„June, Du musst sofort alles stehen und liegen lassen und herkommen“, hatte ihr Mann am Telefon gesagt, „Das musst Du dir ansehen!“
June Newton schmiss sich in die Klamotten und eilte in das Hotel drei Straßen weiter, in dem Helmut gerade ein Meeting mit dem Verleger Benedikt Taschen hatte. st
Taschen war aus Deutschland nach Los Angeles gekommen, um dem Fotografenehepaar einen Entwurf für ein neues Buch zu zeigen, mit dem er hart an der Grenze zum Größenwahn entlangschrammte. Es sollte nämlich das größte Buch des 20. Jahrhunderts werden. Das Format alles Dagewesene sprengen. Inhaltlich alle Aspekte von Newtons Schaffen zeigen, auf mindestens 400 Seiten. Sorgfältigst kuratiert sollten Newtons Fotografien mit den neuesten Techniken retuschiert, verbessert und gedruckt werden.
Das Buch würde nicht einfach nur ein Bildband werden, sondern ein Opus Magnum, mit dem Umfang einer mittleren Ausstellung, eine nicht überbietbare Würdigung des Schaffens eines der besten Fotografen der Welt. Die Form des Buches würde gleichzeitig eine Verneigung vor der Kunst der Buchherstellung sein. Diese Würdigung von Kunst und Handwerk sollte seinen Preis haben – mindestens einen vierstelligen Betrag wollte Taschen dafür aufrufen.
Als der Verleger seine Vorstellung beendet hatte, war Helmut Newton skeptisch. Aber June zeigte sich begeistert, und so beugte er sich, wie alle guten Ehemänner, und das Projekt nahm Fahrt auf.
Zwei Jahre nach dem Treffen in Los Angeles erschien 1999 „SUMO“. Ein passender Name für einen Koloss von Buch. 464 Seiten im Format 70×50, auf edelstem Papier, Gesamtgewicht über 30 kg. Das Buch wurde mit einem eigenen Lesetisch ausgeliefert, designt von Philippe Starck. Dieses Buch definierte den Begriff „Coffeetable Book“ ganz neu.
Die Auflage war limitiert auf 10.000 Stück, jedes Exemplar von Helmut Newton handsigniert. Der Verlag verkaufte es für 1.000 D-Mark pro Stück. Die Auflage war innerhalb weniger Stunden vergriffen. Aktuell bekommt man kein gebrauchtes SUMO unter 12.500 Euro. Ein Exemplar, das von allen noch lebenden und darin abgebildeten Künstlern signiert war, ging bei Sotheby für 620.000 Euro über den Tisch. SUMO ist damit nicht nur das größte, sondern auch das teuerste Buch des 20. Jahrhunderts.
Ich verehre ja Helmut Newton. Schon in meiner ersten Studentenbude hing „Waiting for the Earthquake“ an der Wand, ordentlich herausgetrennt aus einem alten „Stern“-Heft. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt eine nackte Frau, die in einem Sturmkeller an einem Kühlschrank lehnt. Eine seltsame Kombination aus nackter Normalität und lasziver Anspannung. Definitiv ein Bild, das man länger angucken muss, um zu begreifen warum es auf einen wirkt. Für mich ist stellt es den Kern von Newtons Aktaufnahmen dar: Er schafft es, unbekleidete Frauen nicht als Sexobjekte darzustellen, sondern als starke, fordernde Sexsubjekte.
Helmut Newton hat eine besondere Art, Dinge und Menschen fotografisch festzuhalten. Die unterkühlte Extravaganz der Modeaufnahmen aus den Jahren für die „Vogue“ in Paris, die agressive Sexualität der „Big Nudes“ oder auch die Portraitfotos von Politikern in seinen letzten Jahren: Newton hat über Jahrzehnte Aufnahmen voller Stil und Eleganz produziert und dabei doch immer den Stil und die Personen der Zeit eingefangen.
Ich laufe in jede Newton-Ausstellung, die meine Wege kreuzt. Der reiche Mäzen mit der eigenen Kunsthalle hier um die Ecke hat seine Newton-Originale schon mal gezeigt, die Dauerausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz am Berliner Ostbahnhof ist auf jeden Fall sehenswert, und neulich in Venedig hatte ich das Glück einen ganzen Palazzo voller Newton-Reproduktionen zu finden. Bei aller Newton-Bewunderung: Einen echten SUMO kann ich mir natürlich nicht leisten. Aber zum Glück kam 2009, 10 Jahre nach Erscheinen des Original SUMO, eine verkleinerte und günstigere Version heraus, die, O-Ton Verlag, „für eine demokratischere Verbreitung sorgen“ sollte. Seit 7 Jahren tanze ich jetzt um dieses Buch herum, denn auch der „demokratischere“ Preis ist mit 100 Euro immer noch ordentlich hoch.Jetzt habe ich ihn mir endlich gegönnt. Statt 30 wiegt der „kleine“ SUMO nur noch 10 Kg. Das Format ist mit 50×28 kleiner als das Original, aber immer noch groß. Das Buch wird ein einem Pappkoffer geliefert.
Ein Tisch von Philippe Starck ist nicht dabei, aber ein sehr edler Ständer aus Plexiglas.
Ebenfalls liegt ein Begleitheft bei, das von Newtons Werdegang erzählt. 1920 in Berlin geboren, erlebte er den zweiten Weltkrieg hautnah mit. In dem Begleitheft erzählt er davon, genauso wie von seinen andauernden Mißerfolgen. Erst in den 70ern fand er in Paris den Ort, wo alles zusammenkam und seine Kunst gewürdigt wurde.
Newton starb 2004. Die Veröffentlichung des „kleinen“ SUMO hätte ihn sicherlich gefreut, denn seine Kunst sollte nie Eliten vorbehalten sein. Ich freue mich auf jeden Fall über dieses sehr besondere Stück. Jetzt muss ich nur noch einen Tisch dafür bauen.
Ah. Als adäquate Unterlage dafür haben Sie also die edle Tischwäsche angeschafft.
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Die macht sich unter allem gut 🙂
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Uuh. Wie krieg ich jetzt die Bilder wieder aus dem Kopf…?
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Was denn für Bilder? Ich meinte: Egal ob man Geschirr, eine Weinflasche, eine Sonnenblume oder ein Buch darauf stellt: Auf dieser Tischwäsche sieht alles immer super aus.
Was hegten Sie denn für Gedanken?!
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Ähh … bei diesem Titel hat es mich voll erwischt – ich bin eindeutig moppetverblödet … dachte ich doch spontan, Du hättest -neudeutsch- downgegraded – und dabei so richtig ordentlich, oder Dir zusätzlich eine MiniatürSupermoto zugelegt.
Der starke Philippe den Du im Text erwähnst – der immerhin schon ein Motorrad designed hat, von dem man nicht genau weiß, in welchen Ordner man es stecken müßte – der ist, glaube ich, sogar noch ein wenig stärker: er führt ein zusätzliches ‚c‘ im Familiennamen – es sei bloß angemerkt 😉 …
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Haha, nette Assoziation! Danke für den Hinweis auf den Schreibfehler. Ist korrigiert, ich hatte den Namen ein Mal richtig und ein Mal falsch geschrieben. Das Mopped kenne ich. Ist so mittelhübsch, auf jeden Fall besser als die Yacht.
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DIE Yacht ? Welche denn ;-? Vom Segeln hat der Mann keine Ahnung, könnte mann glauben, sieht man sich die Megayacht A/Segel an, Abdrift ist kein Thema – aber das war es beim Panzerkreuzer Potemkin vermutlich auch nicht 😉 … https://kurier.at/reise/philippe-starcks-rekordyacht-segelyacht-a-setzt-erstmals-segel/225.827.811
Bei der Motorwumme A darf man ihm zugute halten, daß er immerhin bei U-Booten aus dem 2. Weltkrieg und/oder dem Stealthkreuzer der Zukunft Anleihen nahm – geniale Verknüpfung ? Ich weiß nicht … 😉 http://www.designboom.com/design/philippe-starck-motor-yacht-a/
Was die 6.5 angeht: da hat er bloß einen Benzinhahn designed, bei dem die letzten 3-4 Liter nicht ‚raussprudelten, weil er zu hoch lag. Das wurde bald geändert. Was ein bißchen die Frage nach der Qualitätskontrolle bei Aprilia aufwirft. Das Motorrad stand kurze Zeit auch auf meiner Vielleicht-Liste – aus praktischen Gründen und ein Exemplar ist nicht starck überteuert zu kriegen. Von eventuell vorhandenen Fehlern an den Schiffen wird man nix hören, falls vorhanden, vermute ich – oder die Werften haben sie ausgebügelt.
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Hehe, genau das ist der Punkt: Die Motoryacht habe ich nicht als Schiff, sondern als U-Boot abgespeichert, oder als Hauptquartier eines James-Bond-Bösewichts. Bei „Yacht“ denke ich immer an diese Stealth-Segelyacht.
Die Geschichte mit dem Benzinhahn ist geil, die kannte ich noch gar nicht! Typisch Designer, könnte man sagen.
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DerDieDas Herr/In/DesHerrs gebe, daß ihm niemand die Konstruktion eines Katamarans anvertraut – obwohl es vorstellbar wäre, daß etwas völlig Unkonventionelles dabei herauskäme.
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