Eine nette Omi kapert Herrn Silencers Smartphone. Aus 500 Kilometern Entfernung.
Für rechtsverbindliche Geschäfte ist es gelegentlich notwendig sich auszuweisen. Früher gab es nur einen Weg dafür: Man musste auf´s Amt oder, bei kommerziellen Dingen, in die Filiale des Anbieters.
Dann kam das Internet und mit ihm Anbieter, die gar kein Filialgeschäft mehr betrieben, aber auch einen Identitätsnachweis brauchten. Erwachsenenfilme im Streamingportal gucken, nicht jugendfreie Dinge bestellen oder Anträge bei Intenetbanken stellen, das erforderte eine Feststellung der Personalien.
Auftritt Post-Ident-Verfahren. Dabei füllte man ein Formular aus, ging damit und mit dem Personalausweis zur nächsten Postfiliale. Dort wurde bestätigt, dass man der war, als der man sich ausgab, und das Formular direkt an die richtige Stelle weitergeleitet. Das funktionierte prima.
Die Bahn versuchte als Konkurrenz ein Bahn-Ident-Verfahren zu etablieren, bei dem man sich im Reisezentrum am Bahnhof ausweisen konnte, aber das scheiterte an uninformierten Mitarbeiter/-innen und Formularen, die irgendwo im Apparat der Bahnverwaltung verschwanden und nie den Empfänger erreichten. Also nicht so prima.
Nun sind die Zeiten vorbei, in denen man auch nur das Haus für ein Ident-Verfahren verlassen musste. Seit einem Jahr ist Video-Ident der neue, heiße Shice.
Ich bin damit in Berührung gekommen als ich mich gegenüber einer Bank ausweisen musste. Nachdem meine neue Mastercard mit leerem Magnetstreifen geliefert wurde, hatte ich die Faxen bei deren Anbieter dicke und wechselte zu einer anderen Bank.
Die neue Bank bot eine App für´s Smartphone an, die der Verwaltung der Kreditkarte dient und über die auch der Erstantrag gestellt werden kann. Was mir nicht so bewusst war: Auch das Video-Ident-Verfahren ist in die App integriert, und hat mich relativ kalt erwischt.
Das Antragsformular in der Smartphone App wollte zunächst nur Standardsachen wissen. Name, Adresse, Geburtsort usw. waren schnell eingeben. Dann fragte die App:
Haben Sie ein Ausweisdokument in Ihrer Nähe?
Ja klar.
Haben Sie gerade 5 Minuten Zeit?
Äh, ja?
Befinden sie sich an einem ruhigen Ort?
Ja, aber warum willst Du das wissen?
Verfügen Sie über eine stabile Netzanbindung?
Ja, aber WTF…?
In dem Moment poppte ein Fenster auf dem Bildschirm meines Telefons auf, und aus dem heraus schaute mich eine freundliche Dame mittleren Alters an. „Guten Abend Herr Silencer“, sagte Sie mit berlinerischem Zungenschlag. Vor Schreck fiel mir fast das Telefon aus der Hand.
„Sie möchten gerne das Videoidentverfahren für den Antrag XY der Bank YZ machen. Meine Name ist Gertrud Kopp und wir gehen das jetzt zusammen an.“ Ich versuchte möglichst freundlich in den Videochat zu gucken, denn offensichtlich sah mich Frau Kopp über die Frontkamera. „So, Kamera bitte auf Augenhöhe halten, ich nehme jetzt ein Foto auf. 3-2-1, Danke.“ Sie tippte bei sich was etwas ein, schob dann ihre Lesebrille die Nase hoch und rückte ihr Headset auf der Dauerwelle zurecht. Dann guckte Sie mich wieder direkt an. „Haben Sie ihren Ausweis zur Hand?“
„Ja“, antwortet ich. „Gut. Ich schalte jetzt auf die rückseitige Kamera um“, sprachs und gleichzeitig schaltete das Videobild von meinem Gesicht auf den Schreibtisch vor mir um. Sie steuert mein Telefon fern, durchfuhr es mich.
„Jetzt legen Sie bitte ihren Ausweis auf den Tisch und das Telefon direkt darüber. Ich mache das Licht an der Kamera an.“ Frau Kopp klickte bei sich auf dem Bildschirm was an, und 500 km von Berlin entfernt flammte an meinem Smartphone die Kameralampe auf. Dieser Kontrollverlust über das vertraute Gerät fühlte sich…. creepy an. Während ich noch mit leichtem Horror mein ferngesteuertes Telefon anstarrt, arbeitete Frau Kopp weiter. „So… Foto lädt… Danke. Jetzt drehen Sie den Ausweis um. Foto lädt… Danke. Jetzt nehmen sie den Ausweis in die Hand und bewegen Sie ihn im Licht hin und her, damit ich die Sicherheitsmerkmale sehen kann. So… ja… genau. Weiter nach rechts, und kippen – eins fehlt mir noch. Ah, da ist es. Jetzt schalte ich zurück.“
Flupp, sprang die Ansicht zurück auf Videochat, und Frau Kopp guckte freundlich in die Kamera. „Dankeschön, das war es schon. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Herr Silencer.“
Das Videofenster schloss sich, Frau Kopp war weg und ich saß wieder allein in dem Hotelzimmer in der fremden Stadt. Das Telefon in meiner Hand war wieder meins und nicht mehr ferngesteuert. Zumindest nicht soweit Du weißt, flüsterte eine Stimme in mir.
Ich brauchte einen Moment, um das gerade erlebte noch mal Revue passieren zu lassen. Sowas wie das Video-Ident-Verfahren wäre vor Kurzem noch undenkbar gewesen. Wie jede hinreichend hoch entwickelte Form von Technologie wirkt es wie Magie, und auch ein wenig creepy. Es ist der Moment, in dem man merkt, dass das eigene Telefon, dass man ständig in der Hand hat, das man permanent mit sich trägt und das die Verlängerung des eigenen Selbst ist, plötzlich und anscheinend mit großer Leichtigkeit übernommen und ferngesteuert werden kann. Creepy.
Schöne neue creepy Welt.
Gruselig! Und auch ein kleines bisschen cool!
Ich hoffe, die fragen wenigstens vorher auch so Dinge ab, wie ob man gerade ausreichend bekleidet ist und ob man gerade noch eine Bettfrisur hat. 😀
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Ich wartete auf die Auflösung, dass einfach die App eine rein digitale durch den Vorgang führende App-Figur enthält (wie eine Weiterentwicklung von Siri oder so, ich kenn mich nicht wirklich damit aus), aber das war offenbar nicht der Fall, uff. So cool es ist, was heute möglich ist, es ist creepy.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die konkrete App behalten oder immer nur laden und installieren würde, sobald ich sie brauche. Nicht, dass das bei anderen Apps mit diesen Zugriffsmöglichkeiten helfen würde, besonders, wenn sie nicht offiziell in den App-Beschreibungen angegeben sind. Vermutlich hilft letztlich nur, dass Smartphone unter ein Kissen oder eine Decke zu legen – oder auszumachen… 😉
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Klingt ja cool, aber sag‘ mal: Shice – wie spricht man das denn? 😉
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öh, hallo?
oder: weshalb ich dann doch lieber eine Viertelstunde ins Städtchen fahre und meine persönliche Kundenbetreuerin belästige.
mir stehen für die 6 Euro fuffzich Kontoführungsgebühr pro Monat nämlich 2 x 30 Minuten persönliche Beratung im Jahr zu.
die sind meistens nötig, aber immer sehr anstrengend für mich, weil die immer sehr viel spricht in der Zeit. 🙂
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