Reisetagebuch (7): Zugedröhnte Priesterinnen
Im November 2015 begeben sich Modnerd und Silencer auf Reisen. Das Besondere: Modnerd hat keinen blassen Schimmer wohin es geht oder was ihn erwartet. Kontrollverlust und Überraschungen sind das Konzept dieser Reise. Dies sind die Tagebücher der beiden. Am siebten Tag wird es blümerant.
Freitag, 6. November 2015, Delphi, Griechenland
Delphi liegt hoch oben auf einem Berg und blickt von dort aus auf die Gebirgsausläufer, die in weitem Bogen eine Ebene durchschneiden und dann in den Golf von Korinth übergehen. Hinter dem Meerbogen erheben sich weitere Berge, die im Licht der aufgehenden Sonne leuchten. Ich blinzele schlaftrunken in die Schönheit und Weitläufigkeit dieser Landschaft und verstehe plötzlich, warum Delphi den Menschen der Antike als Nabel der Welt galt. Dieser Ort ist etwas Besonderes.
Das Frühstück im Fedriades ist grandios. Für jeden Geschmack ist am 8 Meter langen Frühstücksbuffet was dabei. Offensichtlich ist das Hotel auf große Reisegruppen ausgerichtet, aber jetzt, im November, haben Modnerd und ich das alles für uns allein.
Nicht nur das Hotel, auch den Ort haben wir ganz für uns. Kaum jemand ist unterwegs. Mit 7 Grad ist es kühl, aber in der Sonne wird es schnell wärmer.
Ein Stück die Straße hinab liegt das archäologische Museum, und dahinter führt ein Laubengang zum Orakel von Delphi. Auf dem Vorplatz liegt Vorla herum. Sie ist der Museumshund, wie wir jetzt lernen. Bekanntschaft haben wir schon gestern Abend geschlossen, als sie Modnerd und mich bei einem Streifzug durch den Ort begleitete. Heute Morgen lässt sie sich ausgiebig von Modnerd wuscheln, dann begleitet sie uns ein Stück, um sich schließlich aber wieder um wichtigere Sachen zu kümmern.
Modnerd und ich beginnen den steilen Aufstieg zum Parnass, dem Orakelberg.
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Die Geschichte des Orakels von Delphi
Es war einmal, vor ungefähr 3.000 Jahren, eine Frau auf einem Berg. Die gab ihren Nachbarn gute Tips, und das sprach sich rum. Bald kamen aus der ganzen Umgebung Leute, um sich bei ihr Rat zu holen. Die Ratgeberin wurde eine Institution, und als sie starb, übernahm eine andere die Funktion.
Legenden und Mythen hatten sich um Delphie gebildet. Zeus persönlich, so hieß es, hab zwei Adler von jedem Ende der Welt aufsteigen lassen, und in Delphi hätten sie sich getroffen – deshalb musste der Ort der Mittelpunkt der Welt sein, die Umgebung heilig, und die Ratgeberin auf dem Berg – ein Orakel!
Im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten bildeten Orakelverehrer einen Kult und bauten Tempel auf dem Berg Parnass in Delphi. Ratsuchende wurden nur noch vorgelassen, wenn sie richtig viel Geld mitbrachten – und wenn eine Ziege beim besprenkeln mit Wasser zuckte. und Die freundliche Ratgeberin vom Berg wurde zur Orakelpriesterin, und war plötzlich nur noch ein Rädchen in einem sehr komplizierten Apparat, in dem es um immense Macht ging. Mittlerweile waren die meisten der Ratsuchenden militärische Führer, Fürsten und ganze Regierungen. Viele Regionen bauten sich direkt unterhalb des Orakeltempels ein Schatzhaus, um immer genügend Gold und Edelsteine für eine Orakelbefragung vor Ort zu haben.
Wenn das Orakel sprechen sollte, führten die Orakelpriester die heilige Frau in das Orakelhaus. Das war über eine Erdspalte gebaut, aus der Dämpfe aufstiegen. Diese Dämpfe, so vermutet man heute, waren es wohl, die die Priesterin benebelten. Völlig high brabbelte sie dann wirres Zeug vor sich hin, und die Orakelpriester nickten wissend, machten sich Notizen und gingen dann zu den Ratsuchenden, um denen ihre Interpretation des Gestammels vorzutragen.
Mit anderen Worten: Die Priester des Orakeltempels konnten die Geschicke des Reiches steuern, weil sie die Machthaber nahezu beliebig manipulieren konnten. Und natürlich waren sie schwer reich. Es ist mild absurd, wenn man sich vorstellt, dass die Grundlage für all den Reichtum und die Macht am Ende das Verwirrte Gestammel vollgedröhnter Frauen auf einem Berg war.
Das Spielchen ging über 1.200 Jahre so. Erst im Jahr 391 hob ein christlicher Kaiser alle Orakelstätten per Edikt auf.
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Silencer: Die Ruinen sind wirklich prächtig, ich habe selten ein umfangreicheres Ausgrabungsfeld gesehen. Die Schatzhäuser der Regionen sind zum Teil erhalten, wenn auch mit restaurierten Teilen und ohne Schmuckfriese.
Modnerd: Als heutiger Höhepunkt geht es in Delphi auf den Berg, auf dem einst das Orakel orakelte. Damit findet die Reise zurück in die Form der Überraschung und das Erkunden von neuen Gegenden. Und noch besser: Es geht genau dorthin, wo ich ich mir vor gut 6 Wochen gewünscht habe, irgendwann einmal weiterzumachen. Allerdings erst irgendwann, in ein paar Jahren … nicht im nächsten Monat! Das ist toll, das ist ein weitere sehr besonderes und schönes Erlebnis. Durch die beiden Besuche in schneller Folge fühlt es sich fast schon so an, als wäre ich ewig und wochenlang in Griechenland unterwegs.
Silencer: Vom Orakeltempel ist nur noch die Bodenheizung erhalten, aber sowohl das Theater als auch das Sportstadium sind noch nahezu komplett da.
Unterwegs treffen wir mal auf das Orakel von Wiesel, dann wieder auf das Wiesel von Delphi. Schwer zu unterscheiden was was ist, denn das Tier hat offensichtlich einen Sonnenstich und wird prompt von einer Aufseherin angepfiffen, weil es auf den Ruinen rumturnt.
Am Fuß des Orakelbergs liegt das archäologische Institut. Hier werden wir per Handschlag und wie Freunde von einem älteren Herrn begrüßt, der uns den Weg weist. Das Museum selbst ist gar nicht groß und zeigt Fundstücke aus dem Tempelberg.
Modnerd: Das Orakel oder die Ruinen von Delphi sind toll. Hatte ich auf der erstem Reise nur sehr mäßig spektakuläre Ruinen in Pella gesehen, merkt man erst hier, welche Größe und Bedeutung die damaligen Städte hatten, welche politische und „urbane“ Systeme damals so üblich waren. Die Anlage ist gut erhalten, liegt spannend am Hang eines Berges und bietet – natürlich – auch das in Griechenland übliche Museum. Erst auf der zweiten Reise wird mir klar, dass es neben jeder Ausgrabung immer ein schickes Museum gibt, in dem alles herumsteht, was nebenan gefunden wurde. Nun ja, die Präsentation in diesen Museen ist in der Regel zwar sehr gut und oft gibt es ein hilfreiches Modell, wie der Ort einmal ausgesehen hat. Aber der Inhalt ist dann irgendwie eher mäßig: Alte Pfeilspitzen, Fragmente von Rüstungen und Tonkrügen, noch ein paar Pfeilspitzen. Persönlich finde ich das so naja – vermutlich müsste ich mich viel mehr mit der Materie beschäftigen, um jede gefundenen Pfeilspitze spitzfindig einschätzen zu können.
Museumshund Vorla ist nicht zu sehen, als wir uns in den Toyota schwingen, also muss sie zusehen, wie sie ohne ein Verabschiedungswuscheln klar kommt.
Wir fahren nach Westen, aus den Bergen heraus und in einem weiten Bogen über, mal wieder, eine Ebene. Griechenland scheint nur zwei Zustände zu kennen: 1. atemberaubende und ungewöhnliche Berge oder 2. langweilige und platte Ebenen.
Der Bogen führt schließlich wieder nach Osten, am Meer entlang und auf Korinth zu.
Es geht Richtung Peloponnes, dem unteren Teil von Griechenland, dessen Grenze durch den Kanal von Korinth markiert wird. Der Kanal ist ein tiefer Schnitt durch den Fels der Meerenge von Korinth. Bis zu 80 Meter tief ist die sechs Kilometer lange, künstliche Schlucht, die 1881 unter der Aufsicht von ungarischen Architekten gebaut wurde. Denen zu ehren gibt es noch heute Gedenktafeln auf ungarisch am Kanal.
Ab hier geht es gen Süden, und wieder auf Berge zu. Wobei… Das ist kein Berg… das ist EINE FESTUNG!
Nafplion ist eine Hafenstadt am Golf von Korinth und bekannt für ihre drei Festungen: Über der Stadt thront die mächtige Palamidis-Burg. In der Stadt ragen die Mauern der Agronauplia viele Stockwerke über die Dächer der Stadt empor, und auf der “Henkersinsel” im Hafen liegt die Bourtzi-Festung.
Nafplion ist ein äußerst gepflegtes Touristenstädten, zu dem mir nur das Wort “schmuck” einfällt. Alles ist prima in Schuss und modern, vermittelt eine ruhige und ausgeglichene Atmosphäre und wirkt einfach… ja, schmuck, halt.Modnerd: Der Abend endet in Nafplion. Der Ort ist eindeutig ein touristischer, jedoch ein äußerst angenehmer. Zum ersten mal fällt mir eine „florale“, grüne Gestaltung auf. In allen Straßen sind irgendwelche Pflanzen gesetzt, die sich an den Häusern heraufranken und und mit roten Blüten der Stadt ein grün-rotes organisches Gesicht geben. Teilweise setzt sich diese Gestaltung bei der Innenarchitektur in künstlicher Form fort. Die Geschäfte sind nett und bieten viel Kunsthandwerk und Spezialitäten, in der Regel ohne dabei kitschig zu sein.
Vom Hafen aus führt ein Weg rund um den Burgberg, der mit Kakteen vollhängt. Und die hängen voll mit… Früchten? Sowas habe ich auch noch nie gesehen.
Silencer: Bis nach Einbruch der Dunkelheit wandern Modnerd und ich durch die Straßen, dann machen wir uns auf den Weg zu unserem Hotel. Das liegt auf einem Ausläufer des Burgbergs und bietet einen tollen Blick über den Golf von Nafplion, an dem im Dunkeln die Lichter der Stadt schimmern.
Unsere Unterbringung an dem Abend ist in einem Motel am Hang eines Bergs. Es gibt eine voll ausgestattete Küche, und einen LIDL zwei Ecken weiter. Perfekt! Ich genieße diese Selbsterversorgeratmosphäre. Heute ist das letzte Mal, das wir so durch Griechenland hopsen. Ab Morgen geht es in eine große Stadt.
- Teil 8: Athen!
3 Gedanken zu „Reisetagebuch (7): Zugedröhnte Priesterinnen“
“Unterwegs treffen wir mal auf das Orakel von Wiesel, dann wieder auf das Wiesel von Delphi.”
Die Frage nach der korrekten Bezeichnung war die erste, die mir bei Ihren einleitenden Worten durch den Kopf ging. Ich kann es nicht leugnen.
Ich bin ein wenig neidisch. das liest sich alles so klasse. würde ich auch gerne mal erleben oder erleben lassen.
und in dem Caramel House wäre ich geblieben 🙂
Oh cool, Kaktusfeigen in freier Natur. Ich mag sie, aber sie sind auch wehrhaft mit ihren feinen Stacheln außen.