Motorradreise 2015 (2): Der Mangart
Sommerreise mit dem Motorrad. Am dritten Tag stelle ich mich der Herausforderung Mangart, düse durch Slowenien und erkunde Triest.
Montag, 08. Juni 2015, Villach, kurz vor der slowenischen Grenze
Es ist kurz nach 8 als ich den Gastraum des “Karpfenbachers” betrete. Vor der Tür steht bereits das Motorrad, fertig beladen. “Die Kaffeemaschine ist kaputt, ich kann ihnen nur Tee anbieten”, ruft die gebeugte, ältere Dame hinter der hohen Theke. Na, der Morgen fängt ja super an. Hoffentlich ist das kein Omen für den Rest des Tages, denke ich, und verzeihe das Gesicht, als plötzlich eine Männerstimme dröhnt: “Naaaa, ich habe für EINEN noch Reserve….”. Der Techniker, der beide Hände tief in den Eingeweiden der Kaffeemaschine vergraben hat, ist ein Lebensretter!
Das Frühstück im Karpfenbacher ist einfach, aber gut. Viel bekomme ich eh nicht runter. Ich bin, muss ich zugeben, aufgeregt. Heute, am dritten Tag der Reise, liegt schon die schwerste Etappe vor mir. Die macht mich seit Monaten hibbelig und schlägt mir ein wenig auf den Magen. Dementsprechend schnell bin ich mit dem Frühstück durch, dann prüfe ich – noch sorgfältiger als sonst – jeden Teil der Ausrüstung, die Kofferhalterungen und das Motorrad. Das Vorderrad quietscht seit der Überfahrt nach Österreich erbärmlich, aber dagegen kann ich nichts machen. Immerhin dreht das Rad frei, keine Komponente wird heiß. Egal was hier quietscht, es ist nur nervig, nicht missionskritisch.
Ich schwinge mich auf die Renaissance, drücke auf den Starter und steuere die ZZR langsam vom Hof des Gasthauses und in den morgendlichen Berufsverkehr von Villach.
Auch ausserhalb des Zentrums ist die Stadt nicht schön, weder in den Wohngebieten, noch im angrenzenden Speckgürtel, der aus Einkaufszentren, Mediamärkten und Bauhaus-Centern besteht. Aber direkt hinter der in Beton geronnenen Hässlichkeit ragen die Berge auf, deren Durchquerungsas heutige Ziel ist.
Ich war hier schon einmal, fällt mir auf. Genau auf dieser Landstraße gab 2013 das Navi den Geist auf – bzw. seine Ladehalterung, weshalb ich stromlos in der Sternstadt strandete. Damals war ich durch beeindruckende Täler nach Westen gefahren, heute biege ich nach Süden ab – “Wurzenpass”, lautete die Ausschilderung.
Nur wenige Fahrzeuge sind noch unterwegs. Vor mir ist ein auswärtiger Motorradfahrer, den ich (zu meinem eigenen Erstaunen) schnell ein- und überhole. Den einheimischen Laguna-Fahrer, der auf der letzten Rille um die Kurven heizt, lasse ich aber lieber vorbei und fahre ihm gemütlich hinter her. Ein paar Kurven, ein paar Kehren, immer wenn ich denke “JETZT geht´s los, gleich beginnt die schwierige Strecke”, passiert – nichts. Alles ist unspektakulär. Die Straße schlängelt sich durch Nadelwälder, dann kommt ein Schild “Wurzenpass, 1.073 Meter”, und das war es.
Unmittelbar dahinter liegt die ehemalige Grenzstation, und Europa sei dank kann ich einfach so durchfahren. Tschüss Österreich, hallo Slowenien!
Die Straße schlängelt sich den Berg wieder hinab, und als unten ankomme, baut sich vor mir ein wahrhaft riesiges Massiv auf. Zweieinhalb Kilometer hoch ragt eine Felswand am Ende des Tals auf. Das ist der Mangart, und auf den will ich heute.
Tatsächlich ist der Berg höher als ich den Kopf mit Helm heben kann. Ich muss anhalten, um ihn ganz ansehen zu können. Dieses Biest flöst mir wirklich Respekt ein. Da hoch zu kommen wird harte Arbeit, und die Mangartpassstrasse gehört zu den ungewöhnlichsten in Europa.
Erst einmal muss ich noch tanken. Der junge Tankwart fragt mich auf englisch wo ich hin will. “Mangart”, antworte ich. “You want to go THERE?”, fragt er und blickt mit großen Augen auf die Kawasaki. “Good luck, then”. – “I make my own luck”, murmele ich und schwinge mich wieder auf die Maschine.
Dann geht es ERNSTHAFT in die Berge. Die Straße zieht sich mit 20 Prozent Steigung am Berghang hinauf, und hat in diesem extremen Winkel Kehren mit über 180 Grad. Ja, das gibt es wirklich, und es ist nicht einfach zu fahren. Die Kehren hier hoch sind mit Kopfsteinen gepflastert, von denen die Hälfte locker ist. Das ist fahren wie auf Eiern, WÄHREND man eine Wand hinauffährt UND dabei steuern muss. Das hier sind die Vorläufer des Vršič-Passes, der auf dem Weg zum Managt liegt und auf der Karte eine absurde Aneinanderreihung ziemlich heftiger Kurven ist:
Beim Motorradfahren ist das Gucken extrem wichtig. Die Maschine fährt dorthin, wohin der Blick sie führt. Hört sich einfach an, erfordert aber viel Übung für die Umsetzung. In einer dieser übersteilen Linkskehren passiert es dann. Ich erliege der Versuchung ängstlich direkt vor das Vorderrad und auf die losen Wackersteine zu glotzen und verzirkele mich dabei in der Kehre. Das Motorrad lenkt zu stark ein, und der eingelegte Gang ist dafür zu hoch. Hektisch versuche ich runterzuschalten, aber der kurze Moment des Auskuppelns genügt um die Maschine kurz bocken zu lassen und dann plötzlich zu langsam zu sein. Der kurze Bockstoß hat sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich versuche sie abzufangen, aber das klappt nicht. Sie kippt nach links, in die Kehre hinein, und bis mein Fuß endlich den Boden berührt, ist das Motorrad schon zu schräg. Betankt und beladen mit den drei Koffern wiegt die Kiste gute 265 Kilo, diese Masse lässt sich aber einem gewissen Winkel nicht abfangen.
Ich kann nur noch nach Links abspringen. Ich springe nach rechts von der Maschine weg, die auf die Kopfsteine aufschlägt. Der Motorprotektor, der aus der Seitenverkleidung herausragt, tut seinen Dienst und schlägt als erstes auf den Boden auf, verhakt sich aber in den Kopfsteinen, als das Motorrad den Berg hinabrutscht. Die ganze fahre dreht sich ein Stück um sich selbst, Plastik knirscht über Stein, und schließlich bleibt das Motorrad weiter unten auf der Bergstraße liegen.
…solche Bilder habe ich schon länger vor meinem Inneren Auge. Das sind Ängste, weil keine große Erfahrung im Bergfahren habe. Sicher, vor Ewigkeiten bin ich die ganzen großen Pässe in den Alpen gefahren, aber wie eine Karre Mist und ohne zu wissen wie es richtig geht. Nun bin ich aber heute hier um mich diesen Ängsten zu stellen und es RICHTIG zu machen und ein für alle Mal diese Alptraumphantasien los zu werden. Ich stelle mich meinen Ängsten und lasse mich durch die Herausforderung nicht abschrecken.
Hoch konzentriert drehe ich den Kopf und mache aktiv die Blickführung, spüre dabei den Untergrund durch das Fahrwerk der Kawasaki und dosiere fein mit dem Handgelenk das Gas, um Stück für Stück die Kehren zu erklimmen. Das sieht nicht elegant aus und geht auch nicht schnell, denn die meisten Kehren fahre ich im ersten, maximal im zweiten Gang an, aber ich komme gut rum, nichts kippt und ich bleibe auf meiner Spur der schmalen Straße. Gegenverkehr gibt es nur war nur sporadisch, aber wenn, dann an unpassenden Stellen.
Zig Kehren und auf 1041 Höhenmetern später komme ich an meiner ersten Station an, einer russischen Holzkirche. Die ist berühmt, aber erstens verspüre ich gerade keine Lust darauf (MangartMangartMangart Der Mangart wartet) und außerdem bin ich versehentlich an der Zufahrt zum Parkplatz vorbeigebrettert. Wenden ist nicht möglich, also weiter den Berg hinauf, über eine weitere Passhöhe, diesmal mit spektakulärer Aussicht und Souvenirbude samt gebührenpflichtigem Parkplatz, dann wieder hinab ins Tal. Was mir gar nicht bewusst ist in diesem Moment: Ich habe gerade den Vršič-Pass bezwungen, und der ist mit 1.611 Metern die höchste und mit 50 Haarnadelkurven im Norden die schwierigste Passstrasse Sloweniens.
Hinunter sind es ebenso viele Kehren wie hinauf, aber ohne Kopfsteinpflaster und nicht so steil. Wieder unterhalb der Baumgrenze folge ich der einzigen Landstraße in dem Gebiet nach Süden. Sie verläuft paralell zu einem Fluß, der ganz klares und, bei diesem wolkenlosen Himmel, blau schimmerndes Wasser führt. Das ist das Soča-Tal, und die Region ein Touristenparadies. Ständig sehe ich andere Motorradfahrer, Radrennfahrer, Mountainbiker, Wanderer, Kanuten und Raftingleute.
Für mich ist das das Tal der Schmetterlinge. Die Renaissance rollt mit gemütlichen 70 Stundenkilometern über den makellosen Asphalt der schmalen Straße, als plötzlich links und rechts von ihr aus den Gebüschen und Wiesen hunderte von weißen Schmetterlingen aufsteigen. Für einen kurzen Moment ist es, als ob das Motorrad durch kleine, weiße Wolken gleitet.
An einer Kreuzung biege ich wieder nach Norden ab. Jetzt geht es ein anderes Flußtal wieder hinauf und zurück in die Berge. Nach einer halben Stunde habe ich die Zufahrt zum Mangart erreicht, die… gesperrt ist. Der Wegweiser ist mit rotem Klebeband durchgestrichen, und ein großes “Durchfahrt verboten” Schild hängt neben der Tafel, die über den höchsten Pass Sloweniens informiert. Davor stehen Motorräder, dicke BMW-Enduros, mit Münchner Kennzeichen. Ich halte neben ihnen, stelle den Motor ab und überwinde mich, die anderen Motorradfahrer anzusprechen. Ich mag solche Konversationen nicht, aber ich brauche die Informationen. “Gesperrt?”, frage ich.
“Joa, aber des het die annere nicht ufgehaldn, die grad ´nauf sind”, schwäbelt es hinter einem schwammigen GS-Fahrer hervor. Auwei, Bayern UND Schwaben. “Aber ihr wollt nicht, oder was?” “Mir ham schon Tickets gesammelt, noch a Strafzettele wolln wa nicht”, schwäbelt es, und der Bayer bringt diverse Doppelkinne in Bewegung, als er zustimmend nickt. “Jo mei, 250 Mark wegen 12 K-M-H zu schnell, bei Gleichzahlung nur die Hälfte.” Ich verkneife mir die Frage, ob die Gleichzahlung mit Barzahlung gleichzusetzen war.
Ich grübele und bin unschlüssig. Ich will mir beweisen, dass ich den Mangart kann, und jetzt umzukehren… dann hätte ich auf ewig unfinished business hier.
In dem Moment kommt ein Motorrad von oben herangerollt und hält neben mir. “Wie sieht´s aus?”, will ich wissen, und erfahre, dass das eine tolle Straße sein, auf der man richtig heizen könne, ganz tolle Kurven, das Fahrwerk seiner Ducati sei ja…. Jaja, blabla, aus diesem Angeber sind keine relevanten Infos raus zu bekommen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich probiere das jetzt aus. Setze den Helm wieder auf, schalte die Kamera an und fahre los.
Es beginnt harmlos, einige sanfte Kurven, dann kommt die Straße aus einem Wald heraus und zieht sich an einem langen Talkessel entlang, Hier bin ich noch mit Tempo 70 unterwegs, dass ändert sich aber, als die ersten Kehren kommen. Mit ihnen wird die Straße schmaler, sie ist nun einspurig – aber keine Einbahnstraße, jederzeit kann Gegenverkehr kommen.
Als die Bäume ganz verschwunden sind, finde ich mich in einer bizarren Steinwelt wieder. Links von mir gibt es Wände aus schroffem Fels, rechts geht es zum Teil hunderte Meter senkrecht den Berg hinab. Ohne Leitplanke. An besonders gefährlichen Stellen stehen Betonklötze, ansonsten wird die Straße nur von Grenzsteinen gerahmt. Kommt man HIER in einer Kurve ins Kippen, geht es mehr als nur ein paar Meter abwärts.
Neben den fehlenden Leitplanken und den steilen Felswänden gibt es noch die Tunnel. Auf dem Weg zum Mangart führt die Straße durch fünf Tunnel, die nur grob aus dem Fels gestemmt sind und deren Wände keine Sicherung haben. Ständig stürzt Geröll von den Decken und Wänden auf die Fahrbahn, und noch dazu sind die Tunnel unbeleuchtet und haben nasse Böden. Mit anderen Worten: Es ist stockfinster da drin, besonders, wenn man aus dem strahlenden Sonnenlicht kommt. So schnell können sich die Augen gar nicht umstellen. Ich sehe nicht mal den Lichtkegel des Schweinwerfers, nur das Licht am Ende des Tunnels, auf das ich langsam zusteuere.
Tunnel Nummer 1 ist noch harmlos, aber schon Tunnel Nummer 2 ist eine Herausforderung: Fährt man zu schnell geradeaus, steuert man ins Nichts – unmittelbar hinter der Tunnelöffnung knickt die Straße um 90 Grad ab.
Ich bin sehr konzentriert und habe kaum ein Auge für die tolle Landschaft, durch die ich gerade fahre.
Besonders heftig ist Tunnel Nummer 5, hinter dem sie Straße zerbrochen und ein gutes Stück den Berg hinabgesackt ist. Ein Fest für Enduros, für eine Sportlerin wie die Renaissance aber eine Qual. danach dauert es aber nicht mehr lange, und ich stehe vor einem Berg Schnee. Mitten auf der Straße gibt es einen Schneeberg, in dem ein Schild steckt: “Wegen Steinschlag geschlossen”.
Hier geht es nicht mehr weiter. Neben dem Schneeberg ist ein Parkplatz, vor dem ich das Motorrad abstelle. Eine rothaarige Frau, die etwas grün um die Nase ist, steigt gerade vom Soziussitz einer blauen Reiseenduro ab. “Na, man ist doch froh, wenn man es geschafft hat, was?” und muss das gleich nochmal auf englisch wiederholen, weil die Dame und ihr Begleiter kein deutsch sprechen.
Ich kann kaum verbergen wie froh ich bin das hier geschafft zu haben. Ich habe die schwierigsten Kurven und den höchsten Pass Sloweniens und eine der ungewöhnlichsten Straßen Europas gemeistert, und das ohne einen fatalen Fehler. Das folgende Video zeigt Ausschnitte aus der heutigen Fahrt. Am Anfang gut zu hören: Das erbarmenswürdige Quietschen des Vorderrads.
[wpvideo xhZA1H4U]
In Gedanken bin ich schon bei der Abfahrt, aber für einen Moment versuche ich trotzdem den Ausblick zu genießen, der sich hier bietet. Grünes Gras, Bergblumen, Felsen… und auf Augenhöhe andere Berggipfel, zum Teil umspielt von Wolken. Hinter der Straßensperre zieht sich die Passstraße in einem weiter Felshalbkreis bis zum Berggipfel hinauf. Weit oben sehe ich das Blinklicht eines Baufahrzeugs.
Nach einem Moment des Durchatmens schwinge ich mich wieder auf´s Motorrad und wende vorsichtig. Der Weg zurück ist der gleich wie hinauf, fährt sich aber einfacher und bietet noch tollere Ausblicke.
Als ich unten, am Fuß des Passes ankomme stehen zwei bullige BMW-Enduros im Weg. Auf der ersten sitzt eine vierschrötige Frau Mitte 50 mit einem Kinn, mit dem sie sicher Nüsse knacken kann. Auf der Maschine dahinter hockt ein schwammiges Männlein mit einem traurigen Schnurrbart. Es trägt eine fabrikneue und sauteure BMW-Kombi, die so sitzt, als hätte er beim Kauf gehofft, bis zum ersten Tragen noch ungefähr 10 Kilo abzunehmen. Hat augenscheinlich nicht funktioniert, der Plan. Während sich die Presswurst sichtlich unwohl windet, blafft das Kinn mit münchner Dialekt “Wie schaut´sn?”
“Frei bis Parkplatz”, sage ich, “der ist…” -“Ich kenn´ die Straße”, blafft mit das Kinn an, klappt den Helm zu und gibt Gas. Das schwammige Männlein guckt hilflos, gibt dann auch Gas, würgt die Maschine ab und fällt vor Schreck fast um. Tja. Recht deutlich zu sehen, wer in der Beziehung die Hosen an hat.
Wenig später zischt die Renaissance durch die grünen Täler der slowenischen Berge. ich kenne die italienische Seiten von denen. 2013 bin ich da lang gefahren und war beeindruckt von den grün bewaldeten Bergen, zwischen denen die Landstraße in tiefen Tälern verlief. Die Täler in Slowenien sind breiter und werden landwirtschaftlich genutzt. Die Straße führt in sanften Kurven an den Berghängen lang, und hier bin ich in meinem Element. Das hier ist nicht die konzentrierte Schwerstarbeit, die das Bergfahren vorhin war. Das hier ist elegantes um-die-Kurven-sausen, so liebe ich das.
Mehrere Stunden geht es durch die Bergtäler, vorbei an Feldern, duch kleine Ortschaften und entlang an blau grün schimmernden Seen und Flüssen. Zwischendurch bläst mal ein warmer Sturm durch einige Täler, aber das ist nicht einmal unangenehm. Mit 28 Grad im Schatten ist es ohnehin sehr warm. Ich habe in diesem Jahr keine lange Funktionshose unter dem Fahreranzug an – ich hatte mir eingebildet die nicht zu brauchen, und ausserdem saß sie ohnehin zu eng, weil ich in letzter Zeit ordentlich Beinmuskeln bekommen habe, aber das rächt sich nun. Ich spüre, wie mir der Schweiß die Beine hinabrinnt, so viel Flüssigkeit wie ich hier verliere, kann der Anzug gar nicht nach außen abgegben. Zumal die Ventilationsöffnungen noch gar nicht offen sind, was ich beim nächsten Stop ändere und die verdeckten Reissverschlüsse an Armen, Brust, Beinen und Rücken der Kombi aufmache. Jetzt strömt Fahrtwind vorn und seitlich in den Anzug hinein und streicht über die Klimamembran, was eine feine Abkühlung bewirkt und die Verdunstung fördert. Damit lässt es sich aushalten.
Nach drei Stunden komme ich aus den Bergen heraus und quere die Grenze nach Italien, und nur wenige Minuten später sehe ich das Meer. Vor mir öffnet sich der Golf von Triest, und in der Ferne schimmert schon die einst so umkämpfte Hafenstadt von Österreich, die über die Jahrhunderte verschiedenen Ländern gehörte und heute wieder Bedeutung als Transitstadt erhält.
Bevor ich in die Stadt fahre, halte ich an einer Uferpromenade. Wie bei einem Freibad führen hier Betonterassen ans Meer. Das Ganze IST ein riesiges Feibad, aktuell wird es aber nur von wenigen, giggelnden Teenagerinnen benutzt, die abwechselnd baden und sich auf den Terassen sonnen. Ich setzte mich in den Schatten eines Baumes und gehe zum ersten mal seit Tagen wieder ins Internet, denn hier in Italien funktioniert der Hotspot, der im Motorrad steckt.
Das Rauschen des Meeres, die Wärme… fast döse ich ein, raffe mich dann aber doch noch auf und fahre in die Stadt. Das Motorrad bleibt am Bahnhof zurück, ich ziehe zu Fuß los.
Trieste hat ein wenig was von Genua. Beide Städte haben ähnliche Baustile, beide liegen zwischen versteppten Berghängen und dem Meer. Beide waren mal groß, und von dieser Größe zehren sie immer noch, auch wenn nicht mehr viel davon übrig ist. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Wo Genua den Beautiful Decay zum Stilprinzip erhoben hat und im Alltag umarmt, zeugt Triests Innenstadt von viel zu rasch aufgelegten Sanierungsprogrammen, die die Stadt modernisieren sollten, sie stattdessen aber ihrer Identität berauben. Viele betongewordene Scheusslichkeiten gibt es hier, einzig die großen Palazzi und die wenigen, prächtigen Plätze sowie die Uferpromenade sind ansehnlich. Das geht aber fast unter im allgegenwärtigen Verkehr, der sich hier durch jede kleine Straße wälzt. Autofrei ist hier nichts, und das nimmt der Stadt das letzte Flair.
Einzig der berühmte Zentralplatz, die Piazza del´Unita mit dem prächtigen Barockrathaus und der offenen Seeseite sind wirklich schön:
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Der Hafen liegt direkt vor der großen Piazza. Ich bummele da ein wenig herum und stoße auf Metallskulpturen. Eine alte Dame spricht mich auf englisch an, ob ich wüsste, welche Bedeutung die Figuren haben. Habe ich nicht. Sie verrät sie mir auch nicht, sondern meint nur, ich sollte das Nachlesen.
Tatsächlich handelt es sich um die “Mule Triestine”, die Triester Frauen. Ein Denkmal für die Frauen, die im Krieg ihre Männer durch die Arbeit zu Hause unterstützt haben, und die nun im Hafen auf die Rückkehr einer Einheit Scharfschützen warten.
Die Sonne brennt vom Himmel, es sind fast 30 Grad, und bevor ich einen Sonnenstich bekomme, wandere ich lieber wieder zurück zum Motorradparkplatz am Bahnhof.
Nach einer kleinen Rundtour schwinge ich mich wieder auf´s Motorrad und fahre hoch hinauf in die Berge. Die Straße ist wirklich steil, aber nach dem Mangartausflug ist das alles keine Herausforderung mehr, lediglich die an unbeschrankten und kaum gekennzeichneten Übergängen kreuzende Bimmelbahn ist noch interessant.
Eine Viertelstunde außerhalb von Triest liegt Villa Opicina, und dort ist der Kirschenwinkel, der Angolo de Ciliene. Das Haus ist verhältnismäßig günstig, aber nur, weil alle anderen Unterbringungen hier extrem teuer sind. Dazu liegt es strategisch gut, nur 10 Minuten von meinem morgigen Ziel entfernt, und – ganz wichtig – es hat einen eigenen Parkplatz, inkl. Motorradport. Dort drin parke ich die Kawasaki, und als ich den Helm abnehme, weiß ich auch, woher das Hotel seinen Namen hat. Der Innenhof steht voller kleiner Bäume, die prächtig mit Kirschen behangen sind.
Als ich das Haus betrete, ist die Rezeption unbesetzt. Ein Zettel verkündet, dass die Schlüssel auf den Zimmern liegen würden, und darunter klemmt eine Liste mit den Gästen des heutigen Tages und Zimmernummern. Ich bin in Nummer 20, nun gut. Nach dem Abladen des Gepäcks gucke ich mir das Vorderrad des Motorrads an. Das quietscht immer noch erbärmlich und so laut, dass sich die Leute auf der Straße umdrehen.
Ich baue probeweise die Tachowelle aus, aber die ist es nicht. Dann spritze ich auf Verdacht Öl in diverse Öffnungen. Das macht nur Schweinerei, bringt aber keine Besserung. Ich werde echt irre. Seit drei Jahren taucht das Quietschen sporadisch auf, dauerhaft aber immer nur dann, wenn ich in Urlaub fahre. Drei Mal war das Motorrad schon in der Werkstatt, zwei Mal wurden die Bremsen ausgebaut und gereinigt. Und der Effekt? Nichts. Das laute Quietschen nimmt mir die Freude am Fahren, weil ich keine Ahnung, ob es ein Zeichen für einen schlimmen Defekt ist. Ach, heute kann ich hier nichts mehr machen. Ich packe das Werkzeug wieder weg und mache mich auf die Jagd nach einem Abendessen.
Unten im Haus gibt es ein Restaurant, das auch nicht gerade billig ist, aber für alles andere bin ich heute zu müde. Mein Körper fühlt sich an, als wäre er mit einer Eisenstange verprügelt worden, so sehr schlägt sich die Anstrengung des heutigen Tages nieder. Aber die Eisenstange hat verloren, denke ich und muss lächeln.
Das Restaurant ist nicht schlecht, aber weit davon entfernt was Besonderes zu sein. Die Bedienung spricht nur italienisch, und nur viel und schnell, und da ich müde und noch nicht wieder richtig in der Sprache drin bin, wird die Konversation sehr holprig.
Am Ende des Abends gibt es für mich Birra Doppia Malto, Risotto mit Porree, Tintenfisch und hausgemachte Pommes sowie eine Rechnung, die in Bar und sofort und ohne Scontrino beglichen wird. Sie ist ausserdem 3 Euro zu hoch, aber ich habe keine Lust zu streiten.
Ich wanke zurück auf mein Zimmer und falle auf´s Bett. Dann stehe ich noch einmal auf und suche die Fernbedienung für die Klimanalage. Ich bin hundemüde, das Zimmer ist gleich nicht mehr unerträglich heiss… es besteht die Chance, dass ich zum ersten Mal seit Tagen gut und tief schlafen können werde.
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2 Gedanken zu „Motorradreise 2015 (2): Der Mangart“
Ich glaube ja niemand schafft es am Mangart ganz bis oben. 🙁
Aber du bist schon mal drei Kehren weiter gekommen als wir, bevor dich die Schneewehe erwischt hat…
Es gab ein paar Verrückte, die mit ihren Enduros von ganz oben runtergeritten kamen. Ich würde mich aber nie mit der Straßenwacht anlegen – wenn die sagt, Straße zu wegen Steinschlag, wir reparieren das jetzt erstmal, würde ich denen nicht durch die Baustelle heizen.