelalter eine der größten Städte Europas. Schon früh hatte sie Probleme mit Trink- und Abwasser, und schon im 14. Jahrhundert wurde etwas dagegen getan. Die Geschichte der Kanalisation, der „Egouts“ lässt sich im Musee d´Egouts bestaunen.

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Hier stinkts!

Hier stinkts!

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Rohreinigung mit großen Holzkugeln.

Rohreinigung mit großen Holzkugeln.

Unweit des Kanalmuseums liegt der Invalidendom, in der Mitte von prächtigen Parks. Hier spielen überall Leute Fußball oder Hockey. Im Gebäude ist ein Militärmuseum, und tatsächlich leben hier auch noch ein paar Kriegsinvaliden. Außerdem ist Napoleons Grab hier, aber heute Nachmittag gucke ich mir das alles nicht an. Die Sonne lässt sich blicken, und bei dem schönen Wetter will ich lieber noch ein wenig in der Stadt herumlaufen.

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Mittlerweile ist es später Nachmittag, und ich nehme die Metro zum Grand Boulevards, unweit der Oper. Hier ist das Pendant zum Londoner Westend, viele Theater liegen in einem Viertel. Die sind im Vergleich allerdings winzig, und große Musicalproduktionen gibt es in Paris erstaunlicherweise nicht. Kleinkunst, Kino, Museen, Opern, Ballett – ja. Musicals: Nein.

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„Wie man in einer Stunde zum Pariser wird“, so heißt die Kleinkunstshow von Olivier Giraud, für die ich eine Karte habe. „Sie denken, Pariser sind unfreundlich? Sie haben recht! Sie sind zu nett und wollen lernen wie man sich arrogant benimmt? Verpassen sie nicht DAS Training!“ Das hört sich doch gut an!

Da das Programm auf englisch gegeben wird, habe ich mir eine Karte dafür besorgt. Das Théâtre des Nouveautés stammt aus den 1830er Jahren liegt im Keller eines Hauses, fasst rund 585 Personen und hat abgwetzte Plüschsessel und einmal zu oft übergestrichene Holzfächen. Es ist runtergekommen – aber die Leute hier arbeiten mit Seele. Das merkt man schon beim Eintreten, denn jeder Gast wird einzeln von einer Hostess zum Platz geführt.

Olivier Giraud. Quelle: „How to become Parisian in one hour“ DVD, Rechte: French Arrogance Prod.

Als die Show beginnt, bin ich erstmal unterwältigt – Giraud sieht ein wenig aus wie Richard Hammond von „Top Gear“ der die Mimik von Otto kopiert und sich damit durch die Eröffnung grimassiert, in deren Verlauf er auch die Nationalitäten der Zuschauer abfragt: „Aus welchem Land kommen sie?“ fragt er
Aus dem Publikum kommt als erstes „´MURICA!“, dann „France“, „England“, „Poland“, „Brazil“. Großes Gelächter löst der Zuruf „California“ aus, woraufhin Olivier Giraud bittet, doch nicht sofort alle Klischees über ungebildete Amerikaner zu erfüllen. „Finland“, dröhnt der man neben mir. Als die Zurufe verklingen sage ich „Germany“ und weiß schon in dem Moment, dass das ein Fehler ist. Ich muss der einzige Deutsche im Saal sein, meine Landsleute hätte sich sonst schon längst gemeldet. Giraud horcht auf: „Germany? Ok, ACH-TUNG!“ Dann beginnt das Programm.

Giraud erklärt die Lebenseinstellung der Einwohner von Paris: „Unsere Wohnungen sind teuer, viel zu klein, wir haben kein Leben neben der Arbeit – warum sollten wir gut drauf sein?“. Arroganz und schlechte Laune sei das natürliche Schutzschild der Pariser, und wenn man diese Umstände kennt, lassen sich noch ganz andere Verhaltensweisen dadurch erklären.

Etwas unangenehm ist die Zuschauereinlage. Giraud möchte eine Zuschauerin auf der Bühne haben. Er lässt das Licht im Saal hochfahren und blickt suchend ins Publikum, dass betreten wegschaut. NIEMAND möchte auf die Bühne. Nach einer endlosen halben Minute ruft Giraud „Das Girl from California soll nach vorne kommen!“ Das „Girl“ entpuppt sich als Mitfünfzigerin in Jogginghose und muss bei der Demonstration eines französischen Anmachtanzes assistieren, was ihr sichtlich unangenehm ist. Ich mag solche Zuschaueraktionen ja nicht. Ich gebe Geld aus um mich berieseln zu lassen, und nicht um hier irgendwie mitzu- oder mich zum Horst zu machen.

Giraud erläutert -nicht unkomisch- Alltagsituationen, und wie sich Touristen und Pariser dabei verhalten. Der Umgang mit den legendär schlechten Kellnern wird dabei ebenso demonstriert wie mit Taxifahrern, H&M-Verkäuferinnen, Wohnungsmaklern oder ähnlichem Gezücht.

Das Programm ist spürbar kurz vor Ende, als eine zweite Zuschaueraktion angekündigt wird. Als Ausgleich zum Califoria Girl soll diesmal ein Mann nach vorne kommen und demonstrieren, was man in der Show gelernt haben sollte. Elendig lang überlegt Giraud, das Licht im Saal geht an, sein Blick schweift hin und her. Zumindest scheinbar. Ich hege ja die Theorie, dass man auf der Bühen so gut wie nichts vom Publikum sieht. Außerdem finde ich die Situation unangehm. Zuschaueraktionen sind doof, es könnte jetzt jeden treffen, und damit sind wir in einer Situation wie in der Schule, wo der Lehrer sich jemanden rauspickt um ihn zu grillen.

Alle Männer weichen Girauds Blicken aus, und mich überkommt ein Kribbeln, weil es in meinem Hinterkopf klickt. Giraud selbst ist in einer Stresssituation, das sieht man an den enormen Schweißflecken an seinem Hemd. Er spult sein Programm routiniert ab, aber Input dringt nur gefiltert an ihn heran. Nur die stärkste Information kommt durch, und offensichtlich arbeitet er beim Aussuchen seiner Opfer mit der Herkunft seiner Zuschauer. Und wer hat als Letzter die seine preisgegeben und damit eine Response hervorgerufen? Genau. Ich habe als letztes gerufen. Und ich bin der EINZIGE Deutsche im Publikum. Eine Information die hängen bleiben MUSS.

Plötzlich WEIß ich ganz sicher, dass ich gleich auf die Bühne muss. ALLES ANDERE wäre ein Wunder. Ich verstaue schon mal meine Sachen unter dem Sitz, dann starre ich einen Moment geradeaus, noch etwas bedröppelt ob der Erkenntnis, dass ich gleich auf die Bühne muss. Aber es kann nicht anders sein…

Und es ist auch nicht anders. Giraud holt tief Luft und verkündet laut: „And I choose… a guy from germany!

Wie ich es hasse Recht zu haben. Ich stoße die Luft durch die geschlossenen Zähne und erhebe mich.
Als mich das Spotlicht erfasst, steht bereits die ganze Sitzreihe Spalier, um mich durchzulassen. Eine Hostess führt mich durch den Bühneneingang, und plötzlich stehe ich im weißen Licht.

Es stimmt, was ich immer vermutet habe. Wenn man auf der Bühne steht und alle Scheinwerfer auf einen gerichtet sind, dann sieht man fast nichts mehr. Ist irgendwie auch besser so, dadurch kann ich mir einbilden, dass mir nicht gerade ein vollbesetzes Theater gegenübersitzt. Ich sehe nur weißes Licht. Und höre nur erwartungsvolles Schweigen von fast 600 Personen.

Genau das hier sehe ich gerade: Neben mir steht Olivier Giraud, vor mir sitzen fast 600 Leute. Quelle: „How to become Parisian in one hour“ DVD, Rechte: French Arrogance Prod.

Giraud bittet mich, in einem Ledersessel in der Mitte der Bühne Platz zu nehmen. Er selbst bewegt sich in das Dunkel des Bühnenrands. Ich bin plötzlich der Mittelpunkt der Show.

„Also…“, sagt Giraud, „wie machst du, wenn Du einen Ober ranwinken willst?“
Ich habe gut aufgepasst und weiß, was er von mir will, bin aber nervös. Grund: Ich habe die Situation nicht unter Kontrolle. Ich bin gewohnt vor vielen Leuten zu sprechen, aber wenn ich das tue, ist das MEINE Show. Hier soll ich vorgeführt werden, zur Belustigung der Zuschauer.

Mein Hirn rast und kommt mit einer simplen Lösung: Mach das hier zu Deiner Show. Den Leuten da unten geht es doch nicht anders als dir. Die sind froh, dass sie nicht selbst hier oben stehen müssen. Die Sympathien sind praktisch auf Deiner Seite. Spiel das aus!“

Und das tue ich dann auch. Mein Puls geht runter, und ich stelle mir vor ich sei Louis de Funes, und mache mit dessen übertriebener Mimik und Gestik nach, was Giraud im Verlauf der letzten Stunde vorgemacht hat und nun abfragt. Wie beleidigt man einen Kellner nur mit der Mimik? Wie begegnet man der abwertenden Haltung der H&M-Verkäuferin? Ich nehme mir Zeit und spiele alles ohne Hektik schön aus. Ich bin gut in Scharaden, und das hier ist kaum was anderes. Als ich wirklich mal was nicht weiß („Wie heisst der Fluch, mit dem man das dritte vorbeifahrende Taxi belegt?“) ziehe ich das Publikum ganz im Stil des Publikumsjokers von „Wer wird Millionär“ zur Lösung heran.

Giraud stellt immer detailliertere und zunehmend absurdere Aufgaben, die ich allesamt meistere – nur bei „Schüttel Dein Haar wie ein pariser Model“, muss ich mangels zu schüttelndem Material passen, wende mich aber mit raumfüllender Stimme ans Publikum und verkünde, dass ich das nicht mehr mache, seitdem ich nicht mehr für Lagerfeld laufe, und kann die Situation dadurch wieder für mich drehen. Das Publikum lacht, und zwar nicht weil ich vorgeführt werde, sondern weil ich Show mache.

Nach sieben oder acht Minuten habe ich den Test überstanden. „Where are you from?“, fragt Giraud am Ende. „Göttingen“, antworte ich und muss mir einen Witz über deutsche Dörfer, die keiner kennt, gefallen lassen. Dummerweise schalte ich hier nicht, denn Göttingen kennt in Frankreich fast jeder, durch den gleichnamigen Chanson von Barbare. „A Göttingen“ ist DAS Lied der Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen. Würde mir das in diesem Moment einfallen, das aufgeheizte und größtenteils französische Publikum würde vermutlich in Gesang ausbrechen.

So oder so habe ich es überstanden. Als Belohnung für die Qual bekomme ich ein Zertifikat der „Paris Arrogance Company“. Als einziger Zuschauer des Abend habe ich es nun schriftlich, dass ich mich als echter Pariser qualifiziert habe. Als Dankeschön drückt mir Olivier Giraud noch eine DVD der Show in die Hand, und unter dem Applaus des Publikums verlasse ich die Bühne.

Lohn der Qual: Ein Zertifikat und eine DVD. Cool!

Lohn der Qual: Ein Zertifikat und eine DVD. Cool!

Kurze Zeit darauf ist die Show vorbei und das Publikum strömt durch den Hinterausgang in eine Gasse hinter dem Theater, hinaus in die kühle Oktobernacht.

Ich gehe noch ein wenig spazieren. Ich trage meine gewöhnlichen Reiseklamotten. Eine schwarze Jeans, dazu Hemd und Schuhe in gedeckten Farben. Mit diesem Outfit bin ich immer richtig angezogen, egal ob ich auf einen Berg klettern oder in die Oper will. Der Abend hat deutlich gezeigt, weshalb es sich lohnt, auch im Urlaub nicht wie der letzte Schlumpi rumzurennen. Man weiß nie, in welche unerwartete Situationen man kommen kann. Hätte ich vor 600 Leuten in Jogginghose und Sandalen stehen müssen, wie das „Californian Girl“ oder in bunten Funktionsklamotten mit „Jack Wolfskin“-Logo, ich hätte mich in Grund und Boden geschämt.

Das Centre Pompidou bei Nacht.

Das Centre Pompidou bei Nacht.

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Mein Weg führt ein wenig kreuz und quer durch die Innenstadt, und plötzlich liegt vor mir der Louvre. Ganz still ist es im Innenhof des riesigen Gebäudekomplexes. Die Fontänen der Brunnen sind abgestellt, und die Glaspyramide, unter der der Eingang zum Museum liegt, spiegelt sich im glatten Wasser. Davor versucht eine Gruppe Russen Hochzeitsfotos zu inszenieren. Durch die Pyramide läuft ein roter Blitz. Der ist neu, zumindest gab es ihn bei meinem ersten Besuch hier, Anfang der 90er, noch nicht. Obwohl… Da war ich nie Nachts hier.

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Ich wandere noch ein wenig hier lang und dort lang. Paris ist voll von Orten, die ich aus Filmen und Büchern kenne und es ist faszinierend, die hier zu entdecken.

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L´Hotel de Ville. HIe rkann man nicht übernachten, das ist das Rathaus.

L´Hotel de Ville. Hier kann man nicht übernachten, das ist das Rathaus.

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Säule am Place de Pyramides.

Säule am Place de Pyramides.

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Tour Saint Jaques.

Tour Saint Jaques.

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Rue de Rivoli.

Rue de Rivoli.

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Schade, dieser Nachbau der Trajanssäule am Place Vendôme wird gerade renoviert.

Schade, dieser Nachbau der Trajanssäule am Place Vendôme wird gerade renoviert.

Die Oper bei Nacht.

Die Oper bei Nacht.

Erst spät in der Nacht kehre ich zurück nach Montmartre.
Paris. Was für eine Stadt! So viel zu entdecken, so viel zu erleben.

Straßenecke vor der Metrostation Abbesses auf dem Montmartre.

Straßenecke vor der Metrostation Abbesses auf dem Montmartre.

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Kategorien: Reisen, Wiesel | 8 Kommentare

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8 Gedanken zu „Reisetagebuch Paris 2014 (4): Im Rampenlicht

  1. zimtapfel

    Soso. Sie möchten also, das wir zusammenlegen, um in den Genuss eines Besuchs der Opernkatakomben zu kommen? Tja. Da müssten Sie allerdings erstmal Ihre garstigen Worte über das Chagallgemälde zurücknehmen…

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  2. ckater

    Wow: Dieses Bild.

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  3. Zimt: Vielleicht hat Chagall ja auch schöne Sachen gemacht, aber das Gemälde in der Oper ist… Fürchterlich. 😦 Ich habe übrigens schon 5,98 zusammen. Machst Du mit?

    Ckater: Witzig. Als ich die Aufnahme machte, dachte ich, dass das Motiv genau was für Dich wäre.

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  4. Sie sind ein Mann mit stählernen Nerven. Kudos! Selbst an ein Foto haben Sie gedacht.

    *sich verneigend rückwärts ab*

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  5. 😀 Ich habe natürlich kein Foto gemacht, während ich auf der Bühne stand. Das ist von der DVD abfotografiert… 🙂

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  6. Gut, sonst hätte ich den eklatanten Wieselmangel anprangern müssen 😀

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  7. Ron

    Die Opera Garnier ist faszinierend und hat echte Grandeur. Aber für heutige Opernsänger und deren schwache Stimmen ist sie wohl zu groß und damit die Akustik zu schlecht ! Alos lieber eine kleinere Bühne irgendwo in Italien besuchen…

    Gefällt 1 Person

  8. Im Ernst? Hahah, oh man. Hatte wohl einen Grund, dass die Diven vom Schlag einer Montserrat Caballé eine ordentliches Volumen mitbrachten. Die konnten noch Schalldruck erzeugen!

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