Reisetagebuch MaGenTu (2): Das ultimative Abendessen
Februar 2015, eine Woche Städtetour. Heute: Partyservice Da Vinci, süße Brüste, was die Knoten bedeuten und warum Bramante schummelte.
07. Februar 2015, Mailand.
Fast neun Stunden habe ich geschlafen, und trotzdem komme ich nicht aus dem Bett. Das kann daran liegen, das es unter der Decke muckelig warm ist und meine Halbschlafträume in Technikcolor sind, während die Welt da draußen grau und kalt ist.
Die Wolken hängen tief über Mailand. Als ich vor die Tür des Hotels trete, trifft mich direkt eine Windböe und raubt mir durch die Wucht und die Kälte fast den Atem. Es nieselt, und der Wind drückt den Nieselregen in jede Pore und die Kälte direkt in die Knochen. Die räudigen vier Grad Lufttemperatur fühlen sich durch die Feuchtigkeit gleich nochmal viel kälter an.
Direkt vor dem “Gala” gibt es eine U-Bahn-Station, aber die hat heute wohl zu – die Türen sind verschlossen, und ein unleserlicher Zettel flattert daran herum. Also, lesen könnte man den schon, aber mein Hirn läuft noch nicht wieder auf italienisch. Schon gar nicht am Morgen und ohne einen Kaffee vorher. Geschlossen ist geschlossen, da brauche ich jetzt nicht noch Minuten zu investieren um zu verstehen warum und bis wann.
Ich seufze, ziehe die wasserfeste Schiebermütze mit den Ohrenklappen tiefer ins Gesicht und die Hände in die Jackentaschen, dann mache ich mich auf dem Weg zur nächsten Station. Aber auch die ist dicht und verrammelt. Verdammt, wenn das so weiter geht, werde ich am Ende meine “48-Stunden-sind-drei-Tage”-Metrokarte nie benutzen können. Egal, gehe ich halt zu Fuß. Das macht nicht besonders viel Spaß, seit drei Monaten ist ein Gelenk im rechten Fuß kaputt. Ich nehme seit Wochen ständig Schmerzmittel. Das ist nicht das Alter, das ist Materialverschleiß, denke ich grimmig, während ich durch die kalte Februarluft stapfe.
Das Navigon auf Telefon lotst mich kilometerlang quer durch die Stadt, bis zur Kirche Santa Maria delle Grazie. Ein schöner Bau, eine gothische Kirche, deren hinterer Teil klassizistisch umgestaltet wurde als einer der Sforza darin begraben werden wollte. Die Kirche ist nett, aber nicht spektakulär. Das Spektakuläre befindet sich im Inneren.
Um ins Innere zu kommen muss ich durch eine Sicherheitskontrolle in einem Nebengebäude. Zusammen mit einigen anderen Besuchern bilde ich eine Gruppe. Wir werden belehrt, dass das Fotografieren streng verboten ist. Dann geht es zu einer mehrstufigen Luftschleuse. Die ist ein großer Glaskasten, in den locker 30 Leute hineinpassen, und so viele sind wir am Ende auch, als sich die Türen schließen.
Wir sind die glücklichen Auserwählten, denen der Besuch in diesen Räumen erlaubt wurde. Die Besucherzahlen im Sanktuarium sind streng reglementiert, und lange im Voraus muss man sich auf den Eintritt bei der zuständigen Behörde quasi bewerben. Ungefähr die Hälfte aller Eintrittsgesuche wird abgelehnt.
Es zischt, als sich die Türen hinter uns schließen. Dann summt etwas, und eine Minute später gehen die Türen vor uns auf. Wir gehen in den nächsten Glaskasten, und wieder das gleiche Spiel. Die Türen schließen sich hinter der Gruppe, es summt, und eine Minute später geht die nächste Tür auf. Warme und trockene Luft schlägt mir entgegen, nach der nassen Kälte draußen eine Genugtuung. Aus dem Glaskasten geht es nun durch einen Durchbruch in einer alten Mauer. Dahinter liegt ein großer Raum, unter dessen hoher Decke sich ein Kreuzgewölbe spannt. Wenn man den Raum betritt, blickt man auf eine große Wand, an der ein mittelalterliches Fresko mit einer Kreuzigungsszene zu sehen ist. Groß, ja, schön, naja. Dreht man sich aber um, sieht man auf der gegenüberliegenden Wand…
“L´ultima cena!”, entfährt es einer älteren Dame, die mit mir zusammen durch die Schleuse gekommen ist. Sie haucht die Worte ehrfurchtsvoll und bekreuzigt sich dabei.
Vor uns an der Wand befindet sich, aus verborgenen Scheinwerfern beleuchtet, das letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci.
Jeder kennt dieses Bild, aber wirklich davor zu stehen, dass ist was ganz besonderes. Ich lasse mich auf einer der Bänke davor sinken und betrachte es. Es ist viel größer, als ich gedacht hätte. Über neun Meter breit und viereinhalb Meter hoch. Es ist an ein Wand gemalt, die früher den Durchgang zwischen Speiseraum des Klosters und der Küche war – deshalb ist inmitten des unteren Rands auch ein Türrahmen.
Das letzte Abendmahl ist ein beliebtes Motiv des christlichen Glaubens und schon oft gemalt worden. Das Gemälde ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, schon weil da Vinci, gelangweilt von anderen Darstellungen des Abendmahls, vieles spektakulär anders gemacht und ganz neue Dinge hineincodiert hat. Meist zeigt es den Moment, in dem das Brot ausgeteilt wird. Dabei sitzen alle 12 Jünger um den Tisch herum, nur der Verräter Judas ist von der Gruppe getrennt und sitzt, ganz in schwarz gekleidet, abseits der anderen.
Das war Leonardo natürlich zu langweilig. SEIN letztes Abendmahl zeigt den Moment, in dem er verkündet, dass einer aus der Runde ihn heute noch verraten wird. Wie eine Welle breitet sich die Nachricht durch die Jünger aus, die alle in unterschiedlichen Posen der Erregung gezeigt werden. Mitten unter Ihnen: Judas, von dunklerer Hautfarbe als die anderen.
Hinter seinem Rücken hält Petrus ein Messer – eine Anspielung auf eine Geschichte, in der Petrus einem Mann, der Jesus seiner Meinung nach nicht genug huldigte, vor Wut ein Ohr abschnitt. Später wurde Petrus bekannt als Hüter des Schlüssels und Gründer der Kirche in Rom, aber wird häufig mit dem Messer in der Hand abgebildet, weil er der Hooligan der Truppe war. “Unter den Jüngern war Judas nicht der größte Sünder”, sagte Papst Franziskus in seiner letzten Neujahrsansprache. Damit meinte er Petrus.
In der Mitte des Bildes sitzt Jesus. Seine Körperhaltung bildet ein gleichschenkeliges Dreieck und repräsentiert die Dreifaltigkeit. Eine Hand ist geöffnet und zeigt nach oben, das Himmlische repräsentierend. Eine Hand liegt mit der Handfläche auf dem Tisch, um das Diesseitige zu repräsentieren, die Welt der Menschen.
Neben der Hand sitzen Judas und Petrus und eine blasse Gestalt. Es ist Johannes, der zum Zeitpunkt des Abendmahls noch ein Knabe war, was die helle Haut und den fehlenden Bartwuchs erklärt. Tatsächlich sieht aber auch sein Gesicht weiblich aus und zeigt eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem Bild Marias aus da Vincis Werk “Madonna in der Felsengrotte”, so dass man annehmen könnte, dass der Meister hier Maria mit ins Bild geschmuggelt hat – Jesus Mutter, nicht seine Mätresse Maria Magdalena, wie Verschwörungstheoretiker so gerne zu glauben bereit sind.
Die Details des Bildes sind bemerkenswert. Der Raum, in dem das Abendmahl stattfindet, sieht aus wie der Gang in einem Bürogebäude, in dem links und rechts Türen abgehen. Im Hintergrund sieht man eine Landschaft, die verdächtig nach der Gegend um den Ort Vinci in der Toskana aussieht (Hier finden sich Bilder von einer Wanderung um Vinci). Wundern würde mich das nicht, denn der Scherzkeks da Vinci liebte solche Insidergags.
Einer dieser Scherze ist rechts am Bild zu sehen: das Tischtuch trägt an der Ecke einen dicken Knoten. Leonardo hatte nämlich irgendwann rausgefunden, dass “Vinci” im lokalen Dialekt “Knoten” bedeutete. Es gab auch Personen, die vinci war, also “Einen verknoteten Kopf hatten”, das war zu seiner Zeit ein Sprichwort für Leute, die etwas sonderlich waren. Leonardo liebte diese doppelbödige Symbolik, und so schmuggelte er überall Knoten als geheime Signatur in seine Werke. Sie sind wirklich in allen fertigen Gemälden zu finden, mal so offensichtlich wie im “Abendmahl”, mal versteckt an einem Gewand, wie in der “Dame mit dem Hermelin”.
Leonardo da Vinci war ein Sonderling in Mailand. Eigentlich war er angeworben worden, um für das Heer neue Waffen zu entwerfen. Stattdessen sollte er nun ein Abendmahl malen. Weil er ohnehin dauernd abgelenkt war und nie was fertig bekam, wurde er auch nicht bezahlt. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich in diesen Jahren mit der Organisation von Festen für andere Leute. Man stelle sich das vor: Partyservice da Vinci.
Auch technisch ist das letzte Abendmahl etwas Besonderes, leider. Die übliche Technik zum Bemalen von Mauern war das Fresco. Fresco heißt frisch, und zwar deshalb, weil auf eine frische, noch nasse Schicht Putz Farbpigmente aufgetragen wurden. Das musste sehr schnell geschehen, weil der Putz schnell trocknete, und nachträgliche Korrekturen nicht möglich waren. Dafür drangen die Pigmente tief in die Wand ein, sie waren praktisch eintätowiert und das Bild damit für die Ewigkeit haltbar.
Nur: Für ein Fresco arbeitete Leonardo viel zu langsam. Er war ständig mit anderen Sachen beschäftigt, weil er sich so schnell langweilte, und musste von seinen Auftraggebern gezwungen werden, mal Dinge bis zum Ende zu machen. Vier Jahre brauchte er für die Fertigstellung des “Abendmahls”, und das ging nur, weil er es als Secco umsetzte.
Secco heißt trocken, denn da Vinci malte auf eine trockene Wand und verwendete Farben aus Eigelb, Pigmenten und Hasenleim. Alles sehr organisch, und mit einem erst schönen, nach kurzer Zeit aber schlimmen Ergebnis: Schon wenige Jahre nach seiner Fertigstellung begann das Bild zu verfallen, weil die Farben zu schimmeln begannen. Das lag zum einen an den komischen Farben, zum anderen am feuchten und warmen Klima im Refektorium. In Mailand ist die Luftfeuchtigkeit immer hoch, was durch die vielen Flüsse kommt, die die Stadt durchziehen. Außerdem ist die Abendmahl-Wand die zur Küche des Klosters, so dass auch noch Temperaturunterschiede hinzukamen. Um das Bild zu retten wurde es wieder und wieder übermalt, bis am Ende vorm Original nichts mehr zu sehen war.
Im Jahr 1978 wurde mittels Röntgenstrahlen die ursprüngliche Farbschicht geortet und in den nächsten 20 Jahren wieder freigelegt. Bei der Restaurierung fiel leider Simon Zelotes Gesicht ab, ansonsten ist das Bild heute so gut es geht im Original wieder hergestellt. Trotzdem ist es im Vergleich zu der Kreuzigungsszene auf der gegenüberliegenden Wand, die älter, aber ein echtes Fresko ist, blass und verfallen.
Trotzdem verlasse ich tief beeindruckt Santa Maria delle Grazie.
Mailand hat übrigens die Marienverehrung auf die Spitze getrieben. Statistisch gesehen gibt es alle 74 Meter eine Kirche in der Altstadt, und fast alle sind Maria gewidmet. So auch die nächste Kirche, die ich Besuche. Sie wurde von Bramante gestaltet, der auch den Petersdom entwarf. Weil es schon so viele Kirchen gab, hatten die Adeligen die Nase voll von den dauernden Neubauten und weigerten sich, die für den Bau von Santa Maria presso San Satiro notwendigen Grundstücke freizugeben.
Bramante stand vor dem Problem, dass für die beauftragte Kirche zu wenig Platz zur Verfügung stand. Seine Lösung: Er erlog sich eine Apsis. Anstatt die Kirche wirklich T-Förmig zu bauen, malte er eine Nische an der Rückseite so aus, dass es wirkt, als wäre sie nicht 80 Zentimeter, sondern 10 Meter tief. Betritt man die Kirche, fällt das gar nicht auf:
Erst aus der Nähe sieht man den Schwindel: Die hintere Apsis ist nur eine flache Nische.
Trotzdem ist Santa Satiro einen Besuch wert, denn die Basilika ist prächtig.
Eine Kirche weiter gibt es einen versteckten Zugang zu einem Hinterraum des Kirchenschiffes. In Mailand, so erfahre ich, sind alle wichtigen und schönen Dinge versteckt. Die Stadt hat so oft den Besitzer gewechselt, dass die Bewohner allein schon aus Angst vor Plünderungen ihren Reichtum nicht nach Außen hin zeigten. In dem Gebäude, in dem ich jetzt bin, war einst ein Konvent für Mädchen aus reichem Haus eingerichtet. Das erklärt die ungewöhnliche Ausstattung: Alles ist in Gold und Lapislazuli ausgemalt, eine Farbe, die fast genauso teuer wie Gold war.
An den Wänden des Raumes wird es unappetitlich. Zu sehen sind Bilder von Märtyrerinnen, die die widerlichsten Abgründe der Kirche aufzeigen. Da wären Agatha, der die Brüste abgeschnitten wurden.
Lucia, der man die Augen nahm.
Und Apollonia, der man die Zähe zog.
Nun ist Italien fast überall sehr gläubig, und deswegen werden gerade Märtyrerinnen sehr verehrt. Man schafft es aber dabei, irgendwie die geschmacklosen Wurzeln zu ignorieren und sogar noch etwas… Leckeres daraus zu machen. Am Namenstag von Santa Lucia gibt es Gebäck in Augenform:
Am Namenstag von Agatha, der mit den Brüsten, gibt es Gebäck in Form von… nunja.
Am Namenstag von Apollonia gibt es kein Gebäck, sie ist die Schutzpatronin der Zahnärtzte.
Nach so viel Kirchen geht es zur Scala. Das ist das unscheinbare, aber weltberühmte Opernhaus von Mailand. Richtig heisst es “Opera alla Scala”. Mit der Treppe, ital. Scala, hat das nichst zu tun – die Oper heißt so zu Ehren der Kirche der Familie Scala, die vorher hier stand. Das Opernhaus mag eine weltberühmte Akustik haben, Außen wie Innen ist es aber schlicht. Es gibt ein kleines Museum, dessen Besuch kein Muss ist – die Austellungsstücke sind ein unkuratiertes Sammelsurium von allem, was halt so rumlag: Bilder, Totenmasken, Büsten, Musikinstrumente, alte Eintrittskarten… im Museum der Scala sieht es fast aus wie bei meinem Vater auf dem Dachboden.
Nach der Scala klettere ich auf den Dom. Von dessen Spitze leuchtet golden die Madonnina herab und sticht damit aus dem Februargrau hervor. Dort oben war ich schon einmal, aber das Erlebnis ist so abgefahren, dass ich es jetzt gerne wiederhole. Der Weg nach oben ist schmal und beschwerlich, wenn man nicht den Aufzug nehmen will. Die Treppen sind steil und schmal und es gibt Gegenverkehr.
Oben angekommen kann man auf dem Dach des Doms spazieren gehen, und DAS ist wirklich was Besonderes, zumal, wenn auf den schrägen Dachflächen noch Schnee liegt.
Überhaupt, der Mailänder Dom. Er ist riesig, die drittgrößte Kirche der Welt nach dem Petersdom und der Kathedrale von Sevilla. Das Äußere ist so überladen, dass es einem das Hirn matschig macht, sagte Mark Twain, und er hatte recht.. Das Innere dagegen ist schlicht, aber gewaltig groß.
Im Keller liegen Reliquienschreinen Man muss anstehen und darf dann ganz kurz an ein Gitter treten, um einen ehrfürchtigen Blick darauf zu werfen.
Nach dem Dom laufe ich noch ein wenig in der Altstadt herum und sammele Eindrücke.
Die Innenstadt, das ist eine endlose Aneinanderreihung von Bürogebäuden der Banken und Versicherungen, und in den Ladenstraßen findet sich nur ein Modelabel-Flagshipstore am nächsten. Andere Geschäfte, wie Supermärkte, oder für Dinge des täglichen Bedarfs – das alles gibt es nicht. Nicht mal die üblichen Gedönshändler mit ihren Andenkenständen gibt es hier. Mailand wirkt… steril. Der Eindruck wird durch die breiten Straßen und modernen Gebäude verstärkt. Mailand hat alles neue begrüßt und sofort umgesetzt, und sich dabei radikal von alten Sachen getrennt. Als der Barock aufkam, wurden die Renaissancegebäude abgerissen. Als der Barock out war, wurde sofort Klassizismus umgesetzt. Mailand ist 2.600 Jahre alt, aber die Stadt wirkt, als hätte sie keine Vergangenheit.
Als es dunkel wird, probiere ich heiße Maroni und kehre irgendwann ins Hotel zurück.
Der Schrittzähler zeigt 21,6 Kilometer, mein rechter Fuß bringz mich um und ich zittere vor Kälte. Das die Heizung im Hotelzimmer praktisch tot ist, macht es nicht besser. Gut, dass der Monsterrucksack lange Unterwäsche und eine Fleecedecke bereit hält.
3 Gedanken zu „Reisetagebuch MaGenTu (2): Das ultimative Abendessen“
Nett, der Nod zu der Garage 🙂
Oha! Den Schwindel bemerkt man tatsächlich nicht! Ich war bereits zwei mal in Mailand (wieso eigentlich?), was ich mittlerweile bereue. Denn gerade jetzt wäre die Weltausstellung 🙁
Hast nichts verpasst. Ich war gerade da, die Weltausstellung ist nicht sehr spektakulär.