Durchgestanden
“Gleich sollte es sich komisch anfühlen”, sagt der beige Fleck. Mehr sehe ich ohne Brille nicht vom Anästhesisten. Es ist aber nicht Dr. Olungo. Wäre es Dr. Olungo, dann hätte der Fleck eine andere Farbe. Der Gedankengang wird unterbrochen, weil plötzlich jeder Nerv in meinem Körper anfängt in Wellenbewegungen hoch- und runter zu wubbeln. Ich weiß, dass Nerven nicht wubbeln können, aber so fühlt es sich an. “Jetzt fühlt es sich komisch an”, sage ich dem Anästhesiefleck. “Gut”, kommt es vom Ende des Operationsbetts, wo ich nicht mehr hinsehen kann. “Dann gebe ich Ihnen jetzt noch was anderes”.
Klick. Aus.
“Nur noch fünf Minuten”, denke ich und versinke wieder in Halbschlaf. Es ist zwei Stunden später. Zwei Stunden, die ich nicht mitbekommen habe. Alles ist warm und weich und gemütlich. Ich fühle mich gut, wie nach einer langen Nacht voller erholsamen Schlaf. Nichts tut weh, alles ist gut. Ich weiß, dass ich im Aufwachraum des Krankenhauses bin. Ich bekomme alles um mich herum mit, aber die Welt soll noch fünf Minuten ohne mich klarkommen…
Schnitt.
“Und wenn ich nach Hause komme”, sagt Erwin, “Dann trinke ich als erstes ein Bier. Und dann… noch eins. So´n richtig schönes Weizen. Man, wie ich DAS hier vermisse.” “Hier” ist das Krankenhaus, Erwin heisst wirklich so und ist einer meiner beiden Zimmergenossen. Er ist fast siebzig, und seine lebenslange Liebe zum Bier ist ihm deutlich anzusehen. Ein gewaltiger Bauch wölbt sich unter dem Sport-T-Shirt und setzt sich in der Jogginhose fort. Das Körpergewicht in Tateinheit mit 47 Arbeitsjahren als Fleischer hat ihm “Rücken” beschert, genauso wie dem Dachdecker im Nebenbett. Beide sind an der Wirbelsäule operiert worden und schon 10 Tage im Krankenhaus. Sie sind quasi auf Expertenlevel, kennen alle Abläufe und die Schwestern beim Vornamen. Beide sind begierig hier so schnell wie möglich rauszukommen. Wenn sie über “hier” reden, klingt das, als reden sie über den Knast. So empfinden sie das auch.
Ich nicht. Ich finde es hier ganz OK. Die Zimmernachbarn nerven nicht, es gibt Service am Bett, und ich muss mich um überhaupt nichts kümmern. Aber ich bin auch 1. noch nicht so lange hier wie Erwin und der Dachdecker und 2. kann ich mich quasi ewig mit mir selbst beschäftigen, wenn ich nur was zum Lesen und oder Internet habe.
Mit Internet ist es hier allerdings nicht weit her, das Patienten-WLAN reicht nur nachts und bei gutem Wetter bis in Zimmer 11, und selbst dann werden keine Bilder und Stylesheets geladen. SPIEGEL Online im Quelltext lesen, das habe ich schon seit den Zeiten des 28.8er Modems nicht mehr gemacht. Also muss die Bücherei auf dem Kindle und das Spielchen “Batman” auf der Playstation Vita für Unterhaltung sorgen, während Erwin “Erstma´eine rauchen” geht und mit seinem quietschenden Rollator durch die Tür verschwindet.
Schnitt.
“Heute ist Wochenende, kommen keine regulären Patienten”, sagt Schwester Elizabeth, während sie mir ein Thermometer ins Ohr steckt. Die hübsche Frau hat afrikanische Eltern. Sie spricht sehr gut deutsch, verschluckt aber manchmal Wörter. “Sonntags nur Notfälle. Kaputte Motorradfahrer haben wir am Wochenende sehr viel”. Glaube ich gerne. Der Harz ist um die Ecke, da wird jedes Wochenende menschliches Material in mehr oder weniger intaktem Zustand aus den Felswänden gepuhlt. Im Sommer vor allem Niederländer, für die ist der Harz das nächstgelegende Gebirge. Und dann rasen die untrainierten, dicken, alten Männer auf ihren überdimensionierten Maschinen über die Straße der Selbstüberschätzung, bis sie aus der Kurve des eigenen Könnens getragen werden. Oder ein Passat im Weg ist.
Der Dachdecker und ich sehen zu Erwins Bett hinüber. Er ist gestern rausgekommen. Als sein Rollator um die Ecke verschwand, hörten wir nur noch “Weizen, ich ko-mme!!!”. Wenn wir Pech haben, wird das Bett irgendwann heute Nacht wieder von einem Notfall belegt.
Schnitt
Ich mache schon kleine Spaziergänge, an Krücken, den operierten Fuß in einem Fixierschuh. Damit laufe ich aus Station für Unfallchirurgie raus, fahre mit dem Fahrstuhl aus dem Keller, wo Station 5.01 liegt, zwei Stockwerke nach oben. Dann laufe ich durch den wirklich hübschen Park und gucke die kaputten Raucher in ihrem Pavilion an und bin wieder mal so dankbar das ich nicht mehr rauche.
Oder ich stehe dann auf der Galerie, von wo aus man auf die Eingangshalle hinabsehen kann. Von dort lassen sich trefflich die Besucher und Patienten beobachten. Ihre Körper erzählen manchmal Geschichten. Wie bei dem jungen Paar, das Hand in Hand durch das Gebäude läuft. Beide haben die Venenkatheter an den Handgelenken, was auf einen Aufenthalt in der Intensivpflege oder eine kürzlich zurückliegende OP schliessen lässt. Er, ein aufgepumpter Muskeltyp, hat ein Blutergüsse an den Armen und im Gesicht. Sie, schlank und hübsch, hat Abschürfungen die ganzen Beine und Arme hinauf. Ich tippe auf einen Zweiradunfall, bei dem er einen Abgang über den Lenker gemacht hat und sie über die Straße gerutscht ist. Zumindest passen diese Anzeichen. Unfallhergänge raten. Womit man sich so die Zeit vertreibt.
Schnitt.
Die Zeit rast. Frühstück-Visite-Mittagessen-Mittagsschlaf-Kaffee-Abendessen. Und wieder ist ein Tag vorbei, ohne das ich sagen könnte, was ich eigentlich gemacht habe. Das langweilige Buch ist immer noch nicht durch, und auch Batman kommt nicht voran.
Schnitt.
Ein Golf fährt vor, während ich vor dem Haupteingang der Klinik sitze und das langweilige Buch zu Ende lese. Ein junges Paar steigt aus, sie trägt ein Mädchen von vielleicht zwei Jahren auf dem Arm. Die beiden zünden sich Zigaretten an, plaudern über Bekannte, Autos, das Wetter. Sie haben alle Zeit der Welt, vielleicht wollen sie Omma besuchen oder so.
Ich klappe den Kindle zu und greife meine Krücken. Als ich durch die automatische Drehtür bin, folgt mir das Paar. Auf dem Weg durch die Eingangshalle beschleunigen sich ihre Schritte. An der Rezeption wird der junge Mann laut: “SCHNELL! Wo ist hier die Notaufnahme?? Meiner kleinen Tochter geht es gar nicht gut!!” Vielleicht sollten wir doch eine Eignungsprüfung für Eltern einführen.
Schnitt.
Wieder zu Hause. Wieder Internet.
Danke an alle, die an mich gedacht, die Daumen gedrückt oder sich nach meinem Befinden erkundet haben. Es ist alles gut gegangen, die OP ist gut verlaufen. Die Aussichten, dass der Fuß wieder so funktionieren wird wie normal, sind zwar nicht so dolle. Aber zumindest habe ich keine Schmerzen, zumindest so lange ich mich nicht bewege, und vielleicht klappt es ja doch. Dafür muss der Fuß jetzt sechs Wochen fixiert und am Besten hochgelegt werden. Sechs Wochen immobil. Meh. Aber die werden auch irgendwie rumgehen, und im Moment geht es mir gut, und das ist schon mal viel wert.
9 Gedanken zu „Durchgestanden“
Schön, dass du wieder da bist und immerhin schonmal die OP gut verlaufen ist. Dafür, dass vielleicht doch alles wieder in Ordnung kommt, drücke ich weiter die Daumen. 🙂
Interessante Schnipsel. Ich mag das Schild mit den Wanderwegen.
Willkommen zurück. Sie haben gefehlt.
Ich drücke alle verfügbaren Genesungsdaumen.
Der Beitrag hat mich sehr erheitert. Ich hasse Krankenhäuser, aber offenbar hatten Sie eine gute Wahl getroffen.
Alles Gute!!!
Schön dass du da und auf dem Weg der Besserung bist. Ich hoffe die Schmerzen gehen weg und die ganze Funktion kommt zurück, sodass du wieder zu einer Mobilie wirst!
Die Schilder fand ich sehr nett!
Und den Stil dieses Artikels sehr unterhaltsam, dankeschön!
Ich bekomm wieder nix mit! Erst mal gute Besserung, auf dass die sechs Wochen schnell vorbei gehen. Was war denn mit Deinem Fuß, wenn ich fragen darf?
Und wenn Du Besuch möchtest, der auch was mitbringen kann, dann lass es mich wissen! Bin ja nicht weit weg!
Danke für deine unterhaltsamen Einblicke in deinen Krankenhausaufenthalt. Weiterhin eine gute Besserung und alles Gute für deinen Fuss!
Danke für die lieben Rückmeldungen, ihr alle!
Hirnwirr: Hallux Rigidus. Nichts Schlimmes, also, aber lästig. Und danke für das Angebot! Wenn mir langweilig wird oder ich bekocht werden möchte, melde ich mich 🙂
ohne uns…… 😀
oh, aus der Abteilung ‘Dinge die ich irgendwie nicht mitbekommen habe die letzten 2 Wochen’.
gute Besserung!