Reisetagebuch: Motorradtour 2016 (1)
Juni 2016: Herr Silencer schwingt sich auf´s Motorrad und fährt quer durch Europa. Das hat er früher auch schon gemacht, aber 2016 ist eine dummes Jahr, und deswegen geht diesmal einiges schief. Das Motorrad zerlegt sich unterwegs,das Wetter spielt nicht mit und andere komische Dinge passieren. Dabei fängt es in den ersten Tagen noch relativ harmlos an…
Samstag, 04. Juni 2016, Göttingen
Das Motorrad steht vor dem Haus in der Sonne. Es ist vollgetankt, und auf den Halterungen am Heck trägt es ein Topcase und zwei große Seitenkoffer. Darin ist wirklich alles, was ich in den kommenden dreieinhalb Wochen brauchen werde, plus ein Haufen Werkzeug und Ersatzteile, aber dennoch sind die drei Koffer zur Hälfte leer. In einer Halterung im Cockpit der Kawasaki steckt das Navi. In ihm schlummern schon alle Routen und Stationen der nächsten siebentausend Kilometer.
SIEBENTAUSEND.
Das ist ganz ordentlich, selbst für meine Verhältnisse.
Es ist ein schöner Sommermorgen. Ich setze den Gehörschutz ein, ziehe die Handschuhe über,setze den Helm auf und drücke den Startknopf am Lenker. Der Motor der ZZR 600 erwacht sofort zum Leben. Mit dem linken Fuß kicke ich den Seitenständer weg, dann rollt die Renaissance aus der Parkbucht und auf die Dorfstraße. Ich grinse unter dem Helm wie ein kleiner Junge. Das ist das fünfte Mal, dass ich mit der Kawasaki auf Reisen gehe, und jedes Mal wieder bin ich aufgeregt und freue mich wie ein Kind auf das, was in den kommenden Wochen so passieren wird, was auch immer das sein wird.
Mumpfelhausen bleibt schnell zurück, ebenso Götham, dann gibt es Autobahn… Autobahn… Autobahn… Endlich spüre ich wieder das Rauschen des Fahrtwinds am ganzen Körper. Gott, ich liebe es mit dem Motorrad zu reisen und habe das wirklich vermisst.
Es geht nach Süden. Natürlich. Ich brauche Wärme, ganz besonders nach der fürchterlich kalten und verregneten ersten Jahreshälfte 2016.
Die Strecke führt an Frankfurt vorbei und über die französische Grenze ins Elsass. Gerne würde ich endlich mal Straßburg besuchen, aber dazu kommt es leider auch in diesem Jahr wieder nicht. Über der Stadt dreht sich ein Starkregengebiet. Starkregen Anfang Juni ist in den vergangenen Jahren zu einem wiederkehrenden Problem geworden. In den letzten Tagen hat es in Niederbayern ganze Ortschaften weggerissen, so viel hat es da in kurzer Zeit geregnet.
Das Regenfeld vor mir zu umgehen schaffe ich leider nicht ganz. Eben ist es noch eine dunkle Wolke am Horizont, plötzlich ist es schon über mir. Der Himmel wird dunkel, schlagartig ist das Licht weg, und dann beginnt der Regen auch schon mit Wucht nieder zu prasseln. Wie aus einer Urwalddusche fällt das Wasser herab und dröhnt auf dem Helm. Ich komme gar nicht dazu anzuhalten und die Regenkombi anzuziehen. Innerhalb weniger Minuten ist der Fahreranzug vollgesogen mit Wasser. Die Sympatex-Mebran im Inneren ist zwar wasserdicht, aber das spielt keine wirkliche Rolle. Die vollgesogene äußere Schicht wird im Fahrwind eiskalt und klebt auf der Membrane und die klebt auf Haut und das fühlt sich genauso an als wäre man naß.
Schlotternd komme ich bei Freunden in einem kleinen Dorf im Elsass an. Zwei Tage werde ich hier Station machen, und so lange werden die nassen Klamotten auch brauchen um wieder zu trocknen.
Ich bin allerdings schnell wieder versöhnt, denn schon am Abend des ersten Reisetages werden ich kulinarisch nach allen Arten der Kunst verwöhnt. Das, meisterlich zubereitete Abendessen besteht aus Teilen von Tieren, die es in Deutschland nicht mal zu kaufen gibt. Und der Geschmack ist himmlisch.
Am zweiten Tag, einem Sonntag, guckt sogar die Sonne raus. 30 Kilometer südlich von Strasbourg ist der Elsass voller kleiner, verschrobener Häuschen, netter Leute und gemütlicher, platter Landschaft.
Die satte, grüne Landschaft lädt zum Rumwandern ein, und das tue ich auch.
In Sélestat, einer kleinen Stadt voller mittelalterlicher Gebäude, verbringe ich mit den Freunden einen gemütlichen Sonntagnachmittag. Es ist Rad-Tag, alle Hauptstraßen sind gesperrt und jeder ist auf unmotorisierten Zweirädern unterwegs. Die Atmosphäre ist sehr entspannt.
Am dritten Tag, einem Montag, bin ich wieder auf der Straße. Das Motorrad steuert auf mautfreien Straßen gen Süden. Vorbei an der großen Stadt Besançon und entlang der Schweizer Grenze geht die Fahrt und ist dabei ebenso unspannend wie lang und langweilig: Über hunderte von Kilometern sind die Straße, das Motorrad und ich ganz unter uns, und landschaftlich gibt es einfach nichts zu sehen.
Das Licht hier ist kalt, fällt mir auf. Weißer und bläulicher als bei uns. Dadurch sieht alles ein wenig ausgeblichen aus. Der Himmel ist oft bedeckt, aber wenigstens wird es wärmer. Zwischendurch muss ich sogar anhalten und die Lüftungsklappen am Anzug aufmachen, sonst kriege ich einen Koller. Endlich, denke ich bei mir. Das ist so ungefähr das erste Mal in diesem Jahr, das mir wirklich warm ist.
Ansonsten gönne ich mir kaum eine Pause, die heutige Etappe ist 600 Kilometer lang und dauert auf dem Papier schon 10 Stunden. Mit Tankstops und Staus werden das locker 11, vielleicht 12 Stunden.
Nach Stunde 8 tut der Nacken weh. Rücken und Arme gehen gerade noch, auch der Hintern beschwert sich nur leise. Aber die Nackenmuskulatur macht gerade echt schlapp. Der Helm fühlt sich an als ob er Tonnen wiegt, und gegen dieses Gewicht kann den Kopf kaum noch oben halten. Schief blinzele ich unter dem Helm hervor, und dann kommen Kopfschmerzen und eine steife linke Schulter dazu.
Nach zehneinhalb Stunden bin ich kurz vor dem Ziel, und NATÜRLICH fängt es jetzt an zu regnen. Aber wenigstens wird die Straße interessanter und die Aussicht besser. Es gibt nämlich: BERGE! Die südlichen Ausläufer der Alpen, um genau zu sein. Ich bewege mich in der Region Haute-Alpes, am Rand des Parc National des Écrins.
Feucht, aber sicher komme ich im “La Trinité” in Saint Firmin an und steuere die Renaissance auf den Parkplatz des Restaurants, das an einer Landstraße mitten im nirgendwo kurz vor den Seealpen liegt.
Hinter dem Restaurant ist ein kleines Häuschen, in dem Fremdenzimmer vermietet werden. Ich liebe ja diese kleinen, familiengeführten Betriebe. Wann immer es geht meide ich Hotels und suche mir solche abgelegenen Orte, wo die Leute noch echte Gastgeber sind und oft auch Zeit und Lust auf ein Schwätzchen haben. Die meisten von ihnen haben nämlich eine interessante Geschichte zu erzählen.
Ich falle auf´s Bett und schlafe fast augenblicklich ein. Meine Fresse, Motorradfahren ist echt anstrengend. Ich beginne jedes Jahr spätestens drei Monate vor der großen Fahrt mit gezieltem Krafttraining, und trotzdem hat mich diese Etappe umgehauen.
Eine Stunde später weckt mich ein knurrender Magen. Im Restaurant ist Pizzaabend, was mir recht ist. Vor dem Wirtshaus ragt das Massiv der Trinité auf, dunkel und mit schwarzen Wolken gekrönt.
Gut, dass ich heute nicht mehr fahren muss. Über 1.000 Kilometer bin ich jetzt schon von zu Hause weg, und die Transitetappe ist noch nicht vorbei. Es fühlt sich gut an, endlich wieder auf Tour zu sein. Ich lehne mich zurück, beobachte die einheimischen Restaurantgäste und höre sie sagen, dass das Wetter morgen besser wird. Das ist gut. Morgen wird mein Tag!
Im nächsten Teil: Nicht mein Tag.
2 Gedanken zu „Reisetagebuch: Motorradtour 2016 (1)“
Falls Schrodi sich bewusst für ein unscharfes Logo entschieden hat, damit es die Leute abfotografieren und in Ihren Blogs oder in anderen Social-Media-Dingens veröffentlichen … hat sein diabolischer Plan soeben funktioniert ;).
Verdammt, dieser Teufelskerl!