Motorradreise 2015 (9): Haustierwaschmaschine, Pupsschlamm und Amifalle
Sommerreise mit dem Motorrad. Heute: Versteckte Paradiese der Einheimischen, Fallen für amerikanische Touristen und meine heimliche Leidenschaft für geile Wäsche. Außerdem: Graues Eis und warum Postkartenhändler eine eigene Post haben.
Samstag, 20. Juni 2015, Siena
Der Samstag ist geprägt von ein wenig Hausarbeit. Ich bin schon wieder seit Tagen unterwegs, Wäschemachen ist fällig. Der neue Waschsalon, den ich im Gewerbegebiet von Siena entdeckt habe, ist cool – er hat von 8 bis 23 Uhr geöffnet, es gibt WLAN, während man wartet, und die Bedienung der Maschinen ist leicht verständlich mit großen Bildern erklärt.
Wobei “selbsterklärend” relativ ist. DIESES Bild fehlinterpretiere ich zuerst als “In diesen Waschmaschinen können Sie ihre Haustiere waschen”.
Tatsächlich käme man in Deutschland nicht auf die Idee, in einem Waschsalon mit einem Dutzend Waschmaschinen nur genau eine speziell für Leute anzubieten die Haustiere halten. In Italien ist das anders, Tiere im Haus zu halten macht eigentlich niemand. Katzen und Hunde werden in der Regel draußen gehalten, dementsprechend hat auch niemand Tierhaare an den Klamotten. Solche kleinen Kulturunterschiede lösen Fehlinterpretationen aus.
Beim nachmittäglichen Ausflug in die Ruhe der Crete Senesi, dem dünn besiedelten Landstrich hinter Siena, finde ich unter einer Autobahnbrücke ein Naturbad. Tatsächlich handelt es sich um Thermalquellen mit hohem Schwefelgehalt, wie der Geruch nach Pups nahelegt. Einheimische nutzen die natürlichen Becken des Flußbetts zum Baden (in vielen Fällen gänzlich nackt), zum darin Herumwaten oder zum Duschen.
Viele schmieren sich mit dem warmen Schlamm ein, der, so weiß ich aus eigener Erfahrung vom Baden in Saturnia, schlimm nach Pups riecht. Noch Tage nach einer solchen Schlammpackung zieht man einen leichten Duft nach faulen Eiern hinter sich her.
Ansonsten präsentiert sich die Crete von ihrer besten und damit auch kitschigsten Seite. Obwohl es bedeckt ist und ab und an Tropfen fallen, sorgt die Lichtstimmung dafür, dass selbst profane Hügel aussehen wie Postkartenmotive.
Was mir an italienischen Autofahrern gefällt? Sie fahren zügig und passen auf. Anders als Deutsche. Manche unserer Landsleute bewegen sich auf der Straße, als führen sie einen Panzer. Nur um sich dann, wenn´s gekracht hat, bräsig umgucken und darauf beharren, das sie sich doch an die Regeln gehalten haben. Italiener machen VORHER die Augen auf und das Hirn an. Gut, außer in Neapel, da fährt man Auto wie anderswo Autoscooter. Aber im Norden vorn Italien findet man enorm clevere Autofahrer. Die Führerscheinausbildung ist hart und enorm schwierig (ohne Witz). Hauptaugenmerk der Ausbildung ist gucken-gucken-gucken und mitdenken. Das merkt man auch.
Gerade weil die italienischen Autofahrer nicht in Bräsigkeit erstarrt sind, sondern im Zweifel sogar für andere mitdenken, bin ich auch schlagartig hellwach, als ein italienischer Mercedes mit mir blitzender Lichthupe entgegenkommt.
Ich richte mich auf, nehme das Gas weg und lege Hand und Fuß an die Bremsen. Keine Sekunde zu spät, denn hinter einer Kurve stehen Fahrzeuge auf der Fahrbahn. Ich greife und trete in die Bremsen, und mit maximaler Verzögerung und Rädern, die an der Grenze zum Blockieren laufen, kommt das Motorrad gerade mal zwei Meter vor dem letzten Fahrzeug zum stehen. Ohne die Vorwarnung hätte ich das wohl nicht geschafft rechtzeitig. Danke, Unbekannter Mercedesfahrer!
Grund des Staus ist ein Alfa Romeo, der vollkommen zerstört und auf dem Dach mitten auf dem Asphalt liegt, ein Überbleibsel einer langen Samstag Nacht. Eine Carabiniera steht am Fahrbahnrand, die Hand am Waffengurt, während Arbeiter eines Bergungsunternehmens den Verkehr wechselnd an der Unfallstelle vorbeileiten.
Der weitere Weg nach Florenz verläuft zum Glück ohne Komplikationen, und sogar – ich staune! – ohne Stau an der Piazzale Michelangiolo. Die Renaissance bleibt, wie immer, am Torre Niccolò zurück, und ich marschiere in die Stadt ein.
Bis jetzt war es kühl vom Regen der vergangenen Nacht, und ich trage die komplette Motorradmontur. Aber jetzt kommt die Sonne raus, und die ersten Florentinerinnen liegen schon am Strand. Ja, Florenz hat im Sommer einen Strand, aufgeschüttet direkt am Arno.
Mein Weg führt mich durch die Altstadt zum Bargello, dem Nationalmuseum direkt am Rathaus. Irgenwie habe ich es 2012 ja geschafft, 5 Tage in der Stadt zu sein und von den großen Museen nichts mitzubekommen. Damals habe ich den Vasarikorridor besichtig und andere Dinge abseits des Mainstreams gemacht, oder eben mitten im Mainstream, denn auf den Dom oder den Glockenturm klettern, das geht im Herbst halt viel besser als im Hochsommer.
Während ich durch die Natursteingassen schlendere, die sich seit 500 Jahren kaum verändert haben, erwacht die Stadt langsam zum Leben. Touristen sind nur sehr wenige unterwegs. Denke zumindest, werde aber gleich darauf eines besseren belehrt. Als ich um eine Ecke biege stehe ich plötzlich einer Wand von Menschen gegenüber.
Hunderte von Touristen, dem Aussehen und dem Sprachgewirr nach ALLE aus Amerika, stehen bereits in mehreren, jeweils hunderte Meter langen Schlangen an. Ich sondiere erst einmal die Lage, trabe an den Schlangen vorbei und schaue, wo die Eingänge sind und welche Schlangen wo hineinführen.
Porca Miseria, offensichtlich ist die Schlange für bereits reservierte Tickets genauso lang wie die für Spontanbesucher. Wobei ich noch nicht einmal ein Ticket habe, nur einen Voucher mit einer Uhrzeit. Den kann ich aber am Kassenhäuschen, das sich gegenüber in Hausnummer 51 befindet, gegen ein Ticket umtauschen. Uh, das sieht hier alles nicht gut aus. Warum ist hier so viel los? Egal, erst einmal Frühstück. Es gibt einen Caffé Doppio und ein Brioche, klassisch im Stehen an der Bar, dann gehe ich noch ein wenig spazieren und finde mich eine halbe Stunde vor meiner Einlassuhrzeit wieder in der Schlange ein.
Um mich herum sind wirklich alles Amerikaner, ausschließlich. Was auch immer in der Accademia steht, für Amerikaner ist das anscheinend Pflichtprogramm. Wie sich herausstellt, ist es ausgerechnet der Original David, dessen Replik vor dem Rathaus steht. Anscheinend muss man als Ami, wenn man schon Florenz besucht, auch den Schniepelhannes mit den viel zu großen Händen (und Klöten) angucken.
Unproportional große Hände und Testikel symbolisieren die Macht von Florenz. Nichts anderes ist der David: Eine anthropomorphe Personifizierung der Stadt.
Alles andere in der Accademia ist den Besuch nämlich echt nicht wert – es gibt nur wenige Räume, und die sind vollgestellt mit ein paar Musikinstrumenten und ansonsten Bildern aus der Zeit bis zum 14. Jahrhundert. Und das heisst: Leidende Heilige, Ikonenbilder, Jesus am Kreuz, alles so zweidimensional und schlecht gemalt, das manche Bilder fast wie eine Satire wirken. Oder wieso kniet da Louis de Funés vor dem, irgendwie schielenden, Jesus am Kreuz?
Lediglich einen Raum finde ich noch interessant, allerdings sieht der aus wie das Außenlager für Gartenstatuen in einem Baumarkt. Nee, das war hier nichts.
Ich gucke zur Sicherheit noch zwei Mal, ob ich nicht irgendwo einen Aufgang oder einen Durchgang zu anderen Gebäudeteilen übersehen habe – aber das ist nicht der Fall, mit dieser Accademia ist man tatsächlich in 20 Minuten durch! WENN ich jemals eine Tourifalle gesehen habe, dann das hier. Und die Amerikaner wandern da rein wie die Lemminge und nehmen dafür stundenlanges Anstehen in Kauf.
Ich hatte ja gedacht, dass ich in der “berühmten” Accademia mehr Zeit verbringen würde, aber so kann ich noch ein wenig länger durch die Straßen wandern.
Von Donatello gibt es gleich mehrere Werke, u.a. seine Version des David. Mit dem bin ich nie warm geworden, jetzt weiß ich auf warum: Proportionen und Haltung stimmen überhaupt nicht. Wäre David ein Mensch, hätte er einen Buckel, ein deformiertes Knie und wäre schwanger.
Auch eine Säule ist hier im Original zu sehen. Sie trug eine Statue unter der Loggia. Die Nachbildung steht da heute noch, die habe ich schon oft gesehen, aber erst im Original fallen mir die wirklich gruseligen Grotesken auf, die aus der Säule blicken.
Nach dem Bargello schwitze ich auf die andere Stadtseite hinüber. Wegen der Hitze, rede ich mir ein, habe ich mir ein Eis bei der besten Eisdiele der Stadt verdient, die ZUFÄLLIG auf dem Weg liegt. Also, fast. Der Umweg ist nur gering. Aber Torta Paradiso, Sesame Nero, Pistacchio Puro und Cheese Cake verzehren sich halt nicht von allein, oder?
Mit Eis ist so ein Stadtbummel gleich doppelt so schön. Urlaub ist toll. Schon irre, wenn man mal nichts anderes vor hat als Eis essen und ziellos durch die Stadt laufen.
Für einen Moment stehe ich davor wie ein Reisender in der Wüste, der nicht sicher ist, ob die Oase nur eine Fata Morgana ist, dann stürze ich mich ins Gemenge der kleinen Stände, die Mangold, Kirschen, Äpfel, Honig, Marmeladen, aber auch Hand- und Holzarbeiten und allerhand Schnickschnack anbieten. Ich weiß ganz genau wonach ich suche, denn das alte Salsa-Glas mit dem selbstgedruckten Aufkleber habe ich bis heute im Kühlschrank stehen. Und HEUREKA!
Da ist ein winziger Tisch, an dem es angeboten wird! Ich überlege, ob ich dem Hersteller erzählen soll, das sein Zeugs so gut ist, dass ich seit 3 Jahren dahinter her bin, aber der gute Mann – tatsächlich ein Opa – liegt hinter seinem Tisch in einem Klappstuhl, hat eine Sonnenbrille auf der Nase und schnarcht vor sich hin. Ich bezahle am Nachbarstand, um den Salsa-Opa nicht zu wecken, und schleppe glücklich zwei Gläser davon. Hach!
Das hier ist ist das Ensemble bei mir zu Hause:
Der Leinenstoff muss nicht gebügelt werden, er ist schwer und fasst sich anders an als alles, was ich jemals vorher in der Hand gehabt habe. Das Muster heißt “Accanto”, stammt aus dem 15. Jahrhundert und wird mit großen Holzstempeln von Hand gestempelt. Die Farbe ist aus Mehl und der Farbton heißt “Bordo” – Italiener halten nichts von überflüssigen Vokalen, die am Klang eines Wortes nichts ändern.
Die Post in Italien gilt ja als notorisch unzuverlässig, und das zu recht. Urlaubskarten kommen nur in den seltensten Fällen beim Empfänger an. Vermutlich ist deren Beförderung gänzlich unter der Würde des Staatsbetriebs, und in den Sortierzentren gibt es Leute, deren einziger Job es ist, Karten von Touristen auszusortieren und sofort zu entsorgen. Anders ist die Schwundrate nicht zu erklären.
Das italienische Post und Postkarten nicht zusammengehen hat sich mittlerweile in einem Maße rumgesprochen, dass es schädlich ist für den Tourismus, genauer: Die Postkartenverkäufer. Deshalb gibt es nun eine private Post, extra für Touristen. Das Unternehmen verspricht die zuverlässige Beförderung von Urlaubspost, und das sogar nachverfolgbar. Jede Briefmarke hat einen QR-Code und lässt sich im Netz tracken.
Die Briefkästen der Privatpost hängen an den Andenkenläden:
Heute heisst es Abschied nehmen von Siena. Nicht für immer, aber für dieses Jahr. Ich esse noch einmal Pici in der schlechten Spaghetteria und verabschiede mich von Bruno.
Im Casa Brescia warten dann VIELE Einkäufe darauf verstaut und in den Koffern ausgewogen zu werden. Danach mache ich mir ein wenig Sorgen über die morgige Route. Ich könnte in 4 Stunden in Mailand sein, muss dafür aber über Autobahnen aus der Hölle und vor allem: Über Mautstraßen. Die Alternative ist 500 Kilometer lang und dauert mehr als doppelt so lang. Ich bin etwas unschlüssig.

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4 Gedanken zu „Motorradreise 2015 (9): Haustierwaschmaschine, Pupsschlamm und Amifalle“
Schon schön, die Tischwäsche. Aaaaaaber – Frage aus dem Hausfrauenforum – kann man die denn ganz normal in die Waschmaschine stecken, wenn die Farbe aus Mehl besteht…? Ich meine, Tischwäsche ist ja schließlich dafür prädestiniert, auch mal vollgekleckert zu werden. Selbst wenn man keine Kleinkinder am Tisch hat… *hust*
Oh, aber ja. Mindestens bis 60 Grad. Um ehrlich zu sein: Ausprobiert habe ich das noch nicht.
Silencer, ich glaube ja, daß die Waschmaschine speziell für Kuscheltiere reserviert ist. Danke daß du die italienischen Fahrkünstler erwähnt hast. Auch in Frankreich ist die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer wesentlich ausgeprägter als in Deutschland. Die Italiener und Franzosen haben sogar Rückspiegel und das beste ist, die benutzen diese sachkundig. Will sagen die lassen dich vorbei, wenn sie merken daß du schneller bist. Sensationell! Bei uns werden in solchen Situationen, doch eher die Ellenbogen ausgefahren, ganz nach dem Motto: du kommst hier nich vorbei!
Also ich mag den “südlich kommunikativen” Fahrstil sehr. Auch dein Kreisverkehr des Todes, bei Galuzzo, verliert seine Gefährlichkeit wenn man reinhält. Et hät noch immer jotjejangen, so sagt man in Köln. Kann es sein daß die Unfälle dort durch Zauderer ausgelöst werden? hahahaha! Apropos Kreisverkehr, am schlimmsten finde ich die Kollegen, die im Kreisverkehr sind und meinen aus Höfflichkeit jemand reinzulassen. Horror! Wenn es läuft, dann bremse niemals im Kreisel!
LIEBEn Gruß
rudi rüpel
Genau so!