Reisetagebuch Shorties (3): Der kleine Kuhhof
Und dann war da noch der kleine Agriturismo. Mit war kar, dass ich noch eine Zwischenstation auf dem Weg von den Marken ins Veneto brauchen würde, also hatte ich gezielt nach einer Übernachtungsmöglichkeit am Rand des Monte Sibellini gesucht und den Hof mit den Kühen gefunden.
Der Weg von der Landstraße zum Agriturismo war sogar noch steiler als es auf Streetview ausgesehen hatte. Vorsichtig steuerte ich das, zu dem Zeitpunkt schon stark angeschlagene, Motorrad um die Schlaglöcher herum, und irgendwann hatten wir das Ziel erreicht: Einen kleinen Bauernhof mit angeschlossenem Gasthaus, einen Agriturismo.
Die Begrüßung war herzlich, und die Atmosphäre entspannt. Mein Zimmer war schlicht, aber völlig ausreichend, und auf der Wiese vor dem Fenster spielten Schweine.
Beim Abendessen in der Gaststube kam ich ein wenig mit dem Ehepaar ins Gespräch, das den Hof führte. Der Region ginge es mies, erzählten die beiden. Junge Leute gehen aus der ohnehin dünn besiedelten Region weg. Die, die blieben, können von der Landwirtschaft kaum Leben. Die beiden versuchten wirklich alles, um über die Runden zu kommen. Gastwirtschaft, Landwirtschaft, Kooperationen mit umliegenden Höfen, gemeinsame Vermarktung von ökologischen Produkten wie Fleisch und Wurst auf Märkten.
Überhaupt, Fleisch und Milchviehwirtschaft: Stellte sich raus, dass die Dame des Hauses eine Vorliebe für Kühe hatte, jedweder Art. Überall lagen, standen, saßen und hingen Kühe. Natürlich war auch das Logo des Betriebs eine Comickuh mit dick rotem Lippenstift, und jede Zimmertür trug einen Kuhaufkleber.
Sogar die Klobürste im Bad stand in einer Kuh.
Rührend, irgendwie, dass eine ältere Dame und knallharte Bäuerin ausgerechnet Comickühe liebte.
Nach einem langen Abend bei einfachem, aber sehr gutem Essen und noch besserem Hauswein machte ich mich am nächsten Morgen wieder auf den Weg, runter von dem steilen Berg und weg von Accumoli, mit dem Gedanken im Kopf hier unbedingt wieder hinzukommen, würde es mich noch einmal in diese Gegend verschlagen. Das war vor 8 Wochen.
Seit gestern gibt es Accumoli nicht mehr. Der Ort lag im Epizentrum eines Erdbebens der Stärke 6,2, und wenn es stimmt, was die Nachrichten sagen, dann ist das Dorf völlig zerstört worden. Mein Hirn hat gerade Probleme zu begreifen, dass ein ganzer Ort weg sein soll.
Ich weiß nicht, ob und wie schlimm es den Bauernhof getroffen hat. Auf Mails und Whatsapps kommt keine Antwort. Das bedrückt mich gerade, und ich hoffe, dass es der Familie gut geht. Und den Kühen natürlich auch.
[Update 27.08.:] Es gibt Nachrichten aus Accumoli. Der Hof hat es überstanden, alle dort haben überlebt. Puh.
3 Gedanken zu „Reisetagebuch Shorties (3): Der kleine Kuhhof“
Ich mag nicht wortlos gehen, auch wenn das eine so unbegreifliche Situation ist, dass ich gerade hilflos nach irgendwie passenden Worten für dich ringe. Ich hoffe mit dir, dass es der Familie gut geht (und auch, dass du darüber Kenntnis bekommst und nicht im Ungewissen hängen bleibst).
[Wir übernachten auf den langen Fahrten nach Spanien auch fast immer in so winzigen Casa Rurales mit nur 3, 4 Zimmern in winzigen Dörfchen und immer wahnsinnig herzlichen Familien, die die Häuser meist nebenbei betreiben. Seit ich mich auf Spanisch verständigen kann, sind das immer ganz besondere Erfahrungen, bei denen man den Menschen so viel näher kommt als in größeren Hotels – auch wenn es meist nur eine Nacht ist. Daher kann ich mir vorstellen, wie dich das gerade mitnimmt…]
Dann kannst Du ganz genau nachvollziehen, wie es mir geht. Gerade die Begegnungen mit solchen Gastgebern sind es, die eine Reise zu einer Sammlung von Erfahrungen machen.
Bin ähnlich wortlos und hoffe, dass es der Familie gut geht.