Die richtige Handschuhgröße

Die richtige Handschuhgröße

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Menschen neigen dazu, unangenehme Erfahrungen zu verdrängen. Herr Silencer schreibt deshalb seine Erkenntnisse und Tips zum Thema Motorradhandschuhkauf hier auf. In erster Linie für sich selbst, bevor sich das Drama in ein paar Jahren wiederholt.

Es gibt nur eine Sache, die ich noch weniger leiden kann als Schuhe kaufen: Neue HANDschuhe anschaffen. Ganz besonders: Motorradhandschuhe. Das die meisten Hersteller irre sind oder einem die Hucke vollügen, macht die Sache nicht einfacher.

Eine der beliebtesten Lügen ist, dass es sowas wie Allroundhandschuhe gäbe. Das stimmt einfach nicht. Auch Handschuhe wollen je nach Wetter, Temperatur und Einsatzzweck ausgesucht werden. Mit einem Tourenhandschuh fährt man nicht Motocross, und mit einem leicht gefütterten Handschuh hat man im Herbst oder in den Bergen schlechte Karten.

Wenn ich mit dem Motorrad verreise, hatte ich bislang zwei Paar Handschuhe dabei. Ein dick gefüttertes Paar, das dank Goretex-Membran absolut wasserdicht ist und für Temperaturen bis 15 Grad taugt. Dazu ein ungefüttertes Paar für heiße Tage, durch dessen überlappende Leder- und Carbonschichten der Wind zieht.

In letzten Jahr kam ich ein paar mal in Situationen, in denen es sehr warm und gleichzeitig nass war, weshalb ich mich jetzt mal nach ungefütterten und wasserdichten Handschuhen umgesehen habe. Bis der richtige Handschuh mit einer guten Passform gefunden war, hat mich das so einiges an Zeit und Nerven gekostet.

Meine erste Wahl war ein Handschuh von Held. Der renommierte Hersteller fertigt exzellente Handschuhe aus hochwertigen Materialien. Auf den ersten Blick passten die in Größe M: Sie waren lang genug für die Finger und saßen auch ansonsten OK. So kaufte ich die im vergangenen Herbst, konnte sie aber wegen einer Fuß-OP nicht gleich auf dem Motorrad ausprobieren. Als ich das 8 Wochen später nachholte, stellte sich heraus: Die passten exakt GAR NICHT. Dass der Daumen eher für Außerirdische Kreaturen als für Menschen gemacht ist, wußte ich vorher. Bei der Probefahrt mit dem Motorrad stellte sich dann aber raus, dass alle Finger zwar die richtige Länge hatten, rundrum aber jede Menge Raum war. Es war überall so viel Spiel, das ich die Finger in den Handschuhen bewegen konnte. Dadurch hatte ich keinen festen Griff, was natürlich gar nicht geht.

Die rote Linie zeigt, wo mein Daumen im Handschuh  "Louis75 xTraFit" von HELD endet. Der Handschuhdaumen ist rund 30 Prozent länger als bei einem normalen Menschen. Sind die vielleicht für Außerirdische vom Planeten Knäcke IV gemacht?
Die rote Linie zeigt, wo mein Daumen im Handschuh “Louis75 xTraFit” von HELD endet. Der Handschuhdaumen ist rund 30 Prozent länger als bei einem normalen Menschen. Sind die vielleicht für Außerirdische vom Planeten Knäcke IV gemacht?

Zum Glück liess sich das Elend umtauschen. Eine Nummer kleiner umschlossen die Handschuhe meine Finger fester und der Griff war gut, aber zu einem hohen Preis. Wie sich auf dem Motorrad rausstellte, sind die Finger des Handschuhs nun zu kurz: Meine Fingerkuppen stoßen vorne an. Das kann dazu führen, dass die Finger einschlafen.

Der nächste Versuch: Vanucci Summer Dry II-Handschuhe. Saßen in Größe M im Geschäft ebenfalls super. Finger lang genug und vorne noch ein wenig Raum, aber rundrum sicher sitzend.

Trotzdem schlief mir bei der ersten Probefahrt praktisch sofort die rechte Hand ein. Der Grund: An genau einer, ganz kleinen Stelle auf dem Handrücken sind die Handschuhe zu eng. Genau dort laufen aber zwei wichtige Adern entlang. Die Druckstelle war winzig und kaum zu spüren, der Effekt aber riesig.

Saßen richtig gut, nur an der rot umrandeten Stelle drückten sie ein ganz klein wenig: Vanucci Summer Dry II.
Saßen richtig gut, nur an der rot umrandeten Stelle drückten sie ein ganz klein wenig: Vanucci Summer Dry II.
Dummerweise laufen an der Stelle die Hauptadern für Zeige- und Mittelfinger entlang, wie man hier gut sieht.
Dummerweise laufen an der Stelle die Hauptadern für Zeige- und Mittelfinger entlang, wie man hier gut sieht.

Vielleicht hätte sich der Handschuh noch geweitet, riskieren wollte ich das aber nicht. Also wieder umtauschen. Eine Nummer größer ist jetzt alles gut, ich habe meine perfekten Handschuhe für nasse Sommertage gefunden.

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Damit der Kauf der nächsten Handschuhe nicht wieder so ein Drama inkl. Fehlkauf wird, notiere ich hier mal für mich die wichtigsten Erkenntnisse:

1. “Fits like a glove”, sagt der Engländer, und meint damit: Sitzt eng, wie eine zweite Haut. Genau DAS dürfen Motorradhandschuhe aber nicht. Motorradhandschuhe müssen wesentlich größer sein und dürfen nicht wie eine zweite Haut sitzen oder drücken. Nirgendwo.

2. Keine zwei Hände sind gleich, auch dann nicht, wenn sie am gleichen Körper sitzen. Meine rechte Hand ist größer als die linke, und auch die Finger sind länger. Ein Handschuh der links perfekt passt, ist u.U. rechts zu klein. Die rechte Hand ist die wichtigere, trotzdem sollte ein Handschuh an beiden Händen sitzen.

3. Handschuhe dehnen sich vielleicht in der Breite, aber nie in der Länge. Zu kurze Finger bleiben zu kurz. Noch schlimmer: Wenn das Leder an den Fingergelenken Falten wirft, wird der Handschuh dadurch sogar noch kürzer.

4. In guten Fachgeschäften gibt es einen Griff-Dummie, dass ist ein Stock, mit dem der Lenker simuliert wird.

Den Dummie so umgreifen. Jetzt dürfen die Fingerkuppen vorne nicht anstoßen und in den Fingerzwischenräumen nichts ziepen.
Den Dummie so umgreifen. Jetzt dürfen die Fingerkuppen vorne nicht anstoßen und in den Fingerzwischenräumen nichts ziepen.

Wenn man den fest umgreift, sollten die Handschuhe 1. Nicht zwischen den Fingern kneifen, 2. an den Fingerkuppen noch ca. 0,5-1 cm Platz sein, 3. Die Oberhand nicht vom Knöchelschutz gequetscht werden, 4. An der Außenseite des Handtellers beim zusammendrücken des Leders gut 2-3 cm Raum sein. Oder anders: Wenn man die Hand ausgestreckt vor sich hat, sollten beim Zusammendrücken an der Seite und an den Fingerkuppen ein Fingerbreit Raum sein:

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Der Handschuh ist zu klein, wenn die Fingerkuppen vorne anstoßen oder der Handteller oder die Oberhand irgendwo gequetscht wird, auch, wenn es nur wenig ist. Der Handschuh ist zu groß, wenn die Finger mehr als 2-3 cm zu lang sind.

5. Wenn auch unterschiedliche Größen nicht passen und entweder zu groß oder gleich wieder zu klein sind, dann ist das entsprechende Modell nichts für einen. Oder der Hersteller, denn jeder Produzent verwendet sein eigenes Modell einer Durchschnittshand und seinen eigenen Standardschnitt. Ich habe z.B. REUSCH- oder Vanucci-Hände, deren Schnitt passt mir in Größe L/9. Modelle von HELD und FLM dagegen sind eher für Menschen mit dickeren, kürzeren Fingern als meine.

6. Nach dem Kauf sollte man am besten sofort auf dem eigenen Motorrad Probefahren, mindestens 50 Kilometer. Dabei darauf achten ob die Finger einschlafen. Nach 50 Kilometern Handschuhe ausziehen und die eigenen Hände betrachten. Sind irgendwo deutliche, rote Druckstellen zu sehen? Haben die Innenähte Abdrücke in der Haut hinterlassen? Dann ist der Handschuh zu klein.

7. Polo und Louis stellen sich erfahrungsgemäß nicht an, wenn man Handschuhe kurz nach dem Kauf umtauschen will. Dennoch gilt: 1. Sich vor dem Kauf vergewissern, dass auch nach einer Probefahrt auf dem eigenen Mopped ein Umtausch möglich ist. Und 2.: Bis man wirklich zu 100 Prozent sicher ist, dass die Handschuhe perfekt sind: Pfleglich damit umgehen. Auch der kulanteste Händler guckt komisch, wenn die erste Probefahrt durch den Regen ging, der Knöchelschutz Abrieb aufweist oder das Mesh voller toter Fliegen hängt. Regel des gesunden Menschenverstands: Wenn etwas in einem Zustand ist, den Du selbst nicht mehr kaufen würdest, trägst Du es nicht ins Geschäft zurück!

17 Gedanken zu „Die richtige Handschuhgröße

  1. Ein wichtiger Beitrag….danke dir….und es sind viele Details, welche ich nicht wußte.
    Bei Hosen mit den Protektoren ist es bei mir eine Crux, da suche ich noch eine. Bisher der Behelf ohne Protektor zu fahren, dann sitzen die angenehm.
    Für die Hände sind m.M.nach Lenkerschalen wichtig. Hatten mir vorletztes Jahr zweimal die Finger gerettet. Hätte dabei an der Hose Hüftprotektor nötig gehabt, nicht die am Knie.
    Man kann nicht für jede Möglichkeit gerüstet sein.

  2. Wie lief denn das bei Dir ab, das die Lenkerschalen geschützt haben? Ich frage, weil ich meist sofort die Hände vom Lenker weg habe und mich damit abfange, wenn was passiert.

    Ja, Hosenkauf ist auch Mist. Aber wichtig. Als ich das letzte Mal (zum Glück schon 5 Jahre her) den Asphalt geküsst habe, hatte ich eine normale Jeans an und bin ich genau auf Knie und Hüfte gestürzt und habe mich mit dem Handballen abgestützt. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert als eine Schürfwunde und Muskelkkater im Hintern, aber seitdem habe ich in der Tourenhose auch Hüftprotektoren.

  3. Hatte die Hände drangelassen. Im Sommer mit Frauli hintendrauf bei über 100 in der Eifel und im Herbst bei Koblenz solo. teilweise unter der Leitplanke durch. (Fahrfehler mit Überschlag). Bei viel Pech mit Dosen oder Randstein, Leitplanke o.ä. nutzt der ganze Protektorenkrempel (leider) nix mehr. Stehe einen Monat vor ner grösseren Tour und die Prämisse ist, wieder gesund heimzukommen. Das heißt aber auch für mich, lieber zurückzustecken als forsch drauf.
    Nach dem Überschlag hatte ich nur ne gebrochene Zehe, aber im gesamten Unterbereich grün und blau geschlagen, schmerzhaft genug.

  4. Einmal rechts, das andere Mal links das meiste abrasiert. Sturzbügel haben abgefangen und die Plastik-Munikisten. Die fahre ich fast das ganze Jahr über spazieren. Geld verschwendet ist trotzdem sehr ärgerlich und paßte nicht zur Monatsplanung. Für die Rep.-Kosten kann ich locker zwei Wochen a.i. zum Tauchen. Bin aber auch der Meinung, daß die Sturzbügel das Bein jeweils gerettet haben. Selbst wenn die Bügel nur leicht getitscht sind, tausche ich die aus, weil der Abfederungsweg nicht mehr ausreichen könnte. Lerne aber immer dazu…Nobody is perfect und ich noch weniger.

  5. Puh. Immerhin hat sie es überstanden.

    Sturzbügel sind super. Hatte ich an meinem ersten Mopped, haben mir das Bein gerettet. An die ZZR passt sowas wegen Vollverkleidung nicht, deshalb hat die jetzt diese Sturzpilze. Sind echt wichtig, die Dinger.

    1. @Monsterfell……dann wird’s auch nix mit Klavierspielen, immer zwei Tasten gedrückt klänge leicht chinesisch.
      @Silencer….alles Vor-und Nachteile der Vollverkleidung. Ist “man” jemals restlos zufrieden?
      Neues Spielzeug: HERO 4. Habe es aber schon bereut. Denke, ne normale wasserdichte Cam taugt mir mehr.

  6. Wenn ich die Kommentare so les, bin ich froh, dass Ihr das alles gut und einigermaßen heil (im Sinne von nix nachgeblieben) überstanden habt.
    Wir Knäcke-IV-Außerirdischen haben übrigens eher kleine, knubbelige Finger mit viel grünem Fell drumrum, wir bräuchten also eine Spezialanfertigung für kurze, dicke Finger und Daumen. Bei meiner Tolpatschigkeit lasse ich das mit dem Motorradfahren aber lieber ganz. 🙂

  7. Die Held-Handschuhe haben hier ein gutes Zuhause gefunden 🙂 und werden gerne genutzt. Die Passform ist bei mir sehr gut, meine Daumen sind absolut richtig wie sie sind. Nur die vom Handschuh sind leider zu lang… mich stört´s aber nicht.

    Nächstes Objekt der Begierde ist eine maßgefertigte Hose von PSI. Protektoren hängen bei mir immer sonstwo… Sparen ist angesagt…

  8. Zwerch: Das die Held nun in und an guten Händen sind ist das einzige, was mich an dem Drama tröstet. Du glaubst gar nicht, wie ich mich da über mich selbst geärgert habe… umgetauscht gegen eine Größe die gar nicht passte, wie dumm muss man sein. Ich habe meinen Frieden mit der Geschichte erst gefunden, als sie weg waren 🙂

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