Reisetagebuch (6): Durch den wilden Westen
Im November 2015 begeben sich Modnerd und Silencer auf eine Reise. Das Besondere: Modnerd hat keinen blassen Schimmer wohin es geht oder was ihn erwartet. Kontrollverlust und Überraschungen sind das Konzept dieser Reise. Dies sind die Tagebücher der beiden. Am sechsten Tag könnten sie überfallen werden, es geht ins Kloster und über die lange Ebene. .
Donnerstag, 5. November 2015, Ioannina, Griechenland
Es ist bitterkalt an diesem Novembermorgen. Das Thermometer zeigt 2 Grad minus, und der See von Ioannina liegt unter klammem Nebel. Bloss weg hier!
Modnerd scheucht den kleinen Toyota über eine Autobahn Richtung Westen. Die Schnellstraße ist nicht so spektakulär wie die alte Bergstraße, die sich parallel dazu über die Berge windet und auf die ich immer wieder sehnsüchtige Blicke werfe. Aber das Bergabenteuer habe ich mir abgeschminkt, das kostet viel zu viel Zeit, denn die alte Straße ist kurvig bis zum Abwinken, und es kann passieren, dass man lange hinter einem Mauleselgespann herzuckeln muss. Wie ich gleich lernen werden, können aber auch auf einer griechischen Autobahn merkwürdige Dinge passieren.
Fast allein zieht der Toyota über den Asphalt, als plötzlich ein blau uniformierter Mann am Straßenrand steht und wild signalisiert anzuhalten. Dabei springt er uns fast vor den Wagen. Ich halte den Uniformierten für einen Polizisten und rufe Modnerd zu “halt an!”, worauf er den Wagen auf den Seitenstreifen lenkt und stoppt. Im Rückspiegel sehe ich wie der Uniformierte auf uns zugelaufen kommt. Auf dem Seitenstreifen steht schon ein LKW und davor ein weiterer Wagen, ein kleines rotes Auto. Ich hatte angenommen, dass die ebenfalls von dem Polizisten angehalten worden sind. Aber wo ist der Streifenwagen?
Plötzlich wird mir klar, dass es sich bei dem Uniformträger um einen Mitarbeiter einer Pannenhilfe handeln muss. Er kommt zum Fahrerfenster und fragt etwas auf griechisch. Englisch kann er nicht, aber anhand seiner Gesten wird klar, dass er… einen Wagenheber will? Welcher Pannendienst hat denn keinen Wagenheber dabei?
Im Rückspiegel sehe ich drei Frauen, die auf unseren Wagen zugelaufen kommen. Offensichtlich gehören die zu dem kleinen roten Auto, das vermutlich gerade nicht mehr weiterfahren will. Ich steige aus, gehe um den Wagen herum und öffne den Kofferraum. In dem liegt unser Gepäck, das ich rausräume, dann wühle ich ein wenig im Kofferraum des Toyotas herum. Kein Wagenheber zu sehen. Außerdem wird mir die Situation unheimlich. Mittlerweile stehen zwei Pannenhelfer und drei schnatternde Frauen um uns und unser Gepäck an der Straße herum. Wir kommen hier nicht einfach schnell weg, und einer der Pannenhelfer beginnt selbst im Kofferraum rumzuwühlen. Was ist das hier für eine Nummer?
Als amtliches Endergebnis wird festgestellt, dass auch wir keinen Wagenheber an Bord haben. Modnerd und ich verabschieden uns und fahren schnell weiter. Als wir in sichererEntfernung sind bemerkt Modnerd ganz richtig: “Das war einer der ältesten Tricks überhaupt. Leute zum Anhalten bringen, sie das Gepäck aus dem Kofferraum holen lassen… da hätte gerade sonstwas passieren können.” Ich schweige betreten. Er hat vollkommen recht. Das ist mir erst aufgegangen, als es schon zu spät gewesen wäre. Wieder was gelernt.
Auch über die Autobahn kommt man in die Berge, und irgendwann ist der kleine Toyota so hoch geklettert, dass tatsächlich noch Schneereste am Straßenrand zu sehen sind. Hier oben gibt es sogar Schneepflugstationen und Hinweisschilder auf ein Skigebiet. Skipisten in Griechenland? Hätte ich nicht erwartet. Der Ausblick über die Berge ist immer wieder berauschend.
Dann führt die Straße wieder hinab in die Ebene und aus den Berge heraus. Die Temperatur klettert langsam, erst auf 5 Grad, später auf 12, dann auf fast 20 Grad. Bei diesen sommerlichen Temperaturen erreichen wir bizarre und riesige Steinsäulen, die sich aus einer grünen Ebene erheben. Früher stand hier mal ein Gebirge. Dann ist ein ein Meer ist hier durchgeströmt und hat den Fels geschliffen, bis nur noch diese imposanten Säulen übrig geblieben sind. Auf denen liegen die fünf Klöster von Meteora. Der Name kommt von “Meteorizo” (μετεωρίζω) und bedeutet „in die Höhe heben“ – sehr passend.
Ich muss schmunzeln, als ich daran denke, wie die Klöster wohl entstanden sind. Vermutlich fing alles mit einem Einsiedler an, der unter großen Anstrengungen eine der Felsnadel erkletterte und auf ihrer Spitze erst eine Hütte, dann eine kleine Kirche errichtete. In vollkommener Abgeschiedenheit, und vor allem: In Höhen, in denen Normalsterbliche nie einfach so vorbeikamen. Man stelle sich dann die Überraschung des Einsiedlers vor, als er eines Morgens aufstand und merkte, dass ein anderer Einsiedler von der Felsspitze nebenan herüberwinkte und dort ebenfalls eine Hütte und eine Kapelle zu bauen begann. Man, wäre ich an Stelle des ersten Einsiedlers sauer gewesen. Und der erste Plagiator blieb nicht der letzte, innerhalb kurzer Zeit war plötzlich jede Felsspitze voller kirchenbauender Einsiedler. Absurd.
Eine breite, gut ausgebaute Rundstraße (“Gebaut mit EU-Mitteln”, verkünden Schilder am Straßenrand, und dafür sind wir dankbar) verbindet die Klöster. Einige haben heute Ruhetag und außerdem ist keine Saison mehr, daher sind recht wenige Touristen (außer Modnerd und mir) unterwegs. An einem Aussichtspunkt halten wir, und ich klettere über die Felsen die dort am Rande der Schlucht liegen, bis zu einem Punkt, an dem es senkrecht in die Tiefe geht. Hier werde ich fast ehrfürchtig. Links und rechts liegt das gigantische Felsmassiv, vor mir eine weite Ebene auf die ich hinabblicken kann. Gut, dass ich schwindelfrei bin.
Modnerd war vor 6 Wochen schon hier und hat einen ganzen Tag damit verbracht ALLE Klöster zu besichtigen. So viel Zeit haben wir heute nicht, und so beschränken wir uns auf Metamórphosis, auch bekannt als Megálo Metéoro. Es ist das älteste und größte der fünf Klöster, die heute noch in Benutzung sind. Insgesamt gibt es 24 Einsiedeleien, aber die restlichen sind verlassen oder schwer zu erreichen.
Im Metamórphosis gibt es verschiedene, kleine Museen. Alles wirkt recht neu und modern, an etlichen Stellen wird gebaut.
Modnerd: Wir starten heute – wie könnte es anders sein – mit den Klöstern in Meteora. Das war zu erwarten, ist aber gar nicht schlimm. Beeindruckend ist es hier jedesmal wieder, allerdings gibt es hier für mich nichts mehr nachzuholen und das Erlebte ist diesesmal auch nicht so unterschiedlich, wie die Vikos-Schlucht im Herbst und die neuen Perspektiven, die wir dort noch finden konnten. Die Klöster präsentieren sich sehr ähnlich, aber mit weniger Touristen und mehr Baustellen. Nunja, Nebensaison.
Danach jedoch verlassen wir die bekannte Route und die Summe der Überschneidungen liegt schließlich nur in der Dauer eines Tages, zwei Attraktionen und einer Stadt. Mit der Erfahrung, gerade erst Kennengelerntes noch einmal wiederzusehen und Erfahrungen zu erweitern war aber auch das eine tolle Sache. Ich stelle fest: Jedesmal ist ein bisschen anders. Dinge sind nicht gleich. Das ist schön.
Als im Rückspiegel die Meteorafelsen verschwinden, und vor uns die weite Ebene liegt, fühlt sich das an, als wären wir in den USA: Hinter uns ein Canyon, vor uns die Wüste. Tatsächlich ist gibt es noch mehr Parallelen: Entlang der Wüstenstraße liegen Diners und Tankstellen, und wir überholen sogar LKW mit frisch gepflückter Baumwolle!
Die nächsten Stunden sind reine Fahrzeit, wobei uns tatsächlich Google Maps den Weg weist, und nicht das bewährte Navigon. Die gereifte Dame im Navigon würde uns nämlich auf einen acht Stunden dauernden Umweg schicken wollen, während die junge Frau G. Maps verspricht, uns in 3,5 Stunden ans Ziel zu bringen. Das schafft sie tatsächlich, wenn auch über manchmal absurd kleine Sträßchen. Durch ganz Mittelgriechenland geht die Fahrt, die Ebenen werden immer wieder von kleineren und größeren Bergketten unterbrochen.
Der Großteil des Tages besteht aus Fahrt, aber das ist OK. Ich kann mich kaum satt sehen an der fremden Landschaft. Nie hätte ich vermutet, dass Griechenland so abwechselungsreich ist.
Die Fahrt endet in einem Bergort, der über den Golf von Korinth blickt. Er ist winzig, besteht praktisch nur aus drei Wohn- und einer Touristenstraße. Das ist das legendäre Delfoi, oder, wie die Westeuropäer ihn gerne schreiben: Delphi.
Im Hotel “Feriadres” werden wir perfekt empfangen, müssen allerdings das Zimmer noch einmal tauschen – ich hätte gerne den gebuchten Seeblick, und nicht “Blick auf gegenüberliegendes Gebäude”.
Modnerd: Ab jetzt ist die Reise aber wieder in dem prickelnden Modus des Nichtwissens. Wir sind noch nicht einmal halb durch. Es warten viele Überraschungen!
Übrigens muss ich an diesem Punkt noch einwerfen, dass ich eigentlich im September eine noch wesentlich tollkühnere Route im Kopf hatte. Dabei wollte ich das gesamte griechische Festland (am besten noch inklusive der Peloponnes) bereisen, Athen noch mitnehmen und sowieso alles, was sich an Attraktionen finden lässt sehen. Stattdessen sind wir vor 6 Wochen am Ende der Reise für ein paar Tage in Thessaloniki hängen geblieben (der Ort war sowieso Start- und Endpunkt der ersten Reise). So konzentrierte sich die Reise auf die Nordhälfte des Festlandes, Athen und Peloponnes wollte ich irgendwann mal in einer späteren Reise unbedingt nachholen. Vielleicht ist es nun schon soweit?
Am Endes des Tages erreichen wir Delphi. Delphi! Der Ort des Orakels. Irgendwie ist das passend für eine Überraschungsreise, oder?
- Teil 7: Zugedröhnte Priesterinnen
2 Gedanken zu „Reisetagebuch (6): Durch den wilden Westen“
Naja, ansehen muss man ja nur das eine James-Bond-Kloster 😀
Ha! Ich wusste doch, dass mir das Setting irgendwoher bekannt vorkommt!