Literaturherbst 2016

Literaturherbst 2016

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Zum 25. Mal fand in diesem Jahr in Göttingen der Literaturherbst statt. Das ist jedes Jahr etwas besonderes, denn 10 Tage lang kommen Autorinnen und Autoren von Rang und Namen in die Stadt, um aus ihren Werken zu lesen und mit dem Publikum zu diskutieren. Nirgedwo sonst kann man so viel geballte Literaturprominenz für wenig Geld erleben.

Litertaurherbst, dass ist für mich immer was besonderes. Als Student, in den 90ern, habe ich Douglas Adams und Terry Pratchett im Rahmen des Literaturherbstes treffen konnte. Zwischenzeitlich habe ich das Ganze ein wenig aus den Augen verloren, weil über Jahre nur Autoren von uninteressanten Nischen eingeladen wurden, aber seit einiger Zeit ist das Programm wieder besser.

In diesem Jahr war das Programm wieder überbordend, zum einen wegen des Jubiläums, zum anderen weil der Litertuarherbst nun auch von einem ehemaligen NDR-Redakteur gemacht wird, der beste Verbindungen zu Kultur und Politik hat. Über 70 Lesungen an 30 Orten waren angesetzt, sowohl aus der Belestristik als auch der Wissenschaft und allem dazwischen. Dem guten Kontakt des Festivalmachers zur Politik ist sicherlich auch die Videobotschaft zu verdanken, in der sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier dafür entschuldigte, dass die Autorin Katharina Hagena nicht wie geplant in Göttingen sein konnte – er hatte sie kurzfristig auf eine außenpolitische Mission nach Nordkorea mitgenommen.

Hagena hätte mich ohnehin nicht interessiert. Ich habe den Literaturherbst genutzt um mir mal Hein Strunk aus der Nähe anzusehen, der mich seit Jahren mit Büchern wie “Fleisch ist mein Gemüse”, “Fleckenteufel” und “Junge rettet Freund aus Teich” begeistert. Allerdings nur in der Hörfassung, die er selbst mit prägnantem, harburger Nuscheln liest.

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Beim Literturherbst las er nicht nur, er flötete auch was.

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Es gibt so Sätze, da setzt bei mir ein Fluchtreflex ein. Dazu gehört sowas wie “Meine Jugend in Pommern” oder “Erinnerungen an Königsberg” – da will ich sofort weglaufen. Gut, dass ich es nicht getan habe, denn die Erinnerungen des Sozialphilosophen Oskar Negt waren dann doch interessant.

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Gekommen war ich aber wegen Gerhad schröder, der von Negts Einfluss auf die SPD berichtete. “Uns´Gerd” konnte es dann nicht lassen, einige Seitenhiebe in die aktuelle Politik zu verteilen. “Der Satz “Wir schaffen das” war ja richtig, aber dann muss man doch auch was tun”, sagte er und verwies auf die Einwanderungs- und Integrationsprojekte, die seine rot-grüne Regierung angeschoben hatte und die beim Regierungswechsel schnell von der CDU beerdigt wurden.

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Überhaupt schien Schröder die Untätigkeit der GroKo aufzuregen. Ja, Hartz-4, über das er sich mit Negt viel gestritten habe, sei hart, aber zu seiner Zeit das richtige Instrument gewesen. Allerdings hätte man es nicht so lassen dürfen, sondern nachjustieren und anpassen, als klar war, dass das Land wieder wettbewerbsfähig war. Aber statt nun in neue Richtungen zu gehen, halte man an der Symbolpolitik der schwarzen Null statt und verwalte das Land ohne Vision, zu Lasten der kommenden Generationen.

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Einer der roten Mitverwalter der schwarzen Nullen stand in Alfeld am Rednderpult. SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann, den ich allgemein nicht besonders schätze, trug eine interessante und kenntnisreich wirkende Einführung zu Walter Gropius, dem Bauhaus-Stil und den Fagus Werken in Alfeld vor. Das war wirklich gut, und wirkte als hätte er wirklich Ahnung von dem, was er erzählt.

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Die Fagus-Werke in Alfeld stellten Leisten für die Schuhmacherei her und tun das auch heute noch. Die Fabrik war Gropius erstes großes Bauprojekt und prägend für den Bauhaus-Stil. Heute ist die Fabrik immer noch in Betrieb und ganz nebenbei UNESCO-Weltkuturerbe.

"Fagus" heißt Buche, und aus der sind die Leisten.
“Fagus” heißt Buche, und aus der sind die Leisten.

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Herr Schünemann arbeitet selbst seit fast 50 Jahren im Fagus-Werk und macht heute Besucherführungen.
Herr Schünemann arbeitet selbst seit fast 50 Jahren im Fagus-Werk und macht heute Besucherführungen.

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Markant und seinerzeit revolutionär: Fehlende Eckstützen.
Markant und seinerzeit revolutionär: Fehlende Eckstützen.

Anlass der Lesung in den Werken war ein Buch über Bauhaus-Architekten, die vor dem Krieg in die UDSSR gingen um dort sozialistische Planstädte zu entwerfen, dann aber bitterlich scheiterten und am Ende als Feinde des Kommunismus verfolgt wurden. Die Lesung war recht unspannend, vermutlich ist die Autorin besser beim Schreiben als beim Präsentieren.

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Ganz daneben war leider die Präsentation der Leiterin des Museums “Het Ship” in Amsterdam, weil der zuständige Techniker es nicht hin bekam, die Präsentation auf den angefügten Bildschirm zu bekommen. Als Präsentationsprofi möchte ich da ja immer aufspringen und ihm die nötigen Mausklicks zeigen, konnte mich aber gerade noch beherrschen.

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Besser war da schon die Ausstellung, die die Museumsleiterin mitgebracht hatte. Anhand von Büchern, Lampen und anderen Exponaten zeigte sie die Auswirkungen von Architektur und deren Design auf andere Gegenstände und Lebensbereiche, insbesondere auf die Gestaltung von Büchern und Zeitschriften.

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Ohne Exponate kamen Jakob Augstein und Nikolaus Blome zurecht. Der eine ist der Sohn von Martin Walser und Rudolf Augstein (Fragen Sie nicht!), Verleger der Zeitschrift “Der Freitag” (die am Donnerstag erscheint, fragen Sie nicht!) und stramm links. Der andere, Blome, ist stellvertretender Chefredakteur der Bild Zeitung, Autor einer Merkelbiografie und stramm konservativ. Beide haben seit Jahren eine kleine Fernsehsendung auf Arte, in der sie sich über Themen streiten. Diese Streitgespräche gibt es nun in Buchform, und daraus versuchten die beiden zu lesen. Versuchten deshalb, weil sie immer wieder anfingen, sich abseits des gedruckten Textes zu kabbeln, Kontext hinzuzufügen oder ihre Position weiter zu verteidigen.

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Das war, in der Summe, das beeindruckende Bild zweier überaus intelligenter und belesener Männer, die die Welt aus ganz unterschiedlichen Sichtweisen sehen und sich darüber zivilisiert streiten können. Schön, dass es das noch gibt.

3 Gedanken zu „Literaturherbst 2016

  1. Herzlichen Dank für Deine Zusammenfassung!
    Aber Du hättest auch ruhig mal eingreifen sollen, so was macht die Veranstaltungen doch viel lebendiger.

    Ich weiß auch nicht, warum ich den Literaturherbst mittlerweile links liegen lassen, vielleicht weil ich alt geworden bin?

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